Wohin führt das
zeitgenössische Theater, wenn die Figuren inbrünstig eine leuchtende,
genmanipulierte Maus anbeten? Diese Frage lässt sich so allgemein sicherlich
nicht beantworten. Dass sich die Gegenwartsdramatik mit den Folgen von
Gen-Experimenten an Mäusen und Menschen auseinandersetzt, ist grundsätzlich
zu begrüßen. Roland Schimmelpfennig ambitioniertes Experiment aber führt in
eine Sackgasse, an deren Ende die Belanglosigkeit steht.
Ein "Stück
über das Verhältnis unserer Träume, Wünsche und Hoffnungen zur Realität"
verspricht der Programmzettel. Genauso vage wie diese Worte klingen, ist,
was man in Nicolas Stemanns Regie zu sehen bekommt. Es gelingt ihm nicht,
dem Text, in dem gleich Sternschnuppen aktuelle Themen wie Jobverlust,
Prekariat und Umschulung aufblitzen (und ebenso schnell wieder verglühen),
eine interessante Note abzugewinnen. Von einer interpretatorischen Linie,
die über eine bisweilen einprägsame Bebilderung hinausgeht, ganz zu
schweigen.
Eine verlorene Gruppe von
Arbeitern, die unterschiedliche berufliche Vorleben und je eigene prägende
oder traumatisierende Momente mit sich herumschleppen, versammelt sich im
leeren Aufenthaltsraum eines Versuchstierlabors (Bühne: Katrin Nottrodt) zum
schleppend-zähen Totentanz. Denn zäh ist der Abend, auch wenn er nur knappe
anderthalb Stunden dauert.
Das liegt nicht an den
Schauspielern, die eine geschlossen gute Ensembleleistung erbringen. Sie
sprechen die Zwischentexte teilweise selbst und agieren ausschließlich zum
Zuschauerraum hin. Dieses Außer-sich-Sein der Figuren wirkt bisweilen etwas
hölzern, dient aber vermutlich der Darstellung ihrer monadischen Isolation
und Unfähigkeit zur Kommunikation.
Philipp Hochmair als
liebenswert absonderlicher Vogelnarr, Rudolf Melichars und Stefanie Dvoraks
alt-junges Liebespaar und Bibiana Zeller, die zwei Menschenaffen ihre
eigenwillige Stimme leiht, bleiben als skurrile Eindrücke in Erinnerung. Ein
russischer Tierpfleger (Hermann Scheidleder), ein ehemals erfolgreiches
Künstler-Geschwisterduo (Sebastian Rudolph, Myriam Schröder), ein
verbrannter Pilot (Markus Hering) und ein Mädchen im Brautkleid (Sachiko
Hara) komplettieren die jammergestaltige Crew. Ähnlich wie schon in Jelineks
"Babel" überlässt Stemann der Schauspielerin Sachiko Hara, die ein
märchenhaft fremdländisches Deutsch spricht, die Rolle in Tüll und Spitze;
davor muss sie – wie Tom Hanks in
"Philadelphia" – an der Tropfflasche hängend und
"Mama!" schreiend auf der Bühne wandeln. Der
befremdliche Effekt ist da, die Schauerromantik nicht fern, der Sinn dieses
verschrobenen Spuks aber unklar.
Das freakische
Figuren-Arsenal steht wohl repräsentativ für unsere globalisierte
Hartz-IV-Welt. Gentechnik, die Ablöse des theologischen und philosophischen
vom naturwissenschaftlichen Primat, Identität und Erinnerung sind weitere
angerissene Themen, dazu kommt ein Fundus abendländischer Symbolik (der Tod
und das Mädchen, der Traum des Menschen vom Fliegen). Aber Schimmelpfennig
hat das Viele zu wenig konzentriert verarbeitet. Über Stemanns
traumverlorener Regie, die keinen Raum lässt für die theologischen Faxen des
Stückes, geht der Rest an gesellschaftlicher Brisanz verloren.
Am Schluss von
"Ende und Anfang" sind alle Darsteller tot. Dem individuellen
beruflichen Ende ist kein neuer Anfang gefolgt – es sei denn einer in einer
anderen Welt. Die Welt hier ist eine ohne Menschen: Erde, notdürftig
überdeckt von steinernen Platten, bedeckt die Bühne, dazwischen bahnt sich
junges Grün seinen Weg. Von der Zivilisation zurück zur Natur? Eine
Fortschreibung der Schöpfungsgeschichte: Vom Schöpfungsakt der Genetiker
(die leuchtende Maus) zurück zum Licht des Schöpfergottes?
Das "Verhältnis
unserer Träume, Wünsche und Hoffnungen zur Realität" ist ein fatales, der
präsentierte metaphysische Kitsch schwer verdaulich. Bei der
"Frau von früher" lieferte Schimmelpfennig mittels formaler
Spielereien auch auf der Inhaltsebene Material zum Weiterdenken. Hier aber
möchte man fragen: "What is it all about?" Und mit
einem weltbekannten englischen Dramatiker antworten: "Much
Ado About Nothing" – "Viel Lärm um nichts".