Als
sie diese Zumutung nicht mehr ertragen und zudem erfahren, dass vom
verheißenen Hauptgewinn nach Abzug aller Kosten nichts bleiben wird, erlöst
Robert die lebensmüde Gloria durch einen Schuss in die Schläfe. Dafür wird
er zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Ausgemergelt und
dürr steht das Paar vor dem Gericht. Ihre schlaffen, sehnigen Körper lassen
eine längst vergangene athletische Spannung erahnen. Die Gesichter sind
bleich und verzerrt, die Augen starren ausdruckslos geradeaus. Schwarze,
gleichförmige Ganzkörperanzüge machen die Protagonisten austauschbar. Es
geht hier nicht um Einzelschicksale, sondern um das Elend einer ganzen
Generation.
Eine
dumpfe Stimme aus dem Off klagt Robert an. Ein Gnadenschuss? Das Tanzpaar
schildert die Einzelheiten: Die ganze Idee war nur ein Ausweg. Verpflegung
umsonst, solange man durchhält! Eine horrende Preissumme und damit die
Aussicht auf eine vielleicht immer noch nicht vielversprechende, aber doch
zumindest hoffnungsvollere Zukunft. Beide wollen ins Filmgeschäft. Groß
rauskommen! Entdeckt werden beim Marathon! Das Geld würde man als
Startkapital für eine große Karriere nutzen können. Doch die Anforderungen
sind hoch. Alle Paare müssen sich so lange auf den Beinen halten wie sie
können. Getanzt wird immer eine Stunde und 50 Minuten lang. Danach folgen
zehn Minuten Pause, die zum Austreten, Essen, Schlafen oder Waschen genutzt
werden dürfen. Schon nach der ersten Woche scheiden 61 Paare aus, ein
Vergnügen ist es für niemanden. Die Teilnehmer sind gescheiterte Traurige
kurz vor der Resignation. Eine Schwangere nimmt in der Hoffnung teil, ihr
Kind ernähren zu können. Gloria und Robert lassen sich sogar überreden, vor
dem Publikum zu heiraten, obwohl sie nie verliebt waren. Immerhin 50 Dollar
(heute: rund 2.000 Euro) springen dabei für sie raus.
Zwischen den
Tanzphasen finden aberwitzige Wettbewerbe statt, anspruchsvolle
Geschicklichkeitsspiele, die die Erschöpfung und den Wahnsinn der Teilnehmer
an den Tag bringen. Bei einem Denkspiel à la "Ich packe meinen Koffer" gerät
die Situation plötzlich aus den Fugen. Es wird geschrien, grell,
durcheinander, aneinander vorbei. Robert bricht zusammen – Eskalation. "Ich
lebe ein gutes Leben im Falschen. Ich trenne meinen Müll ...". Das junge
Paar stellt sich die Frage immer wieder: Wäre ein gutes Leben möglich
gewesen? Doch Gloria will gar kein Leben mehr, sie ist gepeinigt, kraftlos,
am Ende. "Willst du der Welt einen Gefallen tun?", fragt sie Robert, und er
schießt. Der ganze Wettbewerb, der eigentlich zur Flucht aus dem Nichts in
ein schöneres Leben helfen sollte, gleicht einem Karussell. "Wenn wir
rauskommen, sind wir genau da, wo wir angefangen haben." Sie war schon lange
lebensmüde, hatte nur nicht den Mut zu sterben. Man gibt ja auch Pferden den
Gnadenschuss ...
Mit
aufgeschlitzter Kehle steht Robert da. Der Raum ist ein karges Bildnis des
Elends seiner Insassen. Nur die Discokugel an der Decke erinnert an den Ruhm
und den Glanz, den der Wettbewerb ursprünglich bringen sollte. Der Ansager,
glänzend in seinem silbernen Anzug, ist gleichzeitig auch Richter und
Konkurrent, der Böse im Stück. Sogar wir selbst, die Zuschauer, werden zum
Feind, da wir ungefragt die wohlhabende, schaulustige Bourgeoisie auf der
Tribüne verkörpern. Bedrückt schauen wir zu Boden, unsere Rolle beschämt uns
im Angesicht der beklemmenden Lage der Protagonisten.
Regisseur
Michael Höppner inszeniert gekonnt und nicht zu überladen. Die Schauspieler
bringen die Stimmung auf den Punkt. Ein wirres Spiel mit der Zeit und der
verzweifelte Wahnsinn der Personen, der die Rahmenhandlung immer wieder
unterbricht, lassen das Stück befremdlich, fast wie episches Theater wirken.
Zudem werden die Tänze mit einem wilden Musikmix hinterlegt: The Streets
neben Gilbert Bécaud, Schlager der 60er und Marschmusik.
Die
Geschichte basiert auf dem Buch "They shoot horses, don´t they" von Horace
McCoy aus dem Jahr 1935. Der gesellschaftskritische Stoff spiegelt die
Brutalität der Leistungsgesellschaft wider und war Teil des damaligen
Kampfes gegen Klassengesellschaft und Kapitalismus. In Zeiten der
Weltwirtschaftskrise rief der Autor mit seinem Roman-Debut zur Mobilisierung
der Massen gegen den Staat auf.
Die gleichnamige
Verfilmung mit Jane Fonda in der Hauptrolle ist mittlerweile ein Klassiker.
Sie erhielt 1970 den Oscar in der Kategorie "Bester Nebendarsteller". Sydney
Pollack stellt die Leiden der Tänzer schonungslos drastisch dar. Laut New
York Times ein "opulenter" und "auf eine kuriose Weise" optimistischer Film.
Diesem
vorbelasteten und nicht unbedingt leichten Stoff erweist Höppner alle Ehre.
Durch den neuen szenischen Kontext bemerkt man
–
fast achtzig Jahre später
–
eine überraschende Übertragbarkeit in die heutige Situation. Dabei bewahrt
das Stück sein Wesen und bleibt, was es schon immer war: ein Totentanz.