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Eckart
Sonnleitner malt Köpfe, nichts sonst. Und seine jüngsten Arbeiten zeigen
noch weniger und gerade darum viel mehr: er malt Gesichter. Ein Gesicht ist
ja nur ein Teil eines Kopfes, aber der wesentliche.
Die Köpfe in Sonnleitners
Bildern sind nicht geneigt, ihnen scheint keine Herbstsonne auf die Lider
und Wangen, sie sind nicht ins rechte Licht gesetzt. Als hätten sie keine
Möglichkeiten? Hoffnungslos und still zugrundegehend?
Das ist schon wieder zu
viel des Guten, zu viel des Guten gesagt. Beim Betrachten von Eckart
Sonnleitners Köpfen komm ich gerne in die Verlegenheit, etwas hineinzulegen.
Mich? Meine Sicht der Welt? Wohl eher meine mich gern überkommende Lust,
mich in seinen Bildern wiederzufinden.
"Manchmal
sagen die Leut etwas zu meinen Bildern, an das hab ich selbst gar nicht
gedacht. Manchmal sag ich auch selbst was zu meinen Bildern. Und das
Ergebnis aus diesen Bemühungen ist ja auch nur ein Ausschnitt", meint er.
Und daraus ergibt sich, dass da wohl allerhand Spielraum beim Betrachten
ist.
Eckart
Sonnleitners Bilder sind nicht gefällig. Sie machen es einem nicht leicht.
Die Gesichter sind Studien, auf Punkte und Striche reduziert, wenige
Pinselstriche, oft so wenig, dass sich die Gesichtszüge in kalligraphischen
Zeichen auflösen.
Schwarz auf weiß, die
Nase, die Augen, der Mund: eine Senkrechte und zwei Horizontale, dunkel und
hell, links/rechts und vertikal, weniger geht nicht, mehr brauchts nicht.
Die Gesichter schauen
immer geradeaus. Sie drehen sich nie zum Betrachter. Man muss sich schon auf
das Gesicht hinbewegen, sich vor dem Gesicht aufstellen, also sich in einem
gewissen Sinn um jedes dieser Gesichter bemühen – um sich dem Risiko dieser
Bilder und der Identifizierung mit ihnen auszusetzen. "Wenn das Betrachten
des anderen besonders tief, vollkommen wird, dann ist der Betrachtete, der
andere, doch wieder ich", so Sonnleitner.
Bald
kommt man drauf: Die Gesicht blickt mich an, aber es sieht mich nicht.
Ein bisschen was hat dieses Wechselspiel von Jacques Lacans Seminar XI: Der
Betrachter ist gleichzeitig Betrachteter. Zwei Pole,
die in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander stehen, der
Gegensätzlichkeit von Sehen und Blick.
Auf Seiten der Bilder gibt
es den Blick, das heißt, die Bilder blicken mich an – und ich wiederum sehe
sie. In diesem Sinne sind die Worte des Evangeliums aufzufassen –
"Sie haben Augen und sehen nicht." Und was sehen sie
nicht? – eben mich! Dass ich sie anblicke.
Das will nun nicht heißen,
dass die Bilder Sonnleitners seelenlos wären – und doch: vielleicht heißt es
genau das. Denn dass die Augen der Spiegel der Seele sind, wer will daran
zweifeln? Nur scheinen sich in den Augen von Sonnleitners Gesichtern nicht
jeweils eine, sondern deren tausende auf einmal zu spiegeln. Und für solche
Vielheiten ist der Seelenbegriff zu klein.
Es geht
nicht um Portraits, nicht um die Darstellung von Individualität. Es geht
nicht um die Frage: Wer ist dieser Mensch auf diesem Bild? Die letzte Frage,
die sich stellt: Mann oder Frau? Denn: "Im letzten Grund des Menschseins
gibt’s keine Unterschiede zwischen Frau und Mann."
Diese Erkenntnis über eine Abstraktion
ist ernüchternd und verzaubernd zugleich.
Die Wunderlichkeit, die
sich beim Betrachten der Bilder einstellt, lässt einen kaum um schwere
Begriffe umhinkommen: Sonnleitners Bilder zeigen keine Individuen. Es sind
Ikonen. Ein und dasselbe Portrait in zig Variationen. Abbilder der
existenziellen Verbindung zwischen dem Einzelnen und allen, aus der Sicht
von oben, von unten, von der Seite und vom Inmittendrinsein im Großen und
Ganzen. In diesem Face-to-Face werden aus Menschenbildern Menschheitsbilder,
und jede denkbare Einzigartigkeit wird allgemeingültig.
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