Das Weiße vom
Ei, seine Inszenierung, inspiriert unter anderem von Eugène Labiches
Komödie La poudre aux yeux, löste bei den italienischen Zuschauern
große Begeisterung aus. Erwartungsgemäß angeregt und mitreißend verlief auch
die darauffolgende Publikumsdiskussion.
Im festlichen
Rahmen der prachtvollen Salla delle Colonne des Ca'Giustinian Palastes, Sitz
der Biennale von Venedig, spielten sich auch die Feierlichkeiten zur
Verleihung der Löwen ab. Überraschenderweise ging der Silberne Löwe an
Agrupación Señor Serrano (den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhielt
Christoph Marthaler). Die aus Barcelona stammende, 2006 gegründete Gruppe,
zeichnet sich durch eine "innovative Theaterform und eine universelle
Bildsprache sowie durch Beständigkeit in ihren ethisch-ästhetischen
Ansichten aus", so Àlex Rigola, Leiter der Theatersektion der Biennale.
Dass
das katalanische Ensemble die "szenischen Räume in Installationen verwandelt
und die Videokamera zur Protagonistin aufrücken lässt", bewies ihre am Ende
des Festivals gezeigte Produktion A House in Asia. Die als Western
aufgebaute Inszenierung erzählt die Geschichte der Jagd auf Osama Bin Laden.
Dabei treten Àlex Serrano und Pau Palacio selbst als Bediener der
Videokameras und alleinige "Darsteller" auf. A House in Asia ist eine
gekonnte Mischung aus Twitternachrichten-Einblendungen, einer perfekt
einstudierten Tanzeinlage und Videoprojektionen aus dem Moby-Dick-Klassiker
live zusammengeschnitten mit Aufnahmen von Western-Szenen. Getrieben
von der Musik "kämpfen" die von Hand geschickt gelenkten Miniaturfiguren der
Cowboys und Indianer in den selbst entworfenen Modellen
gegeneinander, bis schlussendlich Bin Laden alias Moby Dick besiegt ist. Es
entsteht zeitweise der Eindruck von Comic-Heft-Figuren, die vor den Augen
der Zuschauer wie in einem Videospiel zum Leben erweckt werden. Eine
ungewöhnliche und technisch aufwendige Theaterform, die durch ihre spannende
und zugleich ironische Art begeisterte.
Dazu prägte eine
Vielzahl von prominenten Regisseuren der Gegenwart das Festival:
Thomas Ostermeier, Oskaras Koršunovas, Lluís Pasqual, Antonio Latella, Milo
Rau, Jan Lauwers und Romeo Castellucci (Gewinner des Goldenen Löwen 2014
bzw. 2013) und der junge Fabrice Murgia (32 Jahre alt, Gewinner des
Silbernen Löwen 2014), um nur einige davon zu nennen. Die Themenpalette
reichte von der Unsicherheit am Arbeitsplatz und der Manipulation durch
Medien über Studien der Nachkriegszeit in Deutschland oder dem Völkermord in
Ruanda bis hin zum hikikomori-Phänomen und der Einsamkeit
– passend zur Identitätskrise und der Liebe
als sozialer Notwendigkeit, die sich wie ein roter Faden durch das Konzept
zogen. Experimentierfreudig, gefühlvoll und dynamisch zugleich wurde es im
Young Italian Brunch. Obwohl die den italienischen Newcomergruppen
gewidmete Sektion zu einer für italienische Verhältnisse "unorthodoxen"
Uhrzeit angesetzt war, erfreute sie sich einer großen Beliebtheit beim
Publikum.
Die Stärke der
Festspiele lag jedoch nicht in den dreizehn von Rigola selektierten
Produktionen, sondern in den elf den Jugendlichen gewidmeten
Meister-Klassen. "Die Idee, die Biennale-Colleges mit dem Festival zu
verbinden, gebührt Àlex Rigola. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Denn
damit hat er jungen Künstlern aus der ganzen Welt die Chance gegeben, mit
den Meistern zusammenzuarbeiten und gleichzeitig deren
Vorstellungen beizuwohnen", sagt Paolo Baratta, Präsident der
Biennale von Venedig. 2015 wurden aus 1700 Anmeldungen insgesamt 350
Jugendliche aus 35 Ländern, darunter Kanada, Taiwan und Zimbabwe,
ausgewählt. Von vielen der Teilnehmer konnte ich begeisterte Meinungen
einholen, sei es über die von Mark Ravenhill, Yasmina Reza und Pascal
Rambert geleiteten Workshops für dramatisches Schreiben, über die set
design- und lighting-Labors oder über die Workshops für "soziale
Kommunikationsstrategie und Theaterkritik".
Einen ganz
besonderen Stellenwert im Festivalprogramm genossen die Regie-Workshops. Das
von Rigola 2015 ausgewählte Thema war eine Hommage an Luchino Viscontis
Meisterwerk von 1948 sowie an die andauernden Konflikte in allen Erdteilen.
Die Erde bebt (La terra trema) hieß der aus sieben Kurzstücken
zusammengestellte Parcours, der die von Latella, Rau, Murgia, Lauwers,
Agrupación Señor Serrano, Christiane Jatahny und Falk Richter gehaltenen
Labors widerspiegelte. Als Krönung dieser Festivalauflage verwandelte sich
La terra trema in eine Reise durch die Serenissima: Das
Benedetto-Marcello Konservatorium, mehrere Räumlichkeiten der ehemaligen
Schiffswerft Arsenale, ja sogar das Teatro La Fenice wurden als Schauplätze
von Theateraufführungen einem breiten Publikum zugänglich gemacht.