KW:
Wie kam es zu Ihrem aktuellen
Nestroy-Engagement?
Vitásek:
Das ist ganz einfach: Michael
Schottenberg, der den "Jux" inszeniert, hat mich gefragt, ob ich die Rolle
des Weinberl spielen will, und da habe ich sofort Ja gesagt. Weil: Nestroy
sowieso. Ich habe schon mal einen Nestroy am Volkstheater gespielt, unter
Hilde Sochor im "Haus der Temperamente". Einen jugendlichen Melancholiker,
Guido Trüb, immer traurig, schwarz gekleidet. Lustig zum Spielen. Es war
eine eindimensionale Rolle. Der Weinberl dagegen ist sehr vielschichtig –
eine hohe Latte, nicht zuletzt durch Vorbilder wie Josef Meinrad oder
Nestroy, wo ich zumindest versuche, sehr elegant drunter zu springen.
KW:
Wie legen Sie den Weinberl an?
Vitásek:
Wir wollen weg von diesem
Biedermeier-Nestroy. Wir wollen die österreichische Seele zeigen, die im
Weinberl drinnen ist, dieses bisschen Herr Karl, ohne dass man ihn jetzt
derb macht wie den Herrn Karl. Man soll diese Linie spüren, die da von
Nestroy zu Horváth zu Doderer und eben dann zu Qualtinger führt. Wir möchten
auch die Verwandtschaft von Nestroy mit dem Kabarett zeigen, dass man
draufkommt: Das Kabarett wäre wahrscheinlich nicht möglich, wenn es Nestroy
nicht gegeben hätte.
KW:
Ist Weinberl, so wie sein Arbeitgeber, der Gewürzkrämer Zangler, ein Spießer?
Vitásek:
Wenn man sich diese Figur näher
ansieht und den Glanz ein bisschen herunterkratzt, dann ist da jemand, der
von Selbstzweifeln geplagt ist. Die Idee des Juxes entsteht ja aus einer
irrsinnigen Depression heraus. Weinberl wird befördert, wird Teilhaber, was
mehr ist, als er sich je erwartet hat. Er versteht gar nicht, warum Zangler
ihn dazu gemacht hat. Später kommt man drauf, dass er ihn eigentlich als
Schwiegersohn vorsieht. Das heißt: Aus der Überraschung und der Euphorie
entsteht eine Leere und er sagt sich: Aber halt, ich habe eigentlich noch
gar nichts erlebt! Ich haue noch einmal drauf, ich mache einen Jux. Und das
ist, finde ich, etwas sehr Österreichisches.
KW:
Weinberl stellt noch im Stück fest, dass ihm der Jux nichts gebracht
hat, er ist froh, dass das Ganze zu Ende ist – ein kurzes Aufbäumen?
Vitásek:
Ja genau. Aber da gibt es eine Bearbeitung, die Schottenberg vorgenommen
hat, dass Weinberl sich nämlich nicht sicher ist, ob es was gebracht hat.
Dass er nicht sagt: Das geht nicht, ich habs probiert, nie wieder mach ich
so was, Schuster bleib bei deinem Leisten. Es wäre schon zu zeigen, dass er
sich verändert hat durch dieses Abenteuer.
KW:
In einem Sinn verändert er sich tatsächlich: Am Stückende steht er kurz
vor der Heirat, hat seine Zukünftige gefunden …
Vitásek:
… er wurde gefunden.
KW:
Sein Jux hat ihn eingewickelt …
Vitásek:
Eigentlich hat ihm der Jux Glück
gebracht. Obwohl man, wenn man den Text liest, das Gefühl hat, er ist ein
eingefleischter Junggeselle. Da kommt Nestroy durch, der ja ein
zwiespältiges Verhältnis zu den Frauen gehabt hat. Das färbt auf den
Weinberl ab, der ist auch jemand, der sagt: Die Frauen sind nicht so
wichtig, und dann kommt plötzlich diese Frau von Fischer und schnappt sich
ihn, und das taugt ihm dann schon.
KW:
In Ihrem aktuellen Kabarett-Programm "My
Generation" zeigen Sie Lebensläufe, die revolutionär waren und dann in
Resignation oder Gemütlichkeit münden. Ist es bei Weinberl ähnlich?
Allerdings wirkt er von Anfang an sehr konservativ …
Vitásek:
Das glaube ich auch. Der hat gar keine revolutionären Ideen. Dem ist der Jux
nur Selbstzweck, um noch einmal etwas zu erleben, damit er später, wenn er
einmal gemütlich mit den anderen Handelsherren zusammensitzt, angeben kann.
KW:
Katharina Straßer, die heuer den Karl-Skraup-Preis für ihre
hervorragende Leistung als Nachwuchsschauspielerin erhalten hat, spielt
Weinberls Kumpan, den Lehrbuben Christopher …
Vitásek:
Das war Schottenbergs Idee. Es gibt die Tradition, dass diese Rolle von
einer Frau gespielt wird, das hat die Konradi schon gemacht. Es hat auch ein
bisserl was von Karl Valentin und Liesl Karlstadt, wenn diese z. B. in
"Der Firmling" einen Buben spielt.
KW:
Außerdem entfaltet sich der Witz der doppelten Verkleidung, wenn sich
Christopher als die durchgebrannte Nichte ausgibt … Was neben der
Situationskomik besonders hervorsticht: Alles dreht sich um Geld.
Vitásek:
Genau. Das wird auch sofort eingeleitet mit dem Lied "Es
sind gewiss in unsrer Zeit / Die meisten Menschen Handelsleut'".
Das ist das Thema. Alles wird gehandelt: Es werden Beziehungen gehandelt, es
wird der zwischenmenschliche Kontakt gehandelt.
KW: Das
Heilsversprechen liegt nicht bei Gott, sondern bei den reichen Tanten …
Vitásek: Ja, so ist es.
Weinberl sagt auch: "Was’s Jahr Onkel und Tanten sterben müssen, bloß damit
alles gut ausgeht!"
KW: Ist der
"Jux" also ein
aktuelles Stück?
Vitásek: Als ich gehört habe,
dass der "Jux" aufgeführt wird, habe ich mir gedacht: Schade. Für mich war
der "Jux" sehr publikumsgefällig und "Der Talisman" das bessere Stück. Mit
besseren Liedern, einer Hauptfigur, dem rotschädlerten Außenseiter, die
klarer gezeichnet ist und eine klarere Message hat. Und jetzt im Arbeiten
komme ich drauf, was da noch für Schichten drinnen sind! Eben die
Handelsbeziehungen der Menschen untereinander, diese Leere, aus der heraus
der Jux geschieht. Auch dass der Weinberl die Frau von Fischer kriegt und
man ist sich nicht einmal sicher, ob er das wirklich will, sondern das
passiert ihm. Das sind lauter so moderne Sachen. Wenn man am "Talisman"
arbeitet, gibt es wahrscheinlich auch noch das eine oder andere zu
entdecken, aber da ist schon klar, worum es geht, und beim "Jux" kommt man
immer mehr drauf, und das finde ich spannend.
KW: Sind Couplets
vorgesehen?
Vitásek: Nicht im Stil dieser lieblichen Sachen von Nestroy, die man kennt. Eher
so ein bisschen Swing der 50er und 60er Jahre, korrespondierend mit den
Kostümen und der Zeit, in der wir das Stück ansiedeln. [singt]
KW: Ich stelle mir grad
Louis Austin vor …
Vitásek: Ja, Crooner. Da ich
mich wahrscheinlich nicht einreihen werde in die großen Gesangskünstler
unserer Zeit, werde ich das eher Paolo-Conte- oder Tom-Waits-mäßig anlegen.
KW:
Couplets so zu
verfremden, ist das nicht schon die Norm? Geradezu erwartbar?
Vitásek: Überraschen wird das keinen. Jeder wartet natürlich auf die
Zusatzstrophen, die Aktualisierungen, die wird’s geben.
KW:
Was die Aktualisierungen
betrifft: Karl Ferdinand Kratzl meinte einmal, die Couplets seien aus
dem Museum und dort auch gut aufgehoben, die Aktualisierungen gehörten
nicht da hineinkanalisiert, sondern ins Stück montiert.
Vitásek: So etwas ist nicht
geplant. Wir zerstören den Nestroy nicht, wir brechen ihn nicht auf, so wie
es etwa, was toll war, Frank Castorf gemacht hat in seinem "Freiheit in
Krähwinkel".
KW: Nestroy war Autor und
Darsteller. Merkt man das bei seinen Stücken?
Vitásek:
Ja unbedingt, wenn man
daran arbeitet, merkt man, wie er sich selber die Rolle geschrieben hat,
rampensaumäßig. Aber auch die Scholzrolle ist immer gut bedient. Und
Melchior z. B. ist eine Traumrolle. Wenn ich ein bisschen älter bin, würde
ich diesen Alten, Grantigen gern spielen. Nestroy hat auch für andere gute
Rollen geschrieben. Die Frauen hat er meist
ein bisschen falsch bedient, aber ich glaube, das ist Theatergeschichte,
außer Salome Pockerl, was eine super Rolle ist.
KW:
Und Weinberl …
Vitásek: Dass er erst nach
einer halben Stunde auftritt, ist schon einmal super. Erstens sagt sich
Nestroy: Gut, ich kann später ins Theater kommen, ziehe mich mal gemütlich
um und vorher spielt die Vorgruppe, die Vorband heizt an, und dann trete ich
auf … Und er fängt natürlich sofort mit einem Lied an. Er tritt auf und es kommt
eine Wuchtel, sicherheitshalber, er geht erst einmal auf einen Lacher. Und
die Apartes, die er sich reingeschrieben hat und die er wahrscheinlich noch
mehr gemacht hat bei den Vorstellungen, dass er zum Publikum redet und
kommentiert, das ist toll, ist Durchbrechung der vierten Wand, ist episches
Theater, ist Kabarett, ist Einbeziehung des Publikums, Rausfallen aus der
Rolle. Das finde ich einfach genial, das macht am meisten Spaß. Einerseits
in einer Figur drinnen sein und trotzdem immer die Möglichkeit haben, aus
der Figur rauszuschauen und zu sagen: Habt ihrs gesehen?
KW: Es wurde viel
geschrieben über die Sprache bei Nestroy. Wie sind die Figuren zu sprechen?
Haben Sie sich da etwas zurechtgelegt?
Vitásek: Ich spreche eine
Nuance mehr Wienerisch als im Kabarett. Bewusstes Wienerisch, eine
Kunstsprache. Sicher nicht Hochdeutsch, das wäre furchtbar, auch nicht
Theaterdeutsch. Ich spiele gleichzeitig
nach wie vor mein Programm … da habe ich neulich auf einmal so einen
Nestroy-Ton drinnen gehabt [singt mit starkem Wiener Akzent]: "Ich weiß
nicht, warum die Frauen so auf mich stehen …". Da habe ich mich gleich
entschuldigt und gesagt: "Ich probe grad Nestroy, der ist mir jetzt
hineingekommen."
KW: Interessant wird’s,
wenn Ihnen im Theater das Kabarett hineinkommt.
Vitásek:
Das wird gar nicht
auffallen, das passt eigentlich zu Nestroy und das werden die Leute auch
erwarten. Ein, zwei Zusatzstrophen machen wir bei den späteren Liedern, ich
möchte da die Möglichkeit haben, schnell zu reagieren, sei es nun eine
Asylgeschichte, Eurofighter oder was gerade an dem Tag los ist. Oder man
streicht die Lieder ganz weg. Das funktioniert bei diesem Stück, wie man bei
Kurt Palms "Jux" in Graz gesehen hat.
KW: Nestroy ist Ihnen
offenbar sehr nahe. Wie steht es mit Ferdinand Raimund? Haben Sie schon
Bekanntschaft mit ihm gemacht?
Vitásek: Nein, überhaupt nicht.
Das ist so wie Rapid/Austria oder Stones/Beatles, man steht auf das eine und
will das andere nicht. Ich mag die Stones und die Beatles finde ich fad. Ich
mag Rapid und Austria finde ich zu verspielt, und ich mag Nestroy, weil der
mehr dem Volk verbunden ist. Trotzdem glaube ich, dass man auch bei Raimund
fündig werden kann. Den muss man von seinen Fans befreien, der ist in
Geiselhaft der Tradition, dieser Zauber- und Feenwelt. Aber das kann man ja
surreal machen! Geister können was Modernes sein, die müssen ja nicht als
Fee daherkommen … Das wäre interessant, würde ich gern einmal machen, einen
Raimund!
KW: Ich überlege gerade,
wie ich Sie besetzen würde …
Vitásek: Schwierig, schwierig.
KW: Die Idee für Raimund
kam jedenfalls im Café Raimund.
Vitásek: Ja genau, der Samen
ist gesät für Raimund.
Dieses Gespräch wurde
erstpubliziert im Programmheft zu
Nestroys "Jux" in der Inszenierung von Michael Schottenberg
am Volkstheater Wien in der Saison 2007/08.
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