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Musiker, Kollektivdichter und Weltphilosoph

Die Legende des Free Jazz, Extrem-Ästhet Ornette Coleman, lebt seit
Juni 2015 nicht mehr. Aus diesem Anlass hier eine Erinnerung an eine seiner
Shows der vergangenen Jahre beim Jazzfestival Saalfelden 2009
.

Von Tina Karolina Stauner
(14. 10. 2015)

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Tina Karolina Stauner
tkstauner [at] arcor.de

Tina Karolina Stauner
lebt in München und veröf-
fentlicht nach Ausbildung
beim Werkbund, im Theater
und in Kulturwissenschaften
als freie Autorin und Künstlerin.
Die Absolventin der Münchener
Journalistenakademie schreibt
journalistische und literarische
Texte und arbeitet als visuelle
Künstlerin in/mit mehreren
Medien. Im Bereich des
Kultur- und Musikjournalis-
mus liegen ihre Schwerpunkte
unter anderem bei Themen
wie Free Jazz, Improvisation,
experimentelle Musik, Neue
Musik, Neues Musiktheater,
Avantgarde und Songwriting.
 

Homepage
memoryvision.tumblr.com

Blog

tkstauner.blogspot.com



 

Niklas Wilson.
Ornette Coleman. Sein
Leben, seine Musik,
seine
Schallplatten.

Oreos, 1989, 192 S.
ISBN: 3923657242

 

   Blau überspannt den sommerwarmen Bergort. Im Congress Saalfelden, einem schicken Festivalzentrum, verbringe ich Zeit fast wie chillend, relaxt in musikalische Sets mit zumeist eher Feinnervigem hineinhörend. Zwischendurch unterhalten wir Journalisten uns mit den Musikern auf dem Balkon der Lounge. Ich stimme mich gedanklich ein auf den Festival-Mainact: Ornette Coleman.

Coleman, der 1960 mit der Veröffentlichung von "Free Jazz" als Neuerer auftrat, startet seinen Auftritt zum Festvalabschluss fast lyrisch, sentimental. Wechselt im ersten Stück zwischen Saxophon und Trompete. Später auch einmal zur Violine, neben einem Bass gespielt, wie bei einer Cellosuite. Im lilafarbenen, feinrotgestreiften Anzug und schwarzen Basthut steht der schmächtige, fast 80-jährige Mann, lebende Autorität des Free Jazz, im Zentrum der Bühne und koordiniert ein Spiel, das in seine gesamte Werkgeschichte und sein antiautoritäres Musiksystem führt. Mit ihm in der Formation die Bassisten Anthony Falanga und Al McDowell und sein 53-jähriger Sohn Denardo Coleman am Schlagzeug. Ein Quartett.

   Coleman lässt damit an sein Original Quartet der 60er Jahre denken, deutet die Zeit von Prime Time an, begibt sich dadurch aber ebenso in sein jüngstes Gebiet. Die Übergänge sind wie fließend. Das harmolodische Gedankengebäude besteht in Colemans Arbeit im Grunde von Anfang an, auch schon im Original Quartet, wurde aber erst etwa 1972 in Prime Time theoretisch mit Worten artikuliert und diskutiert. Der Grundgedanke ist eine Synthese aus "harmony", "movement" und "melody" bzw. "melodic", daraus entsteht die Formel "harmolodics" als ein offenes Spiel, bei dem die Improvisation Form schafft.

Auch in Saalfelden ergibt das ein sich stets veränderndes Klangbild. Immer wieder werden in diesem Ineinandergehen von Soundflächen und Soundlinien Motivkürzel eingefügt, die betont oft wiederholt werden. Auch Denardo Colemans Schlagzeugarbeit ist davon geprägt. Sie kann ebenso einfühlend zurückhaltend sein wie härtest strukturieren und vorwärtstreiben. Coleman verlangt vom Musiker wie vom Zuhörer extreme Hörfähigkeit, Bereitschaft zu besonderem musikalischen Denken. Wobei das Ganze mittlerweile etwas gezähmt wirkt, da nicht mehr neu, nicht mehr alternativ, längst den Hörgewohnheiten vieler vertraut. Aber an Ausstrahlungskraft hat der Charismatiker aus Fort Worth in Texas nichts eingebüßt.

   Sicher hat sich sein Spiel etwas verändert. Weniger Widerspenstigkeit, mehr eine unglaubliche Wärme geht davon aus. Auch im Dissonanten, Atonalen. Coleman soll ja Kreativität als soziale Botschaft bezeichnet haben, von Beginn an als Visionär von Weltverbesserung gesprochen haben. "Harmolodic meint nicht nur Musik. Sie existiert auch im menschlichen Körper, in dem Sinne, wie das Nervensystem mit dem Wissen korreliert. Es ist ein Weg wahrzunehmen, wie alles auf alles einwirkt", so Coleman.

Coleman zeigt sich nach dem Konzert kommunikativ in der Lounge. Ich interviewe ihn spontan mit ein paar Fragen über harmolodics. Harmolodics, zeitlos, ständig in Wandlung begriffen, ist eine musikalische Philosophie. Mit dem Potential, eine Weltphilosophie zu bergen. Vielleicht ist es, wie der CD-Titel "Sound Grammar" von 2006 es ausdrückt, eine Art Grammatik dafür. Gedacht für ein musikphilosophisches Programm, als Entwurf zu herrschaftsfreiem Diskurs und Kollektivität.

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