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"Jedes Kind soll ein Instrument anstatt eines
Gewehrs in den Händen halten", sagt
Von
Irina Wolf |
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Als Rubén Rodriguez den dritten Satz von Mahlers 1. Symphonie in Angriff nahm, hielt das Publikum den Atem an und lauschte ergriffen. Mit viel Gespür und Leidenschaft interpretierte der erst 13-jährige Musiker den Trauermarsch. Mit großer Präzision und feinstem Einfühlungsvermögen begleiteten die restlichen Mitglieder der Orquesta Sinfónica Nacional Infantil de Venezuela den ersten Kontrabassisten. Kaum erklangen die letzten Akkorde in der Salzburger Felsenreitschule, tobten die Zuschauer vor Begeisterung. "Wollt Ihr mehr hören?", lautete die an das Publikum gerichtete Frage des Dirigenten. Kräftiger Applaus und Bravo-Rufe brachten zwei Mambo-Zugaben. Während die zwischen 8 und 14 Jahre alten Musiker (über 200 an der Zahl!), unter der Leitung von Simon Rattle, weiterspielten, wippten sie rhythmisch mit dem Oberkörper, warfen die Hände hoch und hoben ihre Instrumente in die Luft. Zwischendurch wechselten sie sogar die Sitze. Die Euphorie wirkte ansteckend. Die Atmosphäre war überwältigend. El Sistema hatte es wieder einmal geschafft zu überzeugen. Was 1975 in Venezuela als bescheidenes Projekt begann, umfasst heute mehr als 400.000 Studierende landesweit. Junge Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft werden in den "núcleos", den dafür speziell gegründeten Musikzentren, ausgebildet. Ein besonderes Anliegen ist es José Antonio Abreu, dem Projektinitiator, Jugendliche aus Armenvierteln zu unterstützen. "Jedes Kind soll ein Instrument anstatt eines Gewehrs in den Händen halten", sagt der visionäre Abreu. "Tochar y luchar" lautet sein Motto. Auch Simon Rattle liegt das El Sistema-Projekt am Herzen. "Es ist das wichtigste pädagogische Ereignis meines Lebens", gesteht der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Kein Wunder, dass er am Konzertende Rubén Rodriguez umarmte. Eine wunderschöne und berührende Geste. Das
Programm dieses unvergesslichen Sonntagvormittags umfasste noch Gershwins
Kubanische Ouvertüre sowie
Tänze aus dem Ballett Estancia op. 8 des argentinischen Komponisten
Alberto Ginastera. Beide wurden von dem erst 19-jährigen Jesús Parra
dirigiert, der damit sein internationales Debüt gab. Der aus einer einfachen
Familie mit neun Geschwistern stammende Parra fiel durch seine reife
Interpretation und geballte Energie auf. Der Erfolg war mitreißend. Am Ende
gab es minutenlangen Applaus. Ein einmaliges Erlebnis! Wieder einmal eine
Bestätigung, dass Musik die Gesellschaft verändern kann. |