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Essay
Abschiede oder Willkommensgruß - Sprachräume von Frank Milautzcki
Kunstvolles ist zitierfähig, weil es in ihm Muster zu entdecken gibt. Das Script bedingt die Form und Form kann imitiert werden. Die amerikanische Künstlerin Elaine Sturtevant, die der Appropriation Art Bewegung zugerechnet wird (einer Kunstrichtung, die das Kopieren bereits vorhandener Werke zu einer Metakunst erhebt), hat das Vorhandensein von behaupteter Form zur Ausgangslage für ihre eigene Arbeit gemacht: der empathischen, detailgetreuen Nachbildung. So hat sie existierende Werke von Warhol, Jasper Johns, Lichtenstein, Duchamp, Beuys, Kiefer, Paul McCarthy, Felix Gonzalez-Torres u.v.a.m. nicht einfach parodiert, sondern nahezu ununterscheidbar nachgemacht oder nachgestellt. Für Sturtevant keine bloße Aneignung fremder Ideen, sondern der Versuch einer konsequenten Nachempfindung des zugrundeliegenden Scripts bis in seine heimlichen und unheimlichen Details. Ihre Erzeugnisse haben einen so hohen Grad an Identität, daß Warhol auf die Frage nach der Technik seiner Siebdrucke geantwortet haben soll: „Ask Elaine!“.
„Ein Bild ist ein Gewebe von Zitaten aus den zahllosen Ecken der Kultur.“ sagt die amerikanische Konzeptkünstlerin Sherrie Levine. Zumindest entsteht es genau auf diesem Gewebe. Selbst wenn die Gänsefüßchen fehlen, sind Zitate allgegenwärtig. Sie führen im Hintergrund dazu, Sätze anders zu sagen, Bilder anders zu malen. Und zwar genau anders. Die Kenntnis des Zitats ermöglicht das Unterscheiden und Ausscheiden. Die Welt ist heute so voll von bereits gehabter Kunst und schon erkundeter Gangart, daß Originalität längst auch die Art und Weise beinhaltet (beinhalten muß), wie Zitate in die eigene künstlerische Arbeit einfließen und welchen Einfluß das Vorhandensein einer jahrhundertelangen kulturellen Produktion unterschiedlichster Spielart für das Positionieren des Eigenen hat. Wie geht man damit um, daß es das Meiste schon gab? Muß man alles neu und immer wieder erfinden? Was tun mit stimmigen Ansätzen und geglückten Versuchen, die schon hinter uns liegen? Leugnen? Verstecken? Fälschen? Oder materialisieren und zitieren?
Robert Ryman verdingte sich 1953 für mehrere Monate als Wachmann am Museum of Modern Art – er brauchte das Geld und wollte gleichzeitig die Kunst studieren. Er fand in dieser Zeit zu seiner eigenen Kunst: weiße Leinwände, die er wortkarg in die Welt entließ mit dem Kommentar: „The basic problem is, what to do with the paint.“
Michalis Pichler von der Ateliergemeinschaft Milchhof hat in seinen bemerkenswerten „Statements zur Appropriation“ notiert: „Bestimmte Bilder, Objekte, Töne, Texte oder Gedanken würden im Bereich dessen liegen, was Appropriation ist, wenn sie irgendwie ausdrücklicher wären, manchmal strategisch, manchmal schwelgend im Ausleihen, Klauen, Aneignen, Erben, Assimilieren . . . Beeinflusst-, Inspiriert-, Abhängig-, Gejagt-, Besessen-Sein, Zitieren, Umschreiben, Überarbeiten, Umgestalten . . . Revision, Reevaluation, Variation, Version, Interpretation, Imitation, Annäherung, Improvisation, Supplement, Zuwachs, Prequel . . . Pastiche, Paraphrase, Parodie, Piraterie, Fälschung, Hommage, Mimikry, Travestie, Shan-Zhai, Echo, Allusion, Intertextualität und Karaoke.“ Das ist nichts anderes als ein Script zu einem künstlerischen Umgang mit dem Zitat und zeigt die die Schwierigkeit: alles ist möglich und man braucht eine Strategie. Der strategische Umgang mit Material entscheidet über seine Gültigkeit als Kunst. Material kann alles sein. Fremde Scripts werden so zu Zeichen, die man nutzen kann. Das Zitat eröffnet die Möglichkeit zur Collage.
Ganz aktuell zeigt das Museum für neue Kunst in Karlsruhe die Ausstellung „Hirschfaktor – Die Kunst des Zitierens“, die hinterfragt, ob und wie Ikonen der Moderne und ihre stilprägenden Werke in der aktuellen Kunstwelt als Zitat aufscheinen. Die grundsätzliche Frage die Kurator und Museumsleiter Andreas Beitin dabei stellt, ist die: „Gibt es in der Bilderflut der Moderne überhaupt noch einen Anspruch auf Originalität?“. Die Antwort ist Ja. Aber die Stufen, von denen aus man diesen Schritt noch gehen kann, liegen sehr hoch. „In der heutigen Zeit ist es schwierig, wirklich noch etwas Innovatives zu leisten. Deshalb suchen die Künstler die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt.“ sagt Beitin. Diese Um-Welt ist gestaltet. Sie ist bereits geformt. Es gehört nicht nur zu einer neuen Ehrlichkeit, sich zu Zitaten offen zu bekennen, sondern es ist ein weiterer Schritt in die Unabhängigkeit vom Externen, wenn man das Menschheitsinterne als Material zu einer neuen Kunst benutzt. Die Aneignung des Eigenen, des kulturell Erzeugten, als Spiel mit der Welt. Die Grenze verwischt: Welt ist nicht mehr getrennt vom Mensch, sondern der Mensch ist mit allem was er ist und erzeugt selber Welt. Er be-schreibt die Welt mit sich. So wird sie zu einem Text, der nur noch ihn enthält und den man in die Kunst einliest.
„Es ist ebensoviel unvorhersehbare Originalität im Zitieren, Erfinden, Transponieren und Widerhallen, wie im Erfinden.“ sagt Michalis Pichler. Er denkt dabei eine Bewußtheit in den Umgang mit dem Zitat, die es in der Kunst zwar geben mag, die man aber im Getümmel der Alltagswelt vergeblich sucht. Dort ist das allgegenwärtige Zitat zur Mimikry geworden, die eine eigene Schwäche verdecken soll: daß man eigentlich keine eigene Sprache hat und sein Leben in adaptierten Plots ausagiert. In der Kunst ist das Zitat zum Material geworden, das man nutzt, wie man Ocker oder Karmesin aufträgt. In neuen Zusammenhängen entwickelt es eine neue Sensation, das „thaumaton des Da“, wie es Dieter Mersch genannt hat, die Verwunderung über die Singularität eines künstlerischen Moments. Das Vor-Bild wird nicht bloß imitiert, sondern sein Besonderes materialisiert und Teil einer neuen Collage.