
Tina Karolina Stauner
tkstauner [at] arcor.de
Tina Karolina Stauner
lebt in München und veröf-
fentlicht nach Ausbildung
beim Werkbund, im Theater
und in Kulturwissenschaften
als freie Autorin und Künstlerin.
Die Absolventin der Münchener
Journalistenakademie schreibt
journalistische und literarische
Texte und arbeitet als visuelle
Künstlerin in/mit mehreren
Medien. Im Bereich des
Kultur- und Musikjournalis-
mus liegen ihre Schwerpunkte
unter anderem bei Themen
wie Free Jazz, Improvisation,
experimentelle Musik, Neue
Musik, Neues Musiktheater,
Avantgarde und Songwriting.
Homepage
memoryvision.tumblr.com
Blog
tkstauner.blogspot.com

"Minamo"
Henceforth Records, 2007.
ASIN: B000Z2WI8U.
Vier
Hände, zwei Stim-
men, vier Musikinstru-
mente: Violine, Trompeten-
violine, Piano, Akkordeon.
Oft sanft, gelegentlich wild,
strukturell aber befreit,
immer wieder voll immen-
ser Klarheit, dann wieder
mit Ausbrüchen in wirr
Stürmisches, vom Tonalen
bis zur Grenze des
Atonalen.

"Kuroi Kawa/Black River"
Tzadik Records, 2009.
ASIN: B002MT3BU8.
Hier spielen zwei Musiker-
innen mit extremer Sensi-
tivität, Konzentriertheit,
feiner klanglicher Eleganz.
Ein Klangraum jenseits
von Banalitäten, Grobhei-
ten, Sinnlosigkeiten.
Linktipps
satokofujii.com
www.carlakihlstedt.com
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Minamo
ist das japanische Wort für Wasseroberfläche. Musikalische Imagination zum
Reflektierenden, Bewegten, Fließenden. Musik wie Wasser, nicht begrenzt,
nicht konkret. Musik, basierend auf klassischer Kammermusik, aber doch weit
hineinentwickelt in die Beweglichkeit der Improvisation.
Satoko Fujii
sagt über Minamo: "Dinge, die keine feste Gestalt haben, sind sehr stark.
Das ist wahrscheinlich eine sehr japanische Idee. Wasser hat keine Gestalt,
also kann es nicht zerbrochen werden. Wenn etwas eine feste Gestalt hat mit
einem harten Material, wie Stahlbeton, kann es
–
wenn es einmal zerbricht
–
nicht mehr geformt werden. Und wir mochten einfach den Klang des Wortes
Wasser." Carla Kihlstedt: "Unsere Musik lebt an dem Ort, an dem Offenheit
und Entschlossenheit, Spontaneität und Baukunst sich treffen." Minamo ist
wie eine Umsetzung der Welt der Wasserreflexionen in Musik. Und Musik
wiederum "ist der perfekte Träger für die Alchemie von Gedanken, Instinkten,
Gefühlen und Ideen", so Kihlstedt.
Satoko
Fujii ist neben einer Größe
wie Myra Melford eine völlig
eigenständige Kraft. Sie spielt in unterschiedlichen Formationen. Genauso
wie Carla Kihlstedt, die auch im Avant-Rock zuhause ist. Beide sind
klassisch ausgebildet und mit ihren Projekten in die freie New Yorker Szene
verwoben.
Es gibt zwei
CD-Veröffentlichungen von Minamo: "Minamo" (Henceforth Records, 2007) und
"Kuroi Kawa/Black River" (Tzadik Records, 2009).
Die CD "Black River" ist Asiatisches und Amerikanisches zwischen
zeitgenössischer E-Musik, Avantgarde-Jazzigem und frei Improvisiertem. Zwei
CDs, vier Hände, zwei Stimmen, vier Musikinstrumente: Violine,
Trompetenvioline, Piano, Akkordeon. Oft sanft, gelegentlich wild,
strukturell aber befreit, immer wieder voll immenser Klarheit, dann wieder
mit Ausbrüchen in wirr Stürmisches, vom Tonalen bis zur Grenze des Atonalen
gespannt, im Studio aufgenommen oder live. Zwar mit Versiertheit, aber frei
von zu eingespielten Verhaltensmustern. Zwei Musikerinnen mit extremer
Sensitivität, Konzentriertheit, feiner klanglicher Eleganz kreierend in
einem schwebenden, offenen Freidimensionalen. Ein Klangraum jenseits von
Banalitäten, Grobheiten, Sinnlosigkeiten. Von der Welt des
avantgardistischen Jazz aus einerseits ins perfekt elitär Kammermusikalische
verweisend, andererseits vereinzelt rar vorkommend Volksmusikalisches
aufgreifend. In differenziertesten Nuancen der Kommunikation. Jederzeit auch
als Weg der Transdifferenzierung aus einem Sog der Dedifferenzierung
nutzbar, der im Alltäglichen immer wieder drohen kann.
So
war mit Carla Kihlstedt (Stimme, Violine) & Satoko Fujii (Piano, Melodica)
beim sommerlichen Jazzfestival Saalfelden ein intensiver, konzentrierter,
wunderschöner Nachmittags-Set des verfeinerten Avantgarde-Jazz zu hören.
Minamo
–
Wasser
ist eine Welt der Reflexionen. Landschaft ist
das Produkt ästhetischer Reflektion und Perzeption von Realität. Und ein
vielfarbig aussehendes Element dessen ist Wasser und dessen Oberfläche.
Bei Wasser denkt
man einerseits an Transparenz oder an eine blaue und blaugrüne Wasserfläche.
Tatsächlich sieht Wasser aber oft ganz anders aus. Denn auf der
Wasseroberfläche findet eine Brechung, Spiegelung statt. Da es sich bei Luft
und Wasser um zwei Medien mit einer unterschiedlichen optischen Dichte
handelt, kommt es, je nach Einfallswinkel, zu einer Reflexion der
Lichtstrahlen, Spiegelung, oder einer Lichtbrechung. So einfach das Wasser
zu sein scheint
–
eine simple Verbindung zweier Elemente, Sauerstoff und Wasserstoff
–
so kompliziert und vertrackt ist Wasser jedoch, wenn man es genauer
untersucht.
Auch in der
Beobachtung durch Künstler wird Wasserfläche in allen erdenklichen Facetten
entdeckt. In der visuellen Darstellung in Malerei, Zeichnung, Fotografie
genauso wie in der Musik.
Bei
einer Umfrage unter Kunst- und Kulturschaffenden antwortete man mir mit
vielfältigen Sichtweisen von Wasseroberfläche auf die Frage nach ersten
bildlichen Assoziationen. Ein Kanadischer Künstler schickte mir ein Foto
einer Wasserfläche, auf der sich eine breite, blendende Lichtbahn von einer
fahlweißen Sonne ausgehend ausbreitet. Eine Philosophin aus England
antwortete mit unzähligen Bildern aus ihren Archiven mit Naturfotografien,
die helle Gischt auf grünem Wasser an einer Meeresküste zeigen. Ein Musiker
und Maler aus Frankreich sandte Fotos von sich verzweigenden schwarzen
Verästelungen, die neben einem Waldrand verwischt auf reißend
fließendem dunklen Wasser abgebildet sind. In Quebec dachte ein Komponist an
gefrorenes Wasser, hatte mit seinem Foto eine Eisfläche fokussiert, in der
runde weiße Flecken, Luftblasen eingeschlossen sind. Aus Kalifornien erhielt
ich eine Darstellung einer Wasserfläche, die wie ein perfekter glasklarer
Spiegel wirkte und die gegenständliche Welt, eine buntfarbige Häuserzeile,
exakt nochmal realistisch abbildete.
Wasser kann alle
Farben haben und keine. Kann alles widerspiegeln und nichts. Eine glatte
Fläche sein oder aufgewühlt strukturiert. Wasser kann jedes abstrakte oder
figürliche Bild annehmen. Entscheidend dafür, wie Wasser ausieht, ist
natürlich immer das jeweilige Licht. So kommt es zu brennend roten,
tiefschwarzen, pastellbraunen oder milchigweißen Wasserflächen, wie sie eine
Münchner Künstlerin malt und fotografiert. Und Wasser zeigt sich schließlich
in anderen Aggregatzuständen in Form von Nebel, Wolken und Schnee
hauptsächlich in Weiß und in Grautönen, die aber auch wieder bei
verschiedenem Tageslicht andere Farbspuren enthalten können.
Das
Projekt Minamo nähert sich einem im spirituellen, meditativen, aber auch in
einm expressiven, experimentellen Sinn dem musikalischen Sehen von
Wasserflächen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in:
www.skug.at
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