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Kinder- und Jugendtheater aus Rumänien

Das "Luceafărul" Kinder- und Jugendtheater der ostrumänischen Stadt Iaşi ist
aktuell das einzige von insgesamt fünf lokalen Theaterhäusern, das ein internationales
Festival organisiert. Die diesjährige achte Auflage, die vom 4. bis 9. Oktober stattfand,
bewegte sich ganz im Zeichen der jungen rumänischen Künstler.

Von Irina Wolf
(02. 11. 2015)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.

 

 


(c) Luceafărul-Theater

"Pisica Verde"
(Die grüne Katze)
Regie:
Bobi Pricop

 

 




(c) Adrian Bulbuoaca

"Antisocial"
(Regie:
Bogdan Georgescu)

 


 

Linktipp
luceafarul-theatre.ro

 

   Die Stimmen sind nicht zu überhören. Brav hintereinander gereiht, warten die Kleinen darauf, in den Saal hineingelassen zu werden. Kaum hat die Vorstellung in dem kleinen Raum begonnen, ist der Froschkönig aufgrund des vielen Rauchs aus der Nebelmaschine kaum noch zu erkennen. Eifrig fuchteln die Kinder mit ihren Armen herum. Vergeblich, denn alles braucht seine Zeit. Währenddessen blicken neugierige Augen auf den verzauberten Kühlschrank, der sich auf der Bühne des großen Saals breitmacht. Zwischen Obst und Milchprodukten tauchen immer wieder Miniatur-Marionetten auf. Darüber hinaus verwandelt sich die Kühlschrankrückwand in eine Projektionsfläche, auf der ein am Himmel schwebendes Schiff erscheint. Sehr passend dazu die musikalische Untermalung aus "Der fliegende Holländer". The Opera Fridge heißt die Produktion, mit der Antonio Panzuto aus Italien nach Iaşi angereist ist.

Iaşi ist die Stadt der Fürsten und war viele Jahre Zentrum des literarischen und intellektuellen Lebens in Rumänien. Als zweitgrößte Stadt des osteuropäischen Landes, geografisch nur zwanzig Kilometer westlich der Grenze zur Republik Moldau, liegt sie näher zu dessen Hauptstadt Kischinew als zu Bukarest und ist zudem eine wichtige Kultur- und Bildungsstadt. Hier wurde unter anderem 1896 das erste rumänische Nationaltheater nach Plänen der Wiener Architekten Fellner und Helmer errichtet.

   Das "Luceafărul" Kinder- und Jugendtheater ist aktuell das einzige von insgesamt fünf lokalen Theaterhäusern, das ein internationales Festival ("FITPTI") organisiert. Die diesjährige achte Auflage, die vom 4. bis 9. Oktober stattfand, bewegte sich ganz im Zeichen der jungen rumänischen Künstler. "Ziel von FITPTI ist es, einen umfassenden Blick auf den jetzigen Stand der jungen Theaterszene zu gewähren, sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwachstellen hervorzuheben, Trends zu erkennen, summa summarum für diejenigen nützlich zu sein, die sich irgendwann gefragt haben: 'und was nun?'. Sich um das Schicksal der Jugend zu sorgen bedeutet in die Zukunft zu investieren", so Theaterkritikerin Oltiţa Cîntec, zugleich künstlerische Leiterin des Festivals und stellvertretende Direktorin des Jugendtheaters.

Als bestes Beispiel dafür steht der zweisprachige Band (Rumänisch und Englisch), der während der Festspielpremiere druckfrisch ausgeliefert wurde. Der junge Theaterkünstler. Rumänische Geschichten neueren Datums / The Young Theatre Artist. Recent Romanian Histories, herausgegeben von Oltiţa Cîntec, beleuchtet sowohl die Gedanken Kunstschaffender, denen in kurzer Zeit eine bemerkenswerte Karriere gelungen ist, spricht aber auch Probleme an, mit denen die rumänischen Künstler konfrontiert sind.

   Die Intendantin versteht es besonders gut, diese theoretischen Erkenntnisse in praktische Beispiele umzuwandeln. So zeichneten die im Buch genannten Regisseur-"Modelle" wie Cristi Juncu, Carmen Lidia Vidu, Bogdan Georgescu, Vlad Cristache, Alexandru Mâzgăreanu, Bobi Pricop, Catinca Drăgănescu und Horia Rusu für die während der achttägigen Veranstaltung gezeigten Produktionen verantwortlich.

Mein Augenmerk richtete sich auf Antisocial, eine Inszenierung, die das mangelhafte Bildungssystem, ein Thema von besonderer Bedeutung, behandelt. In einem Gymnasium einer rumänischen Provinzstadt erstellen die Schüler eine geschlossene Gruppe auf Facebook. Die Lehrer finden dies heraus und verschaffen sich mit Unterstützung eines Schülers Zugang zu der Gruppe. Wer ist der Schuldige? Meinungsfreiheit, Vertrauen, Verleumdung, Bestechung sind einige der aufgeworfenen Themen der meisterlichen Produktion des Nationaltheaters "Radu Stanca" aus Hermannstadt. Die aus der Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Bogdan Georgescu und der Masterklasse der Theaterabteilung der "Lucian-Blaga"-Universität, ebenfalls aus Hermannstadt, entstandene Inszenierung basiert auf einem realen Fall. Vor allem behandelt das Werk aber den völligen Mangel an Dialog zwischen jungen Menschen, Lehrern und Eltern.

   Höhepunkt des Festivals war die Premiere Die grüne Katze, basierend auf dem hervorragenden Text der jungen rumänischen Autorin Elise Wilk. Erzählt wird die Geschichte eines Mordes. In der Welt von sechs Jugendlichen, die in benachbarten Betonblocks wohnen, scheint alles seinen normalen Gang zu gehen: das Schulleben, die erste Liebe und der Samstagabend-Klub. Und doch ist es eine Welt, in der die Eltern abwesend sind, sei es, weil sie im Ausland arbeiten oder einfach keine Zeit für ihre Kinder übrig haben. Daher suchen die Jugendlichen Zuflucht in Parallelwelten, die ihnen schöner erscheinen als die, in der sie leben. Sie schlucken Tabletten und konsumieren starke alkoholische Getränke. Bald tauchen "grüne Katzen" auf den Straßen auf: Hier schafft sich die Macht der Fantasie eine Welt, die das reale Leben erträglicher macht.

Eine ähnlich gute Resonanz wurde der Inszenierung von Bobi Pricop, dem Associate Artist der diesjährigen Festivalauflage, zuteil. Ohne dessen Vorstellung besucht zu haben, macht die Beschreibung im Programmheft doch neugierig: "Durch die Verwendung des Silent-Disco-Systems verzeichnen wir eine doppelte Premiere. Zuschauer und Schauspieler teilen den gleichen Umkreis eines Klubs. Jeder Besucher bekommt Kopfhörer, durch die er die Musik selber auswählen kann. Dadurch nimmt das Publikum aktiv am Geschehen teil."

   Das "Luceafărul"-Theater, das 2015 sein 65-jähriges Bestehen feierte, bot wie schon in den vergangenen Jahren bezaubernde Begegnungen für alle Altersgruppen, mit einheimischen Puppen-, Kinder- und Jugendtheatern aus Klausenburg, Hermannstadt, Craiova, Galaţi und Bukarest sowie mit Theatergruppen aus Deutschland, Italien, den Niederlanden, Großbritannien, Portugal und Kroatien. Buchpräsentationen, szenische Lesungen, Filmvorführungen und ein Improvisations-Workshop rundeten das abwechslungsreiche Programm ab. Es ist kein Zufall, dass das Internationale Festival für das Junge Publikum mit dem renommierten Label "Europäisches Festival" von der EFA (European Festivals Association) ausgezeichnet wurde.

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