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Geklonte Identitäten

Fast zwei Stunden scheinbar wirrer Episoden, Livemusik auf der Bühne, Film-
einblendungen auf der Leinwand, Tanzsolos und einstudierte Bewegungen im Gleichtakt
mehrerer Tänzer: Dies sind unverwechselbare Merkmale einer Theaterperformance
des flämischen Künstlers Jan Lauwers und seiner Needcompany.

Von Irina Wolf
(01. 12. 2009)

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   Nach dem Erfolg mit "Isabella's Room", dessen zweihundertste Vorführung im September im Burgtheater zu sehen war, kehrte Jan Lauwers, derzeitiger Artist in Residence am Burgtheater, im Oktober mit dem zweiten Teil seiner Trilogie "Sad Face/Happy Face Drei Geschichten über das Wesen des Menschen" nach Wien zurück. Dieses zweite Stück, "The Lobster Shop", erzählt die Geschichte von Axel und Theresa. Axel ist Gentechniker und verliert seinen Sohn infolge eines Unfalls: zwei Kinder treten und schlagen sich brutal am Strand während die Väter einfach nur zuschauen – in der Vorstellung am Akademietheater via Filmeinblendung gezeigt. Axels Trauer zerstört die Ehe mit Theresa. Als sie ihn verlässt und seine psychiatrische Therapie keine Folgen zeigt, beschließt Axel, sich das Leben zu nehmen. Ein letztes Mal geht er in sein Lieblingsrestaurant, den Lobstershop an der Rue de Flandre, und bestellt Hummer mit Sauce Armoricaine. Doch der Kellner stolpert und das Essen landet auf Axels weißem Anzug. Während er in der Restauranttoilette die Sauce wegzubekommen versucht, sieht er im Bruchteil einer Sekunde sein Leben vorbeiziehen.

In einsamen Hotelzimmern, bei laufendem Fernseher

   Was mit Humor und romantischer Sentimentalität beginnt, endet in zynischem Realismus. Nicht umsonst sagt Jan Lauwers, dass er das Stück "in einsamen Hotelzimmern, bei laufendem Fernseher" geschrieben habe. Sein Text ist fantasiereich und humorvoll, aber auch sozial und politisch. So klont Axel etwa den ersten Menschen, einen Mann namens Salman, "zu Ehren des verhassten Schriftstellers Salman Rushdie", dessen "Menschlichkeit auf mehrfache Weise zerstört worden war". Der neue Mensch "stirbt vor Langeweile", die ihn so überwältigt, dass er Autos in Brand setzt.

Der stolpernde Kellner heißt Mo, dessen Name eine Abkürzung von Mohammed sein kann, ein Terrorist oder Bootsflüchtling, ein Menschenschmuggler, ein Atheist oder einfach nur ein Fischer, der Probleme mit seinem Boot hat. Er ist ein Identitätsloser. Das ist auch sein Problem: "Ich bin, aber wer bin ich?"

Axels Frau schluckt Pillen, während ihr von Albträumen geplagter Mann sich bei der Psychiaterin behandeln lässt. Der Gentechniker Axel hängt an seiner Markenkleidung, den Gucci-Espadrilles und seiner Armani-Safarihose, "denn guter Geschmack ist ein Zeichen von Macht". Als Wissenschaftler interessiert er sich "längst nicht mehr für Krebs", sondern "für Klone und körperlose Daseinsformen". Neben dem ersten Menschen ist er auch der Erzeuger des ersten Klons eines Bären.

Visuelle Intensität, markante Tänze

   So schildert Jan Lauwers unsere Zukunft, in der es "nach den großen Überflutungen und globalen Hasskampagnen des frühen 21. Jahrhunderts, welche die Demokratie vollkommen zerstört und jeden gezwungen hatten, um sein eigenes Leben zu kämpfen, ... eine Generation von Kindern geben würde, die keinerlei Anstrengungen unternehmen wollte, um irgendetwas zu erreichen".

In einem futuristisch anmutenden, in weiß gehaltenen Bühnenbild (gestaltet übrigens vom Autor selbst, der auch für die Regie zeichnet), spielt sich diese vieldeutige, fantasievolle Geschichte ab. Auf der zentral platzierten, überdimensionalen Leinwand werden immer wieder Filmsequenzen eingeblendet. Schon beim Betreten des Saales, noch vor Beginn der Aufführung, zieht ein Mann, der (wie sich später herausstellt) Mo ist, Kreise mit einem Motorboot.

Mit passenden Videoprojektionen und effektvoller Musikuntermalung wird der gesprochene Text auf eindrucksvolle Art präsentiert. Auf das Ufer brechende Wellen unterstreichen wirkungsvoll Axels Trauer, zu der Grace Ellen Barkey (Theresa) mit einem markanten Tanzsolo vollends überzeugt, zweifellos einer der Höhepunkte der Aufführung. Jedoch ist der äußerst einprägsame Abend der Truppe als Ganzes zu verdanken, ihrem schonungslosen körperlichen Einsatz, der besonderen Leidenschaft und Professionalität dieser Tänzer, Sänger und Schauspieler, die selbst die Musik, Kostüme und Choreographie gestalten. Alles in allem eine durchaus gelungene, abwechslungsreiche Performance.
 


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