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Sommerlicher Theaterreigen in La Serenissima

Christoph Marthaler liebt es zu spielen. Begründen tut er dies mit seiner
teilweise "mangelnden Reife" und beweist damit abermals seinen unerschöpflichen
Sinn für Humor. Spielerisch und humorvoll zeigte sich der Schweizer Regisseur in
der Eröffnungsproduktion der 43. Auflage der Theaterbiennale in Venedig,
die dieses Jahr vom 30. Juli bis 9. August stattfand.

Von Irina Wolf
(02. 09. 2015)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.


 


(c) Nacho Gómez

"A House in Asia"
(Regie: Àlex Serrano)


 


(c) Simon Hallström

"Das Weiße vom Ei"
(Regie:Christoph Marthaler)

 


 

Linktipp
www.labiennale.org

   Das Weiße vom Ei, seine Inszenierung, inspiriert unter anderem von Eugène Labiches Komödie La poudre aux yeux, löste bei den italienischen Zuschauern große Begeisterung aus. Erwartungsgemäß angeregt und mitreißend verlief auch die darauffolgende Publikumsdiskussion.

Im festlichen Rahmen der prachtvollen Salla delle Colonne des Ca'Giustinian Palastes, Sitz der Biennale von Venedig, spielten sich auch die Feierlichkeiten zur Verleihung der Löwen ab. Überraschenderweise ging der Silberne Löwe an Agrupación Señor Serrano (den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhielt Christoph Marthaler). Die aus Barcelona stammende, 2006 gegründete Gruppe, zeichnet sich durch eine "innovative Theaterform und eine universelle Bildsprache sowie durch Beständigkeit in ihren ethisch-ästhetischen Ansichten aus", so Àlex Rigola, Leiter der Theatersektion der Biennale.

   Dass das katalanische Ensemble die "szenischen Räume in Installationen verwandelt und die Videokamera zur Protagonistin aufrücken lässt", bewies ihre am Ende des Festivals gezeigte Produktion A House in Asia. Die als Western aufgebaute Inszenierung erzählt die Geschichte der Jagd auf Osama Bin Laden. Dabei treten Àlex Serrano und Pau Palacio selbst als Bediener der Videokameras und alleinige "Darsteller" auf. A House in Asia ist eine gekonnte Mischung aus Twitternachrichten-Einblendungen, einer perfekt einstudierten Tanzeinlage und Videoprojektionen aus dem Moby-Dick-Klassiker live zusammengeschnitten mit Aufnahmen von Western-Szenen. Getrieben von der Musik "kämpfen" die von Hand geschickt gelenkten Miniaturfiguren der Cowboys und Indianer in den selbst entworfenen Modellen gegeneinander, bis schlussendlich Bin Laden alias Moby Dick besiegt ist. Es entsteht zeitweise der Eindruck von Comic-Heft-Figuren, die vor den Augen der Zuschauer wie in einem Videospiel zum Leben erweckt werden. Eine ungewöhnliche und technisch aufwendige Theaterform, die durch ihre spannende und zugleich ironische Art begeisterte.

Dazu prägte eine Vielzahl von prominenten Regisseuren der Gegenwart das Festival: Thomas Ostermeier, Oskaras Koršunovas, Lluís Pasqual, Antonio Latella, Milo Rau, Jan Lauwers und Romeo Castellucci (Gewinner des Goldenen Löwen 2014 bzw. 2013) und der junge Fabrice Murgia (32 Jahre alt, Gewinner des Silbernen Löwen 2014), um nur einige davon zu nennen. Die Themenpalette reichte von der Unsicherheit am Arbeitsplatz und der Manipulation durch Medien über Studien der Nachkriegszeit in Deutschland oder dem Völkermord in Ruanda bis hin zum hikikomori-Phänomen und der Einsamkeit passend zur Identitätskrise und der Liebe als sozialer Notwendigkeit, die sich wie ein roter Faden durch das Konzept zogen. Experimentierfreudig, gefühlvoll und dynamisch zugleich wurde es im Young Italian Brunch. Obwohl die den italienischen Newcomergruppen gewidmete Sektion zu einer für italienische Verhältnisse "unorthodoxen" Uhrzeit angesetzt war, erfreute sie sich einer großen Beliebtheit beim Publikum.

   Die Stärke der Festspiele lag jedoch nicht in den dreizehn von Rigola selektierten Produktionen, sondern in den elf den Jugendlichen gewidmeten Meister-Klassen. "Die Idee, die Biennale-Colleges mit dem Festival zu verbinden, gebührt Àlex Rigola. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Denn damit hat er jungen Künstlern aus der ganzen Welt die Chance gegeben, mit den Meistern zusammenzuarbeiten und gleichzeitig deren Vorstellungen beizuwohnen", sagt Paolo Baratta, Präsident der Biennale von Venedig. 2015 wurden aus 1700 Anmeldungen insgesamt 350 Jugendliche aus 35 Ländern, darunter Kanada, Taiwan und Zimbabwe, ausgewählt. Von vielen der Teilnehmer konnte ich begeisterte Meinungen einholen, sei es über die von Mark Ravenhill, Yasmina Reza und Pascal Rambert geleiteten Workshops für dramatisches Schreiben, über die set design- und lighting-Labors oder über die Workshops für "soziale Kommunikationsstrategie und Theaterkritik".

Einen ganz besonderen Stellenwert im Festivalprogramm genossen die Regie-Workshops. Das von Rigola 2015 ausgewählte Thema war eine Hommage an Luchino Viscontis Meisterwerk von 1948 sowie an die andauernden Konflikte in allen Erdteilen. Die Erde bebt (La terra trema) hieß der aus sieben Kurzstücken zusammengestellte Parcours, der die von Latella, Rau, Murgia, Lauwers, Agrupación Señor Serrano, Christiane Jatahny und Falk Richter gehaltenen Labors widerspiegelte. Als Krönung dieser Festivalauflage verwandelte sich La terra trema in eine Reise durch die Serenissima: Das Benedetto-Marcello Konservatorium, mehrere Räumlichkeiten der ehemaligen Schiffswerft Arsenale, ja sogar das Teatro La Fenice wurden als Schauplätze von Theateraufführungen einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

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