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Triest liegt nicht am Meer
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Wo bereits James Joyce oder Joseph Roth dem Duft des Kaffees erlegen sind: Das Caffè San
Marco gehört bis heute zu den bekanntesten Jugendstil-Kaffehäusern von Triest.

Von Lukas M. Vosicky
(01. 09. 2007)

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Dr. Lukas Marcel Vosicky
Lukas.Vosicky [at] austrom.eu

geboren 1971 in Wien.
Studium der Philosophie an
der Universität Wien. Seit
2004 Generalsekretär der
Österreichisch-Rumänischen
Gesellschaft.
 

 

Buchtipp
 

Claudio Magris; Angelo Ara.
Triest. Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa.
Dtv, 2005, 296 S.
ISBN:
3423341750

 

 


Caffè San Marco

 

 

   Das Caffè San Marco war leer, die besten Plätze reserviert. Augenblicklich fühlte ich mich zu Hause wie in Wien. Dieser feine Möglichkeitssinn gewährt kommenden Gestalten dieselbe wirkmächtige Präsenz vergangener Persönlichkeiten, deren erinnerungsschwere Spuren die Notwendigkeit von Geschichte immer aufs Neue beweisen müssen. Wer hier gesessen hatte, ließ gewissermaßen seinen Stuhl frei, den er damit auf ewig besetzt hält. Hände und Füße unzähliger Kaffeehausbesucher schrieben sich ein in abgewetzte Armlehnen und abgetretene Parkettbodenbretter, Körperausdünstungen vieler Verliebter und nicht weniger Verlassener vergilbten die Wände zu brüchigem Pergament und die Jugendstildekoration dunkelbrauner Kaffeeblätter bedeckte herbstlich das Andenken an die vergoldeten Lorbeerlaube der Secession.

Die dezent geschminkte Kellnerin trug nordisches Blond und servierte einen italienischen Schwarzen der Triester Hausmarke Hausbrandt auf einem Silbertablett mit einem Glas Wasser und dem obligaten Löffelchen. Dazu gab es warmen Apfelstrudel. Der Ober, der wie der Besitzer aussah, oder auch der Besitzer, der sich wie ein Ober bewegte, immerfort den Marmortischchen mit gusseisernem Standfuß ausweichend, stand beim dritten Bissen bereits zum vierten Mal an der kleinen Zeitungstheke, ordnete die halterlosen Blätter ein wenig und betrachtete sich dann aufmerksam in einem Wandspiegel. Jedenfalls schien es mir aus meiner Perspektive so, denn er wird wohl nicht zum wiederholten Male ein etwaiges dort aufgehängtes Bild angestarrt oder die möglicherweise an dieser Stelle angebrachte Karte memoriert haben. Sonst tat sich nichts.

   Die Masken auf den Simsen ganz oben guckten verschlafen, die Aktbilder in den Medaillons hatten sicherlich schon aufregendere Tage gesehen. Am 3. Jänner 1914 war das Caffè San Marco eröffnet worden, angeblich von Marco Lovrinovich aus Fontane d’Orsera bei Parnezo nach seinem Vornamen getauft, wie Claudio Magris schreibt. Doch schon die venezianischen Löwen im Mobiliar verwiesen auf die irredentistische Bewegung, weshalb auch das Café am 23. Mai 1915 von den Österreichern verwüstet worden ist und sich seither wie das 1830 gegründete Caffè Tommaseo unten am Meer als Irredentisten-Kaffeehaus rühmt, von welchem allerdings – wie dort ein 1918 angebrachtes Epigraph festhält – als "Mittelpunkt der nationalen Bewegung 1848 die Flamme der Begeisterung für die Freiheit Italiens ihren Ausgang nahm".

So schloss ich die Augen und tauchte ab in die Erzählungen von Triest als Handelsstadt und Hafen der Habsburgermonarchie, vor allem aber als Ort der Literatur von James Joyce und Italo Svevo, von Umberto Saba und Fulvio Tomizza, die Triests Kaffeehäuser bevölkerten wie Kafka, Karl Kraus, Musil und Joseph Roth in Prag und Wien. Alles, was über deren Beziehung zum Kaffeehaus gesagt worden ist, trifft wortwörtlich auch auf die Triester Literaten zu. Der 1999 verstorbene Fulvio Tomizza huldigte diesem spezifisch mitteleuropäischen Milieu: "Das Caffè San Marco ist für mich eine Art verlängertes Wohnzimmer, das sich der Öffentlichkeit erschließt, wo ich mich jedoch allzeit mit mir selbst in meinen vertrauten Winkel zurückziehen kann."

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