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Big Daddy feiert Geburtstag
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Philip Tiedemann inszeniert im Theater in der Josefstadt gegen "Festen" an,
jenes filmische Meisterwerk des Dänen Thomas Vinterberg, das 1998 den
Spezialpreis der Jury in Cannes gewann.

Von Kristina Werndl
(08. 02. 2007)

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Kristina Werndl
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kristina.werndl [at] gmail.com

ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.

 

 


(c) www.josefstadt.org


"Das Fest"
Von
Thomas Vinterberg
und Mogens Rukov.

Regie: Philip Tiedemann


 

 


(c) www.josefstadt.org

 

 


Aurora-Tipp

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Theaterbesprechungen

   "Festen" war jener Film, der das "Dogma 95"-Manifest (u. a. erklärt von Lars von Trier) ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit spülte. Eine ganze Reihe von Filmen folgte, die mit puristischen Mitteln und realistischem Anspruch den hochgezüchteten, wirklichkeitsentfremdeten Hochglanzproduktionen etwas entgegensetzten, das in seiner Direktheit und Unvorhersehbarkeit in Mark und Bein gehen sollte.

In nachgerade aristotelischer Verdichtung wird in "Festen" erzählt, wie ein schwerreicher Hotelier mit großbürgerlichem Hintergrund an seinem sechzigsten Geburtstag seine Großfamilie auf dem Landsitz versammelt. Die Gäste haben ihre jeweiligen Probleme im Gepäck; trotzdem deutet alles darauf hin, dass es ein heiterer Abend wird. Bis der älteste Sohn Christian bei Tisch auspackt und vom sexuellen Missbrauch des Vater an ihm und seiner Schwester, die sich kürzlich das Leben nahm, erzählt.

    Was danach abläuft, folgt in seiner Dramaturgie den subkutanen Wünschen einer Gesellschaft, die sich durch fremdes Leid nicht behelligt sehen will, die ausblendet und weghört, solange es möglich ist. Mit den bekannten Konsequenzen: Das Opfer, Christian, wird lächerlich gemacht, pathologisiert und schließlich im Wald entsorgt. Die Gesellschaft arrangiert sich mit der Situation, doch die Dinge nehmen eine unerwartete Wendung. Am Ende ist es der Vater, der gehen muss. Man braucht kein Mitleid mit ihm haben. Vinterberg zeigt in seinem Stück allerdings, dass das Phänomen der Pädophilie in seiner Komplexität mit einer schlichten Verdammung des Vaters nicht vom Tisch ist. Die Opfer sind immer auch solche einer (Party-)Gesellschaft, die das zulässt.

Die hochkarätige Schauspieler-Riege (Marianne Nentwich, Maria Köstlinger, Fritz Karl, Anna Franziska Srna, Nikolaus Okonkwo und andere mehr) macht ihre Sache sehr ordentlich, vor allen Bernhard Schir als Christian. Erwin Steinhauer spielt den Patriarchen lauter, selbstgefälliger, auch vitaler als sein filmisches Pendant, er absorbiert bedeutend mehr Aufmerksamkeit. Warum die Inszenierung trotzdem nicht aufgeht, liegt an dem Fehlgriff, "Das Fest" als konventionell realistische Produktion auf die Bühne zu bringen (oder: Es überhaupt auf die Bühne zu bringen). Denn ein Realismus wie im Film, wo den Akteuren das Wort von den Lippen abgelauscht, das Augenspiel beobachtet werden kann, wo die subjektive Kamera ihnen auf den Pelz rückt, ist im Theater nicht möglich. Hier wird zur großen Geste, was im Film abgedämpfter und doch eindrucksvoller wirkt. Hier verläuft seriell, was dort durch Parallelschnitt gleichsam verschmolzen wird.

    Das Ergebnis ist ein von der ersten Minute an ins Metaphysisch-Bedrohliche getauchter Theaterabend (Musik: Ole Schmidt), der sich gerade in den surrealen und traumverhangenen Sequenzen (die tote Schwester geistert in Gestalt Therese Lohners durchs Haus) in die Länge zieht. Im Gedächtnis bleibt Fritz Muliar als dementer, witzelnder Großvater.

Jenen, die Vinterbergs Film nicht kennen, sei das "Fest" in Tiedemanns Inszenierung empfohlen; das Stück ist so stark, dass es andere Versuche rund um Kindesmissbrauch – wie David Harrowers "Blackbird", das momentan gekonnt inszeniert im Vestibül des Burgtheaters zu sehen ist – locker aussticht.

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