Mit
Brahms, Symphonie Nr. 2, endete am 26. September die 19. Ausgabe der Enescu
Musikfestspiele im Bukarester Palastsaal. Das im Jahre 1958 ins Leben
gerufene Festival, das alle zwei Jahre in der Hauptstadt Rumäniens
stattfindet, ist seitdem ein Treffen weltberühmter Orchester und Musiker
geworden.
George Enescu,
Komponist, Geiger, Pianist, Dirigent und Lehrer, ist der wichtigste
rumänische zeitgenössische Musiker, vor allem bekannt durch seine von der
rumänischen Volksmusik inspirierten Stücke, das 1897 entstandene "Rumänische
Poème" und die beiden "Rumänischen Rhapsodien" (1901 und 1902). Die
bezaubernde Stimmung, die von diesen Werken ausgeht, entspringt seinen
heimatlichen moldawischen Wurzeln. Schon als Kind war Enescu vom
Zigeunerdorforchester, das im Hof seines Elternhauses die Hora (ein
rumänischer Volksrundtanz) an den Festtagen spielte und von der in der
Abenddämmerung gesungenen Doina (ein lyrisches rumänisches bäuerliches Lied)
zutiefst beeindruckt. Sein Leben lang erweiterte der Musiker die
stilistischen Motive seiner Werke, die
–
obwohl nicht sehr zahlreich –
außerhalb seines Heimatlandes leider relativ unbekannt blieben.
"Jungen Rumänen eine Chance!"
Enescus
Hauptwerk ist die Oper "Oedipe", mit der 2009 die Bukarester Festspiele
eröffnet wurden, eine Koproduktion des Théâtre du Capitole de Toulouse und
der Bukarester Nationaloper. Vier Wochen lang standen auf dem
Festivalprogramm Oper und Ballett, berühmte Weltorchester, klassische Themen
in moderner Überarbeitung und ein sechstägiger Wettbewerb in zwei
verschiedenen Sparten, Violine und Klavier. Das Royal Concertgebow Orchestra
Amsterdam und das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks unter der
Leitung von Mariss Jansons, das Royal Philharmonic Orchestra London
(Dirigent Horia Andreescu und Solist Joshua Bell) oder das Orchestra del
Maggio Musicale Fiorentino unter der Leitung von Roberto Abbado sind nur
einige der bedeutendsten internationalen Orchester und Musiker, die in
Bukarest konzertierten.
Der Palastsaal,
wo die meisten Veranstaltungen stattfanden, wurde zu diesem Zweck auf 3000
Plätze (statt den ursprünglichen 4000) verkleinert und erhielt so eine
bessere Akustik. In der eindrucksvollen Rotunde des Rumänischen Atheneums
waren hauptsächlich Kammermusik- und Mitternachtskonzerte (wie zum Beispiel
Academy of Saint Martin in the Fields, Dirigent und Solist Murray Perahia)
zu hören. Fast eine Woche war im selben prächtigen Ambiente dem rumänischen
zeitgenössischen Musikschaffen gewidmet. Die Entscheidung ist dem
künstlerischen Direktor des Festivals, Ioan Holender (noch amtierender
Direktor der Wiener Staatsoper) zu verdanken, der dadurch Enescus Bestreben,
jüngere Kollegen zu fördern, weiterführt.
Zu
den Höhepunkten des Programms zählte die erste rumänische community dance
Aufführung, ein soziokulturelles Projekt für benachteiligte rumänische
Kinder. Hundert Jugendliche aus Bukarest, Kronstadt und Hermannstadt, im
Alter von 11 bis 22 Jahren befanden sich zum ersten Mal auf einer Bühne, und
nicht auf irgendeiner, sondern auf der ersten Bühne des Landes im
Nationaltheater Bukarest, wo sie Igor Stravinskis "Feuervogel" unter der
Leitung der Choreographen Royston Maldoom und Josef Eder verwirklichten
(eine zweite Vorführung fand in Hermannstadt statt). Die Jungendlichen, die
aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten stammten
–
von Körperbehinderten über Waisenkindern bis hin zu wohlhabenden Familien
–
und ursprünglich keinerlei Tanzerfahrung mitbrachten, beeindruckten nach nur
sechs Wochen intensivster Arbeit durch eine wunderschöne und professionelle
Aufführung. Monique Gruber, Ehefrau des ehemaligen deutschen Botschafters in
Bukarest und Gründerin des Vereins "Jungen Rumänen eine Chance!", ist die
Initiatorin dieses Projekts.
Auch die dem
deutschsprachigen bukowinischen Dichters Paul Celan gewidmete gleichnamige
Oper von Peter Ruzicka nach einem Libretto von Peter Mussbach, die in der
Bukarester Nationaloper erstaufgeführt wurde, gehörte zweifellos zu den
größten Attraktionen der Festspiele. Ein internationales Symposium unter dem
Motto "Der Dichter Paul Celan und der Europäische Kulturraum" ergänzte das
wissenschaftliche Angebot des Festivals.
Hommage an Enescu
Darüber
hinaus haben zahlreiche ausländische und rumänische Musikologen vier Tage
lang am internationalen Symposium mit dem Thema "George Enescu und seine
Zeitgenossen, ästhetische und stilistische Überlegungen" in der Aula des
Nationalmuseums George Enescu teilgenommen. In einem Exklusivinterview mit
der Deutschen Welle, einem der traditionellen, internationalen Medienpartner
des Festivals, betonte Laura Manolache, Generaldirektorin des Museums, dass
der Zustrom an Gästen aus der ganzen Welt bereits spürbar gewachsen sei. Ein
besonderes Augenmerk wurde auf die innovative Themenwahl der
wissenschaftlichen Vorträge gelegt. Unter den Buch- und
Albenveröffentlichungen ragte insbesondere dasjenige zum Gedenken des
zehnten Todestages Yehudi Menuhins, Enescus engstem und erfolgreichstem
Schüler hervor.
"Was Enescu
mich lehrte – durch Beispiel, nicht durch Worte –, war die in lebendige
Botschaft verwandelte Note, die gestochen scharfe, bedeutungsbeladene
Phrase, die zum Leben erweckte Musikstruktur. Er hatte ein Vibratio,
dessen Ausdruck unbegrenzt variabel war, und die herrlichsten Triller,
die ich von einem Geiger je gehört habe." (Yehudi Menuhin über Enescus
Unterricht)
Das heutige
Nationalmuseum George Enescu befindet sich im ehemaligen Palast der
fürstlichen Familie Cantacuzino. Das prachtvolle Jugendstilgebäude an der
Hauptstraße Calea Victoriei beherbergt eine Dauerausstellung, ausführliche
Dokumente und Fotos über das Leben und Schaffen Enescus sowie dessen
Totenmaske und Händeabdrücke und ist zusammen mit dem Haus im Hinterhof, in
dem Enescu und seine Frau, Maruca Cantacuzino, wohnten, ein Geheimtipp für
jeden Besucher Bukarests.
Obwohl
er zahllose weltweite Tourneen unternahm, kehrte Enescu immer wieder in sein
Heimatland zurück und trug zur landesweiten Entfaltung des Musiklebens bei.
Es wird kein Zufall sein, dass das Festival mit der Brahmschen Symphonie Nr.
2 endete. Neben Wagner prägte der Einfluss von Brahms – Mentor, Vorbild und
Freund Enescus aus dessen Wiener Studienjahren
–
das Schaffen des charismatischen rumänischen Musikers bis an sein
Lebensende. Ebenjene Brahmsche Symphonie, auch als "Pastorale" bekannt,
erinnert an die moldawischen Wurzeln von George Enescu und würdigt seine
unendliche Liebe zur Natur und zur Heimat.
"Ich habe
meinem Land nur mit meinen Waffen gedient: der Feder, der Geige und dem
Dirigentenstab." (George Enescu über sich selbst)