"Die
Freiheit als Neurose", lautet der Schlusssatz im ersten Teil des
Aufsatzbandes In einer spanischen Herberge von Ana Blandiana. Bekannt
wurde die 1942 geborene Autorin durch
zwei kritische Gedichte, die sie mit
erst 17 Jahren im
kommunistischen Rumänien
veröffentlicht hatte. Von da an galt sie als "verbotene Schriftstellerin"
und wurde bis zur Wende 1989 noch zwei weitere Male mit Schreibverboten
belegt. "Ich lebte Jahrzehnte mit dem Traum der Freiheit des Westens und
verstand nicht, dass Freiheit mehr bedeutet als nur Freisein!", bemerkte
Blandiana 1999 in einem Gespräch mit dem heutigen deutschen
Bundespräsidenten Joachim Gauck. Auszüge davon werden im zweiten Teil des
Bandes wiedergegeben.
Freiheit ist dennoch nur
eines der Themen in diesem Jubiläumsbuch, das Katharina Kilzer der
rumänischen Schriftstellerin zum 70. Geburtstag gewidmet hat. Die aus zwei
Teilen bestehende Publikation ist hauptsächlich eine Sammlung von
ausgewählten, nach der Wende in mehreren deutschsprachigen Zeitungen
erschienenen Essays der Autorin. Hinzugefügt wurden ein paar
Neuübersetzungen. Anders der zweite Teil: Die wenigen enthaltenen Beiträge
von Germanisten und Wissenschaftlern vervollständigen das Bild über Ana
Blandiana.
Die
rumänischen Einsprengsel, die die Essays ab und zu verzieren, erheitern die
bedrückende, vom Kommunismus geprägte Atmosphäre. Kommunismus,
Solidaritätsmangel und Vergangenheitsbewältigung sind weitere Schlagworte,
die das Buch näher beschreiben. Blandianas sorgfältige, gefühlvolle Analyse
ermöglicht ein wahrheitsgetreues Bild Rumäniens vor und nach der Wende.
Die Schriftstellerin
scheint eine Kennerin der Grundwerte der Demokratie zu sein. Ihren scharfen
Beobachtungen – bisweilen
an einer einfachen Bushaltestelle
–
entwachsen eindrucksvolle Bilder des Lebens unter dem rumänischen
Geheimdienst Securitate und der damit verbundenen Zensur. Ihre Entdeckung
1993, dass es Zensur auch in Deutschland – zwar in einer anderen Form –
gibt, war für die Autorin eine "traumatische Erfahrung". Blandiana weiß,
dass es der größte Sieg des Kommunismus war, "einen Menschen ohne Gedächtnis
zu schaffen". Schreiben war für sie, "eine der wenigen Möglichkeiten,
allein, in einem Land, in dem Solidarität nicht viel bedeutet,
durchzuhalten". Nüchtern stellt sie fest: "Freiheit besitzt keinen Wert,
solange Solidarität unmöglich ist", denn Solidarität sei immerhin der
Superlativ der Freiheit. Obwohl der Kommunismus in Europa heute Geschichte
ist, erscheinen diese Gedanken 2012 umso aktueller. Die langanhaltenden
innenpolitischen Machtkämpfe dieses heißen Sommers führten dazu, dass
Rumänien sich als neues Sorgenkind der EU entpuppt hat.
Ana
Blandiana ist aber mehr als nur Schriftstellerin, sie ist auch
Bürgerrechtlerin. Dies gilt es insbesondere für ein Land wie Rumänien zu
bedenken, wo bis heute keine ernstzunehmende Aufarbeitung des
Kommunismus stattgefunden hat. Als die Schriftstellerin nach 1989 ihren
ehemaligen Verfolgern und Bewachern auf der Straße begegnete, denselben, die
jetzt im Parlament sitzen, beschloss Blandiana, die erste Gedenkstätte für
die Opfer des Kommunismus und des Widerstands zu errichten: "Der Osten muss
sich an die Geschichte des Kommunismus erinnern. Das Erbe eines gelebten
Leidens ist sein Beitrag zu Europa", ist die Überzeugung der Autorin. So
bietet das gut übersetzte Buch eine einzigartige Reise in die Vergangenheit.
Irgendwann stellt sich
auch die Frage, wie man überhaupt auf einen solchen Titel kommt? Einer der
Essays, verfasst zwischen zwei Reisen auf dem Schreibtisch der Herausgeberin
(Untertitel: "Über Bücher und Geheimdienste") bildet die Überschrift des
Bandes. Bekannt im romanischen wie im niederländischen Sprachraum, zeigt der
Titel jedenfalls einen Ort an, "an dem sich Menschen verschiedener Herkunft
treffen, jedoch jeder das verzehrt, was er sich selber mitbringt."
Weiter heißt es zur Erklärung:
"Ein gleiches Leid, von zwei
verschiedenen Menschen erlitten, wird verschieden empfunden und verschieden
geschildert!".
Durch
die Publikation solle die Vielseitigkeit der Autorin dokumentiert werden,
meint die Herausgeberin in ihrem Vorwort. Tatsächlich manifestiert sich vor
dem Auge des Betrachters das Bildnis einer bemerkenswert charakterfesten und
aufrichtigen Person. Vor allem anderen ist Blandiana aber eine Dichterin. An
den Facettenreichtum, welcher den Gedichten der Autorin entströmt, erinnert
Maria Herlo in ihrem Essay im zweiten Teil des Bandes. Und das tut gut. Was
mit der Geburt der Schriftstellerin beginnt, endet im Dorf, das nun den
Namen der Autorin trägt. Die Rückkehr in den Blandiana-Ort im Maroschtal,
auf dessen Spuren sich die Herausgeberin begeben hat, rundet den Band sehr
schön ab. Eine liebenswerte Geste.