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Der Klang des Wassers

Vier Hände, zwei Stimmen, vier Musikinstrumente: Das japanisch-amerikanische
Duo "Minamo" vollführt eine hochdifferenzierte Gratwanderung
zwischen Kammermusik und Jazz.

Von Tina Karolina Stauner
(29. 01. 2012)

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Tina Karolina Stauner
tkstauner [at] arcor.de

Tina Karolina Stauner
lebt in München und veröf-
fentlicht nach Ausbildung
beim Werkbund, im Theater
und in Kulturwissenschaften
als freie Autorin und Künstlerin.
Die Absolventin der Münchener
Journalistenakademie schreibt
journalistische und literarische
Texte und arbeitet als visuelle
Künstlerin in/mit mehreren
Medien. Im Bereich des
Kultur- und Musikjournalis-
mus liegen ihre Schwerpunkte
unter anderem bei Themen
wie Free Jazz, Improvisation,
experimentelle Musik, Neue
Musik, Neues Musiktheater,
Avantgarde und Songwriting.
 

Homepage
memoryvision.tumblr.com

Blog

tkstauner.blogspot.com

 


 

"Minamo"
Henceforth Records, 2007.
ASIN:
B000Z2WI8U.

 

 

 Vier Hände, zwei Stim-
men, vier Musikinstru-
mente: Violine, Trompeten-
violine, Piano, Akkordeon.
Oft sanft, gelegentlich wild,
strukturell aber befreit,
immer wieder voll immen-
ser Klarheit, dann wieder
mit Ausbrüchen in wirr
Stürmisches, vom Tonalen
bis zur Grenze des
Atonalen.

 


 

"Kuroi Kawa/Black River"
Tzadik Records, 2009.
ASIN:
B002MT3BU8.

 

 

Hier spielen zwei Musiker-
innen mit extremer Sensi-
tivität, Konzentriertheit,
feiner klanglicher Eleganz.
Ein Klangraum jenseits
von Banalitäten, Grobhei-
ten, Sinnlosigkeiten.

 

 

Linktipps

satokofujii.com

www.carlakihlstedt.com
 

 

   Minamo ist das japanische Wort für Wasseroberfläche. Musikalische Imagination zum Reflektierenden, Bewegten, Fließenden. Musik wie Wasser, nicht begrenzt, nicht konkret. Musik, basierend auf klassischer Kammermusik, aber doch weit hineinentwickelt in die Beweglichkeit der Improvisation.

Satoko Fujii sagt über Minamo: "Dinge, die keine feste Gestalt haben, sind sehr stark. Das ist wahrscheinlich eine sehr japanische Idee. Wasser hat keine Gestalt, also kann es nicht zerbrochen werden. Wenn etwas eine feste Gestalt hat mit einem harten Material, wie Stahlbeton, kann es wenn es einmal zerbricht nicht mehr geformt werden. Und wir mochten einfach den Klang des Wortes Wasser." Carla Kihlstedt: "Unsere Musik lebt an dem Ort, an dem Offenheit und Entschlossenheit, Spontaneität und Baukunst sich treffen." Minamo ist wie eine Umsetzung der Welt der Wasserreflexionen in Musik. Und Musik wiederum "ist der perfekte Träger für die Alchemie von Gedanken, Instinkten, Gefühlen und Ideen", so Kihlstedt.

   Satoko Fujii ist neben einer Größe wie Myra Melford eine völlig eigenständige Kraft. Sie spielt in unterschiedlichen Formationen. Genauso wie Carla Kihlstedt, die auch im Avant-Rock zuhause ist. Beide sind klassisch ausgebildet und mit ihren Projekten in die freie New Yorker Szene verwoben.

Es gibt zwei CD-Veröffentlichungen von Minamo: "Minamo" (Henceforth Records, 2007) und "Kuroi Kawa/Black River" (Tzadik Records, 2009). Die CD "Black River" ist Asiatisches und Amerikanisches zwischen zeitgenössischer E-Musik, Avantgarde-Jazzigem und frei Improvisiertem. Zwei CDs, vier Hände, zwei Stimmen, vier Musikinstrumente: Violine, Trompetenvioline, Piano, Akkordeon. Oft sanft, gelegentlich wild, strukturell aber befreit, immer wieder voll immenser Klarheit, dann wieder mit Ausbrüchen in wirr Stürmisches, vom Tonalen bis zur Grenze des Atonalen gespannt, im Studio aufgenommen oder live. Zwar mit Versiertheit, aber frei von zu eingespielten Verhaltensmustern. Zwei Musikerinnen mit extremer Sensitivität, Konzentriertheit, feiner klanglicher Eleganz kreierend in einem schwebenden, offenen Freidimensionalen. Ein Klangraum jenseits von Banalitäten, Grobheiten, Sinnlosigkeiten. Von der Welt des avantgardistischen Jazz aus einerseits ins perfekt elitär Kammermusikalische verweisend, andererseits vereinzelt rar vorkommend Volksmusikalisches aufgreifend. In differenziertesten Nuancen der Kommunikation. Jederzeit auch als Weg der Transdifferenzierung aus einem Sog der Dedifferenzierung nutzbar, der im Alltäglichen immer wieder drohen kann.

   So war mit Carla Kihlstedt (Stimme, Violine) & Satoko Fujii (Piano, Melodica) beim sommerlichen Jazzfestival Saalfelden ein intensiver, konzentrierter, wunderschöner Nachmittags-Set des verfeinerten Avantgarde-Jazz zu hören.

Minamo Wasser ist eine Welt der Reflexionen. Landschaft ist das Produkt ästhetischer Reflektion und Perzeption von Realität. Und ein vielfarbig aussehendes Element dessen ist Wasser und dessen Oberfläche.

Bei Wasser denkt man einerseits an Transparenz oder an eine blaue und blaugrüne Wasserfläche. Tatsächlich sieht Wasser aber oft ganz anders aus. Denn auf der Wasseroberfläche findet eine Brechung, Spiegelung statt. Da es sich bei Luft und Wasser um zwei Medien mit einer unterschiedlichen optischen Dichte handelt, kommt es, je nach Einfallswinkel, zu einer Reflexion der Lichtstrahlen, Spiegelung, oder einer Lichtbrechung. So einfach das Wasser zu sein scheint eine simple Verbindung zweier Elemente, Sauerstoff und Wasserstoff so kompliziert und vertrackt ist Wasser jedoch, wenn man es genauer untersucht.

Auch in der Beobachtung durch Künstler wird Wasserfläche in allen erdenklichen Facetten entdeckt. In der visuellen Darstellung in Malerei, Zeichnung, Fotografie genauso wie in der Musik.

   Bei einer Umfrage unter Kunst- und Kulturschaffenden antwortete man mir mit vielfältigen Sichtweisen von Wasseroberfläche auf die Frage nach ersten bildlichen Assoziationen. Ein Kanadischer Künstler schickte mir ein Foto einer Wasserfläche, auf der sich eine breite, blendende Lichtbahn von einer fahlweißen Sonne ausgehend ausbreitet. Eine Philosophin aus England antwortete mit unzähligen Bildern aus ihren Archiven mit Naturfotografien, die helle Gischt auf grünem Wasser an einer Meeresküste zeigen. Ein Musiker und Maler aus Frankreich sandte Fotos von sich verzweigenden schwarzen Verästelungen, die neben einem Waldrand verwischt auf reißend fließendem dunklen Wasser abgebildet sind. In Quebec dachte ein Komponist an gefrorenes Wasser, hatte mit seinem Foto eine Eisfläche fokussiert, in der runde weiße Flecken, Luftblasen eingeschlossen sind. Aus Kalifornien erhielt ich eine Darstellung einer Wasserfläche, die wie ein perfekter glasklarer Spiegel wirkte und die gegenständliche Welt, eine buntfarbige Häuserzeile, exakt nochmal realistisch abbildete.

Wasser kann alle Farben haben und keine. Kann alles widerspiegeln und nichts. Eine glatte Fläche sein oder aufgewühlt strukturiert. Wasser kann jedes abstrakte oder figürliche Bild annehmen. Entscheidend dafür, wie Wasser ausieht, ist natürlich immer das jeweilige Licht. So kommt es zu brennend roten, tiefschwarzen, pastellbraunen oder milchigweißen Wasserflächen, wie sie eine Münchner Künstlerin malt und fotografiert. Und Wasser zeigt sich schließlich in anderen Aggregatzuständen in Form von Nebel, Wolken und Schnee hauptsächlich in Weiß und in Grautönen, die aber auch wieder bei verschiedenem Tageslicht andere Farbspuren enthalten können.

   Das Projekt Minamo nähert sich einem im spirituellen, meditativen, aber auch in einm expressiven, experimentellen Sinn dem musikalischen Sehen von Wasserflächen.


Dieser Artikel ist zuerst erschienen in:
www.skug.at

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