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Chaos als Unterhaltung

Im italienischen Udine fand im Teatro San Giorgio die Uraufführung des
neuesten Stücks von Rafael Spregelburd statt. Mit seinem Stück "Vogelwut" lädt
der argentinische Regisseur zu einer ausgelassenen Reflexion über aktuelle
Krisen und mediale Übertreibungen.

Von Irina Wolf
(01. 04. 2014)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.

 



(c) Giovanni Chiarot


(c) Giovanni Chiarot


(c) Laura Nardi

"Furia Avicola"
(dt. Vogelwut)

Regie: Rafael Spregelburd
und Manuela Cherubini.


 

Linktipp

www.cssudine.it

   Verbrannte Geldscheine, Tischkerzen statt Dildos. Mit solchen ausgefallenen Regieeinfällen macht Theaterschauen Spaß. Rafael Spregelburd, Autor, Regisseur und Schauspieler zugleich, gehört zu den wichtigsten Vertretern der zeitgenössischen argentinischen Theaterszene. Während im Wiener Kosmos Theater Ende Januar die österreichische Erstaufführung seines Familiendramas Luzid zu sehen war, feierte im Teatro San Giorgio Udine sein neuestes Stück Vogelwut (Furia Avicola) Premiere. Der aus zwei eigenständigen Teilen bestehende Text – wie auch dem Untertitel "Due atti unici" zu entnehmen ist – behandelt zum einen "das Ende der Kunst" (La fine dell'arte), zum anderen befasst er sich mit der "Bürokratie" (Burocratia).

"Das Ende der Kunst" entstand 2012, während Spregelburd die 21. Auflage der École des Maîtres leitete. An diesem für die Master-Ausbildung junger Schauspieler 1990 ins Leben gerufenen europäischen Netzwerk haben schon zahlreiche renommierte Künstler Kurse gehalten, unter anderen Jerzy Grotowski, Lev Dodin, Peter Stein, Dario Fo, Matthias Langhoff, Jan Fabre und Eimuntas Nekrosius. Ausgangspunkt für "Das Ende der Kunst" war der von den Medien aufgebauschte Fall der 82-jährigen spanischen Hobbymalerin Cecilia Giménez, die sich 2011 an einem "Ecce Homo"-Kunstwerk aus dem 19. Jahrhundert als Restauratorin versucht hatte. Dabei entstand aus dem Fresko der Dorfkapelle in Borja, in der Nähe von Saragossa, ein affenähnliches Jesus-Bild. Ein Skandal war unvermeidlich. Überraschenderweise hatte der starke Medieneinfluss zur Folge, dass Massen von Touristen den "Tatort" stürmten.

   "Warum wird jede Kunst zum Handel? Warum wird jede Religion zum Aberglauben?", fragen sich Rafael Spregelburd und Manuela Cherubini in ihrer gemeinsamen Inszenierung von Vogelwut. Dafür stellen sie eine aberwitzige, nicht-lineare Handlung auf der Bühne zusammen. In einem minimalistischen Bühnenbild, mit nur ein paar Sesseln, einigen Mikrofonen, zwei Tischen und einer Videoleinwand werden Personen, gefangen in täglichen Situationen, zeitgemäß, aber nicht unbedingt real, dargestellt. Ein eigenartiges, dennoch humorvolles Mittagessensgespräch zwischen zwei Kunstprofessoren in einem Restaurant thematisiert das Phänomen des Medieneinflusses auf die heutige Gesellschaft. Skurril wird es spätestens dann, wenn eine Studentin sich mit den beiden wegen ihrer Diplomarbeit auseinandersetzt. Als der Vater seiner Tochter dazu die Leviten auf Portugiesisch liest, gerät die Situation ins Groteske. Und da ist auch noch Platz für die Tischkerzen. So wird eine davon als Dildo eingesetzt, denn "das Publikum soll sich amüsieren", meint Spregelburd.

Während der erste Teil des Stückes sprachgewaltig wirkt, ist der zweite Akt visuell ein sprühendes Beispiel absurden Theaters. "Bürokratie", ein Teil von Spregelburds Trilogie Todo (Alles), die monatelang äußerst erfolgreich in Buenos Aires lief, wird europäischen Gegebenheiten angepasst. In einer sich steigernden Kettenreaktion werden immer mehr Geldscheine verbrannt. Die Handlung gerät außer Kontrolle. Die Apokalypse naht. "Geldwert als Darstellung des Sachwertes", so erklärt Spregelburd die Umsetzung des Endes der EU-Währung auf der Bühne. Vogelwut ist eine "Reflexion über die heutigen Zeiten der Krise", bekräftigt der argentinische Dramatiker, "Krise, die in einer Sinnentleerung mündet. Die Würde und die Integrität des Menschen werden hinterfragt. Der Titel selbst erinnert an die Vogelgrippe-Hysterie, die 2005 fast die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzt hat." Alle fünf Schauspieler unterschiedlicher Herkunft tragen zur erfolgreichen Umsetzung seines Vorhabens wesentlich bei.

   Wie jedes Stück des 44-jährigen argentinischen Künstlers, stellt auch Vogelwut den Zuschauer vor viele Fragen und fordert ihn heraus, selbst Lösungswege zu finden. Nicht umsonst wurde die Aufführung während der laufenden Saison des Teatro Contatto aus Udine, die unter dem Motto "Differenze" (Unterschiede) läuft, gezeigt.

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