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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Die Ergebnisse der Liebe kann man kaum bekanntgeben

Die Lyrikanthologie „Mein durstiges Wort gegen die flüchtige Liebe“
Hamburg

Fast ein bisschen plump setzt der Band ein, mit zwei Gedichten von Nora Gomringer; eine Anleitung zum Umgang mit der Ignoranz des Mannes und einer Einladung zum Analsex. Zwei mit Satire gefütterte Gedichthemden, in die man schnell mal schlüpfen kann.

Ich kann mich der Liebeshymne von Crauss an Konstantin Kavafis nur anschließen. Hier wird vieles, gesagt, was ich selbst dem Dichter gern hätte zukommen lassen, in einer nicht ganz in ihre Fassung passenden Sprache, die Kavafis nicht nur anruft, sondern seine wesentliche, nostalgische Sehnsucht zu umreißen versteht. Das zweite Gedicht von Crauss ist dann eine noch offensivere Auseinandersetzung mit einem anderen wesentlichen Motiv von Kavafis Werk, der leidenschaftlichen, mit Jugend und Körperlichkeit und zugleich mit Gram und Abkehr angefüllten Liebe zu einem Jüngling (wobei ich nicht weiß, ob dieses Gedicht überhaupt noch im Kavaifs Kontext steht.) Zwei großartige Gedichte.

dein körper noch immer eine schelmische
formel
[…]
klaus lage ist schlimm, aber mit dir zu ertragen

Sie nehmen meist eine ruhigen, einfachen Verlauf, die Gedichte von Stefan Heuer, sind schön gebaut, unaufdringlich rhythmisch, und vor allem: sympathisch. Schön, wenn das Wort mal erlaubt ist, wo es angebracht ist. Keine lyrischen Höhenflüge, sondern dezente und gleichsam indiskrete Illumination von Liebesglück.

Etwas zu sehr in sich ruhend, mich zu wenig aus der innewohnenden Idee in die Umfelder dieser Ideen stoßend: Thomas Kades Gedichte sind solide, filigran, aber es kommt wenig bei mir an.

meine welt
ein unausgepacktes geschenk
wusste nicht
was ist
als dein feiner atem frug
willst du mit mir sein

Großartig und behutsam, eigenwillig schön, die erste Strophe von Günter Abramowskis Gedicht „sag du“. Die Bilder sind gut gesetzt, ein perfektes Liebesgedicht. Leider hätten die beiden folgenden Strophen auf jeden Fall etwas gekürzt werden sollen, sie verwässern den leichthändigen Schwung des Anfangs, auch wenn immer noch starke Bilder vorkommen.

Die leicht verspielten, gegen den Strich gebürsteten Gedichte von Jonis Hartmann ecken an, stechen dadurch auch gleichsam hervor. Egal ob Geschlechtsumwandlung oder Baumhaus – hier fliegen einem Pathos und Eros auf gelungene Weise um die Ohren.

Etwas zu viel Druck wird hier in die Geste gelegt. Das erste Gedicht über die weißen Slips der verrückten Patentante hat noch eine eigenwillige, halb nostalgische, halb erotische Dichte, aber wenn Martina Burandt eine „Königin ohne Reich“ mit Rosen und Drum und Dran in Szene setzt, muss ich leider sagen: halte ich für zu hoch gegriffen, diese Inszenierung.

Hier wird Verdichtung und Vermittlung vermischt. Werner Weimar Mazurs beide Gedichte haben Momente, in denen sie sich von ihrem eigentlichen Objekt abzuwenden scheinen, kurz nur mit ihrer Sprache fließen, bevor sie wieder aufgreifen, was sie thematisieren wollen. Diese Kombination führt zu einer interessanten Geräumigkeit innerhalb der Texte. Bei manchen Versen gelingt der Übergang, weich und doch wie ein Schnitt, an anderen Stellen wirkt er wie eine zu schnelle Wende. Trotzdem: spannende Gedichte, auch in der Art wie Orte und Eros sich darin ineinander stülpen.

wir alle mit dieser rigorosen
sehnsucht ohne passwort mit
decknamen der angst
gefälschte wünsche in der innentasche

Ein Feuerwerk der Wortzuspitzzungen, der Wortexpeditionen, erleben wir in den Gedichten von Marina Büttner; ihr Verlauf lädt zu einer Bilderflut ein, einem Wirbel der Begriffszusammenkünfte. Einzig störend ist vielleicht der Kategorisierungseifer, der dem Ganzen innewohnt.

Zwischen Widersinn und Sinnlichkeit liegt der Hunger, zieht an der Kette des Widersinns und will in die Sinnlichkeit beißen. Nun, ganz so melodramatisch sollte ich es vielleicht nicht umreißen, dann bekommt man einen allzu martialischen Eindruck von Sonja Enstes Gedicht, das zwar stürmisch ist, aber eigentlich nie ausbricht. Auf jeden Fall wird hier gut mit Widersprüchen, mit dem Topos des Verzehrens gearbeitet – des Verzehrens nach jemandem, aber auch der Hunger spielt eine Rolle. Was mich stört: der Zyklus von sechs Gedichtteilen gleitet viel zu klar vorbei, es gibt zu wenig Reibungsstellen, Ungewissheiten.

Eine Spur Rotz, eine Spur Pathos, ein Nippen am Beliebigen, ein Prusten des Ekels. Stan Lafleurs drei Gedichte unterhalten, biegen und brechen hier und da etwas, illuminieren mit schneller Feder. Aber trotzdem ist es so, als riefe er immer an mir vorbei – mich als Lesenden scheint er gar nicht zu sehen.

Alexander Weinstocks Gedichte sind irgendwie zu selbstversunken, zu selbstreferentiell. Eine Vorführung, bei der der Vorhang nicht geöffnet, sondern nur an bestimmten Stellen angehoben wird.

Auch an Deinem Körper wollt ich mich gütlich tun,
am wogenden Busen, aufbrandenden Lippen,
an Deinem das meine ergänzenden Geschlecht.

Es darf ja alles sein, aber hier hebt einfach zu viel an, in Wolfgang Rödings Versen. Sex und Lust und dergleichen sind eh schwer zu beschreiben, aber man muss doch nicht mit Kanonenkugeln auf Spatzen schießen und seine sprachlichen Ausführungen zu einem Wallfahrtsort für plusternde Begriffe und einen ganzen Hofstaat an Adjektiven machen. So, das war jetzt auch ein bisschen zu viel des Guten in Sachen Kritik. Aber ich kann diesen Ausuferungen einfach keine Erfahrungswerte oder Erkenntnisse oder Vorstellungen abgewinnen.

Kurz und in der Motivführung sicher. Vor allem das erste Gedicht von Giuliano Francesco Spagnolo gefällt mir, weil es nur mit einer Erwartung arbeitet und nicht darüber hinausgeht. Dass er sich dann noch Eva zuwendet und außerdem eine kurze Autofahrt-Tagvergehen-Allegorie wagt, nehme ich hin.

Sag mir, sag mir, ich soll nicht gehen.

Irgendwie ist es ja auch schön, wenn sich dann und wann jemand bei seinen Gedichten an einem einfachen Aufbau und einer ebenso einfachen, schlüssigen Sehnsucht orientiert. Deniz Pasaoglus Texte sind aber nicht wirklich filigran, sie haben eher etwas Ungelenkes, trotz ihrer klaren Haltung.

Bei Simone Scharbert springt der Funke von einer Satzeinheit auf die nächste über, wie bei einer Zündschnur, doch die Explosionen sind in kleinen Wortfügungen über den ganzen Text verteilt. Eine schöne Leseerfahrung.

nur der stoff scheint leicht was soll ich schreiben?
Ich liebe Dich & Ich vermisse Dich?
[…]
die uhren küssen nicht
selbst wenn sie stehenbleiben

Wenn man sehr gewissenhaft anordnet kann dies das Durchdringungspotenzial hemmen – nicht so bei den beiden Gedichten von José F.A. Oliver, in denen das Minuziöse eine wichtige Rolle spielt, aber man erkennt schnell das jedes Detail kein Einzelstück, sondern ein Geräusch, ein Bild, ein Name, eine Idee, ein Zug, etc. des Kerns, der Sache selbst ist. Die Wahrnehmung im Gedicht zerfällt in ihre Bestandteil und gerade deswegen hält sie zusammen, denn das Flüchtige, der Moment, schützt und stützt in diesem Fall das Übergreifende.

Direkt und knapp und ohne falsche Scheu. Birgit Bodens beide Gedichte sind vorhersehbar, ulkig-schön, spaßig.

Kindheit verdrängt
Jugend hochjauchzend
dann länger in Stille
nun schenke ich’s dir
mein lyrisches Ich
in Samt und Dunkelseide

Sehr gefällt mir dieses erste Gedicht von Bettina Hesse. Es wirkt etwas gewöhnlich, aber ich finde es fängt gut den Moment ein, in dem man sich vor jemandem entblößt – ob nun im Gedicht oder in einer Liebesnacht oder anderweitig. Und eben nicht nur den Moment, sondern auch seine schemenhaften Mitbringsel, die Unsicherheit und die Sehnsucht, beide stetig gewachsen und genährt, während man lebte und wuchs.

Berührend, fast ein Plädoyer, aber dann doch eher ein sanftes Hochhalten von Innigkeit, Demut. Werner Muths Gedicht „Spätvorstellung: Pastirmi Yazi“ versucht nicht wie viele andere Gedichte dem Kitsch zu entkommen, sondern überwindet ihn – mit ein-zweimaligem kleinen Stolpern – bravourös.

Sehr unscheinbar, zu dünn bei voller Spannweite. Auch wenn ich die Feinheit spüre und manches Bild in Maja Loewes beiden Gedichten schön finde – das Repertoire schafft es nicht, auch nur eine Überraschung hervorzubringen und so bleibt seicht, was weich sein könnte.

Die Gedichte von Anke Glasmacher halten sich erst gar nicht mit viel Tam-Tam auf, sondern umreißen schlicht und dicht ihre Momente, ihre Szenen, knackig, aber auch irgendwie runtergebrochen.

Vielleicht war der Novemberregen
das Lied, das ich suchte.
Vielleicht wussten die Geigen in den Koffern
nie mehr als wir, von letzten Tagen,
nie mehr von der Macht der letzten Worte,
als der Novemberregen.

Das Novemberlied von David Krause gleicht einer Hymne, in welcher die Mythologie des Verlassenseins und ihr Instrumentarium angeschwemmt, ausgebreitet werden. Es ist ein tiefer Text, ein voller Text, ein haltloser Text, der sich mit jedem neuen Zeilenumbruch einer gewissen Größe annähert. Und dennoch wäre der Text vielleicht noch besser, wenn er sich hier und da keine Blößen in Form von sehr einfachen Bildern geben würde. Andererseits sind es auch diese einfachen Bilder, die der Gestalt des Gedichts ihre Signifikanz geben; der Text will genau da bleiben, in diesen Bildern, er will noch weiter in sie rein, er will nirgendwo anders hin.

Mal eine etwas andere Form des Liebesgedichts, geradezu bodenständig, mit narrativer Note, auch ein wenig pfiffig. Arndt Kremers „Zwei Sträuße“ ist eine hübsche Lektüre und gleicht darin einem Blumenstrauß.

Benebelt von deinem Duft
Mit dem Licht deiner Sonne
reibe ich mich ein
Lass mich hier die Schönheit
deines Augenblickes spüren
Beten das er ewig wäre

Gültekin Kaan Kaynaks Gedicht „Nefes“, eine schön-schummrig-erotische Anrufung von Schweiß und Nähe. Bestechend.

Zu Jürgen Sanders Texten bleibt mir nur zu sagen: da werden Hügel, Dickicht, Jagd und Katzengleiches gereiht, erotisch arrangiert, da klink ich mich aus.

Manchmal holen einen Dinge ja doch noch ein, von denen man sich überholt glaubte. Sehr schön eingefangen und zelebriert wird dieses Gefühl in dem Gedicht „Lippenerkenntnis“ von Amir Shaheen, das seinem zweiten Gedicht nicht nur wegen seiner wunderbaren Balance vorzuziehen ist, sondern auch weil darin keine schrägen Anspielungen auf Körpersäfte enthalten sind. 

Ich bin ein Fan von Gedichten über Vergänglichkeit, von daher komme ich angesichts des ersten Gedichtes von Christoph Danne, „müllers kuh“, schon etwas ins Schwärmen, es zielt nämlich genau auf derlei ab. Inwiefern es ein Liebesgedicht ist, weiß ich zwar nicht, aber es ist sehr schön auch mal ein Gedicht in diesem Band zu treffen, das nicht auf Teufel komm raus ein solches sein will.

Was könnte einfacher sein, als ein erotisches Gedicht über fehlende Unterwäsche zu schreiben. Easy going! Aber es funktioniert natürlich trotzdem ganz gut, allerdings ohne besondere lyrische Qualitäten – die enthält uns Ulrike Gau vor.

Ich bin die unvernünftige
Lust des Seins 
die unwiderstehliche Farbe
des Lebensatems

Ein bisschen zu blümerant – aber ich nehme an, das ist auch Geschmackssache – kommen mir die beiden Gedichte von Klára Hůrková vor. Aphrodite und Dionysos sind die Charaktere, die sie darstellt, illuminiert, aufs Heftigste.

Quintessenz versucht Marlene Olbrich und sie gelingt ihr auch – nicht zu großer Kunst geformt, aber dafür als schlichte, vereinfachte, verdichtete Fassung für das Daseinsstichwort „Leben“.

das klagelied der nächtlich rangierten waggons
und das klicken der krallen auf schiefer
diese leere, perforiert von dingen
diese pufferzonen zwischen dir und jetzt

Es gibt hier wunderbare Bilder, schürfende Wendungen und Worte, eine Behutsamkeit und gleichsam sind die Texte ein Ringen, das nicht gewissenhaft genug seine Akzente setzen kann. Dennoch wirkt „Nocturne“ von Matthias Engels auch an manchen Stellen überladen. Nun ist das nicht unbedingt eine problematische Eigenschaft für ein Liebesgedicht, Überschwang gehört zur Liebe dazu. Und es gibt zu viel Gelungenes in dem Text, um ihn am Ende für seine fehlende Ökonomie zu tadeln.

Zu süßlich sind mir die beiden, die Bauchgefühle aufbauschenden und einen Reigen aus jeder Empfindung rankenden Gedichte von Wilfriede Weise-Ney.

Liebesgedichte, die inmitten der vergänglichen Schönheit fragen, was bleibt? In diese Richtung zielen die drei Gedichte von Marco Grosse. Hier wird versucht an die Wurzel des Ganzen zu greifen und sie vorsichtig zu betasten. Diese Erkundungen haben etwas Verschränktes und zusammen mit dem leichten Erklärungsduktus, hemmt die Bewegung die angepeilte Zärtlichkeit. Die dennoch durchkommt.

So wild wie bei Willi Achten ging es noch in keinem Gedicht zu! Absurdität, Gewaltphantasie, Allegorie? In jeder Zeile ein Luftloch, in welches das fliegende Gedicht kurz stürzt. Ganz findet man sich in der Geschichte vom Grenzgänger nicht zurecht.

Charmant, als nächstes dann plötzlich sehr reduziert, fast formelhaft. Zwischen den beiden Gedichten von Silke Vogten bestehen große Unterschiede. Mir gefällt das erste mit seiner zärtlichen Nostalgie und seinem Hauch an Kitsch besser, vor allem weil ich mir die Tanzfläche, die dort beschrieben wird, sehr gut vorstellen kann.

vielleicht
macht Liebe wenigstens gesund.

In Zacharias Stegmaiers Gedichten verwirklicht sich der poetische Impuls als weiche, geschwungene Linie. An jeder Stelle federn diese Texte gut den Druck des lesenden Auges ab, man gleitet in den Text und an ihm entlang. Eine schöne Erfahrung, die vielleicht ein bisschen zu fern liegt.

Gebettet in Metamorphosen, erzählen die Gedichte von Safak Saricicek vom Vermissen, vom Sehnen, vom Warten. Ihm gelingen mehrere schöne Sinnbilder für diesen Bereich des Liebens.

unsere Geschichte ist die beste, die ich kenne.
ein abgeschlossener Liebesroman mit offenem
Ende.

Irgendwie habe ich das Gefühl, da dreht sich eine Sprache etwas zu sehr um sich selbst. Mit dem letzten Gedicht von Mario Osterland kann ich dann doch noch eine Menge anfangen, die anderen drei wirken auf mich wie gut geschnitzte, aber unklare Figuren.

Du musst dein Leben ändern, dies ruft uns die letzte Zeile von Rilkes archaischem Torso Apollos zu. Eindringlich ist das Gedicht geworden, das Dominik Dombrowski ausladend um einige Zeilen aus diesem bekannten Werk gewoben hat: Eine Episode der Verzweiflung, eine Episode der Erlösung. Eine Geschichte von käuflicher Liebe und doch von inniger. Das Gedicht reißt seine Eindrücke selbst in Stücke und schießt sie dennoch direkt in den Kopf der Lesenden. Ein heftiger, sehr starker Text.

Ein schöner Dialog, eine Abstand nehmendes und doch ineinander aufgehendes Zueinanderwenden: das gemeinsame Gedicht von Gerrit Wurstmann & Sina Klein wirkt hier und da etwas verklausuliert, etwas zu zärtelnd, aber es wiegt einen dann doch ein, webt einen ein in die eigene Kreise.

In den drei Gedichten von Max Czollek geht es mir irgendwie zu schnell, ich habe das Gefühl, ich verpasse immer den Moment, an dem ich hätte abbiegen sollen, an dem ich hätte eintreten können in den Raum, den das Gedicht bereitet. Außerdem habe ich das Gefühl, dass die Stimme des Gedichts etwas zurückhält, an mir vorbeiredet. Und was sie zurückhält, darauf kann ich nicht schließen.

Schunkelnd wie ein Ozean: die Gedichte von Thorsten Krämer bahnen an, sprechen an, bleiben aber bewegt und diskret, laufen auf nichts hinaus. Mir gefällt diese Form der Bewegung, sie fängt das Abseitige mancher Gedanken und Sehnsüchte ein.

Hab keine
Angst. Ist wie Tanzen. Du bist die Tanzfläche.

Konstantin Ames Gedichte schwurbeln und staksen und ihnen wird bei diesem Prozess eine aberwitzige Schönheit zuteil. Es tönt aus diesen Gedichten, aber gleichzeitig ist da auch etwas Wisperndes. Eine ungewöhnliche Erfahrung.

In den Gedichten von Ron Winkler steht so vieles großartig für sich und doch stützt sich jedes gerade gemachte Bild, jeder halbe Kalauer, jeder einschneidende Begriff auf den Zug, der durch die Gedichte strömt, die Sprache mit ihren elastischen Gesten schon wieder zusammenzurrt. So entsteht das Gefühl, dass alles nur mal so da steht, obwohl eigentlich mit zahllosen Eindrucksfacetten gearbeitet wird.

die aus übervollem Herzen
zarte Liebeslieder grölen
und hoffen dass sie
keiner hört

Kommentare des Unbehagens: In den beiden Gedichten von E. Ch. Cohnen wird hinterfragt und angezweifelt, die emphatische Wirkung der Liebe zwar benickt, aber gleichzeitig wird sie zurückgepfiffen. Auch ich als Leser befinde mich im Zwiespalt, denn dieser Ambivalenz könnte ich sehr leicht zustimmen – zu leicht.

Dass man vermutlich oft, wenn man bei jemandem liegt, an jemand anderen denkt, ist eine dieser Tatsachen, die unangenehm und aufdringlich sind. Das erste Gedicht von Hung-Min Krämer, verhandelt diese Erfahrung auf prägnante, gelungene Weise.

Rauscht es, blüht es, schneit es, taut es, greift es: In Martin Piekars elegischer Tonspur, seinem Gedicht, das Jahreszeiten und Liebeszeiten verschmilzt, verbandelt, zerschneidet. Herrlich und auch hier und da etwas redundant, allerdings ohne falschen Überschwang.

Ein Code der Liebe wird geschrieben, der sich hineinwälzt in seine Themen, mit vollendeter Geste seine Indizien präsentiert. Spaßig, dann wieder ehrlich, dann wieder abstrakt und alles gleichzeitig. In Tim Hollands „Big Data Love“ verschwindend man kurz wie in einem Strudel, ein sehr cooles Gedicht.

Es passt sehr gut, dass dieser Band mit den Gedichten von Safiye Can aufhört, sie eignen sich perfekt als Abspann. Hier wird nochmal über die Wut der Liebe geschrieben, die Unabwendbarkeit der Liebe, die Stille der Liebe, die physische Größe der Liebe.

Ein guter Schlusspunkt hinter eine Anthologie voll mit Worten, die die Liebe zu halten versuchen: am Fußknöchel, an den Haaren, in der Erinnerung, im Aufsagen, in der Vorstellung, im Entwurf und Gegenentwurf. Am Ende muss ich, ein wenig verblüfft zugestehen: hier wurde über viele Arten von Liebe gesprochen, nur kleine Nuancen hier und da, die sich abheben, aber insgesamt: Gedichte hatten ihr Wort gegeben und hier und da wird es gehalten, auch wenn es die Liebe nicht halten kann (oder gerade deswegen).

Mein durstiges Wort gegen die flüchtige Liebe
Elif Verlag
2016 · 14,95 Euro
ISBN:
978-3-9817509-7-3

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