Mit
schnippischem Blick steht der "Duca" (Oliver Kook) auf der Bühne der Wiener Volksoper.
Den selbstgefälligen Filmstar nimmt man ihm leicht ab. Die Idee des
Regisseurs, den Schauplatz in ein turbulentes Filmset zu verwandeln, erweist
sich als kluge Entscheidung. Stephen Langridge versteht
den historischen Hof des Herzogs von Mantua zeitgemäß zu adaptieren.
Hier wird gedreht, intrigiert und gefeiert: Hofnarr
Rigoletto wird zum Garderobier gemacht, die Gräfin gerät zur Hure des Films, der mit
seinem Titel "La Maledizione" an die erste und unzensierte Version der Oper
erinnert.
Bis die
Uraufführung 1851 endlich stattfinden konnte, musste Verdi hart um seinen
"Rigoletto" kämpfen. Die Zensur des venezianischen Teatro La Fenice sträubte
sich aufs Äußerste gegen seine Darstellung des Königs. Zudem sei Francesco
Piaves Libretto zu obszön, Victor Hugos Stoff zu unmoralisch. Schon die
Vorlage "Le roi s´amuse" hatte 1832 einen gesellschaftlichen Skandal
ausgelöst. Ein König als Frauenheld
– was für ein Fauxpas!
Zwanzig Jahre später
ändert Verdi einige Namen, macht den König zum Herzog, gibt dessem buckligen
Gehilfen Rigoletto die Hauptrolle und freut sich über sein gelungenes
Meisterstück.
Das Thema bleibt
dabei erstaunlich aktuell: Die Dekadenz der Gesellschaft, die ihre
Hierarchien auf Geld und Macht begründet und sich dann "exklusiv" nennt. Wer
dazugehören will, muss etwas bieten können, vorzugsweise Berühmtheit, Reichtum
oder Beziehungen. Regisseur und Dirigent (Manlio Benzi) gehen der Geschichte auf den Grund.
Der Duca, ein berühmter Schauspieler, verführt jede seiner Frauen in einer
anderen Rolle. Er wechselt sie schnell und gekonnt, wie eine Dame ihr
Schuhwerk. Passend zum Outfit ändert er Taktik und Charakter, den Mädchen
entsprechend. Wenn nötig, wird er zum unschlagbaren Romantiker. Doch jede
Emotion, jeder liebevolle Satz ist verpackt in eine Figur, die das
Scheinwerferlicht sucht. Dabei verliert er sich mehr und mehr selbst.
Rigoletto muss
zusehen, wie auch seine gutmütige, warmherzige Tochter dem Duca verfällt. Obwohl
er Gilda (Jennifer O´Loughlin) strikt von der Außenwelt fern, im Grunde fast gefangen hält, um sie vor
diesem Schicksal zu bewahren, trifft sie den Duca dort, wo man ihre
Unschuld am wenigsten in Gefahr glaubt: in der Kirche. Sie vertraut dem
Charmeur fast wie ihrem Vater. Dieser wiederum ist, neben ihrem Glauben, ihr ganzer
Lebensinhalt. Denn obwohl Rigoletto vom Tod ihrer Mutter nichts Genaues
wissen will und er Gilda sogar seinen eigenen Namen verheimlicht, lebt seine
Tochter nur für ihn. Sie ersetzt ihm die Liebe und Geborgenheit einer Gattin, bietet ihm
Zuflucht vor den endlosen Sticheleien seiner Arbeitskollegen. Zum ewigen Narr
verflucht
– bei Langridge aufgrund eines Gehfehlers, in der klassischen
Version eines Buckels wegen
–, ist er das Gespött der Leute. In der
High
Society, die er eine "zynische Gesellschaft" schimpft, steht er nur am Rand.
Gilda ist sein
wahres Zuhause. Sie lebt voll Unschuld im stillen Glück, bei ihr darf er
Mensch sein. Zudem singt sie lupenreine, sehnsuchtsvolle Koloraturen, mit
denen sie nicht nur ihren Vater, sondern auch das Publikum verzaubert. Die
Oper strotzt vor Tonmalerei. In nur wenigen Werken wird man die Schnüre
zwischen Text und Musik so eindeutig verknüpfen können. Die Melodieführungen
der Duette sind, je nach Stimmung, wunderbar ergänzend oder kontrastreich.
Ein immer wiederkehrendes "c" verkörpert den Fluch, der auf eine subtile
Weise allgegenwärtig bleibt, "des-moll" ist die Tonart der Klage.
Das abgeschiedene Leben, zu dem der Vater sie bestimmt hat, ist dem Mädchen
auf Dauer freilich nicht genug. In dem Gefühl unerträglicher Enge, das sie
umgibt, wirft sie sich in die Arme des Duca. Für ihn, ihren Geliebten, wird
sie sich am Ende auch opfern: Der Auftragskiller, den ihr Vater
angeheuert hat, hält sie für einen Bettler und tötet sie anstatt des
Duca. So stirbt am Ende die mit dem größten Herzen. Sie, die von
der selbstgefälligen Gesellschaft am wenigsten eingenommen ist, fällt ihr
zum Opfer. Für Rigoletto
bricht damit eine Welt zusammen. Der Fluch, den ihm der Graf von Monterone
auferlegt hat, erfüllt sich im tragischsten Ausmaß: "Alles ist nun
vernichtet!"
Die moderne
Inszenierung will nicht gezwungen revolutionär sein. Sie muss sich nicht um
Aktualität bemühen und weiß das auch. Selbstbewusst stellt sie die Dinge
dar, wie sie eben sind. Zeitgemäß und klar zu verstehen: "Wenn ich boshaft
bin, habt ihr die Schuld zu tragen".