Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
Zeichen der Erneuerung

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wenn ja, wie könnte dieses aussehen?
Mihai Măniuţ
iu, der sechzigjährige rumänische Regisseur, versucht in seiner neuesten
Produktion Das Leben ist schöner nach dem Tod diese Fragen zu beantworten.
In einer imaginären Welt voller Bierkisten und -flaschen erzählen zwölf
Schauspieler in guter Stimmung und mit viel Gesang und Tanz teils schaurige
Geschichten von ihrer Ankunft im Paradies.

Von Irina Wolf
(29. 06. 2015)

...



Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.

 

 


(c) Balazs Attila

"Viata-i mai frumoasa
dupa ce mori
"
(dt.
Das Leben ist
schöner nach dem Tod")
Regie: Mihai Măniuţiu

 

 


(c) Volker Beinhorn

"
Căpşunile şi Orfanii"
(dt. "Erdbeerwaisen")
Regie: Julia Roesler

 




(c) Adriana Grand

"
Mobilă şi durere"
(dt. "Möbel und Herzanfall")
Regie:
Victor Ioan Frunză

 


 

"Copiii foametei. Mărturii"
(dt. "Die Kinder der Hungers-
not. Zeugnisse")
Regie:
Luminiţa Ţâcu
 


 

 


Linktipp
www.eminescu.md

   Mit diesem Auftritt des Theaters "Tomcsa Sándor" ist in Temeswar am 15. April das zwanzigste Festival der Rumänischen Dramatik (FDR) eröffnet worden. Kein Wunder, dass Oana Borş, die diesjährige Intendantin, das Thema des Todes zum Auftakt gewählt hat. Seit 2011 um die Sparte FEST (Europäisches Festival der darstellenden Künste) erweitert, lag der Fokus der Festspiele diesmal auf dem Altern. Mit Die Kunst des Alterns bot das Nationaltheater "Mihai Eminescu" aus Temeswar als Gastgeber erstmals ein Festival im Festival, in dessen Rahmen fünf Stücke, die als Koproduktionen zwischen deutschen Theaterhäusern und Partnern in Rumänien, der Slowakei und Kroatien entstanden sind, präsentiert wurden.

Einen originellen Text dachte sich dafür der bekannte rumänische Dramatiker Peca Ştefan aus. Die Uhr tickt, eine Koproduktion des Nationaltheaters Temeswar und des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, umfasst eine utopische Vision verschiedener Lebensgeschichten. Außergewöhnlich dabei ist die interaktive und vielsprachige Art (auf der Bühne wird Deutsch, Rumänisch und Englisch gesprochen), in der den Zuschauern bewusst gemacht wird, dass sie um 60 Minuten solange die Vorstellung dauert altern.

   Ein für Rumänien allgegenwärtiges Thema untersuchten das Nationaltheater "Marin Sorescu" aus Craiova und das Staatstheater Braunschweig: Erdbeerwaisen steht im osteuropäischen Land für die Generation von Kindern, deren Eltern ihr Heimatland verlassen mussten, um in anderen Teilen Europas zu arbeiten. "UNICEF ging schon 2008 von 350.000 'EU-Waisen' aus allein in Rumänien!", erfahren wir von der Webseite des Theaters in Braunschweig.

Gastveranstalter von Die Kunst des Alterns war die Europäische Theaterkonvention ETC, mit 40 Mitgliedern das älteste und größte Theaternetzwerk Europas (das Nationaltheater Temeswar ist seit 2010 dabei). Das künstlerische Projekt "brachte die brennende Frage unserer demografischen Veränderungen auf europäische Bühnen", wie die aus den Recherchen resultierende Zeitschrift ausführlich dokumentiert. Durch innovative Techniken wurden neue Perspektiven und Ansätze zur künstlerischen Erforschung der alternden Gesellschaften entwickelt. Dieser internationale, multidisziplinäre, gesellschaftspolitische Diskurs zwischen west- und osteuropäischen Künstlern, Wissenschaftlern und Publikum bot einen bereichernden Erfahrungsaustausch.

Ein Mosaik rumänischer Dramatik

   Mit dem Ziel, einen "Panoramablick auf die letztjährigen Ansätze der zeitgenössischen und klassischen rumänischen Dramatik" zu gewähren, erstellte Oana Borş in dieser Jubiläumsausgabe "ein Mosaik, sowohl in Bezug auf Themen als auch auf künstlerische Ausdrucksweisen". Măniuţiu und seine Kollegen Gábor Tompa und Victor Ioan Frunză, die der gleichen Generation angehören, haben sich anderen als zeitgenössischen Themen gewidmet. Bekannt für sein Interesse für das Theater des Absurden, brachte Tompa Ionescos Der neue Mieter auf die Bühne. Frunză hingegen bot eine Neuinterpretation des Stückes Möbel und Herzanfall und verankerte den Text des zu Zeiten der kommunistischen Ära aktiven Dramatikers Teodor Mazilu im heutigen Rumänien. Die Inszenierung erfreut sich eines derartigen Erfolgs, dass sie 2015 in fünf Kategorien der rumänischen Theaterpreise nominiert wurde.

Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, beschäftigten sich alle anderen Produktionen mit brisanten Themen der heutigen rumänischen Gesellschaft: dem Landraub und dem Abbau von Schiefergas (Zum Verkauf von Gianina Cărbunariu), dem mangelhaften Bildungswesen (Erinnerungen an die Schulzeit von Mihaela Michailov) und der Ausbeutung der aus den Philippinen "importierten" Kindermädchen eine der interessantesten Recherchen über Menschenrechte in einem Land, das für den Export von Arbeitskräften bekannt ist (Haushalts-Gegenstände von Xandra Popescu). "Die Produktionen gelten als Beweis dafür, dass Künstler aktiv daran arbeiten, die Zivilgesellschaft in Rumänien neu zu definieren", sagt Ada Hausvater, seit einem Jahrzehnt Direktorin des Nationaltheaters Temeswar und selbst eine erfolgreiche Regisseurin.

   Die zeitgenössischen Dramatikerinnen Alina Nelega und Saviana Stănescu waren jeweils mit zwei Texten präsent. Nelegas 2005 entstandenes Monodrama Amalia atmet tief ein blickt zurück auf das kommunistische Regime, während Gefangen im Verkehr (2014 als Theaterstück des Jahres ausgezeichnet) sieben weibliche Monologe auf wundersame Weise miteinander verquickt. Stănescu, selbst eine Ausgewanderte, befasst sich in ihren Stücken mit Organhandel sowie den Migrationsproblemen der nach dem amerikanischen Traum Suchenden (Organisch und Aliens mit außergewöhnlichen Fähigkeiten).

Eines der absoluten Festival-Highlights war mit Sicherheit Die Kinder der Hungersnot. Zeugnisse. Ausgangspunkt der Produktion des Nationaltheaters "Mihai Eminescu" aus Chişinău ist Alexei Vakulovskis Roman, der über die Hungersnot von 1946/47 und 300.000 Opfer im damaligen Bessarabien berichtet. Die von der Regisseurin Luminiţa Ţâcu minimalistisch konzipierte Performance ist ein einzigartiges Ereignis in der moldauischen Theaterlandschaft.

   Wie jedes Jahr fand auch heuer wieder ein Dramenwettbewerb statt. Das Besondere daran war, dass sich diesmal im Finale zwei Stücke des erst 17-jährigen Alexandru Teodorescu und ein Text (über "EU-Waisen"!) der zunehmend an Popularität gewinnenden Elise Wilk gegenüberstanden. Diese Festivalauflage "zielte darauf ab, einzelne Kreationen zu ehren", sagt Oana Borş und betont, dass "die rumänische Dramatik zurzeit keine Trends, keine ästhetischen Richtungsweiser bietet", neuerdings jedoch "ein zentrales Anliegen für Repertoires der Nationaltheater geworden ist" und das ist, ihrer Meinung nach, "ein Zeichen der Erneuerung".

Ausdrucken?

....

Zurück zur Übersicht