"Geistige
Freiheit, rege Künstlerbetreuung, fortwährende nationale und internationale
Beziehungen sowie eine ungeheure Fähigkeit zur Erneuerung – das sind die
Grundprinzipien der Festspielphilosophie". So Sergio Ariotti und Isabella
Lagattolla, die charismatischen Direktoren des Festivals delle Colline
Torinesi, das 2015 sein 20-jähriges Bestehen feierte.
Äußerst bunt präsentierte
sich das Festival, das seinem
Namen den stolzen Zusatz "Torino Creazione Contemporanea" hinzufügte.
So bestand das Programm unter anderem aus einer Hommage an die im Ersten
Weltkrieg gefallenen Soldaten, einer dem Shakespeare-Universum gewidmeten
Stationen-Inszenierung, einer anspruchsvollen Auseinandersetzung mit der
Bedeutung von Jesus für unser heutiges Leben, einer musikalischen Hommage an
Fred Buscaglione, den beliebten italienischen Sänger und Schauspieler der
1950er Jahre und aus einem als literarischen Kabarett dargestellten
"Interview" mit Polyphem, dem einäugigen Riesen der griechischen Mythologie.
Aus
Anlass einer auf drei Jahre angelegten Ministerreform wurde die Frau "als
Opfer des Fundamentalismus sowie als Hauptprotagonistin des heutigen
Fortschritts" gewürdigt. Die birmanische Friedensnobelpreisträgerin Aung San
Suu Kyi, Pier Paolo Pasolinis Mutter und Shakespeares Lady Macbeth. Das sind
nur einige der Frauencharaktere, denen spannende Inszenierungen
unterschiedlicher Stilrichtungen gewidmet wurden.
Für große Beachtung sorgte
das deutsche Frauen-Performance-Kollektiv She She Pop. Gleich zwei
seiner Werke wurden unter dem Schwerpunkt "Torino trifft Berlin" gezeigt:
Eine an Shakespeares "König Lear" angelegte Darstellung des
Generationenkonflikts ("Testament") und eine nach Igor Strawinskis
"Le Sacre du Printemps" gestaltete Performance, in deren Mittelpunkt die
Frage nach dem weiblichen Opfer in der Familie und in der Gesellschaft
stand. Zum originellen Konzept von She She Pop trugen sogar deren
eigene Väter bzw. Mütter bei, die mit auf die Bühne gebeten wurden. Zu den
meistgelobten internationalen Vorstellungen zählte auch die von Federico
León gezeigte Produktion. Durch seine Wanderungen an der Grenze zwischen
Fiktion und Realität schaffte es der führende Vertreter der argentinischen
Avantgarde-Szene, die Leidenschaft für seine Kunst auf das Publikum zu
übertragen.
Wirklichkeit
und Fiktion vermischten sich gleichermaßen in der Produktion des
libanesischen Duos Rabih Mroué und Lina Majdalaine. Ausgehend von der
aktuellen politischen Situation im Libanon, behandelte ihr Werk ("Biokraphia")
das Thema der Sexualität und ihre Zensur in einer Gesellschaft, die durch
strikte soziale und politische Tabus reguliert wird.
Dass es auch in Europa
derzeit große, wenn auch anderweitige Probleme gibt, zeigte die im Vorjahr
als beste italienische Neuschöpfung bei den Ubu-Preisen ausgezeichnete
Produktion. In der allgegenwärtigen Wirtschaftskrise ist es kein Zufall,
dass sich die Handlung auf vier griechische Pensionistinnen bezieht, die
sich das Leben mit Barbituraten und Wodka nehmen. "Wir gehen, um Ihnen keine
weiteren Sorgen zu bereiten" – so der lange Titel des Stückes des
Künstler-Duos Daria Deflorian und Antonio Tagliarini. Ausgangspunkt und
Hintergrund ihrer Arbeit waren die ersten Seiten von "Schuldenbereinigung",
dem Roman des griechischen Schriftstellers Petros Markaris. Eine Frage nach
der Würde des Lebens in der heutigen Gesellschaft.
"Aus
der Dunkelheit kommt Licht, vom Tod eine Wiedergeburt" – so scheint die
libanesischen Künstlerin Zena El Khalil, deren Zitat als Inspiration für die
heurige Jubiläumsauflage diente, optimistisch in die Zukunft zu sehen.