...... "Majakowskis Tod" und das Streichquartett "Im Raum".
Von
Tina Karolina Stauner |
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D er Komponist und Musikwissenschaftler Dieter Schnebel lebte von 1930 bis 2018. Bis 1930 lebte Wladimir Wladimirowitsch Majakowski. "Majakowskis Tod" heißt eine Oper von Dieter Schnebel, die 2006 in München im Staatstheater am Gärtnerplatz in der Regie von Florentine Klepper inszeniert wurde (Bühnenbild: Chalune Seiberth; musikalische Leitung: Ekkehard Klemm). Zum Opernbesuch gibt es von mir eine kurze Notiz – im Unterschied zur Leipziger Uraufführung und Inszenierung von Achim Freyer, die ich in den 1990er Jahren besucht hatte:
"Indem nun Zeit zum Augenblick wird, verwandelt sie sich in Raum. Jedes räumliche Gebilde, jede räumliche Distanz ist eine zeitliche, eine Zeiteinheit, in der die Zeit erstarrt." Mit diesen Worten von Schnebel werden aktuelle Konzerte von ihm angekündigt. Eine Vertonung des Schlussmonologs aus James Joyces "Ulysses" und sein Projekt einer Einheit von Tradition und Avantgarde dynamisieren Vergangenes in Richtung Gegenwart, evozieren Bilder eines "Wagner-Idylls". Klangkunstwerk "Im Raum" von Dieter Schnebel Ü ber hr2-Konzertsaal wird am 28.06.18 vom hessischen Rundfunk "Im Raum" gesendet, im Kontext von "Stücke" (1954/55) und "Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten" (2000-2007). "Im Raum" ist ein Werk von Dieter Schnebel, das bereits im Jahr 2009 bei der Musica Viva im Carl-Orff-Saal im Gasteig aufgeführt wurde. Ich hörte mir das Konzert an, beobachtete und notierte als ein bisschen Wortkunst einen freien Wort-Assoziationsraum zu Musik und Bühne:"Im Raum" (2005/06), das erste Streichquartett des sogenannten Alt-Avantgardisten Dieter Schnebel, hat einen Beginn, bei dem ein Streichquartett den ganzen Raum einnimmt. Zwei Musiker auf der Bühne, zwei im Hintergrund des Zuschauerbereichs. Serielles Material, den ganzen Carl-Orff-Saal auslotend und Freiraum zum entspannten Atmen schaffend. In einem Raum, der auch auf die mythische Unterwelt verweist, denn der anfängliche Tetrachord von Strawinskys Orpheus-Ballett wird betont mit eingesetzt. N un wird Bewegung ins Stück gebracht. Die zwei Streicher im Zuschauerraum gehen während ihres Spiels auf die Bühne zu, wo sich das Quartett formiert. Und dies, um ein choreografisches Spiel zu beginnen. Denn so, wie Sätze unterschiedlicher musikalischer Spielweisen und Arten in der Komposition auftauchen, zeigen sich auch die Musiker wechselnd in mehr oder weniger geordneten Gruppierungen. Werden die Streichinstrumente dabei sequenzweise mit den Fingern wie Perkussioninstrumente benutzt, so werden auch die Schritte der Musiker, in militärischer Manier aufstampfend, als Rhythmus mit eingesetzt.Musikalisch sind da immer wieder Anfänge, von dem was möglich ist, aber auch Zitate aus der Musikgeschichte. Kaum stellt man sich dabei auf einen Rhythmus oder eine Melodie ein, kommt ein Abbruch. Stetig wird Neues begonnen, um dann immer wieder abrupt zu enden. Sowohl visuell als auch akustisch entsteht eine seltsame Unruhe, mitten darin ein bisweilen bedrohlicher Leerraum. Es gibt nichts, worauf man sich in Ruhe einlassen könnte. Antonin Artaud schrieb einmal: "Alles muss haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden." (aus "Schluss mit dem Gottesgericht") I m Carl-Orff-Saal ist es, als wolle Schnebel völlige Unruhe herstellen, etwas grausam Bedrohliches heraufbeschwören, und doch gleichzeitig wieder strukturieren, ordnen und bändigen. Einem Dämon zeigen, wer der Herr ist. Dass jemand wie Artaud als Theaterregisseur bei seiner Arbeit nicht nur bis an seine Grenzen ging und manchmal auch darüber hinaus und dabei zerstört wurde, das ist bekannt. Bei seinem Stück "Im Raum" löst Schnebel eine in die Enge treibende und aufreibende psychologische Dynamik, die konträr zum Anfang zunehmend von weiten Teilen des Stücks ausgeht, aber wohlweislich spielerisch auf, in absoluter Nähe zur derzeitigen Szene der freien Improvisation.Für Augenblicke schließlich entsteht eine Melodie, mit der man an den Jazz der 1950er Jahre erinnert wird, etwas wie ein Geborgenheitsgefühl taucht auf. Und doch: Indizien dafür, dass Geborgenheit vielleicht doch nichts weiter ist als ein flüchtiges Gefühl, gibt es im ganzen Stück: Lyrische, romantische Melodiefragmente sind zwischen Klopfen auf den Instrumentenkorpus, Schlägen mit dem Bogen in die Luft, dem schleifenden Kratzgeräusch des Cellostachels auf dem Boden, dem schmerzenden Ton, der beim Entlangstreichen an Kanten entsteht, dem faschistischen Aufstampfen von Schuhsohlen wie Momente, die auf eine Vergangenheit verweisen, die eine zum untergehen verdammte Welt ist. Eine Welt, die dennoch beharrlich präsent bleibt. Wobei man sich die Frage stellen kann, ob das Falsche, das Verlogene nun die biedere Idylle oder die zügellose Freiheit ist. Genau nachlesen kann man im Programmheft, wie Anfang, Scherzo, Adagio, Finale und Coda aufgebaut sind. Bis ins Detail beschrieben ist, was musikalisch und szenisch aufgeführt wird. Doch das wirklich Spannende entsteht beim Sicheinlassen auf die Freiheit des Assoziationsspielraums, der wie ein Obertonklang über dem Ganzen wie ein weiterer Raum wahrnehmbare Option ist und nicht festgeschrieben steht. Und da ist im Programmheft auch immer wieder von dem unsichtbaren Fünften die Rede, der zu Anfang des Stückes als Schattengestalt mit auftaucht. Den ich aber nicht bemerkte. Ein Doppelgänger? Beobachter? Besucher aus der Unterwelt? Geist aus höherem Übersinnlichen? Vielleicht erinnert er daran: Es war einmal fast jenseits von Gut und Böse. Zwei der Musiker ziehen sich zum Schluss wieder spielend in den Zuschauerraum zurück. Doch der entspannte Klangraum des Anfangs, dem man trauen wollte, entsteht nicht noch einmal. M an muss nicht unbedingt bahnbrechend Neues einsetzen, um den harten Puls der Zeit zu treffen. Man muss nur genau wissen, was man tut und was andere tun, um Relevantes widerzuspiegeln, so wie Schnebel es tut. |