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Tina Karolina Stauner
tkstauner [at] arcor.de
Tina Karolina Stauner
lebt in München und veröf-
fentlicht nach Ausbildung
beim Werkbund, im Theater
und in Kulturwissenschaften
als freie Autorin und Künstlerin.
Die Absolventin der Münchener
Journalistenakademie schreibt
journalistische und literarische
Texte und arbeitet als visuelle
Künstlerin in/mit mehreren
Medien. Im Bereich des
Kultur- und Musikjournalis-
mus liegen ihre Schwerpunkte
unter anderem bei Themen
wie Free Jazz, Improvisation,
experimentelle Musik, Neue
Musik, Neues Musiktheater,
Avantgarde und Songwriting.
Homepage
memoryvision.tumblr.com
Blog
tkstauner.blogspot.com

(c) luise37.de
Dieter Trüstedt
(Pure Data)

(c) luise37.de
Hans Wolf
(Klavier)
Man kann sich dem
Ganzen zwar jeweils
einzeln analysierend
nähern, aber sich frei
zuhörend und wahrneh-
mend durch die 20 Minuten
Musik treiben zu lassen,
ist die schöne, intuitiv
mögliche Seite der
Aufführung.

(c) luise37.de
Elmar Guantes
(Kontrabass)
Wilfried Krüger
(Horn)
Linktipp
www.echtzeithalle.de
|
W olf-Dieter
Trüstedt nennt Polymetrik in der Musik als etwas sehr Eingeschränktes und
ergänzt deshalb den Begriff zu "erweiterte Polymetrik". Metrik wird auf alle
Parameter der Musik angewendet. Also auf Phase, Puls, Tonhöhe, Lautstärke
und Dauern. Trüstedt ist ausgebildeter Wissenschaftler, der auch mit Musik
umgeht. Polymetrisches gibt es genauso in der Natur, wie fallende
Schneeflocken. Die Natur erkennen geht über die Mathematik. Und "die Natur
ist vermutlich auch in der Zeit komplex, mehrschichtig, vielleicht gibt es
viele Zeiten gleichzeitig, mehrere Zeitkoordinaten", wird in der Info zum
Montagsgespräch gemutmaßt.
Das Spiel der Polymetrik sei als Spiel mit vielen Zeitdimensionen und mit
freien Stimmungen zu sehen und für den Computer gut geeignet, ist zu
erfahren. Trüstedt rechnet, wenn er mit dem Lap-Top Musik kreiert. In
der Musik verwendet er den veralteten Begriff Polytempik nicht mehr.
Grundsätzlich geht es ihm um die Suche nach dem Anderen. Um andere
rhythmische Gebilde etwa. Und eher um Gedanken und nicht um großartige
Interpretationen. "Die Tasten auf dem Klavier sind abendländisch, die Musik
aber nicht", sagt er. Ein Vorbild für ihn ist Hermann von Helmholtz.
Trüstedt spielt außerdem das Chin-Instrument; ihm ist Asiatisches nahe.
Vier Klangbilder von "Spuren der Polymetrik",
die mit einem 12-stimmigen Akkord beginnen und scheinbar chaosartig enden.
B eim
Montagsgespräch "Spuren der Polymetrik" wird der Begriff Polymetrik auf alle
Parameter eines Klangereignisses ausgeweitet. Theoretisch erklärt, kann man
sich 12 Metronome vorstellen, die nicht nur für den sich gleichmäßig
wiederholenden Zeitpunkt eines Ereignisses zuständig sind, sondern für alle
Klangparameter. Jeder Satz hat dabei eine andere Metrik der Pulse. Für die
vier präsentierten Klangbilder gibt es vier Vorspiele durch den Computer,
die mit einem 12-stimmigen Akkord beginnen, mit Tönen, die dann im Verlauf
des Stücks auseinanderlaufen. Das Laptop-Spiel ist an die Tonhöhen gebunden.
Horn, Klavier und Kontrabass können sehr frei handeln, agieren,
interpretieren und improvisieren. Das scheinbar Chaosartige, das dabei
entsteht, hat eine konkrete innere Puls-Struktur.
Die vier Klangbilder sind betitelt mit:
"Goldener Schnitt", "Chromatik", "Eulerzahl" und "Kreiszahl". Nach jedem
60-sekündigen Vorspiel mit dem Computer und einer kurzen, aber expliziten
Pause, spielt das Autoren-Ensemble zum benannten Thema ein kleines Stück. Das
Ergebnis ist ein 20-minütiges Gesamtstück, das durch unterschiedliche
Stimmungen führt. Im Wechselspiel von vielen Stimmungslagen dominiert zu
Beginn eher eine dumpfe, tieftonige Klangschicht mit melancholischer
Grundeinstellung. Dann aber wird immer wieder auch lebhafterer, härterer,
kühnerer Rhythmus eingesetzt.
A ndererseits kann man fast Lamentierendes oder
Klageähnliches wahrnehmen. Oder wiederum Hektik und Unruhe. Schließlich
ortet man durchaus leichtherzig Jazziges bis Freejazziges des abschließenden
Parts. Man kann sich dem Ganzen zwar jeweils einzeln analysierend nähern,
aber sich frei zuhörend und wahrnehmend durch die 20 Minuten Musik treiben
zu lassen, ist die schöne, intuitiv mögliche Seite der Aufführung und der
gespielten vier Parts, auch wenn alles teils kühl errechnet ist.
Der
Gesamtcharakter des Ensembles, stark mitgeformt durch Klavier, Horn und
Kontrabass, performt schließlich emotional improvisatorisch. Für das
Autorenensemble steht für den Abend erst einmal das Konzept, miteinander
geprobt wird vorher kaum. Die Musiker Trüstedt, Guantes, Krüger und Wolf
bezeichnen sich als aufeinander eingespielt durch Studioerfahrung. Beim
Autoren-Ensemble versteht sich jeder der Musiker als Autor in eigener Sache,
der seinen Part zur Musik eigenständig beim Spielen entwickeln kann. Es geht
dabei um Dinge und Vorgehensweisen wie Verdichten, Tonveränderungen,
verschiedene Sprachen auf einem Instrument, wie auch die Entwicklung vom Ton
zum Geräusch. Alles schon als Teil der Musikgeschichte bekannt seit Luigi
Russolo, aber beim Autoren-Ensemble in einem neuen, eigenen Konzept. Die
Musiker kennen sich als Teil einer Musikszene, die mit Improvisation, Neuer
Musik und Free Jazz kreativ umzugehen weiß schon seit 15 Jahren und sind
sich ihrer Sache ziemlich sicher.
Polymetrik in der Musikgeschichte vor dem
Autoren-Ensemble: Charles Ives, Iannis Xenakis, Conlon Nancarro, György
Ligeti
N amhafte
Komponisten befassten sich in früheren Zeiten schon mit der Polymetrik und
sind natürlich Bezugspunkte für das Autoren-Ensemble. Charles Ives und
Iannis Xenakis arbeiteten in ihrem Werk immer wieder auch polymetrisch. Von
György Ligeti gibt es das polymetrische Stück "PoeÌme Symphonique For 100
Metronomes", das als Klanginstallation in unterschiedlichen Aufführungen
aufgebaut werden kann. Nach Wolf-Dieter Trüstedt entspricht dieses Stück
durchaus dessen Arbeitsweise. Ligeti stellte sich also teils gleiche
künstlerische Fragen wie Trüstedt.
Auch Conlon Nancarrow spielte mit der
Polymetrik. Seine "Studies For Player Piano" werden noch heute auf
Selbstspielklavieren auf die Bühne gebracht. Das sind historische
Instrumente, auch Pianolas genannt, die in Deutschland zu Phonolas wurden,
und von in Papierrollen gestanzten Partituren, von Lochstreifen, gesteuert
sind. Polymetrik wurde im Lauf der Musikgeschichte immer wieder von
Komponisten eingesetzt. Auch in der Rockmusik gingen manche Musiker darauf
ein, wie Robert Fripp von King Crimson. Das Autoren-Ensemble in München
nutzt die gesamte musikgeschichtliche Kenntnis natürlich mit für sein
Konzept "Spuren der Polymetrik". | |