Kristina Werndl
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ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.

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Burgtheater

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Theaterbesprechungen
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Erst
wird die Premiere verschoben, dann finden sich weder der Name des Regisseurs
Tom Kühnel noch der Bühnenbildnerin Etienne Pluss oder der Kostümbildnerin
Nina Wetzel im Programmheft. Dem Zuschauer konnte es egal sein: Er bekam
eine merkwürdig schwebende, dem Bizarren nachfühlende Aufführung zu sehen,
mit Figuren, deren gedämpfte Exaltiertheit auf unbekannte Tiefenschichten
schließen lässt.
Ein etwas linkischer
Junggeselle (Johann Adam Oest) kehrt nach einjähriger Abwesenheit in seine
Wohnung zurück. Die Dielen sind blank, die Wände klinisch weiß, die Frau
Doktor (Regina Fritsch), die die Wohnung zwischenzeitlich belebte und sich
nun nach Peru vertschüsst, hat sauber gemacht. Nicht zuletzt seit Frischs
"Andorra" wissen wir aber, dass weiße Wände für den Kulturanstrich stehen
können, der bedenkliche Affekte des Menschen übertüncht. Das ist in "Dunkel
lockende Welt" nicht anders.
Doktor
Corinna Schneider, die in einem perfiden westlichen Hilfswahn das Heil der
Peruaner in blitzend weißen Zahnreihen sieht, die sich zu einem
A-cappella-Chor formieren, verliert im Beisein ihrer Mutter die Dominanz,
die sie gegenüber ihrem belesenen, aber sozial niedriger stehenden Vermieter
Joachim Hufschmied auszuspielen wusste. Im Beisein ihrer von
photosynthetischen Prozessen berückten Mutter (Libgart Schwarz) wird sie zum
aufmerksamkeitsheischenden Kind, dessen Beichten ins Leere gehen.
Wenn Libgart Schwarz in
einem untergründig dahinplätschernden Monolog ihrer Tochter (sehr gut:
Regina Fritsch) davon kündet, wie sich aus anorganischen Stoffen Leben
generiert, dabei mit federnden Schritten und energischer Stimme auf und ab
geht, ist man geneigt, in ihr eine Schwester des Fräulein von Zahnd aus
Dürrenmatts "Physikern" zu erkennen. Anders als bei Bernhard hat hier einmal
eine Frau einen Monstermonolog zu bewältigen; Libgart Schwarz macht das gut,
mit "sanftem Wahnsinn", wie es in Trakls Gedicht "Angela" heißt.
Hinreißend
Johann Adam Oest, der die Ambivalenz seiner Figur überzeugend zur Schau
stellt: Man weiß nicht, ob der sanfte Mutterbub, der am Tod der Mutter
knabbert, die sozusagen noch als Leiche im Schaukelstuhl sitzt, nur
scheinbar Tölpel ist und in Wahrheit mehr mitkriegt und mitmacht, als man
zuerst annehmen möchte.
Die Mutter ist
chlorophyllgrün, die Tochter in falsches Rosa gewandet. Alles hat einen
zweiten Boden, eine versteckte Bedeutung: die Figuren, das silberne
Doktorköfferchen, der Boden des Hauses. Man sucht nach Masken, man redet vom
Tod, man schweigt von den Toten, man bespricht Foucault und das Erfrieren,
und dazu lockt die Musik sirenenhaft fremd und dann wieder in
Dschungelrhythmen durchs geöffnete Fenster.
Ein
feiner Text, der sprachlich viel differenzierter und anspruchsvoller ist als
etwa Roland Schimmelpfennigs jüngstes Werk "Ende und Anfang", wo ebenfalls
eine Anthropologie versucht wird. Die Dunkelheit deckt alle Gewissheit zu.
Bei Händl Klaus ist das ein Gewinn. |
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