Kann
man bei der eigenen Beerdigung anwesend sein? Wissenschaftlich ist das
unmöglich. Dass jedoch die Möglichkeit von Zeitreisen theoretisch nicht
ausgeschlossen werden kann, das hat der österreichische Mathematiker Kurt
Gödel, bekannt vor allem durch seinen Unvollständigkeitssatz, bewiesen. Und
Daniel Kehlmann macht das Unmögliche möglich. Geister in Princeton
heißt sein erstes Theaterstück, dessen Uraufführung am Schauspielhaus Graz
am 24. September 2011 stattfand.
Bereits in seinem überaus
erfolgreichen Roman Die Vermessung der Welt begeisterte Kehlmann mit
seinem nichtlinearen Handlungsverlauf. Mit Geister in Princeton wird
diese Erzählmethode weitergeführt, was der Geschichte noch mehr Spannung
verleiht. Kehlmanns Worte und Sätze folgen dem Lebensweg Gödels, einem der
bedeutendsten Logiker des 20. Jahrhunderts. "Seine Welt ist eine hochgradig
verwirrte und gleichzeitig klarsichtige. Dieser Mathematiker und Logiker hat
ganz früh Dinge aufgegriffen, die man eigentlich nur bei
Science-Fiction-Autoren findet. Gödels Theorien, dass Zeitreisen möglich
sind, gehören zum Zirkel der Verwirrung, dem grafischen Motto unserer
Theatersaison 2011/12", sagt Renate Guhl, Chefdramaturgin des
Schauspielhauses Graz. "Gleichzeitig schildert Kehlmann auch die
wissenschaftliche Elite des Wiener Kreises, den aufkommenden
Nationalsozialismus, die Unsicherheit über die eigene Existenz, die
Unsicherheit von Judentum und die Odyssee österreichischer Flüchtlinge ins
Exil. Gödel wird immer als Jude bezeichnet und muss deswegen emigrieren, ist
aber gar keiner. Er hat nur etwas an sich, was ihn jüdisch macht". Genau aus
diesem Grund verleiht ihm auch der österreichische Konsul in Princeton
posthum nur den österreichischen Orden Zweiter Klasse.
Kehlmann
ist ein raffinierter, philosophischer Text gelungen, der immer wieder mit
humorvollen und ironischen Pointen versehen ist. "Fangen wir besser gar
nicht an über Mücken zu reden. Darüber haben wir gestern zwei Stunden lang
gesprochen", sagt einer der russischen Grenzwachen zu seinem Kollegen,
irgendwo in der Mongolei auf Gödels Weg ins amerikanische Exil, einer der
Höhepunkte in Anna Badoras textgetreuer Inszenierung. Die Intendantin des
Schauspielhauses Graz steuert überaus geschickt durch diesen in vielerlei
Hinsicht herausfordernden Text: Bildliche Darstellung der nichtlinearen Zeit
und zugleich einzigartige Balance zwischen den vervielfachten Gödels prägen
Badoras Inszenierung. Denn der Mathematiker existiert im Stück gleichzeitig
als Verstorbener, als Kind, als junger Privatdozent und als alternder
Professor. Dabei wird die Regisseurin von einem grandiosen Ensemble
unterstützt: Neben Johannes Silberschneider als Protagonist spielen Rudi
Widerhofer (Gödels Alter Ego), Claudius Körber (Kurt Gödel als junger Mann)
und David Rauchenberger (Gödel als Kind). Steffi Krautz verkörpert
faszinierend eine gefühlvolle Adele Gödel.
Zu all dem trägt noch das
großartige Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt bei. Eine Glaswand teilt die
Bühne in unterschiedliche Räume und ermöglicht den Wechsel zwischen den
verschiedenen Zeitebenen. Nur ein einziges Mal wird die Trennwand angehoben,
um die Bühne dem gemeinsamen Spaziergang zwischen Gödel und Albert Einstein
in Princeton preiszugeben. Originell auch da Kehlmanns Humor: Während
Einstein mit Gödel die Fragen für dessen Einbürgerungsprüfung für die USA
durchgeht, taucht immer wieder das Thema darüber auf, dass Einstein keine
Socken trägt. Gleichzeitig ist dies die einzige Szene, in der Gödels Geister
still sind. Geister sind nicht beweisbar. Dennoch plagen sie Gödel sein
ganzes Leben lang. Er befürchtet, man wolle ihn vergiften. Gegen Ende seines
Lebens steigert sich sein Misstrauen zum Wahnsinn und er stirbt an
Unterernährung.
"Zeit
ist wie ein Zugfahrplan", erklärt Gödel als junger Student seiner späteren
Ehefrau und ehemaligen Nachtklubtänzerin Adele bei ihrem ersten Rendezvous
im Park. "Die Ereignisse sind die Stationen, an denen der Zug hält. Aber
egal wo du bist, die anderen Stationen gibt es noch. Sie verschwinden nicht.
Und der Zug fährt im Kreis. Jeder Moment ist für immer".
Ein genialer Theaterabend.
Autor und Regie ergänzen sich perfekt und bestechen durch fantasievolle
Sprache und ideenreiche Regieeinfälle. Die 100 Minuten vergehen wie im Flug.