Schottenberg
ist ein Verfechter von Symbolen: Seit seiner mittlerweile eineinhalbjährigen
Intendanz prangt ein roter Stern am Dach des Volkstheaters, sind die
verschiedenen Nebenspielstätten in Rot getaucht. Seine vorletzte Arbeit,
Nestroys Revolutionsposse "Freiheit in Krähwinkel", war in stark
stilisierter, mitunter schon simplistischer Manier ausgeführt. Anders als
etwa Martin Kušej, der zusammen mit seinem Bühnenbilder Martin Zehetgruber
ebenfalls den starken Bildern nachjagt, aber zu eigenwilligeren und
komplexeren Lösungen gelangt, bedient sich Schottenberg bevorzugt des
historischen, fix verankerten Formelarsenals. In "Cabaret" liegt er damit
goldrichtig.
Es ist eine stilsichere
und passgenaue Inszenierung. Ihre Qualität liegt zum einen in der
handwerklichen Perfektion (Choreographie: Susa Meyer), zum anderen in der
Deutlichkeit das Aussage. Nichts wird verschlüsselt: Ein Hakenkreuz ist ein
Hakenkreuz, ein Judenstern ein Judenstern.
Handlungsschauplatz
ist die dekadente Metropole Berlin um 1930 (Bühne: Hans Kudlich, Kostüme:
Erika Navas), in der sich der junge amerikanische Schriftsteller Clifford
Bradshaw (Raphael von Bargen) in das dreiste englische Showgirl Sally
(Maria Bill) verliebt. Inmitten der Gesellschaft, die es nicht
wahrhaben will, beginnt sich die braune Ideologie zu formieren und bahnt
sich ihren durch die Geschichte bekannten Weg. Auf der Strecke bleibt die
aufkeimende Liebe zwischen der Pensionsbesitzerin Fräulein Schneider
(hervorragend und stimmfest: Hilde Sochor) und dem jüdischen
Delikatessenhändler Herrn Schulz (berührend: Heinz Petters). In einer
köstlichen Arie auf die Ananas gelangt dieses hochbetagte Paar zu ganz
eigenen Ekstasen.
Wie alle Figuren im Stück
sind sie nicht schwarz-weiß gezeichnet, sondern haben Fehler und Macken. So
siegt Fräulein Schneiders vorauseilende "Vernunft" über ihre Regungen,
erweist sich Clifford als ein kulturblinder Kindskopf mit
Männlichkeitsattitüden, der Sally gegen ihren Willen "home" in die USA
führen will. Maria Bill spielt diese Sally sehr überzeugend. In jugendlichem
Elan flitzt sie über die Bühne, und wenn sie ihre koketten Variete-Nummern
darbietet, dann gesellt sich zu ihrer tollen, erotischen Präsenz eine
phänomenale Stimme. Raphael von Bargen ist stimmlich blass, gibt aber ein
nettes Saxophon-Solo zum Besten.
Das
ganze Ensemble überzeugt: der Nazi Ernst Ludwig (Peter Becker), die
ordinäre, matrosenfressende Mieterin Fräulein Kost (Heike Kretschmer), die
Girls des Kit-Kat-Klubs (Rita Sereinig, Katarina Hartmann, Katharina
Straßer, Doris Weiner, Annette Isabelle Holzmann, Andy Hallwaxx), die
Bühnenmusiker. Gesanglich und pantomimisch herausragend ist Marcello de
Nardo als Conférencier. Vor der Pause schrill und androgyn, steht er am Ende
des Stückes wie nackt auf der leergeräumten Bühne mit einem schwarzen
Judenstern auf der weißen Brust. Bilder wie dieses – oder jene letzte
Einstellung vor der Pause, als das Publikum plötzlich von den Stimmen und
Symbolen der neue Machthaber umzingelt ist – heben diese Inszenierung auf
ein Niveau, dem mit dem Terminus "Unterhaltungstheater" nicht Genüge getan
ist. |