"Festen"
war jener Film, der das "Dogma 95"-Manifest (u. a. erklärt von Lars von
Trier) ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit spülte. Eine ganze Reihe von
Filmen folgte, die mit puristischen Mitteln und realistischem Anspruch den
hochgezüchteten, wirklichkeitsentfremdeten Hochglanzproduktionen etwas
entgegensetzten, das in seiner Direktheit und Unvorhersehbarkeit in Mark und
Bein gehen sollte.
In nachgerade
aristotelischer Verdichtung wird in "Festen" erzählt,
wie ein schwerreicher Hotelier mit großbürgerlichem Hintergrund an seinem
sechzigsten Geburtstag seine Großfamilie auf dem Landsitz versammelt. Die
Gäste haben ihre jeweiligen Probleme im Gepäck; trotzdem deutet alles darauf
hin, dass es ein heiterer Abend wird. Bis der älteste Sohn Christian bei
Tisch auspackt und vom sexuellen Missbrauch des Vater an ihm und seiner
Schwester, die sich kürzlich das Leben nahm, erzählt.
Was
danach abläuft, folgt in seiner Dramaturgie den subkutanen Wünschen einer
Gesellschaft, die sich durch fremdes Leid nicht behelligt sehen will, die
ausblendet und weghört, solange es möglich ist. Mit den bekannten
Konsequenzen: Das Opfer, Christian, wird lächerlich gemacht, pathologisiert
und schließlich im Wald entsorgt. Die Gesellschaft arrangiert sich mit der
Situation, doch die Dinge nehmen eine unerwartete Wendung. Am Ende ist es
der Vater, der gehen muss. Man braucht kein Mitleid mit ihm haben.
Vinterberg zeigt in seinem Stück allerdings, dass das Phänomen der
Pädophilie in seiner Komplexität mit einer schlichten Verdammung des Vaters
nicht vom Tisch ist. Die Opfer sind immer auch solche einer
(Party-)Gesellschaft, die das zulässt.
Die hochkarätige
Schauspieler-Riege (Marianne Nentwich, Maria Köstlinger, Fritz Karl, Anna
Franziska Srna, Nikolaus Okonkwo und andere mehr) macht ihre Sache sehr
ordentlich, vor allen Bernhard Schir als Christian. Erwin Steinhauer spielt
den Patriarchen lauter, selbstgefälliger, auch vitaler als sein filmisches
Pendant, er absorbiert bedeutend mehr Aufmerksamkeit. Warum die Inszenierung
trotzdem nicht aufgeht, liegt an dem Fehlgriff, "Das
Fest" als konventionell realistische Produktion auf die Bühne zu bringen
(oder: Es überhaupt auf die Bühne zu bringen). Denn ein Realismus wie im
Film, wo den Akteuren das Wort von den Lippen abgelauscht, das Augenspiel
beobachtet werden kann, wo die subjektive Kamera ihnen auf den Pelz rückt,
ist im Theater nicht möglich. Hier wird zur großen Geste, was im Film
abgedämpfter und doch eindrucksvoller wirkt. Hier verläuft seriell, was dort
durch Parallelschnitt gleichsam verschmolzen wird.
Das
Ergebnis ist ein von der ersten Minute an ins Metaphysisch-Bedrohliche
getauchter Theaterabend (Musik: Ole Schmidt), der sich gerade in den
surrealen und traumverhangenen Sequenzen (die tote Schwester geistert in
Gestalt Therese Lohners durchs Haus) in die Länge zieht. Im Gedächtnis
bleibt Fritz Muliar als dementer, witzelnder Großvater.
Jenen, die Vinterbergs
Film nicht kennen, sei das "Fest" in Tiedemanns
Inszenierung empfohlen; das Stück ist so stark, dass es andere Versuche rund
um Kindesmissbrauch – wie David Harrowers "Blackbird",
das momentan gekonnt inszeniert im Vestibül des Burgtheaters zu sehen ist –
locker aussticht.