Auswahl
und Aufmachung der Edition verfestigen den Eindruck, hier ginge es eher um
eine lukrative Geschäftsidee als um das ambitionierte Projekt, Frauen ihren
Platz in Literatur und Literaturbetrieb einzuräumen. Sei’s drum, der Kunst,
wo sie denn Fuß fasst, ist es egal, wie sie verpackt ist und ans hörende
Volk gebracht wird.
"Ohrenschmaus. Aufregende
und witzige Geschichten, gelesen von den stärksten & schönsten
Frauen-Stimmen des Landes", lockt der Begleittext. Wie schön, dass Birgit
Minichmayr die Werbestrategen prompt widerlegt. Denn aufregend und witzig,
das macht Minichmayr lesend unmissverständlich klar, ist in Schnitzlers
Spätwerk "Therese" (1928) rein gar nichts. Es sei denn, man spräche von
einem blutigen Witz oder besser: einem blutleeren. So nämlich erscheint das
Leben Therese Fabianis, das Schnitzler in dieser "Chronik eines
Frauenlebens" in einem vordergründig anspruchslosen realistischen Stil
protokolliert.
Therese
ist eine Tochter aus besserem Hause, die nach familiären Schicksalsschlägen
von Salzburg nach Wien zieht, wo sie sich in diversen Haushalten als
Kindermädchen, Erzieherin und Musiklehrerin verdingt. Ihr Kind aus einer
vorübergehenden Beziehung mit einem mittellosen Hochstapler, dessen
Heiterkeit und Lügencharme sie faszinieren, wird bei Pflegeeltern am Land
erzogen; ihre soziale Stellung legt diesen Schritt nahe. Thereses Leben
steht unter keinem glücklichen Stern: Der Abstieg des Sohnes in die
Kriminalität verstärkt ihre starken Schuldgefühle ihm gegenüber und isoliert
sie zunehmend. Schließlich stirbt sie durch seine Hand.
Schnitzlers Chronik
verzeichnet Thereses Leben bis zum bitteren Ende. In der Beschreibung eines
dauernden Wechsels von Dienst- und Liebesverhältnissen formt sich in
erlebter Rede die psychische Gestalt einer Frau, die in den letzten Tagen
der k. u. k. Monarchie ihren Platz im Leben nicht zu finden vermag. Ihr über
die Jahre dauernder sozialer Abstieg drängt sie in eine radikale
Vereinsamung, für die sie selbst nicht unverantwortlich ist. Sich für ihr
Umfeld eigentlich zu schade fühlend, bringt sie in letzter Konsequenz den
Mut und die Entschlossenheit nicht auf, sich in einem neuen Leben
einzurichten. Unmöglich ist es ihr, zu Ruhe und Zufriedenheit zu gelangen.
Einer
deterministischen Haltung steht der späte Schnitzler fern. Thereses
Unvermögen, eine starke emotionale Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen,
erscheint so gesehen tragisch, aber nicht ohne weiteres entschuldbar.
Vielmehr werden ihr Leben, die Hohlheit ihres Liebeslebens, die Weigerung,
Verantwortung zu übernehmen, die Falschheit des Gefühls, das sie umbrandet,
Passivität und verweigerte Hilfestellung im übertragenen Sinn als
Befindlichkeit der Zeit, in der sie lebt, lesbar, als Begleitwellen der
versinkenden Donaumonarchie.
Modern sind die
"gemischten" Figuren dieser Erzählung, die sich nicht in simplen Mustern
oder einem Gut-Böse-Dualismus erschöpfen. Irritierend zeitgemäß ist auch,
dass Thereses Liebesunfähigkeit gegenüber ihrem Kind, die ihr bewusst ist
und ein schlechtes Gewissen verursacht, nicht allein aus der Bedingung ihrer
Existenz ableitbar ist; ebenso ist der Hass des Sohnes auf seine Mutter
nicht einfach erklärt. Immer schwingt ein Quäntchen Unwägbarkeit mit.
Delinquenz und das Leben insgesamt, das sich in der Chronik nicht den
dramatischen Erzählgesetzen unterordnen muss, sind eben heute wie damals
nicht durch einfache Thesen zu erklären, sei es nun der Glaube an sozialen
Determinismus oder sogenannte "Gewaltgene".
Thereses
Rastlosigkeit, ihre Unzufriedenheit und Bindungslosigkeit erweisen sich in
der Rezeption als zugleich historisch und aktuell. Obsolet ist die große
Bedeutung der ständischen Hierarchie für die gesellschaftliche Verankerung
eines Individuums, das unhinterfragte Anstreben bürgerlicher Lebensziele.
Was für ein Glück, dass es mittlerweile eine gesetzliche Unterhaltspflicht
für Väter gibt! Heutig dagegen sind die Dissoziations- und
Entfremdungsgefühle von einem selbst und seiner nächsten Umwelt, die Therese
an sich beobachtet. Ihre Ursachen haben sie heute anderswo, vielleicht in
einer unsteten Berufsbiographie, wo viele junge Selbstständige, Ich-AGler
und freie Dienstnehmer zwischen allen Stühlen vorformulierter Berufe Platz
nehmen und weitgehend ohne hinreichende kollegiale Reaktion vor sich
hinwerken. Oder in der Arbeitslosigkeit. Das Gefühl, nicht gebraucht zu
werden, bringt sie nicht selten aus der Fassung.
Monoton, mit einer Stimme,
der schon zu Anfang der Lebenssaft auszutropfen scheint, liest Minichmayr
dieses Protokoll eines Frauenlebens. Die 30-jährige Linzerin, die an der
Burg ihr Debüt als Dirne in Schnitzlers "Reigen" gab, hat sich auch danach
wiederholt mit Schnitzler, dem Dichter der österreichischen Seele,
beschäftigt. Sie hat die Figur der Therese von vornherein aufgegeben. Diese
mutige Interpretation bewirkt zweierlei: Zum einen entsteht gewissermaßen
eine Negativ-Spannung, ein Gefühl der Bestätigung, ein "Ich habe es ja
gewusst" mit jedem neuen Schicksalsschlag, jedem Beziehungsbruch, der sich
in Thereses Leben ereignet. Ein Fokus aufs Ende, das von Beginn weg auf die
Erzählung einwirkt, absorbiert alle Spannung, lässt alle Überraschung und
Hoffnung auf einen glücklichen Lebensabend verdunsten. Thereses Schicksal
ist vorgezeichnet, ihr einförmiges Leben erfährt in Minichmayrs
Sprachmelodie seine Spiegelung.
Andererseits
geht diese beherrschte Lesart auf Kosten des Hörgenusses, weil die
Aufmerksamkeit kapituliert und man der plätschernden Monotonie erliegt.
Gegen Ende wird man durch ein unvermittelt sich beschleunigendes Erzähltempo
aufgeschreckt, Einschübe von direkter Rede sowie anderer Sprachcouleurs
wirken als unpassender Bruch. Sinnvoller wäre es gewesen, das Hörbuch
insgesamt kürzer zu halten, das hätte aber vermutlich den Vorgaben der
Edition widersprochen.
Minichmayr versteht es,
die im Buch wahrnehmbare Distanz des Erzählers zur Figur der Therese aufs
Audio-Medium zu transferieren. Das Hörbuch ist eine Tortur, die den Leser
ebenso nervös und desillusioniert zurücklässt wie die Protagonistin. Am Ende
ist man regelrecht froh, dass Therese stirbt, nur immer Schlimmeres wäre zu
erwarten gewesen. Und auch wenn sie am Totenbett ihren Frieden findet und um
Gnade für ihr Kind bittet, bleibt nur der Nachgeschmack von Ernüchterung
zurück – und wer wollte leugnen, dass Ernüchterung eine bestimmende
Geschmacksnote unserer Zeit ist?
Zuerst erschienen im Online-Buchmagazin
des
Literaturhauses Wien. |