
Irina Wolf
wolfirina [at] yahoo.com
wurde in Bukarest
geboren.
Nach Abschluss ihres Infor-
matikstudiums kam sie 1988
durch ein Herder-Stipendium
nach Wien. Nach mehreren
Jobs im Telekommunikations-
und Forschungsbereich
wechselte
sie 1993 in den
Handelsbereich. Seitdem
arbeitet sie bei der
Friedrich
Wilhelm GmbH & Co.KG
und hält weiterhin
engen
Kontakt mit Rumänien.

(c) A. Picilisan, TNT
"Wie Barbie die
Weltkrise überwindet"
(Stück von Mihaela Michailov,
Regie: Alexandra Badea).
Während das zentrale
Thema von Mihaela
Michailovs "Rumänien
Komplex" die kommunis-
tische Vergangenheit des
Landes ist, wird in "Wie
Barbie die Weltkrise
überwindet" die Konsum-
gesellschaft aufs Korn
genommen, in "Macht
Platz!" Korruption
und Restitution.

(c)
Maria
Draghici,
Art Act Magazin
"20/20"
(Stück und Regie
von
Gianina Cărbunariu)
Obwohl bei diesen
Festspielen die interes-
santen Workshops gefehlt
haben, waren die Buch-
präsentationen, die Les-
ungen und vor allem die
den Aufführungen nach-
folgenden Publikumsge-
spräche sehr gut besucht,
was zu spannenden Debat-
ten zwischen Künstlern
und Publikum führte.

(c) Adrian Cristea
"Macht Platz!"
(Stück von Mihaela Michailov, Regie: David Schwartz).
|
Wie
unzufrieden ist die Gegenwartsdramatik mit der heutigen Gesellschaft? Wie
stark trägt sie zu ihrer Veränderung bei? Oder will das moderne Theater gar
nicht moralisch sein, ist alles nur ein Spiel, ein pures Vergnügen? Fragen
wie diese standen im Fokus der Festspiele der rumänischen Dramatik. Diese
fanden heuer vom 10. bis 17. April in Temeswar statt, der multikulturellen
Stadt im Westen Rumäniens. Vom Herbst erstmals auf den Frühling vorverlegt,
lief die fünfzehnte Auflage des Festivals unter dem Motto "Plasticid",
beschäftigte sich also mit der "Plastikgesellschaft", der künstlichen Welt,
in der wir heute leben, sowie mit deren Verwandlung.
Mihaela
Michailov, die junge Intendantin der Festspiele, die das Theaterfestival zum
ersten Mal kuratierte, gab durch die Auswahl brandneuer rumänischer Texte
eine neue Richtung vor. Michailov, gleichzeitig Theaterkritikerin und
Dramatikerin, legte ihr Hauptaugenmerk auf Texte, die nahe an der
rumänischen Realität liegen. Ihre eigenen Stücke sind stark politisch und
von hohem sozialen Anspruch. Während das zentrale Thema von "Der Rumänien
Komplex" die kommunistische Vergangenheit des Landes ist, wird in "Wie
Barbie die Weltkrise überwindet" die Konsumgesellschaft aufs Korn genommen,
in "Macht Platz!" Korruption und Restitution. Auch in ihren neuesten
Projekten ist die gleiche Tendenz erkennbar: "Google, mein Land" spricht
über Vorurteile und Diskriminierung, auch ein Doku-Theater über die
dramatischen Ereignisse von Juni 1990, die "Mineriada", ist im Entstehen.
Damals wurden Bergarbeiter des Schiltals nach Bukarest geschickt, um Ordnung
und Demokratie wiederherzustellen.
Für
die Hauptsektion "Fokus" wählte die Intendantin Stücke, die alltägliche
Probleme behandeln. Eine äußerst angenehme Überraschung war der Dramatiker
Mimi Brănescu, der gleich durch zwei Aufführungen des unabhängigen
Bukarester Theaters ACT für ausverkaufte Vorstellungen sorgte. Mit seinen
humorvollen und mit bissigen Dialogen gewürzten Texten, die durchwegs
banalen Themen wie dem Dorfleben oder Beziehungsproblemen gewidmet sind,
eroberte der Autor die Sympathien des Publikums.
Keine
Überraschungen beinhaltete "Rumänien! Ich küss dich", ein atypisches Stück
des vielversprechenden jungen Autors Bogdan Georgescu. Nach seinem
erfolgreichen Debüt bei den Nationaltheaterfestspielen 2009 in Bukarest
wurde die äußerst gelungene Inszenierung von David Schwartz am
Nationaltheater Iaşi zur heurigen Theaterbiennale Neue Stücke aus Europa
des Staatstheaters Wiesbaden sowie zu den Theaterfestspielen Bitei nach
Kischinew, der Hauptstadt der Republik Moldau, eingeladen. Der moldawische
Dramatiker Constantin Cheianu bot in Temeswar ein thematisch kräftiges
Stück. "In Container" spricht er über die Auswanderung und dessen
katastrophale Folgen. Auch diese Inszenierung des jungen Regisseurs Cristian
Ban am Odeon Theater Bukarest war ähnlich erfolgsverwöhnt, sodass sie
ebenfalls zu den Theaterfestspielen Bitei nach Kischinew eingeladen worden
war.
Bekannte
Namen wie die des Dramatikers Peca Ştefan und der Autorin und Regisseurin
Theodora Herghelegiu, die das erste Musical der rumänischen Theaterszene in
einer Produktion der unabhängigen Bukarester Bühne "Club La Scena" zeigte,
verliehen der Hauptsektion noch mehr Kraft und bestätigten die gelungene
Auswahl der Intendantin.
Besonders
herausragend zeigte sich neuerlich Gianina Cărbunariu mit der Inszenierung
ihres eigenen Texts "20/20" im unabhängigen ungarischsprachigen Studio
Yorick aus Târgu
Mureş. Ihr Doku-Theater spricht vom
interethnischen Konflikt am 20. März 1990. Damals war es in Târgu Mureş
anlässlich des ungarischen Nationalfeiertags nach gegenseitigen
Provokationen zu heftigen Straßenkämpfen zwischen Ungarn und Rumänen
gekommen, bei denen fünf Menschen ums Leben kamen und Hunderte von
Verletzten gezählt wurden.
Cărbunariu
verwendet eine zur Hälfte aus Rumänen und Ungarn bestehende
Schauspieltruppe, um die Ausschreitungen, die Siebenbürgen und die Welt
erschütterten, vorzuführen. Durch die Befragung von mehr als sechzig
Menschen verschiedenen Alters und Profession, sowohl von Rumänen als auch
von Ungarn, ist ein soziales Experiment entstanden.
"Stop
the Tempo", eines der ersten Stücke von Cărbunariu
– sie ist auch die derzeit
meistgespielte rumänische Gegenwartsdramatikerin
–, wurde im renovierten Saal 2 des
Temeswarer Nationaltheaters, ebenfalls von der Yorick-Gruppe gezeigt.
Außerhalb des Festivals brachte das ungarische Staatstheater Temeswar "Csiky
Gergely" eine Premiere des Cărbunariu Textes "mady-baby". Ursprünglich im
Rahmen einer Studienprüfung an der Theaterschule Târgu Mureş
vorgeführt, besticht die Darbietung durch ihre besondere Originalität. Die
one-woman-show, aufgeführt in einem Minibus von nur achtzehn Plätzen,
basiert hauptsächlich auf Improvisation und Interaktivität, auch mit den
vorbeikommenden Fußgängern.
Als Kennerin der
Tanzszene schuf Michailov eine neue Sektion "Kreuzungen", in der die einzige
aus dem Ausland eingeladene Vorstellung "InTimE", eine Produktion der
Kompanie Pál Frenák aus Budapest/Paris, den Abschluss des Festivals bildete.
Als konsequentem Unterstützer der nationalen Gegenwartsdramatik und
Organisator des landesweiten Dramatikwettbewerbs wurde dem Gastgeber, dem
Nationaltheater Temeswar, eine eigene Sektion gewidmet. Symbolisch als
"Unterstützer" tituliert, enthielt diese ausschließlich zeitgenössische
Inszenierungen aus dem Repertoire des Temeswarer Nationaltheaters. Eugène
Ionescos "Die kahle Sängerin" ergänzte als einziges klassisches Stück in
einer ausgezeichneten Inszenierung des Deutschen Staatstheaters Temeswar das
vielfältige Programm des Festivals.
Obwohl
bei diesen Festspielen die interessanten Workshops gefehlt haben, waren die
Buchpräsentationen, die Lesungen und vor allem die den Aufführungen
nachfolgenden Publikumsgespräche sehr gut besucht, was zu spannenden
Debatten zwischen Künstlern und Publikum führte. So zeigte sich das Theater
vor allem als eine Form des interkulturellen Dialogs. Die Intendantin gab
mit ihrer Auswahl einen Panoramablick über die derzeitige Lage der
rumänischen Dramatik und bekräftigte damit, dass sich die rumänische
Theaterszene in Bewegung befindet. |
|