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Spuren der Polymetrik

Bereits zum 320. Mal fand Anfang Juli in der Münchener Echtzeithalle eines der
seit 1999 existierenden Montagsgespräche statt. Unter dem Titel "Spuren der Polymetrik"
wurden vier Klangbilder vorgestellt. Viel gearbeitet wurde dabei mit dem Computer, der als
echtes "Musik-Instrument" zum Einsatz kam. Vom seit drei Jahren bestehenden Autoren-
Ensemble Dieter Trüstedt
(Pure Data), Elmar Guantes (Kontrabass), Wilfried Krüger
(Horn) und Hans Wolf (Klavier) wurden dabei die Stücke "Goldener
Schnitt", "Chromatik", "Eulerzahl" und "Kreiszahl" aufgeführt.

Von Tina Karolina Stauner
(23. 09. 2014)

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Tina Karolina Stauner
tkstauner [at] arcor.de

Tina Karolina Stauner
lebt in München und veröf-
fentlicht nach Ausbildung
beim Werkbund, im Theater
und in Kulturwissenschaften
als freie Autorin und Künstlerin.
Die Absolventin der Münchener
Journalistenakademie schreibt
journalistische und literarische
Texte und arbeitet als visuelle
Künstlerin in/mit mehreren
Medien. Im Bereich des
Kultur- und Musikjournalis-
mus liegen ihre Schwerpunkte
unter anderem bei Themen
wie Free Jazz, Improvisation,
experimentelle Musik, Neue
Musik, Neues Musiktheater,
Avantgarde und Songwriting.
 

Homepage
memoryvision.tumblr.com

Blog

tkstauner.blogspot.com



 


(c) luise37.de

Dieter Trüstedt
(Pure Data)

 


(c) luise37.de

Hans Wolf
(Klavier)



Man kann sich dem
Ganzen zwar jeweils
einzeln analysierend
nähern, aber sich frei
zuhörend und wahrneh-
mend durch die 20 Minuten
Musik treiben zu lassen,
ist die schöne, intuitiv
mögliche Seite der
Aufführung.

 


(c) luise37.de

Elmar Guantes
(Kontrabass)

Wilfried Krüger
(Horn)

 



Linktipp

www.echtzeithalle.de

   Wolf-Dieter Trüstedt nennt Polymetrik in der Musik als etwas sehr Eingeschränktes und ergänzt deshalb den Begriff zu "erweiterte Polymetrik". Metrik wird auf alle Parameter der Musik angewendet. Also auf Phase, Puls, Tonhöhe, Lautstärke und Dauern. Trüstedt ist ausgebildeter Wissenschaftler, der auch mit Musik umgeht. Polymetrisches gibt es genauso in der Natur, wie fallende Schneeflocken. Die Natur erkennen geht über die Mathematik. Und "die Natur ist vermutlich auch in der Zeit komplex, mehrschichtig, vielleicht gibt es viele Zeiten gleichzeitig, mehrere Zeitkoordinaten", wird in der Info zum Montagsgespräch gemutmaßt.

Das Spiel der Polymetrik sei als Spiel mit vielen Zeitdimensionen und mit freien Stimmungen zu sehen und für den Computer gut geeignet, ist zu erfahren. Trüstedt rechnet, wenn er mit dem Lap-Top Musik kreiert. In der Musik verwendet er den veralteten Begriff Polytempik nicht mehr. Grundsätzlich geht es ihm um die Suche nach dem Anderen. Um andere rhythmische Gebilde etwa. Und eher um Gedanken und nicht um großartige Interpretationen. "Die Tasten auf dem Klavier sind abendländisch, die Musik aber nicht", sagt er. Ein Vorbild für ihn ist Hermann von Helmholtz. Trüstedt spielt außerdem das Chin-Instrument; ihm ist Asiatisches nahe.

Vier Klangbilder von "Spuren der Polymetrik", die mit einem 12-stimmigen Akkord beginnen und scheinbar chaosartig enden.

   Beim Montagsgespräch "Spuren der Polymetrik" wird der Begriff Polymetrik auf alle Parameter eines Klangereignisses ausgeweitet. Theoretisch erklärt, kann man sich 12 Metronome vorstellen, die nicht nur für den sich gleichmäßig wiederholenden Zeitpunkt eines Ereignisses zuständig sind, sondern für alle Klangparameter. Jeder Satz hat dabei eine andere Metrik der Pulse. Für die vier präsentierten Klangbilder gibt es vier Vorspiele durch den Computer, die mit einem 12-stimmigen Akkord beginnen, mit Tönen, die dann im Verlauf des Stücks auseinanderlaufen. Das Laptop-Spiel ist an die Tonhöhen gebunden. Horn, Klavier und Kontrabass können sehr frei handeln, agieren, interpretieren und improvisieren. Das scheinbar Chaosartige, das dabei entsteht, hat eine konkrete innere Puls-Struktur.

Die vier Klangbilder sind betitelt mit: "Goldener Schnitt", "Chromatik", "Eulerzahl" und "Kreiszahl". Nach jedem 60-sekündigen Vorspiel mit dem Computer und einer kurzen, aber expliziten Pause, spielt das Autoren-Ensemble zum benannten Thema ein kleines Stück. Das Ergebnis ist ein 20-minütiges Gesamtstück, das durch unterschiedliche Stimmungen führt. Im Wechselspiel von vielen Stimmungslagen dominiert zu Beginn eher eine dumpfe, tieftonige Klangschicht mit melancholischer Grundeinstellung. Dann aber wird immer wieder auch lebhafterer, härterer, kühnerer Rhythmus eingesetzt.

   Andererseits kann man fast Lamentierendes oder Klageähnliches wahrnehmen. Oder wiederum Hektik und Unruhe. Schließlich ortet man durchaus leichtherzig Jazziges bis Freejazziges des abschließenden Parts. Man kann sich dem Ganzen zwar jeweils einzeln analysierend nähern, aber sich frei zuhörend und wahrnehmend durch die 20 Minuten Musik treiben zu lassen, ist die schöne, intuitiv mögliche Seite der Aufführung und der gespielten vier Parts, auch wenn alles teils kühl errechnet ist.

Der Gesamtcharakter des Ensembles, stark mitgeformt durch Klavier, Horn und Kontrabass, performt schließlich emotional improvisatorisch. Für das Autorenensemble steht für den Abend erst einmal das Konzept, miteinander geprobt wird vorher kaum. Die Musiker Trüstedt, Guantes, Krüger und Wolf bezeichnen sich als aufeinander eingespielt durch Studioerfahrung. Beim Autoren-Ensemble versteht sich jeder der Musiker als Autor in eigener Sache, der seinen Part zur Musik eigenständig beim Spielen entwickeln kann. Es geht dabei um Dinge und Vorgehensweisen wie Verdichten, Tonveränderungen, verschiedene Sprachen auf einem Instrument, wie auch die Entwicklung vom Ton zum Geräusch. Alles schon als Teil der Musikgeschichte bekannt seit Luigi Russolo, aber beim Autoren-Ensemble in einem neuen, eigenen Konzept. Die Musiker kennen sich als Teil einer Musikszene, die mit Improvisation, Neuer Musik und Free Jazz kreativ umzugehen weiß schon seit 15 Jahren und sind sich ihrer Sache ziemlich sicher.

Polymetrik in der Musikgeschichte vor dem Autoren-Ensemble: Charles Ives, Iannis Xenakis, Conlon Nancarro, György Ligeti

   Namhafte Komponisten befassten sich in früheren Zeiten schon mit der Polymetrik und sind natürlich Bezugspunkte für das Autoren-Ensemble. Charles Ives und Iannis Xenakis arbeiteten in ihrem Werk immer wieder auch polymetrisch. Von György Ligeti gibt es das polymetrische Stück "PoeÌme Symphonique For 100 Metronomes", das als Klanginstallation in unterschiedlichen Aufführungen aufgebaut werden kann. Nach Wolf-Dieter Trüstedt entspricht dieses Stück durchaus dessen Arbeitsweise. Ligeti stellte sich also teils gleiche künstlerische Fragen wie Trüstedt.

Auch Conlon Nancarrow spielte mit der Polymetrik. Seine "Studies For Player Piano" werden noch heute auf Selbstspielklavieren auf die Bühne gebracht. Das sind historische Instrumente, auch Pianolas genannt, die in Deutschland zu Phonolas wurden, und von in Papierrollen gestanzten Partituren, von Lochstreifen, gesteuert sind. Polymetrik wurde im Lauf der Musikgeschichte immer wieder von Komponisten eingesetzt. Auch in der Rockmusik gingen manche Musiker darauf ein, wie Robert Fripp von King Crimson. Das Autoren-Ensemble in München nutzt die gesamte musikgeschichtliche Kenntnis natürlich mit für sein Konzept "Spuren der Polymetrik".

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