Wie in
allem meinen Stücken versuche ich auch diesmal, möglichst rücksichtslos
gegen Dummheit und Lüge zu sein, denn diese Rücksichtslosigkeit dürfte wohl
die vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers darstellen, der
es sich manchmal einbildet, nur deshalb zu schreiben, damit die Leut’ sich
selbst erkennen", schrieb 1932 der Autor über das Werk.
In diesen Worten kommt ein
gewaltiger gesellschaftskritischer Wille zum Ausdruck, den die vorliegende
Inszenierung durch den Niederländer Antoine Uitdehaag nicht einzulösen
vermag.
Die Parallelen zwischen
dem krisengeschüttelten Proletariat und Kleinbürgertum vor 1933 und unserer
Zeit mit ihren prekären Arbeitsverhältnissen liegen auf der Hand, der Kampf
des Individuums gegen die bürokratische, scheinheilige Gesellschaft hat
nichts an Aktualität verloren, und doch hat man bei Uitdehaag nie das
Gefühl, man sei im Heute angelangt. Daran sind die uninspirierten Kostüme
(Erika Landertingers), die zauberhaft klingelnde Musik (Het Palais van Boem)
und die Guckkasten-Bühne (Tom Schenk) nicht unschuldig. Man hätte bedeutend
mehr wagen müssen, um die Zuschauer zu erreichen.
Alles
ist brav eingemittelt, wirkt hölzern und starr. Nur die Schauspieler reißen
den Karren noch herum. Etwa Patrycia Ziolkowska: Sie ist der Dreh- und
Angelpunkt der Inszenierung; das Widerständige und Selbstbestimmte, das in
der Figur der Elisabeth liegt, verkörpert sie gut. Elisabeth ist eine
unglücklich in die Tretmühlen der Justiz geratene, moralisch schuldlose
Frau, die aus Geldnot ihren Körper der Anatomie verkaufen möchte und im
Verlauf des Stückes Glaube, Liebe, Hoffnung – und Leben verliert. Horváth
zeigt an ihr mit bestrickender Stringenz, wohin die
bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen führt, und
spricht zugleich auch vom Kampf des Individuums gegen eine ontologisch böse
Gesellschaft.
Ziolkowska findet einen im
besten Sinn eigenartigen Ausdrucksstil: Sie spricht überdeutlich und
artifiziell. Noch eigentlicher aber spricht sie mit ihrem Körper: Ihr Spiel
ist das verschiedener Körperhaltungen. Der Kurzhaarschnitt passt ins Bild
dieser auf ihre Selbstständigkeit pochenden Frau. In erschütternden, sie
bedrohenden Situationen lacht sie – ein von Horváth vorgeschriebenes Lachen,
aber sie lacht es ohne Ton, mit ganz verkrampftem Körper. Man kann hier an
den "Dogma"-Film "Festen"
denken, wo Regisseur Thomas Vinterberg seinen Hauptdarsteller anhielt,
konträr zum Seelenzustand der Figur zu agieren: So gab dieser die
schreckliche Wahrheit um seinen sexuellen Missbrauch mit lachendem Gesicht
kund.
Überzeugend sind auch Paul
Matić als buckelnder Vizepräparator, Alexander Strobele als Oberinspektor
und Vera Borek als derbe, berechnende Geschäftsfrau. Beatrice Frey findet
als Frau Amtsgerichtsrat bei allem komödiantischem Talent zu durchaus
differenzierten Tönen; die Freude an der Sensation, an der Begegnung mit der
"Delinquentin", ist ihr überdeutlich ins Gesicht
geschrieben.
Andere Schauspieler
jedoch, wie Gerd Rigauer als Oberpräparator, spielen
nicht ganz untypisch fürs Volkstheater so, dass sie weder richtig in ihrer Rolle
aufgehen noch nach Brecht’scher Forderung die Figur ausstellen. Stattdessen
gefallen Sie sich in einer exaltierten Manier, die selbstgefällig ausstellt,
dass man nun auf der Bühne ist.
Wie so oft bei Horváth reden die Figuren
von Güte und ihrem großen Herzen – und suhlen sich in einem unappetitlichen
Sumpf aus Wehleidigkeit und verkitschten Gefühlen. Zum Beispiel der
Präparator, der, anfangs hilfreich, Elisabeth schließlich hinter Gitter
bringt. Seine Fürsorge gilt weniger den Menschen als den Tieren – bei dieser
Inszenierung sind das echte Tauben. Oder Elisabeths Lebensretter, der sich damit
brüstet, die Lebensüberdrüssige aus den Fluten geholt zu haben und dafür in
die Zeitung zu kommen. Derweil liegt sie als nacktes, ängstlich zuckendes
Stück Fleisch auf einem Tisch hinter ihm.
Elisabeth überlebt nicht.
Am Ende liegt ihr Körper aufgebahrt unter einem Leichentuch, das Stück kehrt
an den Anfang zurück. Ein aussagekräftiger Schluss ist das, legt er doch
nahe, sich zu fragen, welch anderes Mädchen zu Stückbeginn dagelegen hat.
Elisabeths Schicksal ist nicht exzeptionell. |