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Zug des Lebens
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Ihr Erstlingswerk brauchte Zeit, um zu reifen: Bereits 1983 ist Domnica Radulescu aus
Rumänien in die USA geflüchtet, hat dort eine Familie gegründet und sich zu einer angesehenen
Romanistin und Theaterforscherin emporgearbeitet. Ihren ersten Roman schrieb sie aber
erst jetzt: "Zug nach Triest" ist die autobiographisch inspirierte Geschichte einer Frau,
die sich auf einer Lebensreise quer durch alle Sphären befindet
beginnend mit dem
kommunistischen Rumänien, einer Flucht quer durch Europa bis nach Übersee ins Exil.

Von Irina Wolf
(17. 08. 2009)

...





Irina Wolf
wolfirina [at] yahoo.com


wurde in Bukarest geboren.
Nach Abschluss ihres Infor-
matikstudiums kam sie 1988
durch ein Herder-Stipendium
nach Wien. Nach mehreren
Jobs im Telekommunikations-
und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Handelsbereich. Seitdem
arbeitet sie bei der Friedrich
Wilhelm GmbH & Co.KG
und hält weiterhin engen
Kontakt mit Rumänien.


 

 

 

  

 Domnica Radulescu.
Zug nach Triest.
Hoffmann und Campe,
2009, 380 S.
ISBN: 345540118X

 

 

 

"Die Spitzenvorhänge
bewegen sich im Wind.
Durch sie hindurch, über
unsere Köpfe, begaffen uns
die drei marxistischen
Führer und der vierte im
Bunde, unser Vater
der Nation"

 

 

 


(c) Washington & Lee Univ.

Domnica Radulescu

ist in Rumänien geboren
und emigrierte 1983 in
die USA. Sie ist Professorin
für romanische Sprachen und
Literatur und leitet das Prog-
ramm für Frauenstudien an
der Washington und Lee
Universität. Sie hat über
europäische Literatur und
Theater wissenschaftliche
Artikel veröffentlicht und
Bücher verfasst oder heraus-
gegeben; außerdem ist sie
Gründungsdirektorin des
nationalen Symposiums für
Theaterwissenschaft. Die
Autorin lebt mit ihren beiden
Söhnen in Lexington,
Virginia. 

 

 

   Mit einer Zugfahrt vom Schwarzen Meer in die Karpaten beginnt die rumänischstämmige amerikanische Schriftstellerin Domnica Radulescu ihren ersten Roman "Zug nach Triest". Es ist nur der Anfang einer abenteuerlichen Fahrt durch sämtliche Sphären: durch das kommunistische Rumänien, auf der Flucht durch Europa, durch vielfältige Kulturen und nach Übersee ins Exil. Im Mittelpunkt steht jedoch die Leidens- und Lebensgeschichte der Ich-Erzählerin Mona Maria Manoliu.

Liebe und Kommunismus

   Im ersten von zwei Teilen führt die Autorin den Leser durch das Rumänien der siebziger und achtziger Jahre. Radulescu zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Ängste der Kommunismus damals auslöste. Ähnlich wie in Filmen spielt sich das alltägliche Leben ab: "politisch gefährliche Leute" werden in psychiatrische Anstalten eingeliefert, "die viel schlimmer sind als die Anstalt im Film (Einer flog über das Kuckucksnest)". Die Autorin – sie selbst hat Romanistik und Theaterwissenschaften studiert und zwanzig Jahre lang Theaterregie geführt – bedient sich mehrfach der Assoziationen zu Film- und Theaterfiguren. Dementsprechend wird dem Leser das Geschehen mit den Augen dieser Personen erzählt und die emotionale Anteilnahme am Schicksal der bedrohten Protagonistin gesteigert.

Auch betreibt Radulescu, ähnlich wie in der "Glasmenagerie", ein Spiel der Erinnerungen. Innerhalb der Erzählhandlung sind umfassende geschichtliche Rückblicke eingebaut, die das Leben von Monas Angehörigen während der beiden Weltkriege wiedergeben, sodass Vergangenheit und Gegenwart ineinander verschmelzen.

   Ungeachtet der Ceausescu-Diktatur verliebt sich Mona in den vier Jahre älteren Mihai. Unter dem strengen Blick der Porträts von Marx, Engels, Lenin und Ceausescu erlebt das Liebespaar reichlich schöne Stunden miteinander. "Die Spitzenvorhänge bewegen sich im Wind. Durch sie hindurch, über unsere Köpfe, begaffen uns die drei marxistischen Führer und der vierte im Bunde, unser Vater der Nation". Spannend und gleichzeitig mit viel Fantasie führt Radulescu romantische Liebesszenen mit dem Furcht einflößenden Kommunismus zusammen.

Seit dem Zeitpunkt, als ihr Geliebter eine schwarze Lederjacke trägt, kann sich Mona nicht vom Gedanken trennen, dass er ein Geheimpolizist sein könnte, eine männliche "Mata Hari". Diese Ungewissheit, "die allgemeine Atmosphäre von Misstrauen und Verwirrung", die Dissidentenaktivitäten ihres Vaters sowie die tägliche Verschlechterung der Lebensqualität in Rumänien und die verlorene Aussicht auf die Zukunft bringen sie zum Entschluss, das Land zu verlassen. Der Fluchtweg führt mit dem Zug über die jugoslawische Grenze nach Belgrad, von dort weiter nach Triest und Rom und letztendlich nach Chicago in die USA.

Freiheit und Sehnsucht

   Anders der zweite Teil des Romans. Nach dem ersten begeisterten Kontakt mit der ungewohnten Freiheit, wird die Protagonistin von nostalgischen Gefühlen überwältigt. Auf ihrer Reise durch das schwierige Leben im Exil, geprägt von der amerikanischen Lebensweise, von Erfahrungen mit einer religiösen Sekte und Sozialarbeitern über Naturkatastrophen bis hin zu Stapeln von Anwaltsanträgen, tauchen immer wieder Erinnerungen an die zurückgelassene Liebe auf. Währenddessen ist sie andauernd geplagt von der Ungewissheit: War ihr ehemaliger Geliebter nun ein Geheimpolizist oder nicht?

Das Spiel der Erinnerungen wird auch im zweiten Teil weitergeführt. Nur wird es hier eingesetzt, um den inneren Konflikt und die persönliche Veränderung zu betonen. Wenn Mona zu sehr vom Alltag bedrückt ist, findet sie sich in Träumereien wieder, in denen sie von der in Rumänien zurückgelassenen Leidenschaft fantasiert. Malerische Naturbeschreibungen der Karpaten und schmackhafte, rumänische Gerichte verdeutlichen noch mehr das starke Heimweh und die tiefgreifende Verbindung zur fern gebliebenen Welt. "In meinem Teil der Welt aßen die Menschen schon vor fünfhundert Jahren 'mămăligă', so wie ich es abends in der Küche mit meinen beiden Söhnen esse, und ich schere mich den Teufel um die Nährmittelgruppen, die sie in der Schule beigebracht bekommen". Dabei spielen rumänische Wörter und insbesondere das Wort Sehnsucht (dor), dem im Roman eine ausführliche Erläuterung gewidmet ist, eine beachtliche Rolle. Sehr wirkungsvoll ist der Einsatz der rumänischen Ausdrücke, neben deren Erklärung und Übersetzung, auch im Original. Dadurch gelingt es der Autorin, die mit einer Auswanderung verbundenen Probleme, Nostalgie für die zurückgelassene Welt und Identitätsfragen hervorzuheben.

   Fazit: Domnica Radulescu weiß sich von pathetischer Sprache fernzuhalten und die Geschichte unterhaltsam und stimmungsvoll zu verpacken. Die Handlung ist gut durchdacht, der Text sehr anschaulich geschrieben. Der Leser kann sich von Anfang an mit der Hauptfigur identifizieren und sich bildlich in das Geschehen hineinversetzen. Obwohl sie betont, dass es sich keinesfalls um einen autobiografischen Roman handelt, finden sich in Radulescus literarischem Debüt zahlreiche Parallelen zu ihrer Lebensreise wieder (sie selbst emigrierte aus Rumänien 1983 in die USA). Insgesamt erweist sich "Zug nach Triest" als eine attraktive, fesselnde Lektüre. Geschickt wählt die Autorin ein offenes Ende. So kann der Leser auf eine Fortsetzung hoffen.

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