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Der mit 10.000 Euro
dotierte Young Directors Award der Salzburger Festspiele
ging
Von
Irina Wolf |
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Der Wald als Ort für sportliche Betätigung, eine Lichtung als Übungsgelände zur Perfektion. Immer wieder vollzieht eine Turnerin unter Aufsicht ihres Trainers Rotationen und Spagate. Ein undurchdringlicher Nebelvorhang überzieht das Bühnenbild und umfasst auch den Saal im republic. An so einem heißen Augustabend verschafft dies dem Publikum eine willkommene, wenn auch unheimliche Abkühlung. Szene 2: Ein junger Mann in Michael-Jackson-Outfit irrt im selben Hain herum. Die paar Worte, die er ausspricht, enthüllen einen von Reue geplagten, depressiven Jugendlichen. Der Wald verändert sich in einen Platz zum Beichten; der junge Mann entpuppt sich als Mörder. Horrorsteigerung in Szene 3: Der Trainer kehrt zurück in den Forst und verwandelt diesen in den Schauplatz eines grausamen Mordes. Der junge Rockstar fällt tot zu Boden. Oder doch nicht? Seine Gestalt sowie das Phantom der Turnerin – verbildlicht durch eingefrorene Puppen – kommen hinter den erneut in dichten Nebel getränkten Baumstämmen der Bühnendekoration zum Vorschein. Letzter Szenenwechsel: Ein Bogenschütze visiert sein Ziel an. Er schießt und trifft ins Holz. Eine Eule flattert vorbei. Der Wald als Jagdraum. "This is how you will disappear" heißt die geheimnisvolle Vorstellung, die dieses Jahr bei den Salzburger Festspielen im Rahmen des Young Directors Project gezeigt wurde. Die beim Festival d’Avignon 2010 uraufgeführte Performance trägt die unverwechselbare Handschrift der Regisseurin Gisèle Vienne, die auch für Konzeption, Choreografie und Bühnenbild verantwortlich zeichnet. "Ich stellte mich der Herausforderung, die Natur zu inszenieren, eine Performance zu kreieren mit dem Wald als Zentralfigur", erklärt die Künstlerin in einem Interview. Dass der Wald schon in der Romantik zum Sinnbild malerischer Natur, aber auch zum beliebten Schauplatz der gegensätzlichen Welt gehört, ist seit jeher bekannt. Und eben die Dichotomie zwischen Leben und Tod, Frieden und Angst, Sicherheit und Bedrohung findet in dieser angemessenen Szenerie ihre ästhetische Veranschaulichung. Ein David-Lynch-ähnlicher Surrealismus. Sven-Eric Bechtolf, der neue Schauspielchef der Salzburger Festspiele, ist damit – wie er selbst zugibt – ein Risiko eingegangen. So unkonventionell und vieldeutig wie Viennes Performance ist, erfordert die Rezeption beim Publikum Offenheit und Neugier. Dem Zuschauer ist es überlassen, Zusammenhänge herzustellen. "Trotz lauter, teils dröhnender sphärisch-elektronischer Musik, regt die Performance zum Nachdenken an und erzeugt Stille", meint Bechtolf. Dass ein großer Teil des Publikums diesen Standpunkt nicht befürwortete, zeigte sich deutlich am Vorstellungsende. Nachdem manche den ohnehin spärlich mit Zuschauern besetzten Saal fluchtartig verließen, blieb der Applaus bescheiden und zurückhaltend. Ähnliches Unverständnis hatte am frühen Nachmittag Viennes Performance "Éternelle Idole" ausgelöst. Trotz des originellen Schauspielortes (die Eisarena im Salzburger Volksgarten), wohnten nur wenige Interessierte der Vorstellung bei, darunter mehrere Verwandte und Freunde der mitwirkenden Schlittschuhläuferinnen der Eisunion Salzburg. Die französische Regisseurin widmete auch diese Performance der ästhetischen Untersuchung von antagonistischen Zuständen: Erfolg und Scheitern, Verwundbarkeit und Disziplin, Unschuld und Verführung. Dank Aurore Ponomarenko gewann die zur Gänze non-verbale Aufführung bedeutend an Schönheit. Die hervorragenden Pirouetten und perfekten Sprünge der jungen Eisläuferin wirkten beeindruckend, sodass sich am Ende im Publikum ein Gefühl des Verlustes ausbreitete, als die zarte Frau von einem Außerirdischen entführt wurde. Auf der vom Nebel umschlungenen Eisfläche ließ sich nur noch die Gestalt eines unbekannten Flugobjektes erahnen. Unendlich viel
Nebel ist eindeutig Viennes Markenzeichen, wodurch ihre Performances eine
unverkennbare Stimmung erhalten. Die Konzepte der Theatermacherin sind
einfach, der Erlebnischarakter reichhaltig. Dass diese experimentellen
Begegnungen anfangs auf Kritik und Ablehnung stoßen, ist verständlich, ist
doch jeder neue Versuch zugleich eine Mutprobe. Der Gewinn des mit 10.000
Euro dotierten Young Directors Project Preises verspricht eine
baldige Wiederbegegnung mit der französischen Künstlerin. Spannende
Geschichten zwischen Fantasie und Realität sind zu erwarten. |