Sein
Aussehen ähnelt dem einer karikierten Figur. Er trägt eine komische Tiroler
Tracht, dazu eine lächerliche Perücke und einen ebenso albernen Schnurrbart.
Von einer gespentischen Gruppe wird er stark umworben. "Der Tod", eine mit
einer Sense ausgestattete, in Schwarz gekleidete Dame, ihr Sekretär und dazu
noch eine "Henne", die auf belustigende Weise gluckt, kreisen musizierend um den
jungen Adolf Hitler. Mit originellen Mitteln wie diesen hat der 60-jährige
Regisseur Alexandru Dabija George Taboris Mein Kampf in Szene gesetzt
und sorgte so für einen erheiternden Auftakt der 25. Auflage des rumänischen
Nationaltheaterfestivals. Mit über 40 einheimischen Inszenierungen
und drei ausländischen Produktionen sprengte die
künstlerische Leiterin Marina Constantinescu alle Rekorde.
Auch der Zuschauerandrang zur
Eröffnungspremiere war rekordverdächtig. Über den Treppenaufstieg zum hell
erleuchteten Foyer des Nationaltheaters "Ion Luca Caragiale" in Bukarest,
das von 2010 bis 2014 einer Generalsanierung unterzogen wurde, war ein roter
Teppich ausgerollt. Mit sieben Sälen und einer Gesamtkapazität von
2500 Plätzen – der Große Saal allein kann bis zu 900 Personen Platz bieten
– ist das Gebäude im Zentrum der rumänischen Hauptstadt eines der größten
Bauwerke Europas. Zusammen mit dem Verband rumänischer Theater ist es seit
1990 Produzent des Nationaltheaterfestivals.
Konflikte
jeglicher Art im Mittelpunkt
Zum
Hauptthema
der diesjährigen Jubiläumsauflage, die vom 23. Oktober bis 1. November
stattfand, geriet das aktuelle Themenfeld "Konflikt". Ganz im Zeichen einer gewaltsamen
Auseinandersetzung standen demnach auch zwei aus dem Ausland eingeladene
Monumentalproduktionen: Front in der Regie von Luk Perceval vom
Thalia Theater Hamburg und Krieg in der Regie von Vladimir Pankov,
eine Koproduktion des Internationalen Tschechow Theaterfestivals, Edinburgh
Internationalen Festivals und SounDrama Studios Moskau. Beide Aufführungen
zeichneten sich durch eine rhythmische, polyphon organisierte Annäherung an
das Thema des Jahrhundertjubiläums zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus.
Es verbindet sie auch die Veranschaulichung verschiedener Perspektiven des
katastrophalen Ereignisses des 20. Jahrhunderts: Figuren aus Erich Maria
Remarques Roman "Im Westen nichts Neues", Henri Barbusses "Tagebuch einer
Korporalschaft: Le Feu" und Charaktere weiterer literarischer und
historischer Quellen begegnen sich in Percevals internationalem Abend. Hingegen verbindet Pankov Motive aus Homers
"Ilias", Aufzeichnungen des Dichters, Reisenden und Soldaten Nikolai Gumilow
mit Fragmenten des Romans "Heldentod" von Richard Aldington, um den Krieg,
der Europa vollständig veränderte, wiederzugeben. Ein 19-köpfiges Ensemble
liefert eine äußerst bemerkenswerte Leistung. Es wird perfekt rezitiert, auf
allerlei Instrumenten gespielt und brillant gesungen. Mit einem Mix aus
Rudern, Spindeln, Mänteln, Gasmasken, einem riesigen
Kronleuchter und einem Klavier erstellt Pankov unvergessliche Bilder. Eine
umwerfende Inszenierung!
Von den von Musik geprägten Theaterproduktionen
sei hier noch Moliendo Café in der Regie des international bekannten
Silviu Purcărete erwähnt. Das Improvisationstheater mit Schwerpunkt auf der
verführerischen Aromawelt des Kaffees ist die allererste Koproduktion des
Deutschen und Ungarischen Staatstheaters aus Temeswar. Von Letzterem wurde
auch John Gays The Beggar's Opera gezeigt. Das inzwischen fast 300
Jahre alte Stück ist "eine ausgezeichnete Gesellschaftssatire, und ich denke
dabei nicht an Serbien, Rumänien oder Ungarn, sondern an die gesamte Welt",
sagt der serbische Regisseur Kokan Mladenovic, der Gays Oper mit den
wunderbaren Schauspielern aus Temeswar eindrucksvoll in Szene gesetzt hat.
Hommage an die
Poesie des Lebens im Doppelpack
Höhepunkt
dieser Festivalausgabe war die zeitgenössische Tanzvorstellung des "Aureliu
Manea" Theaters aus der siebenbürgischen Stadt Turda. Die poetische
Performance Vertij (Schwindel) erzählt die erschütternde
Auseinandersetzung des 61-jährigen Künstlers Mihai Măniuţiu mit der
Alzheimer-Krankheit seiner Mutter. Vava Ştefănescu und Andrea Gavriliu, zwei
außergewöhnliche Choreografinnen und Tänzerinnen, tauchen in ein
geheimnisvolles Universum ein. Ihre Körper ergänzen sich gegenseitig: einer
jung und vor Energie sprühend, der andere gebrechlich, im Verlust seiner
Selbstheit. Ihre durch Bewegungen dargestellten Empfindungen werden durch
die Stimme aus dem Off des bekannten Schauspielers Marcel Iureş begleitet,
der Măniuţius Gedichte rezitiert. Eine rührende Hommage des Sohnes an seine
kranke Mutter.
Ebenfalls poetisch erwies sich die Hommage an
Gellu Naum. Der preisgekrönte Lyriker, Dramatiker und Übersetzer gilt als
einer der größten rumänischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und ist
vor allem als Gründer des Surrealismus in Rumänien bekannt. Anlässlich der
Hundertjahrfeier seiner Geburt wurden Naum 2015 eine Ausstellung und zwei
weitere Ereignisse gewidmet: Apolodor, eine konzertante Aufführung
von Ada Milea nach einem seiner populärsten Kinderbücher und N(AUM),
eine Inszenierung inspiriert von seinen Gedichten. Mit wenigen Mitteln
schafft die junge Regisseurin Mariana Cămărăşan das beeindruckende Bild
einer Welt, die ständig zwischen Traum und Wirklichkeit pendelt. Darin: Zwei Schauspielerinnen,
die im Nebel dahinzugleiten scheinen. Durch den ständigen
Einsatz von Metaphern ermöglichen sie einen direkteren Zugang zum
Unterbewusstsein. Ein effektvoll eingesetztes Lichtdesign trägt zur
Intensivierung der surrealen Atmosphäre bei. Am Ende bleibt der Wunsch,
Gellu Naums Gedichte wieder einmal zu lesen.
Ein
spannendes und gleichzeitig maßgeschneidertes Rahmenprogramm ergänzte den
hochwertigen Charakter des Festivals. Konferenzen, Debatten, siebzehn
Buchpräsentationen und elf Ausstellungen im Gedenken an große rumänische
Künstler – sie alle waren Teil des Nationaltheaterfestivals 2015 und
unterstrichen sein Potenzial als Schaufenster eines Vierteljahrhunderts
"freies Theater".