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Mit Projekten wie
"Die Besten aus dem Osten!" gelingt dem Wiener
Von
Irina Wolf |
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Wien ist aus historischen wie geopolitischen Gründen als Standort einer Theaterdrehscheibe geradezu prädestiniert, und tatsächlich ist die Nachfrage nach fremdsprachigem und auch übersetztem Theater aus dem Osten hier groß und steigt aufgrund der politischen Gegebenheiten rasant. Seit Beginn der Direktion durch Michael Schottenberg im Jahr 2005 hat sich das Volkstheater in einen intensiven Dialog mit den östlichen Nachbarn begeben. Der "Hundsturm", die gleichfalls 2005 eröffnete Spielstätte des Volkstheaters, steht im Zeichen der "Besten aus dem Osten". Freie Theatergruppen aus den Nachbarländern Österreichs sind seit nunmehr drei Jahren eingeladen, aus der kulturellen Identität ihres Landes neue, frische Werke zu zeigen. Europa erlesen Der Weg zur Umsetzung des attraktiven Projektes begann 2005 mit dem Schwerpunkt Europa erlesen, einer "Lesereise" in Zusammenarbeit mit dem Wieser Verlag Klagenfurt. Seit zwanzig Jahren baut Lojze Wieser Brücken zwischen Ost und West. "Europa", schreibt Wieser, "kann nur erlesen werden: Buch für Buch, nicht Krieg um Krieg" (Wieser). Mit dieser literarischen Entdeckungsreise wurde Fernes nahegebracht und die Literatur der Nachbarn erschlossen. Die Schauspieler des Volkstheaters nahmen die Zuhörer mit auf Streifzüge nach Wien, Bratislava, Bukarest, Siebenbürgen, Ljubljana, Belgrad, Budapest und Galizien. Mit Gregor von Rezzori, Lucian Blaga, Liviu Rebreanu, László Király, Ioan Alexandru, Franz Hodjak, Anemone Latzina, Zsófia Balla, Eginald Schlattner, István Eörsi und Richard Wagner wurde in der siebenten Station im April 2006 Siebenbürgen erkundet. Die Besten aus dem Osten "Das Projekt Die Besten aus dem Osten! entstand aus dem Schwerpunkt Europa erlesen", sagt Hans Mrak, Dramaturg des Volkstheaters, der das Projekt gemeinsam mit der Chefdramaturgin Susanne Abbrederis initiierte. Das Konzept ist so einfach wie überzeugend: Zweimal pro Saison werden ausgewählte Aufführungen junger Autoren und innovativer Theatergruppen aus Ost- und Zentraleuropa (einschließlich eines Gastspiels in Originalsprache) am Hundsturm gespielt. Das Anliegen der Dramaturgen war und ist es, an der Schnittstelle zwischen Ost und West die starken kulturellen Strömungen der östlichen Nachbarn aufzugreifen und dem Wiener Publikum herausragende Theaterarbeiten zugänglich zu machen. Die 2007 erfolgreich gestartete Theaterreihe Die Besten aus dem Osten! widmet sich pro Land mit Kurz-Festivals vielfach ausgezeichneten zeitgenössischen AutorInnen und erfolgreichen RegisseurInnen aus den jeweiligen Ländern. "Da österreichische Gegenwartsautoren im Wiener Schauspielhaus aufgeführt werden und das Burgtheater die Werkstatttage deutschsprachigen zeitgenössischen Autoren gewidmet hat", bekennt Mrak, "haben wir beschlossen, uns am Volkstheater jungen Dramatikern aus Osteuropa zu widmen, die großteils noch nicht ihren Weg in unsere Theaterlandschaft gefunden haben. Ein weiteres Anliegen war uns, andere, außergewöhnliche Darstellungsformen zu präsentieren, die sich von unseren Theatertraditionen unterscheiden, unser Haus also vielfältigen neuen Strömungen und Einflüssen zu öffnen und eine Lücke in dieser Stadt zu füllen". Die allererste Folge der zeitgenössischen theatralen Erkundungstour war dem EU-Neuankömmling Rumänien gewidmet. Im Mittelpunkt der Folge1: Rumänien stand die junge Dramatikerin und Regisseurin Gianina Cărbunariu, die mit ihren Stücken mady-baby.edu und Stop the tempo! vertreten war. Gerade Autoren wie Cărbunariu gehören einer kompromisslosen Generation in Rumänien an, die es vermochte, das Hier und Jetzt der sich rasant verändernden Gesellschaft – oder eben auch die Zeit des Kommunismus – neu zu beleuchten. Das heutige rumänische Theater ist ein junges Theater. Aus einem Land stammend, in dem weniger Intendanten und Dramaturgen, sondern vielmehr Regisseure die Spielpläne bestimmen, und in dem Uraufführungen eher die Ausnahme bilden, erlebt manches zeitgenössische Stück seinen Durchbruch zuerst im Ausland. Mit Stop the Tempo! gelang Cărbunariu bei der Wiesbadener Theaterbiennale 2004 ihr internationaler Durchbruch. Das Stück mady-baby.edu wurde und wird in Deutschland und vielen anderen Ländern unter dem Titel Kebab gespielt. Stop the tempo! wurde im Rahmen des Festivals Die Besten aus dem Osten! als szenische Lesung (Einrichtung: Katrin Hiller) gezeigt und danach erfolgreich im Schwarzen Salon des Volkstheaters, einem Ort für junge Talente und neue Stücke, wiederaufgenommen. "Ich habe relativ viel österreichische und deutsche Autorenförderung gemacht und finde Gianina eine der Besten. Sie ist hart mit ihren Figuren, sie hat einen guten dramaturgischen Aufbau, sie schreibt einfach kraftvoll", schwärmt Regisseurin Katrin Hiller:
Im Idealfall schreibt Cărbunariu "kein Wort zu viel", unterstreicht Hiller, die gleichzeitig die dahinterliegende Motivation betont:
Seitdem wurden weitere fünf Folgen aus den Ländern Polen, Ungarn, Kroatien, Slowenien und Serbien dediziert: "Schon die erste Folge stieß auf breites Interesse bei den anderen Wiener Theatern, Dramaturgen, Regisseuren, wurde aber auch vom Stammpublikum des Volkstheaters und vor allem von der jeweiligen Diaspora mit großem Interesse verfolgt", sagt Mrak. Die kleinen Festivals bieten aber noch mehr: Autorenlesungen, Buchpräsentationen, Diskussionsrunden, Ausstellungen und Musik. Zu erleben waren im Falle Rumäniens neben Theater auch Buchpräsentationen der in deutscher Übersetzung neu erschienenen Literatur von Dan Lungu und Cătălin Dorian Florescu. Besonders spannend war die Diskussion mit der rumänischen Theaterkritikerin Iulia Popovici über neue Trends in der rumänischen Theaterszene. Go West? "Im Zuge der Erkundungstouren für unsere Festivalreihe Die Besten aus dem Osten! sind wir vielen interessanten jungen AutorInnen aus Zentral- und Osteuropa begegnet", erklärt Mrak. "Um eine Kontinuität mit diesen zu bewahren, wurde 2010 das Festival Go West? als 'Zwischenbilanz' dieses Dialogs entwickelt. Wir haben an neun AutorInnen Stückaufträge zum Thema Europa und Migration vergeben, die Texte übersetzen und sie von jungen RegisseurInnen inszenieren lassen. Das Resultat war beeindruckend und wurde an zwei Abenden im Bellaria-Kino, das zu einem (Stationen-)Theater umfunktioniert wurde, gezeigt". "Im Besonderen wollten wir damit einen wesentlichen Beitrag im Sinne der Vernetzung und Kooperation dieser KünstlerInnen leisten", fügt Irene Girkinger, Dramaturgin des Volkstheaters und Mitinitiatorin dieses Projekts, hinzu. "Sie, aber auch österreichische AutorInnen haben wir eingeladen, sich mit Fragen der Beweggründe, Mechanismen und Konsequenzen für und von Migration auseinanderzusetzen". Im Auftrag des Volkstheaters sind auf diese Weise insgesamt neun unterschiedliche Kurzstücke entstanden, die in Inszenierungen junger RegisseurInnen an zwei ausverkauften Abenden im Bellaria Kino präsentiert wurden". Gianina Cărbunariu behandelte in ihrem Stück Spargel, inspiriert von einem Zeitungsbericht über rumänische Arbeiter in Großbritannien, auf ironische und sehr berührende Weise die Themen Migration und Toleranz. Alexander Kratzer hat bei beiden Projekten des Volkstheaters, sowohl bei Die Besten aus dem Osten! als auch bei Go West?, je zwei Länder, Slowenien und Rumänien betreut. Der Regisseur ist der Meinung, dass "Spargel einer der besten Texte des Projekts Go West? war. Es ist eine sehr klare Geschichte, in kurzer Form erzählt, die eine solide Basis hat und in der die Figuren deutlich gezeichnet sind". Sehr spannend fand Kratzer den Text, ...
Eine Erklärung fand der Regisseur darin, dass bei vielen osteuropäischen AutorInnen ein starkes politisches Anliegen spürbar sei. "Es gibt viele Themen, die nicht aufgearbeitet wurden, auch durch den Jugoslawienkrieg. Bei manchen westlichen Autoren fragt man sich manchmal, wo da die Geschichte ist". Vom starken Publikumsinteresse an Go West? zeigte sich Kratzer überwältigt: "Beide Abende waren ausverkauft, es war übervoll. Ich denke, dass der Ost-Schwerpunkt des Volkstheaters viel zur Wiener Theaterszene beiträgt, auf starkes Interesse stößt". Daher hat er das Festival "in seinem besten Sinne empfunden, an dem man sich aus Neugier die anderen Länder anschaut. Es hat im guten Sinne einen Wettbewerbscharakter und daher so eine Buntheit, eine Vielfalt gehabt. Das ist ein extrem wichtiges Mittel, das das Interesse an diesen Ländern steigert". Die Zukunft Mit Gianina Cărbunariu aus Rumänien, Björn Bicker aus Deutschland sowie Anica Tomić und Jelena Kovačić aus Kroatien wird die Zusammenarbeit zum Themenschwerpunkt Migration in der Spielzeit 2010/2011 im Schwarzen Salon fortgesetzt. "Es sind drei ganz unterschiedliche Erarbeitungsformen, die gezeigt werden", erklärt Irene Girkinger. "Zum einen hat Bicker über anderthalb Jahre Gespräche und Interviews geführt, zum anderen ist die Herangehensweise von Tomić und Kovačić ein Autorenprojekt, in der sich der Theaterabend erst im Laufe der Probenarbeiten entwickelt". Ebenso versucht diese Aufführung, die Idee des Volkstheaters als ein Theater von und für Menschen zu beleuchten, ein Theater, das den Menschen gehört. Ein Versuch, eine Verbindung herzustellen zwischen Wien als einem europäischen und dem Volkstheater als einem städtischen Schmelzpunkt. Zur Auftragsarbeit aus Rumänien sagt Girkinger:
Auch Die Besten aus dem Osten! geht in eine weitere Runde: Innovatives Theater aus dem Baltikum und der Türkei wird in den Folgen 9 und 10 in der nächsten Theatersaison im Hundsturm zu Gast sein. Mit
diesen Projekten gelingt dem Volkstheater somit einmal mehr eine Öffnung des
Hauses. Vor allem aber können nicht nur das Wiener Publikum, sondern auch
die Wiener Künstler ein wenig in die unbekannte Theaterwelt der östlichen
Nachbarn hineinschnuppern. Hinzu kommt, dass Spielstätten wie der Hundsturm
und der Schwarze Salon zu wichtigen Treffpunkten im Wiener Kulturleben
werden. |