Ich bin Wachs in den Händen meiner Mittel
Diesen Sommer eröffnet Mütze #16 mit einem Robert Kelly Block namens Die Gewissheiten von Martin Traubenritter, Teil II, die Herausgeber Urs Engeler selbst übersetzt hat. Robert Kelly, seit Jahren von Engeler verlegt (außerdem früher bei Residenz und Droschl unter anderem), ein Veteran der US-amerikanischen Szene und sehr produktiver Autor, ist ein Meister der Mischung von poetischem und prosaischem Sprechen, seine Maximen (basierend auf Martin Traubenritter, "genial misanthrope from Graz" 1835-1912) erscheinen hier einsprachig. Sie sind eine bezaubernde Näherung an Themen zwischen Musik, Herz, Philosophie und Sprache. Knappe Aphorismen, zwischen Ironien und Offenheit, in Behauptungen, durchaus in Leidenschaft.
"68.
Ein Wilder von einer weit entfernten Insel, der eine unserer Städte besuchte, wäre ob der Zahl der Türen erstaunt. Jeder Raum hat eine, und manche mehr als eine. Weil es so schwierig ist zu lernen, eine Tür zu gebrauchen, müssen wir uns ständig darin üben, wie ein schwieriges Saiteninstrument. Es ist so schwierig zu lernen, wann man ein Haus betritt, ein Büro, einen Raum. Und wann man wieder geht.""74.
Wir brauchen irgendein Anzeichen für unsere Authentizität. Oder überhaupt keines. Vielleicht sind Erinnerungen gefälschte Belege einer nicht existenten Tat.""79.
Betrachte jegliche Konversation als eine Befragung durch den Magistrat oder die Polizei. Alles, was du sagst, werden sie erinnern und zu verwenden versuchen. Nicht unbedingt gegen dich.""90.
Je mehr dich etwas genau hier berührt, desto näher ist es dem Jenseits.""96.
Das Entscheidende ist abstoßend."
Auf diesen Werkeinblick Robert Kellys folgt der dritte Teil eines Interviews mit ihm. Auf die wenigen Fragen Engelers antwortet Kelly ungestresst seitenlang. Seine Sprache ist behutsam und null überdreht. Er ist offensichtlich belesen in beinahe sämtlichen Gattungen und äußert sich auf den Punkt zu seinen Einflüssen, Meidungen und Lieblingen, (allerdings nicht eine Frau kommt vor). Interessanterweise sind es weniger "artsy-fartsy" Dichter, die ihn beeinflusst haben, so in dem Interview, sondern die entweder großen experimentellen Erzähler der Weltliteratur (Pynchon, Gaddis, Burroughs) oder die perfekten klassischen Erzähler, allen voran Proust und spät, ganz spät wie er sagt, Henry James, dessen Sprache das Füllhorn ist, weniger seine Haltung. Außerdem besitzt Kelly ein Faible für Science-Fiction und Schauer, von Poe bis John Crowley. Er zählt minutiös auf, sozusagen zum Mitschreiben, und hat bei vielen Klassikern eher die unbekannteren "Brocken" im Blick als die allgemein herausragenden Familiengeschichten (vor deren er sich in gewisser Erwartung scheut), Edwin Drood von Dickens, oder zurückhaltender Balzacs. Auf die Frage zur Verantwortung des Dichters antwortet er u.a.:
"Ein Dichter ist jemand, der nichts zu sagen weiß als das, was ihn die Sprache lässt. Und "lassen" ist ein altes, sonderbares Wort, dass sowohl erlauben heißt (Kinder spielen lassen) als auch verhindern (lass es). Die Sprache lässt, die Dichter hören, und Hören ist ihre Hauptverantwortung, wenn es verbunden mit dem, was die Sprache sie sagen lässt, sagen macht, zu sagen hindert."
"Ich mag keine Dichtung, die sich nur Luft macht, sei es nun wegen deiner Freundin oder wegen des Präsidenten. Dichter haben eine besondere Verantwortung in schwieriger Zeit, die sich nicht einlöst, indem man sagt, Was für schwierige Zeiten!"
"Ich bin also in gewisser Weise allergisch auf Genre-Diskussionen; ich halte diese Idee für einengend und von geringem Nutzen [...] Schreiben ist der Akt. Poesie ist der Name."
Kelly selbst hat mehrere Romane in der Schublade, einer davon Parsifal ist 1935 Seiten lang im ersten Entwurf. Er liegt seit dreißig Jahren in dieser Schublade und wartet, wie viele andere der Projekte Kellys, er ist wie angedeutet enorm produktiv, auf die Geburt. Das gilt nämlich für The Book from the Sky, über das Kelly sagt:
"[...] mehrere beschreibbare Dinge – eine Entführungsgeschichte mit Aliens, die Geschichte einer doppelten Persönlichkeit, die Geschichte eines religiösen Kults – aber diese Beschreibungen sind vielleicht irreleitend."
Im Anschluss an das Interview folgen drei Langgedichte von Jerome Rothenberg, die Norbert Lange übersetzt hat. Sie stammen aus dem Band Poland/ 1931. Das ist das Geburtsjahr von Rothenberg, dem "Ethnopoet", der das erste Gedicht Mord AG Sutra wiederum Robert Kelly gewidmet hat, der auch im Gedicht selbst vorkommt. Rothenberg rekonstruiert hier in einer Mischung aus englischem Rotwelsch, Lengevitch und slang eine (post) Mobster Welt neu, die mit Atmosphären, Kolorit, Namen der Kosher Nostra um sich wirft – zu Kellys Schulzeiten. In Cokboy dem zweiten und dritten Gedicht dreht sich derselbe Sprachwille hin zu einer Americana, Prairie in Yiddishkeit hin. In ruhigem, aber ausbrecherischem flow, von Lange interessant ins Deutsche gezogen (beide Sprachen sind abgedruckt) kommt es zu abgedrehten Wildnis und Indianer und vor allem Cowboy Dekonstruktionen.
"saddlesore I came
a jew among
the indians
vot em I doink in dis strange place
mit deez pipple mit strange eyes
could be it's trouble
could be could be
[...]""kam ich sattelwund
ein Jude unter
die Indianer
wos makh ikh do an dem verrikter ort
bei al di lajtn mit verrickter ojgn
s könnte Ärger geben
könnte's könnte's
[...]"
Der letzte Text der Mütze ist ein Prosastrom, ein Romanausschnitt aus Svein Jarvolls Roman Eine Australienreise, aus dem Norwegischen übersetzt von Matthias Friedrich. Interessant ist, dass der Autor den Roman bereits 1988 geschrieben hat. Natürlich ist ein Ausschnitt nur ein Ausschnitt, aber es ist der schwächste Teil der ansonsten tadellosen sechzehnten Nummer der Mütze. Die sogenannte Australienreise entpuppt sich als ein selbstgerechter und an nerdiger Horizontreproduktion kaum zu überbietender Monolog eines "belgischen Wortalchemisten" namens Frimpegg, der eigentlich eine absatzlose Liste aus Sätzen ist, die nervig zu lesen und ohne jeglichen Mehrwert tausend und ein Ding aus Sprache und Fundstück, Geographien, Philosophemen und Schwänzen zusammendengelt. Möglicherweise will Jarvoll genau das zeigen: das vergebliche Trauerwalten einer jeglichen Alchemie. Ok. Aber derart kontextlos macht der Text lediglich wütend.
"[...] während er das Essen herausstellte und starrte und sich hineinschlich und zurückschaute und leichten Schrittes weiterschlich und sich schleckte und sich langsam niederlegte und mir den Knöchel mit dem Schädel rieb und den Schwanz durch meine halboffene Hand zog und während der übrigen Ansprache schlief: Du musst nach Australien reisen, sagte er. Nicht um meines nackten Lebens willen war ich fähig zu verstehen, was ich in Australien zu suchen hatte. Sie brauchen offene Räume? Dann brauchen sie Umzäunungen. Das sagte ich nicht, denn ich konnte ihn nicht aufhalten, es gab nicht viel, was ihn aufhalten konnte: Gegensätze sin in Wirklichkeit ein- und dasselbe: Wenn zwei Dinge die Außengrenzen der Gegensätze erreichen und sich so weit voneinander wie möglich befinden, beginnen sie wieder einander zu ähneln. Kontradiktorische Gegensätze existieren nicht. Das ist ein Befehl des Allmächtigen, und allem menschlichen Vorstellungsvermögen scheint es überraschend [...]"
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Kommentare
Svein Jarvoll
Inwiefern ist der Monolog aus der "Australienreise" denn "selbstgerecht"? Gerne würde ich mehr darüber wissen, leider geht die Kritik darauf jedoch nicht ein.
In meinen Augen ist ein
In meinen Augen ist ein Monolog dieser Natur als Prosatext-Ausschnitt mehrwertlos. Mir erschließt sich seine Aussage nach entweder drei Zeilen, oder es passiert noch etwas. Auf einer solchen Länge mit immer neuen Schlenkern, Weisheiten und Belehrungen braucht es Kontext, um mitgehen zu können. Wem wird etwas erzählt, warum, wieso gerade das? Der Roman in seiner Gänze schafft das vielleicht genau. In der Mütze nach für sich stehenden, selbständig ihren eigenen Kontext schaffen könnenden Texten, empfinde ich diesen Monolog als nur durch sich selbst legimitert (Wissen, Einfälle und formlose Reproduktion derselben durch den Autor). Eine Liste. Mehr nicht. Das nenne ich einen selbstgerechten Text.
Dann scheinen wir
Dann scheinen wir unterschiedliche Auffassungen des Wortes "Selbstgerechtigkeit" zu haben. Meiner Ansicht nach ist damit gemeint, völlig unzugänglich für jede Kritik zu sein. Das ist Svein Jarvolls Text eher nicht. Er ist höchstens selbstreflexiv. Die Frage, wer hier zu wem spricht und warum, ist etwas irreführend für diese Art von Roman, der die drei Stufen der Rhetorik (inventio, dispositio, elocutio) auf den Kopf stellt. So liegt ein viel stärkerer Fokus auf dem einzelnem Satz, der wiederum ein kompliziertes Netz aus Verweisen in alle Richtungen auswirft und mit dem Dazukommen weiterer Sätze ein System ergibt, das sicher erst am Ende des Romans zu erkennen sein wird. (Bei näherer Betrachtung der Umstände wäre es sicher besser gewesen, den potenziellen Leser*innen ein Vademecum in Form eines Essays mitzugeben; so hätte sich vielleicht von selbst ein Weg durch das Labyrinth ergeben.)
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