Im
20. Jahrhundert sprießen die Kommunikationsverneiner, die, die
Zweifel an einer möglichen Verständigung aussprechen. E. M. Cioran ist einer
von ihnen; seine Wortwahl
ist von diesem Zweifel durchdrungen. Er reißt Mauern ein, die,
tradiert von der Sprache, aufgerichtet wurden.
"Ich bin kein
Schriftsteller, ich finde nicht die Worte, die dem entsprechen, was ich
fühle, erdulde. 'Das Talent' ist die Fähigkeit, das Intervall zwischen
Heimsuchung und Sprache auszufüllen. Bei mir ist dieser Zwischenraum
gähnend, unmöglich ihn zu füllen oder zu umgehen. Ich lebe in einer
automatischen Traurigkeit, ich bin ein elegischer Roboter."
Auch wenn Worte keine realen Gegenstände sind,
kommt der Sprache doch etwas Sinnliches zu. Jedem Satz unterliegt eine
faktische Ich-Erfahrung, er ist fast physiologisch. Diesen
Bedingungen, d.h. auch dem Sein in seinen paradoxen, flüchtigen Situationen,
fügt sich der Aphorismus
– Ciorans bevorzugte Stilform
– perfekt, wie Susan Sontag in ihrem Cioran-Essay "Thinking against
oneself" ausführt.
Die Langeweile und die Momente des
Erschüttert-Seins sind es, die Cioran das Schreiben aufdrängen. Ganz
offensichtlich haben seine Aphorismen den Stellenwert einer Ersatzhandlung.
"Theoretisch
glaube ich nicht an die Nutzbarkeit des Schreibens oder daß man einen
Namen hat oder nicht. ... Ich bin sicher, daß ich nicht zugrunde
gegangen bin, nur weil ich doch geschrieben, mich ausgedrückt habe."
Cioran ist erstaunt angesichts der Differenz, die Wörter aufzureißen
vermögen. Wie schon die Realität nicht Realität ist, hat die Sprache derlei
Ambitionen längst abgelegt. Damit wird die Sprache zur Tollwiese, und mit
dem Wechsel des Ausdrucks, den der Dichter als 37-Jähriger vollzogen hat, ändern
sich auch die Spielformen, d.h. die moyens d’expression.
Um in das Universum, das jede Sprache um sich
bildet einzudringen, oder die jeder Sprache eigene Metaphysik nachvollziehen
zu können, nimmt Cioran Maß bei den französischen Schriftstellern des 18.
Jahrhunderts. Zwischen Elitärem und Vulgärem pendelnd, bekennt er, die
französische Sprache ausschließlich von den Huren und den
Außenseitern gelernt zu haben. Er reibt sich ein Leben lang an der Klarheit
und der strengen Grammatik des Französischen – génie de la langue –
eine Erfahrung der Unterdrücktheit, die für Cioran mehr als alles andere
Bedingung jeder Produktivität ist. Das Gefühl der Gebundenheit an diese
zwiespältige Sprache kommt erst auf, als er bemerkt, dass die französische
Sprache eine untergehende Sprache ist. Ihr Korsett beengt ihn
zunächst, wie eine schwere Schablone scheint sie sich einzudrücken, später
aber wird sie ihn zu Höchstleistungen im Syntax-Zerstören anfeuern.
"Um zu
schreiben, ist ein Mindestmaß an Interesse für die Dinge nötig, man muß
noch glauben, daß sie mit Worten geschnappt, wenigstens angerissen
werden können – mir ist weder das Interesse, noch der Glaube daran
geblieben."
Dieser Glaube an die Worte, Identität,
Geschichte, Ideen eröffnet den Menschen die Möglichkeit eines
handlungstüchtigen Lebens unter der Sonne. Es ist eine Illusion um des
Lebens Willen. Solch einem faulen Kompromiss will sich Cioran nicht
unterwerfen. Zumindest sollte man wissen, dass diese Dinge falsch sind, er
nennt diese wahre Wahrheit auch: Wachbleiben im Dunkeln.
Die
Sprache als Tollwiese mit verschiedensten Spielformen
– Cioran hätte dem nicht
einwandlos zugestimmt. Der Sprache scheint die Aufgabe zuzukommen, mit den
Illusionen des Lebens aufzuräumen, diese umzukehren und in die Nacht zu
ziehen. Die abstrakte Idee wird als leeres Gefüge entlarvt. Sie steht dem
Physiologischen der Cioran'schen Sprache gegenüber. Sprache ist vielleicht
das krasse Gegenteil zu diesen Illusionen, aber nicht im Sinne von
Wirklichkeit, sondern als schwarzes Loch gedacht.
Der große Bruch mit den Illusionen ist immer
der Tod, der das Schreiben Ciorans von den Anfängen beherrscht. Sie haben
kein Recht mehr zu leben, so schrieb der französischsprachige
Schriftsteller Alain Bosquet in einem imaginären Brief an Cioran. Der
ausgebliebene Selbstmord wird Cioran gerne in aller Kurzsichtigkeit
vorgeworfen.
Gerade weil der Selbstmord das große Thema in
Ciorans Büchern ist, gerade weil er sich eben dort als fixe Idee
manifestieren kann –ausdrücken sozusagen
–, ist er gerettet. Es ist
eine positive, stimulierende Idee, ohne die ich das Leben nicht ertragen
hätte. Das Schreiben folgt nach Cioran nämlich der Profanisierungskunst,
die auch Wunden heilen kann. Wie schon bei Nietzsche stellt alles
Geschriebene einen Kadaver zur Schau. Ein interessanter Protest gegen
Heidegger, denn der hat zuviel an Wörter geglaubt. Bei Heidegger ist
die Sprache eine Etwas generierende Paste, aus der die Dinge scheinbar
herauskriechen.
Cioran
empfiehlt
diese Idee sogar
den Selbstmordgefährdeten, denn
wie schon bei ihm könne es eine lebenssichernde Idee sein, da sie die
persönliche Freiheit erfahrbar mache.
Man könnte das Ausbleiben des Selbstmords auch
anders lesen. Als eingestandenes Scheitern am Gröbsten, weil Cioran das Scheitern
liebt und sich selbst genüsslich als den Inbegriff des Scheiternden
betrachtet. Umso mehr ist seine Sprache eine Sprache des Scheiterns.
Seine nihilistische Grundhaltung (ich will
nicht darüber spekulieren, ob diese Bezeichnung zutrifft) radikal ausgelebt, hätte
er sich an der buddhistischen Madhyamaka-Lehre festkrallen müssen, die die
Zerstörung aller Begriffe als Weg ins Nirwana beschreibt. Das Leben als
alles auflösende Meditation unter ewigem Schweigegebot. Er war aber zuviel
Literat, zuviel von der Sprache besessen, um diesem Ideal entsprechen zu
können. Er brauchte die Sprache, um das Leben auszuhalten, gleichzeitig
driftete er so ab in ein Leben, das ihn selbst als Scheiternden in einem
falschen Leben vorführt.
Warum nicht
im Stillen leiden wie die Tiere?
Einem Freund warf er denselben Fehler vor: Er
würde durch seine Bücher das Schweigen schänden.
Mit
seinen Fehlern und Schwächen zieht Cioran durch seine Werke, die er im
Übrigen, wie er meint, auch einfach nach Zahlen hätte benennen können. Wer
traute sich Ähnliches bemerken:
Da nichts
ohne Gefühl geschieht, denkt man, sobald man etwas hervorbringt, man
würde ... Talent besitzen. Niemand glaubt an die Nichtigkeit dessen, was
er tut. Jede Art von Schöpfung erfordert eine Mitwirkung unseres Wesens.
Und wir können uns nicht vorstellen, dass etwas, was aus uns hervorgeht,
überhaupt nichts wert ist.
Ciorans einziger Ehrgeiz nach Susan Sontag war
es: Mit dem Unheilbaren Schritt halten zu können. Er ruft gewisse
Begriffe wie cafard, die Langeweile oder Leere aus, um mit ihnen
Sätze zu formen, die das Leid trockenlegen können. Seine Themenreihe ist
schmal, auf acht Aphorismen (nach Benns acht Gedichten) hätte er sein
Programm reduzieren können, hätte er nicht versucht, dem Menschenunwürdigen
des Lebens in jeder Situation ein neues Gesicht zu verpassen. Dass das
Beschriebene überhaupt beschreibbar ist, wundert man sich manchmal. Cioran
erreicht radikale Konfrontationen dadurch, dass er nicht beschreibt, sondern
eine nüchterne Sprache sucht, die durch die Langeweile gedehnt worden ist
und zuweilen recht monoton wirkt. Die Sprache eines ruhigen alten Mannes,
der, den Mund zum erstickten Schrei geöffnet, durch eine leere Welt zieht.