Die
Stimmen sind nicht zu überhören. Brav hintereinander gereiht, warten die
Kleinen darauf, in den Saal hineingelassen zu werden. Kaum hat die
Vorstellung in dem kleinen Raum begonnen, ist der Froschkönig aufgrund des
vielen Rauchs aus der Nebelmaschine kaum noch zu erkennen. Eifrig fuchteln die
Kinder mit ihren Armen herum. Vergeblich, denn alles braucht seine Zeit.
Währenddessen blicken neugierige Augen auf den verzauberten Kühlschrank, der
sich auf der Bühne des großen Saals breitmacht. Zwischen Obst und
Milchprodukten tauchen immer wieder Miniatur-Marionetten auf. Darüber hinaus
verwandelt sich die Kühlschrankrückwand in eine Projektionsfläche, auf der
ein am Himmel schwebendes Schiff erscheint. Sehr passend dazu die
musikalische Untermalung aus "Der fliegende Holländer". The Opera Fridge
heißt die Produktion, mit der Antonio Panzuto aus Italien nach Iaşi
angereist ist.
Iaşi ist die Stadt der Fürsten und war viele
Jahre Zentrum des literarischen und intellektuellen Lebens in Rumänien.
Als zweitgrößte Stadt des osteuropäischen Landes, geografisch nur
zwanzig Kilometer westlich der Grenze zur Republik Moldau, liegt sie näher zu
dessen Hauptstadt Kischinew als zu Bukarest und ist zudem eine wichtige Kultur- und Bildungsstadt. Hier wurde unter
anderem 1896 das erste rumänische Nationaltheater nach Plänen der Wiener
Architekten Fellner und Helmer errichtet.
Das "Luceafărul" Kinder- und
Jugendtheater ist aktuell das einzige von insgesamt fünf lokalen
Theaterhäusern, das ein internationales Festival ("FITPTI") organisiert. Die
diesjährige achte Auflage, die vom 4. bis 9. Oktober stattfand, bewegte sich ganz
im Zeichen der jungen rumänischen Künstler. "Ziel von FITPTI ist es, einen
umfassenden Blick auf den jetzigen Stand der jungen Theaterszene zu
gewähren, sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwachstellen hervorzuheben,
Trends zu erkennen, summa summarum für diejenigen nützlich zu sein, die sich
irgendwann gefragt haben: 'und was nun?'. Sich um das Schicksal der
Jugend zu sorgen bedeutet in die Zukunft zu investieren", so
Theaterkritikerin Oltiţa Cîntec, zugleich künstlerische Leiterin des
Festivals und stellvertretende Direktorin des Jugendtheaters.
Als bestes Beispiel dafür steht der
zweisprachige Band (Rumänisch und Englisch), der während der Festspielpremiere druckfrisch ausgeliefert wurde. Der junge Theaterkünstler.
Rumänische Geschichten neueren Datums / The Young Theatre Artist. Recent
Romanian Histories, herausgegeben von Oltiţa Cîntec, beleuchtet sowohl
die Gedanken Kunstschaffender, denen in kurzer Zeit eine
bemerkenswerte Karriere gelungen ist, spricht aber auch Probleme an, mit denen die
rumänischen Künstler konfrontiert sind.
Die Intendantin versteht es besonders gut,
diese theoretischen Erkenntnisse in praktische Beispiele umzuwandeln. So
zeichneten die im Buch genannten Regisseur-"Modelle" wie Cristi Juncu,
Carmen Lidia Vidu, Bogdan Georgescu, Vlad Cristache, Alexandru Mâzgăreanu,
Bobi Pricop, Catinca Drăgănescu und Horia Rusu für die während der
achttägigen Veranstaltung gezeigten Produktionen verantwortlich.
Mein Augenmerk richtete sich auf Antisocial,
eine Inszenierung, die das mangelhafte Bildungssystem, ein Thema von
besonderer Bedeutung, behandelt. In einem Gymnasium einer rumänischen
Provinzstadt erstellen die Schüler eine geschlossene Gruppe auf Facebook.
Die Lehrer finden dies heraus und verschaffen sich mit Unterstützung eines Schülers
Zugang zu der Gruppe. Wer ist der Schuldige? Meinungsfreiheit, Vertrauen, Verleumdung,
Bestechung sind einige der aufgeworfenen Themen der meisterlichen
Produktion des Nationaltheaters "Radu Stanca" aus Hermannstadt. Die aus der
Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Bogdan Georgescu und der Masterklasse
der Theaterabteilung der "Lucian-Blaga"-Universität, ebenfalls aus
Hermannstadt, entstandene Inszenierung basiert auf einem realen Fall. Vor
allem behandelt das Werk aber den völligen Mangel an Dialog zwischen jungen
Menschen, Lehrern und Eltern.
Höhepunkt des Festivals war die Premiere
Die grüne Katze, basierend auf dem
hervorragenden Text der jungen
rumänischen Autorin Elise Wilk.
Erzählt wird die Geschichte eines Mordes.
In der Welt von sechs Jugendlichen, die in benachbarten Betonblocks wohnen,
scheint alles seinen normalen Gang zu gehen: das Schulleben, die erste Liebe
und der Samstagabend-Klub. Und doch ist es eine Welt, in der die Eltern
abwesend sind, sei es, weil sie im Ausland arbeiten oder einfach
keine Zeit für ihre Kinder übrig haben. Daher suchen die Jugendlichen
Zuflucht in Parallelwelten, die ihnen schöner erscheinen als die, in der sie
leben. Sie schlucken Tabletten und konsumieren starke alkoholische Getränke.
Bald tauchen "grüne Katzen" auf den Straßen auf: Hier schafft sich
die Macht der Fantasie
eine Welt, die das reale Leben erträglicher macht.
Eine ähnlich
gute Resonanz wurde der Inszenierung von Bobi Pricop, dem Associate
Artist der
diesjährigen Festivalauflage, zuteil. Ohne dessen Vorstellung besucht zu
haben, macht die Beschreibung im Programmheft doch neugierig: "Durch die
Verwendung des Silent-Disco-Systems verzeichnen wir eine doppelte
Premiere. Zuschauer und Schauspieler teilen den gleichen Umkreis eines
Klubs. Jeder Besucher bekommt Kopfhörer, durch die er die Musik selber
auswählen kann. Dadurch nimmt das Publikum aktiv am Geschehen teil."
Das "Luceafărul"-Theater, das 2015 sein
65-jähriges Bestehen feierte, bot
wie schon in den vergangenen Jahren
bezaubernde Begegnungen für alle Altersgruppen, mit einheimischen Puppen-,
Kinder- und Jugendtheatern aus Klausenburg, Hermannstadt, Craiova, Galaţi
und Bukarest sowie mit Theatergruppen aus Deutschland, Italien, den
Niederlanden, Großbritannien, Portugal und Kroatien. Buchpräsentationen,
szenische Lesungen, Filmvorführungen und ein
Improvisations-Workshop rundeten das abwechslungsreiche Programm ab. Es ist
kein Zufall, dass das Internationale Festival für das Junge Publikum mit dem
renommierten Label "Europäisches Festival" von der EFA (European Festivals
Association) ausgezeichnet wurde.