Verbrannte
Geldscheine, Tischkerzen statt Dildos. Mit solchen ausgefallenen
Regieeinfällen macht Theaterschauen Spaß. Rafael Spregelburd, Autor,
Regisseur und Schauspieler zugleich, gehört zu den wichtigsten Vertretern
der zeitgenössischen argentinischen Theaterszene. Während im Wiener Kosmos
Theater Ende Januar die österreichische Erstaufführung seines Familiendramas
Luzid zu sehen war, feierte im Teatro San Giorgio Udine sein neuestes
Stück Vogelwut (Furia Avicola) Premiere. Der aus zwei
eigenständigen Teilen bestehende Text – wie auch dem Untertitel "Due atti
unici" zu entnehmen ist – behandelt zum einen "das Ende der Kunst" (La fine
dell'arte), zum anderen befasst er sich mit der "Bürokratie" (Burocratia).
"Das Ende der
Kunst" entstand 2012, während Spregelburd die 21. Auflage der École des
Maîtres leitete. An diesem für die Master-Ausbildung junger Schauspieler
1990 ins Leben gerufenen europäischen Netzwerk haben schon zahlreiche
renommierte Künstler Kurse gehalten, unter anderen Jerzy Grotowski, Lev
Dodin, Peter Stein, Dario Fo, Matthias Langhoff, Jan Fabre und Eimuntas
Nekrosius. Ausgangspunkt für "Das Ende der Kunst" war der von den Medien
aufgebauschte Fall der 82-jährigen spanischen Hobbymalerin Cecilia Giménez,
die sich 2011 an einem "Ecce Homo"-Kunstwerk aus dem 19. Jahrhundert als
Restauratorin versucht hatte. Dabei entstand aus dem Fresko der Dorfkapelle
in Borja, in der Nähe von Saragossa, ein affenähnliches Jesus-Bild. Ein
Skandal war unvermeidlich. Überraschenderweise hatte der starke
Medieneinfluss zur Folge, dass Massen von Touristen den "Tatort" stürmten.
"Warum
wird jede Kunst zum Handel? Warum wird jede Religion zum Aberglauben?",
fragen sich Rafael Spregelburd und Manuela Cherubini in ihrer gemeinsamen
Inszenierung von Vogelwut. Dafür stellen sie eine aberwitzige,
nicht-lineare Handlung auf der Bühne zusammen. In einem minimalistischen
Bühnenbild, mit nur ein paar Sesseln, einigen Mikrofonen, zwei Tischen und
einer Videoleinwand werden Personen, gefangen in täglichen Situationen,
zeitgemäß, aber nicht unbedingt real, dargestellt. Ein eigenartiges, dennoch
humorvolles Mittagessensgespräch zwischen zwei Kunstprofessoren in einem
Restaurant thematisiert das Phänomen des Medieneinflusses auf die heutige
Gesellschaft. Skurril wird es spätestens dann, wenn eine Studentin sich mit
den beiden wegen ihrer Diplomarbeit auseinandersetzt. Als der Vater seiner
Tochter dazu die Leviten auf Portugiesisch liest, gerät die Situation ins
Groteske. Und da ist auch noch Platz für die Tischkerzen. So wird eine davon
als Dildo eingesetzt, denn "das Publikum soll sich amüsieren", meint
Spregelburd.
Während der
erste Teil des Stückes sprachgewaltig wirkt, ist der zweite Akt visuell ein
sprühendes Beispiel absurden Theaters. "Bürokratie", ein Teil von
Spregelburds Trilogie Todo (Alles), die monatelang äußerst
erfolgreich in Buenos Aires lief, wird europäischen Gegebenheiten angepasst.
In einer sich steigernden Kettenreaktion werden immer mehr Geldscheine
verbrannt. Die Handlung gerät außer Kontrolle. Die Apokalypse naht.
"Geldwert als Darstellung des Sachwertes", so erklärt Spregelburd die
Umsetzung des Endes der EU-Währung auf der Bühne. Vogelwut ist eine
"Reflexion über die heutigen Zeiten der Krise", bekräftigt der argentinische
Dramatiker, "Krise, die in einer Sinnentleerung mündet. Die Würde und die
Integrität des Menschen werden hinterfragt. Der Titel selbst erinnert an die
Vogelgrippe-Hysterie, die 2005 fast die ganze Welt in Angst und Schrecken
versetzt hat." Alle fünf Schauspieler unterschiedlicher Herkunft tragen zur
erfolgreichen Umsetzung seines Vorhabens wesentlich bei.
Wie
jedes Stück des 44-jährigen argentinischen Künstlers, stellt auch
Vogelwut den Zuschauer vor viele Fragen und fordert ihn heraus, selbst
Lösungswege zu finden. Nicht umsonst wurde die Aufführung während der
laufenden Saison des Teatro Contatto aus Udine, die unter dem Motto
"Differenze" (Unterschiede) läuft, gezeigt.