Mit
einer Zugfahrt vom Schwarzen Meer in die Karpaten beginnt die
rumänischstämmige amerikanische Schriftstellerin Domnica Radulescu ihren
ersten Roman "Zug nach Triest". Es ist nur der Anfang einer abenteuerlichen
Fahrt durch sämtliche Sphären: durch das kommunistische Rumänien, auf der
Flucht durch Europa, durch vielfältige Kulturen und nach Übersee ins Exil.
Im Mittelpunkt steht jedoch die Leidens- und Lebensgeschichte der
Ich-Erzählerin Mona Maria Manoliu.
Liebe und Kommunismus
Im
ersten von zwei Teilen führt die Autorin den Leser durch das Rumänien der
siebziger und achtziger Jahre. Radulescu zeigt auf eindrucksvolle Weise,
welche Ängste der Kommunismus damals auslöste. Ähnlich wie in Filmen spielt
sich das alltägliche Leben ab: "politisch gefährliche Leute" werden in
psychiatrische Anstalten eingeliefert, "die viel schlimmer sind als die
Anstalt im Film (Einer flog über das Kuckucksnest)". Die Autorin – sie
selbst hat Romanistik und Theaterwissenschaften studiert und zwanzig Jahre
lang Theaterregie geführt – bedient sich mehrfach der Assoziationen zu Film-
und Theaterfiguren. Dementsprechend wird dem Leser das Geschehen mit den
Augen dieser Personen erzählt und die emotionale Anteilnahme am Schicksal
der bedrohten Protagonistin gesteigert.
Auch betreibt
Radulescu, ähnlich wie in der "Glasmenagerie", ein Spiel der Erinnerungen.
Innerhalb der Erzählhandlung sind umfassende geschichtliche Rückblicke
eingebaut, die das Leben von Monas Angehörigen während der beiden Weltkriege
wiedergeben, sodass Vergangenheit und Gegenwart ineinander verschmelzen.
Ungeachtet
der Ceausescu-Diktatur verliebt sich Mona in den vier Jahre älteren Mihai.
Unter dem strengen Blick der Porträts von Marx, Engels, Lenin und Ceausescu
erlebt das Liebespaar reichlich schöne Stunden miteinander. "Die
Spitzenvorhänge bewegen sich im Wind. Durch sie hindurch, über unsere Köpfe,
begaffen uns die drei marxistischen Führer und der vierte im Bunde, unser
Vater der Nation". Spannend und gleichzeitig mit viel Fantasie führt
Radulescu romantische Liebesszenen mit dem Furcht einflößenden Kommunismus
zusammen.
Seit dem
Zeitpunkt, als ihr Geliebter eine schwarze Lederjacke trägt, kann sich Mona
nicht vom Gedanken trennen, dass er ein Geheimpolizist sein könnte, eine
männliche "Mata Hari". Diese Ungewissheit, "die allgemeine Atmosphäre von
Misstrauen und Verwirrung", die Dissidentenaktivitäten ihres Vaters sowie
die tägliche Verschlechterung der Lebensqualität in Rumänien und die
verlorene Aussicht auf die Zukunft bringen sie zum Entschluss, das Land zu
verlassen. Der Fluchtweg führt mit dem Zug über die jugoslawische Grenze
nach Belgrad, von dort weiter nach Triest und Rom und letztendlich nach
Chicago in die USA.
Freiheit und Sehnsucht
Anders
der zweite Teil des Romans. Nach dem ersten begeisterten Kontakt mit der
ungewohnten Freiheit, wird die Protagonistin von nostalgischen Gefühlen
überwältigt. Auf ihrer Reise durch das schwierige Leben im Exil, geprägt von
der amerikanischen Lebensweise, von Erfahrungen mit einer religiösen Sekte
und Sozialarbeitern über Naturkatastrophen bis hin zu Stapeln von
Anwaltsanträgen, tauchen immer wieder Erinnerungen an die zurückgelassene
Liebe auf. Währenddessen ist sie andauernd geplagt von der Ungewissheit: War
ihr ehemaliger Geliebter nun ein Geheimpolizist oder nicht?
Das Spiel der
Erinnerungen wird auch im zweiten Teil weitergeführt. Nur wird es hier
eingesetzt, um den inneren Konflikt und die persönliche Veränderung zu
betonen. Wenn Mona zu sehr vom Alltag bedrückt ist, findet sie sich in
Träumereien wieder, in denen sie von der in Rumänien zurückgelassenen
Leidenschaft fantasiert. Malerische Naturbeschreibungen der Karpaten und
schmackhafte, rumänische Gerichte verdeutlichen noch mehr das starke Heimweh
und die tiefgreifende Verbindung zur fern gebliebenen Welt. "In meinem Teil
der Welt aßen die Menschen schon vor fünfhundert Jahren 'mămăligă', so wie
ich es abends in der Küche mit meinen beiden Söhnen esse, und ich schere
mich den Teufel um die Nährmittelgruppen, die sie in der Schule beigebracht
bekommen". Dabei spielen rumänische Wörter und insbesondere das Wort
Sehnsucht (dor), dem im Roman eine ausführliche Erläuterung gewidmet
ist, eine beachtliche Rolle. Sehr wirkungsvoll ist der Einsatz der
rumänischen Ausdrücke, neben deren Erklärung und Übersetzung, auch im
Original. Dadurch gelingt es der Autorin, die mit einer Auswanderung
verbundenen Probleme, Nostalgie für die zurückgelassene Welt und
Identitätsfragen hervorzuheben.
Fazit:
Domnica Radulescu weiß sich von pathetischer Sprache fernzuhalten und die
Geschichte unterhaltsam und stimmungsvoll zu verpacken. Die Handlung ist gut
durchdacht, der Text sehr anschaulich geschrieben. Der Leser kann sich von
Anfang an mit der Hauptfigur identifizieren und sich bildlich in das
Geschehen hineinversetzen. Obwohl sie betont, dass es sich keinesfalls um
einen autobiografischen Roman handelt, finden sich in Radulescus
literarischem Debüt zahlreiche Parallelen zu ihrer Lebensreise wieder (sie
selbst emigrierte aus Rumänien 1983 in die USA). Insgesamt erweist sich "Zug
nach Triest" als eine attraktive, fesselnde Lektüre. Geschickt wählt die
Autorin ein offenes Ende. So kann der Leser auf eine Fortsetzung hoffen.