Mit
diesem Auftritt des Theaters "Tomcsa Sándor" ist in Temeswar am 15. April
das zwanzigste Festival der Rumänischen Dramatik (FDR) eröffnet worden. Kein
Wunder, dass Oana Borş, die
diesjährige Intendantin, das Thema des Todes zum Auftakt gewählt hat. Seit
2011 um die Sparte FEST (Europäisches Festival der darstellenden Künste)
erweitert, lag der Fokus der Festspiele diesmal auf dem Altern. Mit Die
Kunst des Alterns bot das Nationaltheater "Mihai Eminescu" aus Temeswar
als Gastgeber erstmals ein Festival im Festival, in dessen Rahmen fünf
Stücke, die als Koproduktionen zwischen deutschen Theaterhäusern und
Partnern in Rumänien, der Slowakei und Kroatien entstanden sind, präsentiert
wurden.
Einen originellen Text dachte sich dafür der bekannte
rumänische Dramatiker Peca Ştefan aus. Die Uhr tickt, eine
Koproduktion des Nationaltheaters Temeswar und des Badischen Staatstheaters
Karlsruhe, umfasst eine utopische Vision verschiedener Lebensgeschichten.
Außergewöhnlich dabei ist die interaktive und vielsprachige Art (auf der
Bühne wird Deutsch, Rumänisch und Englisch gesprochen), in der den
Zuschauern bewusst gemacht wird, dass sie um 60 Minuten
– solange die Vorstellung
dauert – altern.
Ein
für Rumänien allgegenwärtiges Thema untersuchten das Nationaltheater "Marin
Sorescu" aus Craiova und das Staatstheater Braunschweig: Erdbeerwaisen
steht im osteuropäischen Land für die Generation von Kindern, deren Eltern
ihr Heimatland verlassen mussten, um in anderen Teilen Europas zu arbeiten.
"UNICEF ging schon 2008 von 350.000 'EU-Waisen' aus
–
allein in Rumänien!", erfahren wir von der Webseite des Theaters in
Braunschweig.
Gastveranstalter von Die Kunst des Alterns war die
Europäische Theaterkonvention ETC, mit 40 Mitgliedern das älteste und größte
Theaternetzwerk Europas (das Nationaltheater Temeswar ist seit 2010 dabei).
Das künstlerische Projekt "brachte die brennende Frage unserer
demografischen Veränderungen auf europäische Bühnen", wie die aus den
Recherchen resultierende Zeitschrift ausführlich dokumentiert. Durch
innovative Techniken wurden neue Perspektiven und Ansätze zur künstlerischen
Erforschung der alternden Gesellschaften entwickelt. Dieser internationale,
multidisziplinäre, gesellschaftspolitische Diskurs zwischen west- und
osteuropäischen Künstlern, Wissenschaftlern und Publikum bot einen
bereichernden Erfahrungsaustausch.
Ein Mosaik rumänischer
Dramatik
Mit
dem Ziel, einen "Panoramablick auf die letztjährigen Ansätze der
zeitgenössischen und klassischen rumänischen Dramatik" zu gewähren,
erstellte Oana Borş in dieser Jubiläumsausgabe "ein Mosaik, sowohl in Bezug
auf Themen als auch auf künstlerische Ausdrucksweisen". Măniuţiu
und seine Kollegen Gábor Tompa und Victor Ioan Frunză,
die der gleichen Generation angehören, haben sich anderen als
zeitgenössischen Themen gewidmet. Bekannt für sein Interesse für das Theater
des Absurden, brachte Tompa Ionescos Der neue Mieter auf die Bühne.
Frunză hingegen bot eine
Neuinterpretation des Stückes Möbel und Herzanfall und verankerte den
Text des zu Zeiten der kommunistischen Ära aktiven Dramatikers Teodor Mazilu
im heutigen Rumänien. Die Inszenierung erfreut sich eines derartigen
Erfolgs, dass sie 2015 in fünf Kategorien der rumänischen Theaterpreise
nominiert wurde.
Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, beschäftigten
sich alle anderen Produktionen mit brisanten Themen der heutigen rumänischen
Gesellschaft: dem Landraub und dem Abbau von Schiefergas (Zum Verkauf
von Gianina Cărbunariu), dem
mangelhaften Bildungswesen (Erinnerungen an die Schulzeit von Mihaela
Michailov) und der Ausbeutung der aus den Philippinen "importierten"
Kindermädchen
–
eine der interessantesten Recherchen über Menschenrechte in einem Land, das
für den Export von Arbeitskräften bekannt ist (Haushalts-Gegenstände
von Xandra Popescu). "Die Produktionen gelten als Beweis dafür, dass
Künstler aktiv daran arbeiten, die Zivilgesellschaft in Rumänien neu zu
definieren", sagt Ada Hausvater, seit einem Jahrzehnt Direktorin des
Nationaltheaters Temeswar und selbst eine erfolgreiche Regisseurin.
Die
zeitgenössischen Dramatikerinnen Alina Nelega und Saviana Stănescu
waren jeweils mit zwei Texten präsent. Nelegas 2005 entstandenes Monodrama
Amalia atmet tief ein blickt zurück auf das kommunistische Regime,
während Gefangen im Verkehr (2014 als Theaterstück des Jahres
ausgezeichnet) sieben weibliche Monologe auf wundersame Weise miteinander
verquickt. Stănescu, selbst
eine Ausgewanderte, befasst sich in ihren Stücken mit Organhandel sowie den
Migrationsproblemen der nach dem amerikanischen Traum Suchenden (Organisch
und Aliens mit außergewöhnlichen Fähigkeiten).
Eines der absoluten Festival-Highlights war mit
Sicherheit Die Kinder der Hungersnot. Zeugnisse. Ausgangspunkt der
Produktion des Nationaltheaters "Mihai Eminescu" aus Chişinău
ist Alexei Vakulovskis Roman, der über die Hungersnot von 1946/47 und
300.000 Opfer im damaligen Bessarabien berichtet. Die von der Regisseurin
Luminiţa Ţâcu minimalistisch
konzipierte Performance ist ein einzigartiges Ereignis in der moldauischen
Theaterlandschaft.
Wie
jedes Jahr fand auch heuer wieder ein Dramenwettbewerb statt. Das Besondere
daran war, dass sich diesmal im Finale zwei Stücke des erst 17-jährigen
Alexandru Teodorescu und ein Text (über "EU-Waisen"!) der zunehmend an
Popularität gewinnenden Elise Wilk gegenüberstanden. Diese Festivalauflage
"zielte darauf ab, einzelne Kreationen zu ehren", sagt Oana Borş und betont,
dass "die rumänische Dramatik zurzeit keine Trends, keine ästhetischen
Richtungsweiser bietet", neuerdings jedoch "ein zentrales Anliegen für
Repertoires der Nationaltheater geworden ist" und das ist, ihrer Meinung
nach, "ein Zeichen der Erneuerung".