Ob sie will oder nicht –
der Debatte kann sich keine entziehen. Kind oder nicht Kind – das ist hier
die Gretchenfrage. Natürlich geht es dabei um Glück, lebenslänglich, und die
Fronten – wir kennen sie alle – haben sich zwar verschoben, sind aber klar
abgesteckt: Die "Nur-Hausfrau", die bis vor kurzem
genug damit zu tun hatte, sich gegen die "erwerbstätige
und/oder allein erziehende Mutter" abzugrenzen, steht nun unversehens
gemeinsam im Kampf gegen die "Karrierefrau ohne
Kind". Diese wiederum integriert widerwillig auch die "ungewollt
Kinderlose" in ihre Reihen, denn in diesem Kampf zählen ausschließlich
Tatsachen – die Kinder. Und jede ergreift Partei.
Von höchster staatlicher
Stelle wird die Debatte immer wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt, als
gelte es, mit aller Macht einen Kinderwunsch in der Bevölkerung zu
erzwingen. Die Diskussion läuft heiß, weil die "gebärfähigen
Frauen" es ja so oder so falsch machen. Jedes Ja meint auch ein Nein, und
jede Entscheidung wiegt gleich schwer: Wer ein Kind hat, hat
"nur" eins (und verzieht es zwangsläufig). Wer
zwei Kinder hat, ist langweilig. Wer mehr hat, liegt den anderen auf der
Tasche und lässt seine Kinder – ohgottogott! – "fremdbetreuen",
um sie überhaupt ernähren zu können. Aber am falschesten machen es laut
offizieller Meinung diejenigen, die sich bewusst gegen eigene Kinder
entscheiden und von sich selbst – halb ironisch – als
"Karrierefrauen" sprechen. Klar, dass die jetzt am
lautesten schreien.
"Mein Bauch
gehört mir" war gestern
"Mein
Bauch gehört mir" war gestern. Heute heißt es: "Mein
Leben gehört mir, und zwar mir ganz allein". Mühsam genug über mehrere
Generationen hinweg errungen scheint es nur recht und billig, den
Besitzanspruch auf dieses eigene Leben bis aufs Messer zu verteidigen. Denn
aus der Perspektive von dessen Besitzerinnen wurde es ja nicht geschenkt,
sondern (quasi mutterlos) erworben. Wer sich unter dieser Prämisse
zusätzlich ein neues anschafft, erscheint reichlich dumm: Dann ist
nämlich erstmal für eine lange Weile nix mehr mit allein, und
bestimmt nicht mehr viel mit "selbstbestimmt".
Ein wenig befremdet
dennoch die Aggressivität der Nicht-Mütter. Als
hätten sie sich auf die Fahnen geschrieben, ein Tabu zu brechen, das es gar
nicht mehr gibt. Wie unter "Outing"-Zwang schreiben
kinderlose Meinungsmacherinnen ihre Plädoyers, werben um die Legitimation
ihres Lebens, und man fragt sich: wem gegenüber eigentlich? Spitzen sie ihre
Federn am Ende für sich selbst? Besonders beliebt ist der ironisch-witzige
Gestus, als sei es geistreich zu beschreiben, wie grässlich Kinder seien.
Wie albern und unfähig deren Mütter. Wie unsexy deren Väter. Und wie schön
dagegen – dagegen! – das freie Leben ohne stinkende Windeln, ohne
vollgesabberte Blazer, geplatzte Abend-Termine und durchgekotzte Nächte. Als
hätte schon immer mal gesagt werden müssen, wie sehr das Kinderhaben
überschätzt wird. Wie sehr Kinder als solche überschätzt werden. Beispiele
des Furchtbaren (verblödete Eltern, ungezogene Kinder etc.) bieten
willkommene Anlässe für abwehrende Anekdoten.
Die Diskretion des Glücks
Die Mütter ihrerseits rufen
nicht gar so laut in der Wüste, weil sie das gar nicht nötig haben.
Ausnahmsweise stehen ja nicht sie am Pranger, die sonst regelmäßig nicht nur
ihr eigenes Verhalten gegen die widersprüchlichsten Anwürfe verteidigen
müssen – "Rabenmutter", "Überbehüterin"
u. a. – sondern auch gleich das ihrer Kinder– "zu
wenig selbstbewusst", "laut-dreckig-unhöflich",
"unbegabt" – je nachdem. Aber hier, beim Reden um
Sein oder Nicht-Sein (des Kindes) könnten sie sich eigentlich entspannt
zurücklehnen – wenn sie es denn könnten.
Jedes neugeborenes Kind
potenziert den Binnenlärm, und die Notwendigkeit, die Nerven zu Drahtseilen
zu frisieren, dehnt die eigene Flexibilität auf ein Maß aus, das vorher
unvorstellbar schien. Nur das Glück bleibt diskret. Von ihm ist kaum die
Rede, weil es nicht erklärbar ist. Bestimmte Sachen weiß man nur, indem man
sie erfährt, und wer sich dieses Glückes absichtlich beraubt – sei es aus
Feigheit, Vorsicht, Vernunft, oder mangels Zuversicht – der tut dies
tatsächlich aus einem Verlust heraus, der unerfahren bleibt. Es gilt nicht
nur, dass man erst weiß, was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Man weiß
auch erst, was man nicht hatte, wenn man es hat. Soll heißen: Eltern wissen
nicht nur, was sie hatten, als sie noch nichts versäumten – sie wissen auch
erst mit einem Kind, was sie versäumten, als sie noch keines hatten.
Man spricht darüber, welche
Zahl an Kinderkrippenplätzen politisch korrekt wäre, und manchmal auch
darüber, wie sehr ein neues Leben das alte aus der Bahn wirft.
Aber kaum eine erzählt ohne rot zu werden davon, wie sehr sie zum
Beispiel – nunja – wachsen kann an einem Kind und mit einem Kind. Niemand
erzählt vom Lachen. Das Glück mit Kindern ist so individuell, veränderlich
und zugleich so schwer in Worte zu fassen, dass es schweigt. Zu groß ist die
Angst vor Plattitüden, oder vor Pathos.
Ich wage jetzt trotzdem
das "ich", denn ich verrate jetzt ein
Geheimnis: Manchmal beneide ich die kinderlosen Frauen – vor allem um das,
was sie nicht wissen, denn der Preis ist hoch. Es ist tatsächlich teuer,
Kinder zu haben. Es ist schwierig, oft genug lästig, und der Geruch oben auf
dem Scheitel, wie ihn nur Säuglinge haben, ist keine Entschädigung. Weil es
keinen Schaden gibt. Es gibt nur diesen Geruch auf dem Babykopf, auf der
Haut unterm Flaum, ein Duft direkt aus dem Paradies, sinnlich und rein, nach
dem absoluten Zuhause, vertraut und süß, als hätte man das vor
Menschengedenken gerochen und erinnerte sich wieder daran. Und ich verrate
noch ein Geheimnis: So riecht Glück.
Niemand macht ein Kind wegen der
Rentenkassen
Es gibt tausend Gründe,
kein Kind in die Welt zu setzen, und keine macht ein Kind, weil sie sich um
die Rentensicherheit des Landes sorgt. Ein Kind zu bekommen, kann man nicht
begründen. Es hat zwar soziale Konsequenzen, ist aber immer ein egoistischer
Entschluss, im Grunde genetisch: Man pflanzt sich fort. Männer machen
übrigens (man höre und staune!) nicht so viel Aufhebens um ihre Vaterschaft.
Wenn Männer sich zum Thema "Kind" äußern, wird es
schnell (obacht!) persönlich, anekdotenhaft, oder
rührend – und nur selten prinzipiell. Prinzipiell werden nur gern jene
Männer, die sich der Vaterschaft verweigern – weil sie keusche katholische
Würdenträger sind, oder indem sie auf die böse Welt verweisen, in die sie
keine Kinder setzen möchten, und zeigen auf die weltweite
Bevölkerungsexplosion … Wundert mich ohnehin, dass
die Frauen, die meinen, sich für ihre Kinderlosigkeit öffentlich verteidigen
zu müssen, dieses Totschlag-Argument nicht anführen. Denn ist es nicht
eigentlich egal, ob Mitteleuropa ausstirbt oder nicht? Weltweit betrachtet?
Die globale Öko-Bilanz der Nicht-Eltern ist doch die denkbar beste! Think
global – act local! Aber solcherlei Logik ist für Frauen schon
biologisch undenkbar. Beim Thema Kind-oder-nicht-Kind stellt sich
eine jede sofort en garde, als ginge es um ihr Leben.
Und das tut es ja auch.
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