Zum
dritten Mal fand vom 9. bis 17. November 2013 Eurothalia, das vom
Deutschen Staatstheater Temeswar (DSTT) veranstaltete Europäische
Theaterfestival, statt. 2008 ins Leben gerufen, definierte sich die
Festwoche von Anfang an als "Raum der Begegnungen unter dem Zeichen
hochkarätiger Vorstellungen, in dem sprachliche und kulturelle Barrieren
überwunden werden". Gleich ein doppeltes Jubiläum wurde zum Auftakt von
Eurothalia gefeiert: 255 Jahre deutschsprachige Theatertradition in
Temeswar und 60-jähriges Bestehen des Hauses. Als Kultur- und
Identitätsträger für die Rumäniendeutschen musste das Theater von den 70er
bis 90er Jahren schwere Zeiten überstehen. Aufgrund der massiven
Auswanderung verringerte sich die Zahl der Banater Deutschen drastisch.
Waren es in den 70er Jahren noch 350.000, so sind es jetzt 40.000. Nach dem
politischen Umsturz vom Dezember 1989 kam das Ensemble des DSTT an einen
absoluten Tiefpunkt. Es mangelte an männlichen Schauspielern, insbesondere
aber an Nachwuchs. Grund dafür war auch die 1979 erfolgte Schließung der
deutschen Schauspielabteilung der Bukarester Theaterhochschule. Erst 1992
wurde der Fachbereich Schauspiel in deutscher Sprache an der
West-Universität Temeswar neu gegründet. Die Notwendigkeit des Austauschs
und der Kommunikation mit den Theaterschaffenden im europäischen Raum stand
umso mehr im Mittelpunkt.
Krawatte und Overhead-Projektor – zwei
verlässliche Kommunikationspartner
Auch
in der dritten Auflage von Eurothalia verstand es Lucian Vărşăndan,
Intendant des Festivals und seit 2007 Direktor des DSTT, "Impulse aus
verschiedensten Theaterkulturen kreativ zu verbinden". Denn das Hauptziel
der Festwoche ist es, "dem Publikum der Region Tendenzen des rumänischen und
europäischen Bühnenschaffens zu präsentieren". Besonders am Herzen lag dem
Intendanten die Einbindung der Theater aller in Rumänien lebenden
Bevölkerungsgruppen. So zeigte das Jüdische Staatstheater Bukarest die
Dentaltragödie von Jean-Claude Grumberg in der Regie von Felix Alexa.
Zudem erfreute erneut Gardenia von Elżbieta Chowaniec, die von
Theaterkritikern hochgelobte Inszenierung des Ungarischen Staatstheaters
"Csiky Gergely" Temeswar, das Publikum.
Neben der vorbildlichen Pflege der Beziehungen
zur rumänischen Theaterszene sieht es Vărşăndan als eine wesentliche
Aufgabe, Eurothalia durch internationale Gastspiele "zu einer
Begegnungsplattform zu entwickeln". Mit insgesamt elf verschiedenen
Produktionen und international anerkannten Regisseuren, unter anderem Oliver
Frljić, Bram Jansen und Krzysztof Garbaczewski, bot das Festival einen
erhellenden Einblick in die aktuellen Strömungen des zeitgenössischen
Sprech- und Tanztheaters. Dabei setzten sich die Inszenierungen aus den
Niederlanden, Kroatien, Polen, Deutschland, der Schweiz und Rumänien
überwiegend mit dem Thema der Kommunikationslosigkeit auseinander. So auch
die aus der Schweiz stammende Performance Das Gesetz der Interaktion oder
die Geschichte der Giraffe, die (zu viel) Angst macht. Nach Mustern der
Physik beleuchten die Tänzerin Katy Hernan und der Schauspieler Adrien Rupp
in scharfsinniger und humorvoller Weise die Regeln der gegenseitigen
Verständigung. Mit einem Overhead-Projektor als "Spielpartner" erforschen
die beiden unsere Verhaltensweisen und betonen dabei die Sprech- und
Begegnungsangst.
Auch
das Tanzstück von Modjgan Hashemian I love I, eine Produktion des
Ballhauses Naunynstraße Berlin, stand im Zeichen der Furcht vor der
Andersartigkeit und Kommunikationsunfähigkeit. Auf den Spuren der eigenen
Geschichte ergründete die Choreografin die politischen Zusammenhänge hinter
dem drohenden Krieg zwischen Israel und Iran. Mit dem beeindruckenden
Bühnenbild eines schwebenden Kohlekreises wird das Publikum mit der Frage
konfrontiert, wer sich innerhalb oder außerhalb der Grenzen und Klischees
befindet.
Eine besondere Attraktion im Programmreigen
bildete Zic Zac. Die Star-Inszenierung der Absolventengala 2013 des
Masterstudienganges Choreografie der Nationalen Theater- und Filmakademie
Bukarest (UNATC) besticht nicht nur durch ihre rhythmischen Ausdrucksformen
und energiegeladenen Bewegungen, sondern auch durch ihre humorvolle
Dramaturgie. Ob Einsamkeit, Freundschaft, Liebe oder Streit
– alle Themen werden in einem
intelligenten Spiel aus packenden Tanzszenen und geistreichem Sprechtheater
vereint. Dem Einfallsreichtum hinsichtlich der Kostüme sind ebenfalls keine
Grenzen gesetzt. Dass sich eine Krawatte als Bindeglied eines Paares
entpuppt, ist Teil des Konzeptes von Andrea Gavriliu. Sie zeichnet auch für
die faszinierende Inszenierung verantwortlich.
Den
Abschluss des Festivals bildete Tschechows Die Möwe in der Regie von
Yuri Kordonsky, eindeutig ein weiterer Höhepunkt des Festivals. Alle
Aufführungen waren mit Übertiteln in zwei Fremdsprachen versehen
– kein Wunder, denn "das
Publikum ist uns sehr wichtig", betont Vărşăndan. Um die Mehrheit der
rumänischen Bevölkerung zu erreichen, werden
pro Theatersaison bis zu
dreißig Prozent der Aufführungen des DSTT mit Simultanübersetzung per
Kopfhörer gespielt. Abgerundet wurde das Festival durch die Ausstellung
New Western Art in den Timco-Hallen, eine medienübergreifende
Gruppenausstellung mit Werken zeitgenössischer Künstler aus Deutschland und
den USA.
Mit der interkulturellen Festwoche Eurothalia zeigte sich
Temeswar Ende 2013 von seiner internationalen Seite und behauptete sich so
aufs Neue als Zentrum eines multikulturellen Gebiets. Somit bekräftigt die
Stadt ihren Kandidatenstatus als Europäische Kulturhauptstadt 2021.