KW:
In
der Vorrede Ihres Einakters "totficken.
totalgespenst. topfit" heißt es: "Das wahre
Österreich werdet ihr nie entdecken, das wahre Österreich werdet ihr nie
verstehen, das ist tief in uns drinnen, das bleibt da einfach stehen."
Konnten Sie Österreich entfliehen?
Röggla:
ach, das ist eben die sache mit dem herkunftskomplex. dem entkommt man
nicht. aber zu sehr sollte ich nicht an thomas bernhard anschließen, denn
ich bin schließlich vertreterin einer anderen generation und das macht einen
unterschied, auch wenn sich die dinge durch generationen durchdeklinieren.
in "totficken.totalgespenst.topfit." geht es
natürlich auch um diese mechanistischen österreich-haß-
und patriotismus-dialoge, das gespannte verhältnis deutschland gegenüber. es
ist eine farce, die sich mit werner schwab auseinandersetzt, den man ja als
eine art negativen volkstheaterschreiber beschreiben kann. der unterschied
zu schwab und bernhard und jelinek ist aber sicher der, daß ich mit 21 aus
österreich weggezogen bin.
KW:
Ihre Texte werden über die Jahre immer
politischer. Sie setzen sich mit den Begleiterscheinungen der
Globalisierung und deren Auswirkungen auf die Privatsphäre des Menschen
auseinander; rastlose Manager, Alkoholiker, Arbeitslose, Schuldner und
Schuldnerberater bevölkern die Szene. Würden Sie sich als eine
politische Autorin bezeichnen?
Röggla:
mich interessieren gesellschaftliche
knoten. mischverhältnisse. zusammenhänge. widersprüche. das sind politische
fragestellungen, aber, wie gesagt, literatur kann nicht per se politisch
oder nicht politisch sein, auch wenn sie in bestimmten historischen
situationen politische reaktionen auslösen konnte. kunst scheint mir die
aufgabe zu haben, wenn sie überhaupt aufgaben hat, ambivalenzen,
widersprüche herauszuarbeiten. und außerdem bin ich beim schreiben zu einem
großen teil auch mit mir selbst beschäftigt, also was machen bestimmte
diskurse, rhetoriken, sprech- und kräfteverhältnisse mit mir. also die frage
nach emotionalen und psychologischen interferenzen, die diese widersprüche
und machtverhältnisse auslösen, auch wenn sich das bei meinem schreiben mehr
auf der ebene der geste, des ausdrucks äußert.
KW:
Stellt sich bei Ihnen während des
Arbeitsprozesses ein Glücksgefühl ein? Oder kommt dieses erst, wenn das
fertige Ergebnis vorliegt? Oder sind Sie einfach heilfroh, wenn es
vollbracht ist?
Röggla:
das hängt von dem jeweiligen buch oder
stück ab. bei
"wir schlafen nicht" war ich heilfroh, als ich es abgegeben habe,
weil die schlußphase sich als unendlich anstrengend erwiesen hat. aber im
allgemeinen kann ich sagen, daß die arbeit an einem buch oder einem stück
ziemlich lang dauert, da gibt es zwischenetappen. obwohl viele dinge bei mir
wirken, als wären sie aus einem guß, schreibe ich jedes buch einige male,
und irgendwann, nicht erst bei der letzten fassung, stellt sich heraus, ob
und wie etwas funktioniert, und das ist schon ziemlich toll, das dann zu
erleben.
KW:
Haben Sie einen streng geregelten
Arbeitsalltag?
Röggla:
mein arbeitsalltag ist sehr von den
projekten strukturiert, die ich mache, und von der arbeitssituation, in der
ich mich gerade befinde, aber im grunde: ja, natürlich ist der arbeitstag
geregelt, ob streng weiß ich jetzt nicht – ich würde sagen, daß die sachen,
die ich mache, eher arbeitsintensiv sind.
KW:
Sie leben seit 1992 in Berlin. Haben Sie
nicht bald genug von der Stadt?
Röggla:
berlin ist immer noch die stadt, wo
man in ruhe gelassen wird. wo man leben kann, wie man will, wo es
alternativen gibt. ein gefühl, daß ich in wien nie hatte, welches gerade in
der kulturszene viel bürgerlicher funktioniert.
KW:
Sie meinten einmal, Berlin
sei "keine Literaturstadt wie zum Beispiel Wien".
Können Sie dem aus heutiger Perspektive noch zustimmen?
Röggla:
ja, auch wenn es mittlerweile ein
internationales literaturfestival dort gibt, sind film und theater dort
weitaus präsenter. ich würde auch hinzufügen, daß wien keine literaturstadt
ist, ja, daß die literaturstädte auf dieser welt sehr spärlich ausfallen,
letztlich sind die meisten ja mehr verwaltungs- oder industrie-,
allenfalls touristische städte.
KW:
Philipp Roth hat in einem
FAZ-Interview erklärt, in Amerika könne ein Autor nicht mehr moralische
Autorität für sich beanspruchen als ein Klempner. Aus Ihrer
Amerika-Erfahrung heraus: Können Sie dem zustimmen?
Röggla:
naja, klempner haben dann doch noch
weniger öffentlichkeit. es ist auch die frage, was man mit dieser
moralischen autorität anfangen möchte? die autoritäre position ist sowieso
eine, die ich besonders für autoren nicht interessant finde, sie macht meist
kurzsichtig. ich halte es zudem nicht für die primäre aufgabe von literatur,
das gewissen der bewohner eines landes jenseits der diktaturen oder
fehlender medienkontrolle (wie in österreich) zu repräsentieren. ein autor
ist in jedem falle nicht politischer als ein klempner. wenn literatur in den
dienst der politik gerät, sieht es meist nicht gut für sie aus.
KW:
Sollen AutorInnen als öffentlich wirkende
Intellektuelle auftreten?
Röggla:
wie gesagt, der imperativ hinge von
den medienbedingungen eines landes ab. ich möchte mich nicht in die position
begeben zu sagen, was autoren sollen oder nicht sollen. dazu ist mir die
literatur zu viel wert.
KW:
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang
Günther Grass’ Wahlkampfinitiative für die nunmehr abgewählte Regierung
Schröders, der sich SchriftstellerInnen so verschiedener Generationen
wie Peter Rühmkorf, Michael Kupfmüller oder Juli Zeh angeschlossen
haben?
Röggla:
ich verstehe das als ohnmachtsgeste –
jetzt mobilisiert man diese miniöffentlichkeiten noch bzw. vielleicht ist es
der letzte versuch, an spd-traditionen anzuknüpfen, wenn sie im programm
schon fehlen.
KW:
Sie haben den literarischen Anspruch
formuliert, "vollsynchron mit der Gegenwart" zu
sein. Wie sichern Sie sich diese Gegenwärtigkeit? Durch die Wahl ihres
Wohnsitzes, die tägliche Zeitungslektüre?
Röggla:
man kann nicht vollsynchron mit der
gegenwart sein. bzw. drückt der begriff schon aus, daß man es nicht sein
kann, er ist ein oxymoron. und zudem bin ich sicher keine aktualitätstante,
die alles, was gerade in den medien thema ist, mitmacht, sondern arbeite an
größeren zusammenhängenden fragestellungen. also wenn ich zum thema geld und
verschuldung arbeite wie jetzt, dann dauert das 2-3 jahre. das zieht eine
menge verfahrensweisen wie interviews, gespräche, lektüre, also
journalistische praktiken, nach sich.
KW:
Sie bemerkten einmal, Ziel Ihrer Arbeit
sei die Konfrontation. Sehen Sie sich im Traditionszusammenhang eines
aufklärerischen Theaters? Oder ist ein solcher Anspruch per se Fiktion?
Röggla:
konfrontation findet von mir zuerstmal
mit meinen widersprüchen, konflikten im rahmen größerer gesellschaftlicher
widersprüche oder knoten statt. ich setze mich sozusagen als münze ein. das
ist mein egozentrismus, den ich aber durch viele dialogische situationen
konterkariere. außerdem bin ich einfach neugierig. wie gesagt, behagt mir
dieser moralische anspruch nicht, denn er ist immer eine autoritätsgeste,
eine position, die ich als autorin, wenn möglich, immer vermeiden möchte.
KW:
Der Gehalt des Textes "Wir
schlafen nicht" manifestiert sich auf kunstvolle Weise in seiner
Struktur: Wie die Figuren wartet auch der Leser auf nicht eintretende
Ereignisse, spürt er die Fadesse des Messehallendaseins am eigenen Leib.
Haben Sie üblicherweise schon vor Beginn der Niederschrift eine klare
Vorstellung von der Textgestalt? Oder schält sich diese erst allmählich
heraus?
Röggla:
die textgestalt kann
sich natürlich erst im arbeitsprozess langsam herausschälen. in der
konfrontation mit dem
"stoff", den man langsam erstellt, der selber schon eine ästhetische
oberfläche hat. das ist ein dialogisches prinzip. und dann ist es ganz
einfach: wenn ich vorher wüßte, wie der text aussieht, dann bräuchte ich ihn
gar nicht erst zu schreiben. der prozeß ist das spannende.
KW:
In
"Wir schlafen nicht" erhält der Leser über
verfremdete Interview-Ausschnitte Einblick in die Gefühls- und
Gedankenwelt von New-Economy-Typen,
welche in einer ortlosen Messehalle ohne Schlaf und Tageslicht
dahinvegetieren. Zeigen sich in diesem Porträt der Wirtschaftsbranche
gesamtgesellschaftliche Züge?
Röggla:
ich sehe in den logiken,
prinzipien und programmen dieser branche ein durchaus hegemoniales prinzip.
d.h. die verfahrensformen, logiken oder rationalitäten, handlungsanweisungen
sind die gesellschaftlich gesehen maßgeblichen. so hat die
politik und auch
die kultur sich diesen
efffizienzkriterien der unternehmensberatungen immer mehr zu unterordnen,
oder ist ein gewisser ökonomismus mittlerweile vorherrschend. diese
rationalität beruht aber wiederum auf einer gesamtgesellschaftlichen
neoliberalen entwicklung, es sind nicht die unternehmensberater, die das
alleine erfunden haben.
KW:
Als ein Thema des Textes könnte man die
Ökonomisierung der Sprache ausmachen. Wie weit ist diese
fortgeschritten?
Röggla:
ich würde eher von effizienz sprechen.
am besten geht man in print- oder radioredaktionen – da wird man dann hören,
wie hauptsätze strukturiert und fremdwörter dezimiert werden sollen, damit
man einer schnellen verständlichkeit entspricht, die die einschaltquote
angeblich oben hält.
KW:
Die einzelnen Stimmen analysieren im
Szene-Jargon, dem "BWL-er Deutsch", die Ihnen
eigene Lebensform kritisch; den Arbeitsoverflow, die Zeitknappheit, das
fehlende Privatleben. Dennoch befreien sie sich nicht aus den als
beengend empfundenen Zuständen. Steckt dahinter fehlende Courage,
Masochismus oder haben wir es mit Heuchlern zu tun? Hatten Sie das
Gefühl, die Interviewten genössen ihre Zwänge?
Röggla:
zu einem teil genießen sie es
natürlich. vor allem darüber zu sprechen in einer leistungs- und
überwindungsrhetorik, die auch mit einem faschistoiden körperbild
zusammenhängt, das den verletzlichen körper als einen zu überwindenden, zu
besiegenden denkt. und dann bekommt man ja genügend entlohnung dafür, bzw.
geld oder eine gewisse entscheidungsmacht. sicher habe ich einige meiner
gesprächspartner mit meinen fragen auch in diese richtung getrieben, schon
die gespräche waren ja keine eins-zu-eins-abbildungen einer vermeintlichen
so-ist-es-realität, sondern eben ein dialog. ein dialog, der auch in einem
ästhetischen rahmen stattfand.
KW:
Noch vor 50 Jahren war das Wort
"Stress" quasi unbekannt. Ist Stress eine Modeerscheinung? Eine
imaginäre Krankheitskategorie, die reale Symptome zeitigt – so wie die
Hysterie um 1900?
Röggla:
ja, genauso wie workaholics relativ
neu sind, überhaupt die ganzen nicht-stofflichen süchte, die
erst in den letzten jahren als solche beschrieben wurden. aber als mode
würde ich das nicht wirklich bezeichnen. wer wirklich streß hat, findet das
auf dauer nicht chic. aber krankheiten, bzw. deren interpretation, denn
darum geht es ja, sind eben auch zeitbezogen. das finde ich immer wieder
faszinierend.
KW:
Im Juli 2005 erhielten Sie den
Internationalen Preis für Kunst und Kultur aus dem Kulturfonds der Stadt
Salzburg. Wie wichtig sind für Sie Literatur-Stipendien und -preise?
Röggla:
das hängt von den preisen ab.
KW:
Wie stehen Sie zu den Salzburger
Festspielen?
Röggla:
das ist halt ein
repräsentationsspektakel, das mich nie interessiert hat. allerdings durch
später eingeführte spielstätten wie den stadtkinosaal und noch später die
perner insel bekam ich eine menge spannender sachen
zu sehen, und ich denke, die inszenierungen sind insgesamt interessanter
geworden. aber das publikum! eben ein ort, in dem reiche menschen in frack
und abendrobe hingehen, um sich zu zeigen und unter sich zu bleiben. man
bekommt spontan lust zu pöbeln.
KW:
René Polleschs "Cappuccetto
Rosso" wurde bei den diesjährigen (2005)
Salzburger Festspielen bejubelt. Seine Stücke sind Angriffe auf das
sogenannte Repräsentationstheater, in dem Schauspieler noch immer
behaupten, sie seien etwas, was sie gar nicht sind. Finden Sie Polleschs
Ansatz fruchtbringend, wirkt er inspirativ auf Ihre Arbeit?
Röggla:
ich mochte polleschs arbeiten im
berliner prater sehr. er hat eine gute energie da reingebracht, die man
schon lange nicht mehr erleben konnte – also diese negation des
einverständnisses, daß theater repräsentation auf die eine oder andere weise
bedeutet: psychologisches spiel oder naturalismus oder angenehmes design,
das sich mehr auf klassische filmische narrationsverfahren bezieht. das wort
"fruchtbringend" würde ich allerdings nicht verwenden – es ist ja
mehr diese geste und natürlich auch die diskursanbindung, die sehr
spannungsgeladene freude am theoretischen, an der komik der abstraktion, die
ich mit ihm teile.
KW:
Zum Abschluss: Hatten Sie als Kind
eigentlich einen Lieblingsautor, ein Lieblingsbuch?
Röggla:
ja, aber hallo! tove jansson
"komet im mumintal" – ich war eben schon immer sehr am
katastrophischen interessiert.
KW:
Frau Röggla, vielen Dank für das
Interview.