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Geisterbahn ohne Schrecken
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Der in Berlin lebende Dramatiker Roland Schimmelpfennig ist auf
deutschsprachigen Bühnen allgegenwärtig. Im Wiener Akademietheater wurde
sein jüngstes Stück "Ende und Anfang" uraufgeführt.

Von Kristina Werndl
(09. 10. 2006)

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Kristina Werndl
kristina.werndl@gmail.com

ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.




 


(c) Burgtheater

 

 

 


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Linktipp

www.burgtheater.at
 

 


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Theaterbesprechungen

 

   Wohin führt das zeitgenössische Theater, wenn die Figuren inbrünstig eine leuchtende, genmanipulierte Maus anbeten? Diese Frage lässt sich so allgemein sicherlich nicht beantworten. Dass sich die Gegenwartsdramatik mit den Folgen von Gen-Experimenten an Mäusen und Menschen auseinandersetzt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Roland Schimmelpfennig ambitioniertes Experiment aber führt in eine Sackgasse, an deren Ende die Belanglosigkeit steht.

Ein "Stück über das Verhältnis unserer Träume, Wünsche und Hoffnungen zur Realität" verspricht der Programmzettel. Genauso vage wie diese Worte klingen, ist, was man in Nicolas Stemanns Regie zu sehen bekommt. Es gelingt ihm nicht, dem Text, in dem gleich Sternschnuppen aktuelle Themen wie Jobverlust, Prekariat und Umschulung aufblitzen (und ebenso schnell wieder verglühen), eine interessante Note abzugewinnen. Von einer interpretatorischen Linie, die über eine bisweilen einprägsame Bebilderung hinausgeht, ganz zu schweigen.

Eine verlorene Gruppe von Arbeitern, die unterschiedliche berufliche Vorleben und je eigene prägende oder traumatisierende Momente mit sich herumschleppen, versammelt sich im leeren Aufenthaltsraum eines Versuchstierlabors (Bühne: Katrin Nottrodt) zum schleppend-zähen Totentanz. Denn zäh ist der Abend, auch wenn er nur knappe anderthalb Stunden dauert.

Das liegt nicht an den Schauspielern, die eine geschlossen gute Ensembleleistung erbringen. Sie sprechen die Zwischentexte teilweise selbst und agieren ausschließlich zum Zuschauerraum hin. Dieses Außer-sich-Sein der Figuren wirkt bisweilen etwas hölzern, dient aber vermutlich der Darstellung ihrer monadischen Isolation und Unfähigkeit zur Kommunikation.

   Philipp Hochmair als liebenswert absonderlicher Vogelnarr, Rudolf Melichars und Stefanie Dvoraks alt-junges Liebespaar und Bibiana Zeller, die zwei Menschenaffen ihre eigenwillige Stimme leiht, bleiben als skurrile Eindrücke in Erinnerung. Ein russischer Tierpfleger (Hermann Scheidleder), ein ehemals erfolgreiches Künstler-Geschwisterduo (Sebastian Rudolph, Myriam Schröder), ein verbrannter Pilot (Markus Hering) und ein Mädchen im Brautkleid (Sachiko Hara) komplettieren die jammergestaltige Crew. Ähnlich wie schon in Jelineks "Babel" überlässt Stemann der Schauspielerin Sachiko Hara, die ein märchenhaft fremdländisches Deutsch spricht, die Rolle in Tüll und Spitze; davor muss sie – wie Tom Hanks in "Philadelphia" – an der Tropfflasche hängend und "Mama!" schreiend auf der Bühne wandeln. Der befremdliche Effekt ist da, die Schauerromantik nicht fern, der Sinn dieses verschrobenen Spuks aber unklar.

Das freakische Figuren-Arsenal steht wohl repräsentativ für unsere globalisierte Hartz-IV-Welt. Gentechnik, die Ablöse des theologischen und philosophischen vom naturwissenschaftlichen Primat, Identität und Erinnerung sind weitere angerissene Themen, dazu kommt ein Fundus abendländischer Symbolik (der Tod und das Mädchen, der Traum des Menschen vom Fliegen). Aber Schimmelpfennig hat das Viele zu wenig konzentriert verarbeitet. Über Stemanns traumverlorener Regie, die keinen Raum lässt für die theologischen Faxen des Stückes, geht der Rest an gesellschaftlicher Brisanz verloren.

   Am Schluss von "Ende und Anfang" sind alle Darsteller tot. Dem individuellen beruflichen Ende ist kein neuer Anfang gefolgt – es sei denn einer in einer anderen Welt. Die Welt hier ist eine ohne Menschen: Erde, notdürftig überdeckt von steinernen Platten, bedeckt die Bühne, dazwischen bahnt sich junges Grün seinen Weg. Von der Zivilisation zurück zur Natur? Eine Fortschreibung der Schöpfungsgeschichte: Vom Schöpfungsakt der Genetiker (die leuchtende Maus) zurück zum Licht des Schöpfergottes?

Das "Verhältnis unserer Träume, Wünsche und Hoffnungen zur Realität" ist ein fatales, der präsentierte metaphysische Kitsch schwer verdaulich. Bei der "Frau von früher" lieferte Schimmelpfennig mittels formaler Spielereien auch auf der Inhaltsebene Material zum Weiterdenken. Hier aber möchte man fragen: "What is it all about?" Und mit einem weltbekannten englischen Dramatiker antworten: "Much Ado About Nothing" – "Viel Lärm um nichts".

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