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Teamarbeit im Stiegenhaus

Im Mittelpunkt des jüngsten Theaterfestivals im rumänischen Temeswar
standen sozialpolitische Themen von brennender Aktualität, wie Gewalt in der
Familie, Probleme der Roma, Obdachlosigkeit oder die zunehmende
Emigration der jungen Generation.

Von Irina Wolf
(25. 06. 2011)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren Jobs
im Telekommunikations- und
Forschungsbereich wechselte
sie 1993 in den Außenhandels-
dienst. Seit 2007 schreibt
sie freiberuflich für mehrere
rumänische und deutsch-
sprachige Kulturzeitschriften.

 

 

 


(c) Irina Wolf

"Borges vs. Goya"
(Regie: Arnaud Troalic)

 

 

 

Basierend auf Texten
von Peca Ştefan, Gianina
Cărbunariu und Andreea
Vălean wurde die umstrit-
tene Errichtung einer
neuen Goldabbauanlage
im westrumänischen Roşia
Montană in einem Mix
aus klassischem Theater,
Musical und Performance
vorgeführt.

 

 

 

Linktipp
www.tntimisoara.com

 

 

 

Zum ersten Mal wurde
der prächtige Hauptplatz
vor dem Temeswarer
Nationaltheater in eine
Freilufttheaterbühne
verwandelt.

   Temeswar. Ein Autowrack im Stiegenhaus eines Theatergebäudes. Ein Bild, dem man nicht täglich begegnet. Noch dazu, wenn man erfährt, dass das Auto vom Mezzanin in den zweiten Stock manuell hinaufbefördert werden soll!

Gespannt warten die zufällig anwesenden Passanten auf die Lösung. Mit einfallsreichen Mitteln bringen nicht weniger als zehn Männer den Fiat 126, Teil des Bühnenbildes der Vorstellung "Borges vs. Goya", in den Saal, den sich das Deutsche und das Ungarische Staatstheater der multikulturellen Stadt im Westen Rumäniens teilen. Dank dieses bemerkenswerten Einsatzes kann die außergewöhnlich dynamische Inszenierung der Compagnie Akté Le Hâvre ungehindert stattfinden. Mit großer schauspielerischer Leistung beeindrucken dabei Arnaud Troalic (der auch Regie führte) und Julien Flament. Vor allem imponiert der uneingeschränkte körperliche Einsatz, die Wucht, mit der sich die beiden Schauspieler auf dem Wrack oder in den Wagen hinein- und darin herumwerfen.

   Das von Rodrigo Garcia geschriebene Stück erwies sich schließlich als gelungene europäische Bereicherung des Festivals der rumänischen Dramatik. Die langjährige Theaterkritikerin Cristina Modreanu setzte damit ein deutliches Zeichen für die Internationalisierung der Festspiele.

Unter ihrem neuem Namen FEST-FDR (Europäisches Festival des Schauspiels Temeswar – Festival der rumänischen Dramatik), präsentierte sich die diesjährige Auflage des auf zeitgenössischer rumänischer Dramatik fokussierten Treffens. Wie auch in den vorherigen Jahren bildete die FDR-Sektion den Kern des neuntägigen Festivals. Vom 7. bis zum 15. Mai wurden dreizehn Stücke an fünf Spielorten gezeigt. Zu den Autoren zählten bekannte Namen wie Peca Ştefan, Gianina Cărbunariu, Alina Nelega, Lia Bugnar oder Maria Manolescu. Im Mittelpunkt der von Mihaela Michailov getroffenen Auswahl standen sozialpolitische Themen von brennender Aktualität, wie Gewalt in der Familie, Probleme der Roma, Obdachlosigkeit oder die zunehmende Emigration der heimischen Jugendlichen. Dabei bestachen die Vorstellungen nicht selten durch das one-woman-show-Format.

   Trotzdem ging der Preis der international besetzten, dreiköpfigen Jury an eine Gruppenarbeit. Romana Maliti (Slowakei), Tony Nardi (Kanada) und Christian Papke (Österreich) betonten die Bedeutung der Teamarbeit zwischen Autor, Regisseur und Schauspieler. "Roşia Montană aus physischer und politischer Sicht" (eine Koproduktion zwischen dem Ungarischen Staatstheater Klausenburg und der Gruppe dramAcum) in der Regie von Radu Apostol, Gianina Cărbunariu und Andreea Vălean wurde als beste Vorstellung gekürt. Basierend auf Texten von Peca Ştefan, Gianina Cărbunariu und Andreea Vălean wurde die umstrittene Errichtung einer neuen Goldabbauanlage im westrumänischen Roşia Montană in einem Mix aus klassischem Theater, Musical und Performance vorgeführt.

Der Preis für den besten Schauspieler wurde ebenfalls einer Gruppe verliehen: Vier Akteurinnen Snejana Puică, Mihaela Strâmbeanu, Ina Surdu und Irina Vacarciuc aus der Republik Moldau glänzten im Dokumentartheater "Casa M" von Luminiţa Ţîcu (auch für die Regie zuständig), das sich eingehend mit dem Thema "Gewalt in der Familie" auseinandersetzte.

   Drei weitere Sektionen Intersections, Performance und Open Air ergänzten den Hauptteil des Festivals. Intersections brachte sowohl rumänische als auch europäische Aufführungen, von klassischen Autoren über Tanz- bis hin zum Puppentheater. In der Sektion Performance wurden drei ausländische Produktionen gezeigt: "The Thrill of it all" (Forced Entertainment Group aus Großbritannien) und zwei Solostücke von Nick Mancuso aus den Vereinigten Staaten und Tony Nardi aus Kanada. Zum ersten Mal wurde der prächtige Hauptplatz vor dem Temeswarer Nationaltheater in eine Freilufttheaterbühne verwandelt, die sich großer Beliebtheit erfreute. Das Osmega Dnia Theater aus Polen zeigte "The Time of Mothers". An einem weiteren originellen Spielort, auf dem Parkplatz eines beliebten Einkaufszentrums, entfaltete sich die zweite Vorführung aus der Sektion Open Air: "The Dance of Cycling" (Bycicle Ballet Gruppe aus Großbritannien). Buchpräsentationen, Lesungen, Konferenzen und Ateliers rundeten die Festspiele ab.

Das Temeswarer Nationaltheater ist seit Oktober 2010 Mitglied der Europäischen Theaterkonvention (ETC), einem Zusammenschluss von 41 Theatern aus 25 europäischen Ländern. Umso mehr werden die künftigen Auflagen des Festivals Möglichkeiten für eine europaweite Vernetzung der heimischen Theater schaffen und Plattformen für einen Austausch kreieren.

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