Wollen
Eltern tatsächlich ihre Träume durch ihre Kinder verwirklichen? Das ist
zumindest die Meinung von Cornelia, der von Mutterliebe besessenen Frau in
Child’s Pose (Poziţia
copilului). Der Gewinner und
Preisträger der 63. Berlinale kommt erstmals aus Rumänien. Er erzählt die
dramatische Geschichte einer Mutter und ihres Sohnes, der bei einem
Verkehrsunfall ein Kind totgefahren hat. Von maßloser Mutterliebe bis zum
Exzess vorangetrieben, kämpft Cornelia (Luminiţa Gheorghiu) mit allen
Mitteln darum, ihren Sohn Barbu (Bogdan Dumitrache) vor dem Gefängnis zu
bewahren. Als Mitglied der bürgerlichen Oberschicht setzt sie, eine gelernte
Architektin, ihr Vermögen und ihre soziale Stellung ein, um ihren
lethargischen Sohn (ein Doktorand im Bereich Chemie) zu entlasten.
Ausschlaggebende Dokumente vor den Augen der Polizei zu fälschen, Zeugen zu
Falschaussagen zu veranlassen, sogar die Eltern des toten Kindes mit Geld zu
kaufen, sind für Cornelia selbstverständlich.
Mit viel Gefühl
und Humor schildert Regisseur Călin Peter Netzer, der auch das Drehbuch
zusammen mit Răzvan Rădulescu schrieb, die abnorme Mutter-Sohn-Beziehung.
"Zum Teil enthält der Film autobiografische Elemente, denn als Basis des
Drehbuchs diente die missglückte Beziehung zu unseren Müttern", sagt der
Regisseur in einem Interview mit der rumänischen Kulturzeitschrift
Observator Cultural. "Meine Mutter ist zum Beispiel bestürzt, dass ich
keine deutschen Bücher mehr lese. Daher bringt sie mir ständig Artikel aus
dem Spiegel mit, die ihrer Meinung nach interessant sind", fährt
Netzer fort. In ähnlicher Weise versucht Cornelia ihren Sohn zu zwingen,
Herta Müller und Orhan Pamuk zu lesen. Das sind die ersten Sachen, die sie
aus dem Bücherregal ausräumt und in den Koffer packt, als sie den nach dem
Verkehrsunfall noch unter Schock stehenden Barbu von der Wohnung der
Lebensgefährtin mit nach Hause schleppt. Dass so eine krankhafte Beziehung
sogar ins Perverse ausarten kann, davon zeugt die Szene, in der Cornelia mit
einem Latex-Einweghandschuh ihrem Sohn eine Rückenmassage verpasst. "Der
Handschuh ist eine Art Kondom, deutet also auf eine Inzestbeziehung hin.
Damit wollte ich die Ursache der Neurose, unter der Barbu leidet,
verdeutlichen", erklärt der Regisseur.
Vor allem aber
verwandelt die souveräne schauspielerische Glanzleistung von Luminiţa
Gheorghiu Child’s Pose in ein weiteres ergreifendes Meisterwerk der
"rumänischen New Wave". Auch im deutschen Raum ist sie keine Unbekannte,
arbeitete sie doch im Jahr 2000 zusammen mit Michael Haneke an dem
französisch-deutsch-rumänischen Film Code: unbekannt (Code
Unknown: Incomplete Tales of Several Journeys). Als Cornelia setzt die
Hauptdarstellerin ihre inneren Empfindungen hervorragend in Mimik und Gestik
um. Am Anfang wirkt sie kühl und berechnend. Erst in der Schlussszene kommt
ihre menschliche Seite zum Vorschein. Diese aus dem Inneren des Autos heraus
gedrehte, in den Seitenspiegeln sichtbare Szene, erregt besonderes Aufsehen.
Im Übrigen wechselt der Regisseur geschickt zwischen halbdokumentarischen
Mitteln, turbulenten Dialogen und Frontalaufnahmen. Eine beachtliche
Leistung, wenn man bedenkt, dass Netzer den Film mit spartanischen Mitteln
in nur 30 Tagen drehte. Schon am ersten Wochenende hat Child’s Pose
in Rumänien einen Zuschauer-Rekord aufgestellt. Über 19.000 Besucher (die
höchste Anzahl des letzten Jahrzehnts!) wohnten der Premiere in Bukarest am
8. März bei.
Spätestens seit
Cristian Mungius Spielfilm 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, der unter
anderem 2007 mit der Goldenen Palme der Filmfestspiele von Cannes
ausgezeichnet wurde, ist das "neue rumänische Kino" in Westeuropa
bekannt. Authentisch und dokumentarisch wirkende Filme, gekennzeichnet durch
filmischen Realismus, üben Kritik an Politik und Gesellschaft. So gibt auch
Netzers Child’s Pose gleichzeitig einen Einblick in das Leben der
rumänischen zeitgenössischen Elite. Gleichermaßen wirft der Spielfilm ein
bezeichnendes Licht auf den Zustand gesellschaftlicher Institutionen wie
Polizei, Justiz und Gesundheitswesen und das erschreckende Ausmaß an
Korruption, das in ihnen herrscht.
Fazit: Ein
solides und lehrreiches Werk, das zur Meditation über die Beziehung zu
unseren Nächsten aufruft und unterschwellig für mehr Kommunikation und echte
Liebe wirbt.