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Von der Diskretion des Glücks
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Stinkende Windeln, vollgesabberte Blazer, geplatzte Abend-Termine und durchgekotzte
Nächte ja, auch das bedeutet es, Kinder zu kriegen. Aber da gibt es auch diesen Geruch auf
dem Babykopf, auf der Haut unterm Flaum, ein Duft direkt aus dem Paradies, sinnlich und
rein, nach dem absoluten Zuhause, vertraut und süß, als hätte man das vor
Menschengedenken gerochen und erinnerte sich wieder daran.

Von Katharina Körting
(01. 09. 2007)

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Mag. Katharina Körting
k_koerting [at] web.de

geboren 1968, absolvierte
von 1988 bis 1992 in Freiburg,
Lyon und Berlin das Studium
der Philosophie, Romanistik
und Soziologie. Arbeitete ab
1995 als Journalistin. Seit
2001 ist sie als Redakteurin,
Konzepterin und Texterin bei
einer Berliner PR-Agentur
tätig. Die Autorin ist verhei-
ratet, lebt in Berlin und
hat vier Kinder.



 

Buchtipps
 

Herrad Schenk.
Wieviel Mutter braucht
der Mensch? Der Mythos
von der guten Mutter.
Rowohlt Tb, 1998, 237 S.
ISBN: 3499603764

 

 

Besonders beliebt ist der
ironisch-witzige Gestus,
als sei es geistreich zu
beschreiben, wie grässlich
Kinder seien. Wie albern
und unfähig deren Mütter.
Wie unsexy deren Väter.

 


 

Christiane Röhrbein.
Will ich wirklich ein
Kind? Von guten Gründen
und verborgenen Wünschen.
Mvg, 2006, 303 S.
ISBN: 3636070754
 

 

Man spricht darüber,
welche Zahl an Kinder-
krippenplätzen politisch
korrekt wäre, und manchmal
auch darüber, wie sehr ein
neues Leben das alte aus
der Bahn wirft. Aber kaum
eine erzählt ohne rot zu
werden davon, wie sehr
sie zum Beispiel – nunja –
wachsen kann an
einem Kind.

 

 

Katherine Ellison.
Mutter sein macht schlau.
Kompetenz durch Kinder.
Kunstmann, 2006.
ISBN: 3888974372

 

 

Ein Kind zu bekommen,
kann man nicht begründen.
Es hat zwar soziale Kon-
sequenzen, ist aber immer
ein egoistischer Entschluss,
im Grunde genetisch:
Man pflanzt sich fort.

 

   Ob sie will oder nicht – der Debatte kann sich keine entziehen. Kind oder nicht Kind – das ist hier die Gretchenfrage. Natürlich geht es dabei um Glück, lebenslänglich, und die Fronten – wir kennen sie alle – haben sich zwar verschoben, sind aber klar abgesteckt: Die "Nur-Hausfrau", die bis vor kurzem genug damit zu tun hatte, sich gegen die "erwerbstätige und/oder allein erziehende Mutter" abzugrenzen, steht nun unversehens gemeinsam im Kampf gegen die "Karrierefrau ohne Kind". Diese wiederum integriert widerwillig auch die "ungewollt Kinderlose" in ihre Reihen, denn in diesem Kampf zählen ausschließlich Tatsachen – die Kinder. Und jede ergreift Partei.

Von höchster staatlicher Stelle wird die Debatte immer wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt, als gelte es, mit aller Macht einen Kinderwunsch in der Bevölkerung zu erzwingen. Die Diskussion läuft heiß, weil die "gebärfähigen Frauen" es ja so oder so falsch machen. Jedes Ja meint auch ein Nein, und jede Entscheidung wiegt gleich schwer: Wer ein Kind hat, hat "nur" eins (und verzieht es zwangsläufig). Wer zwei Kinder hat, ist langweilig. Wer mehr hat, liegt den anderen auf der Tasche und lässt seine Kinder – ohgottogott!"fremdbetreuen", um sie überhaupt ernähren zu können. Aber am falschesten machen es laut offizieller Meinung diejenigen, die sich bewusst gegen eigene Kinder entscheiden und von sich selbst – halb ironisch – als "Karrierefrauen" sprechen. Klar, dass die jetzt am lautesten schreien.

"Mein Bauch gehört mir" war gestern

   "Mein Bauch gehört mir" war gestern. Heute heißt es: "Mein Leben gehört mir, und zwar mir ganz allein". Mühsam genug über mehrere Generationen hinweg errungen scheint es nur recht und billig, den Besitzanspruch auf dieses eigene Leben bis aufs Messer zu verteidigen. Denn aus der Perspektive von dessen Besitzerinnen wurde es ja nicht geschenkt, sondern (quasi mutterlos) erworben. Wer sich unter dieser Prämisse zusätzlich ein neues anschafft, erscheint reichlich dumm: Dann ist nämlich erstmal für eine lange Weile nix mehr mit allein, und bestimmt nicht mehr viel mit "selbstbestimmt".

Ein wenig befremdet dennoch die Aggressivität der Nicht-Mütter. Als hätten sie sich auf die Fahnen geschrieben, ein Tabu zu brechen, das es gar nicht mehr gibt. Wie unter "Outing"-Zwang schreiben kinderlose Meinungsmacherinnen ihre Plädoyers, werben um die Legitimation ihres Lebens, und man fragt sich: wem gegenüber eigentlich? Spitzen sie ihre Federn am Ende für sich selbst? Besonders beliebt ist der ironisch-witzige Gestus, als sei es geistreich zu beschreiben, wie grässlich Kinder seien. Wie albern und unfähig deren Mütter. Wie unsexy deren Väter. Und wie schön dagegen – dagegen! – das freie Leben ohne stinkende Windeln, ohne vollgesabberte Blazer, geplatzte Abend-Termine und durchgekotzte Nächte. Als hätte schon immer mal gesagt werden müssen, wie sehr das Kinderhaben überschätzt wird. Wie sehr Kinder als solche überschätzt werden. Beispiele des Furchtbaren (verblödete Eltern, ungezogene Kinder etc.) bieten willkommene Anlässe für abwehrende Anekdoten.

Die Diskretion des Glücks

   Die Mütter ihrerseits rufen nicht gar so laut in der Wüste, weil sie das gar nicht nötig haben. Ausnahmsweise stehen ja nicht sie am Pranger, die sonst regelmäßig nicht nur ihr eigenes Verhalten gegen die widersprüchlichsten Anwürfe verteidigen müssen – "Rabenmutter", "Überbehüterin" u. a. – sondern auch gleich das ihrer Kinder– "zu wenig selbstbewusst", "laut-dreckig-unhöflich", "unbegabt" – je nachdem. Aber hier, beim Reden um Sein oder Nicht-Sein (des Kindes) könnten sie sich eigentlich entspannt zurücklehnen – wenn sie es denn könnten.

Jedes neugeborenes Kind potenziert den Binnenlärm, und die Notwendigkeit, die Nerven zu Drahtseilen zu frisieren, dehnt die eigene Flexibilität auf ein Maß aus, das vorher unvorstellbar schien. Nur das Glück bleibt diskret. Von ihm ist kaum die Rede, weil es nicht erklärbar ist. Bestimmte Sachen weiß man nur, indem man sie erfährt, und wer sich dieses Glückes absichtlich beraubt – sei es aus Feigheit, Vorsicht, Vernunft, oder mangels Zuversicht – der tut dies tatsächlich aus einem Verlust heraus, der unerfahren bleibt. Es gilt nicht nur, dass man erst weiß, was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Man weiß auch erst, was man nicht hatte, wenn man es hat. Soll heißen: Eltern wissen nicht nur, was sie hatten, als sie noch nichts versäumten – sie wissen auch erst mit einem Kind, was sie versäumten, als sie noch keines hatten.

   Man spricht darüber, welche Zahl an Kinderkrippenplätzen politisch korrekt wäre, und manchmal auch darüber, wie sehr ein neues Leben das alte aus der Bahn wirft. Aber kaum eine erzählt ohne rot zu werden davon, wie sehr sie zum Beispiel – nunja – wachsen kann an einem Kind und mit einem Kind. Niemand erzählt vom Lachen. Das Glück mit Kindern ist so individuell, veränderlich und zugleich so schwer in Worte zu fassen, dass es schweigt. Zu groß ist die Angst vor Plattitüden, oder vor Pathos.

Ich wage jetzt trotzdem das "ich", denn ich verrate jetzt ein Geheimnis: Manchmal beneide ich die kinderlosen Frauen – vor allem um das, was sie nicht wissen, denn der Preis ist hoch. Es ist tatsächlich teuer, Kinder zu haben. Es ist schwierig, oft genug lästig, und der Geruch oben auf dem Scheitel, wie ihn nur Säuglinge haben, ist keine Entschädigung. Weil es keinen Schaden gibt. Es gibt nur diesen Geruch auf dem Babykopf, auf der Haut unterm Flaum, ein Duft direkt aus dem Paradies, sinnlich und rein, nach dem absoluten Zuhause, vertraut und süß, als hätte man das vor Menschengedenken gerochen und erinnerte sich wieder daran. Und ich verrate noch ein Geheimnis: So riecht Glück.

Niemand macht ein Kind wegen der Rentenkassen

   Es gibt tausend Gründe, kein Kind in die Welt zu setzen, und keine macht ein Kind, weil sie sich um die Rentensicherheit des Landes sorgt. Ein Kind zu bekommen, kann man nicht begründen. Es hat zwar soziale Konsequenzen, ist aber immer ein egoistischer Entschluss, im Grunde genetisch: Man pflanzt sich fort. Männer machen übrigens (man höre und staune!) nicht so viel Aufhebens um ihre Vaterschaft. Wenn Männer sich zum Thema "Kind" äußern, wird es schnell (obacht!) persönlich, anekdotenhaft, oder rührend – und nur selten prinzipiell. Prinzipiell werden nur gern jene Männer, die sich der Vaterschaft verweigern – weil sie keusche katholische Würdenträger sind, oder indem sie auf die böse Welt verweisen, in die sie keine Kinder setzen möchten, und zeigen auf die weltweite Bevölkerungsexplosion … Wundert mich ohnehin, dass die Frauen, die meinen, sich für ihre Kinderlosigkeit öffentlich verteidigen zu müssen, dieses Totschlag-Argument nicht anführen. Denn ist es nicht eigentlich egal, ob Mitteleuropa ausstirbt oder nicht? Weltweit betrachtet? Die globale Öko-Bilanz der Nicht-Eltern ist doch die denkbar beste! Think global – act local! Aber solcherlei Logik ist für Frauen schon biologisch undenkbar. Beim Thema Kind-oder-nicht-Kind stellt sich eine jede sofort en garde, als ginge es um ihr Leben.

Und das tut es ja auch.

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