Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Dostojewskij würde Putin wählen

Andreas Guskis große Biographie des russischen Schriftstellers
Hamburg

Dostojewskijs eigentliche Karriere begann ein Jahr vor seinem Tod. Das war 1880 und der Autor 58 Jahre alt. Damals gelang es ihm, so Andreas Guski in seiner bei C.H. Beck erschienenen Biographie, zu den beiden literarischen Dauerrivalen Tolstoi und Turgenjew aufzuschließen. Drei Viertel der „Brüder Karamasow“ waren gerade als Fortsetzungsroman in der nationalkonservativen Zeitschrift „Der russische Bote“ erschienen; und bei den Feierlichkeiten zur Enthüllung des Puschkin-Denkmals in Moskau war er, anders als der liberal-weltoffene Turgenjew, für seine markige Charakterisierung Puschkins als dem „Erwecker des russischen Selbstbewusstseins“ vom Publikum gefeiert worden.

Seine größte Resonanz bis dato hatte Dostojewskij mit seinem „Tagebuch“ erzielt. Allerdings handelte es sich dabei nicht um ein Tagebuch im herkömmlichen Sinne, sondern um eine zunächst monatlich, später dann unregelmäßig in Eigenregie herausgegebene politisch-literarische Zeitschrift. Erklärter Zweck der Publikation war die Förderung der „nationalen geistigen Selbstständigkeit“ Russlands. Schließlich hätten die Russen zu Beginn der 1870er Jahre in praktisch allen Bereichen zum Westen aufgeschlossen, ja, diesen mitunter sogar überrundet. Die Errungenschaften, davon war Dostojewskij überzeugt,  müssten sich nun auch in der kulturellen und historischen Darstellung des Landes widerspiegeln. Dieser Aufgabe hatte er sich mit dem „Tagebuch“ verschrieben. Mit dem willkommenen Nebeneffekt, dass das Projekt nicht nur im reaktionär-nationalistischen Russland auf einen beachtlichen Nährboden fiel, sondern sich obendrein als geniale Geschäftsidee erwies. Die Zeitschrift erreichte, was Dostojewskij mit seinen Romanen und Erzählungen zeitlebens nicht vermocht hatte, ihn finanziell zu sanieren und aus der Abhängigkeit von seinen zahlreichen Gläubigern zu befreien.

Im „Tagebuch“ präsentierte sich Dostojewskij als chauvinistischen Kriegstreiber und Antisemiten, auch wenn er dies selbst brüsk zurückwies. Den Krieg erachtete er als nationale Frischzellenkur, die Tugenden wie Mut und Opferbereitschaft zu Tage förderte, welche in Friedenszeiten verkümmerten. Die Juden dienten ihm als eine Art negative Projektionsfläche zur Unterfütterung seiner großrussischen Ideen, indem er ihnen wirtschaftliches Zweckdenken, Egoismus und Geiz unterstellte – Eigenschaften, die, so Dostojewskij, den Slawen gänzlich fremd seien. Außerdem polemisierte er gegen Tolstoi und Turgenjew, deren Pazifismus und Liberalismus ihm ein Dorn im Auge waren. Kein Wunder, so Guskis Fazit mit Blick auf den Publizisten Dostojewskij, dass „Chefideologen des Nationalsozialismus wie Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels“ begeisterte Leser seiner Texte waren.

Eine weitere Facette Dostojewskijs ist die des rastlos Getriebenen, der Zeit seines Lebens die Extreme suchte. 

Das prägendste Erlebnis für den jungen Schriftsteller war dabei sicherlich die Scheinhinrichtung, der er wegen umstürzlerischer Umtriebe am 22. Dezember 1849 unterzogen wurde. Dostojewskij selbst ist darauf, wenngleich eher nüchtern-deskriptiv, in einem Brief an seinen Bruder Michail eingegangen; zwei Jahrzehnte später wird er die Erfahrungen in den Roman „Der Idiot“ einflechten. Das Ereignis markierte eine grundlegende Umkehr im Leben des Schriftstellers, eine „Wiedergeburt“, wie er selbst betonte; Guski spricht von einem „Damaskus-Erlebnis“. Nie wieder wird Dostojewskij gegen die Krone aufbegehren. Im Kern vollzog sich hier die Transformation vom Revolutionär zum staatsfrommen Nationalkonservativen. Ein Umdenken, das, verknüpft mit den Erfahrungen im sibirischen Zuchthaus und der daraus resultierenden Hinwendung zu einer „Religion des Leidens“, die späteren Werke Dostojewskijs maßgeblich prägte.

Doch sollte es Jahrzehnte dauern, bis Dostojewskij die endgültige Rückkehr zum von ihm so verehrten russischen Boden gelang. Dem entgegen stand zunächst die staatliche Obrigkeit, die ihm weiterhin misstraute. Davon abgesehen war sich Dostojewskij auch immer wieder selbst im Weg. Sein cholerisches Temperament, seine Egozentrik und Hypochondrie machten den Umgang für die Zeitgenossen nicht gerade einfach. Vor allem aber trieb ihn seine jahrelange Spielsucht wiederholt an den Rand des Ruins. Dostojewskijs fünfjähriger Aufenthalt in Europa – Guski spricht vom zweiten Exil der Jahre 1867-1871 – war nicht zuletzt der Furcht geschuldet, in der Heimat aufgrund exorbitanter Schulden erneut verhaftet zu werden. Dabei hasste Dostojewskij das Leben außerhalb Russlands, so wie er grundsätzlich den als gottlos und materialistisch empfundenen Westen aus tiefstem Herzen verachtete.

Es ist wichtig, die unterschiedlichen Facetten des Menschen Dostojewskij einzufangen, um den Schriftsteller erfassen zu können. Darin liegt die Stärke von Guskis Biographie. Er legt offen, welche Kräfte Dostojewskij antrieben, die es ihm ermöglichten, das Werk zu erschaffen, für das er bis heute als einer der Giganten der Weltliteratur verehrt wird.

Grundsätzlich galt, so Guski, „je größer das Wagnis, der zeitliche Druck, die Gefahr des Scheiterns, desto höher die literarische Produktivität.“ Das bezog sich lange Jahre vor allem auf Dostojewskijs Spielsucht. Stets auf der Flucht vor alten Gläubigern und auf der Suche nach neuen Geldgebern, war ein geregeltes Arbeitspensum kaum zu bewerkstelligen. Man kann sich bei der Lektüre von Guskis Buch lebhaft vorstellen, welche Energie es den Schriftsteller gekostet haben muss, die zumeist der prekären monetären Situation geschuldeten Herausforderungen des Alltags zu meistern. Erst wenn die Klippe erreicht und der vollständige Absturz unumgänglich schien, erfolgte das Aufbäumen. So entstand das Manuskript zum Roman „Der Spieler“ binnen drei Wochen, da es die allerletzte Deadline für einen längst verbrauchten Vorschuss einzuhalten galt; ein Scheitern hätte dazu geführt, dass Dostojewskij auf Lebzeiten die Rechte an seinen Werken verloren hätte. Man darf also getrost von einer existenziellen Herausforderung und einer Herkulesaufgabe sprechen. Dostojewskij hat sie letztlich mit Bravour gemeistert, auch wenn „Der Spieler“ nicht zu seinen besten Büchern zählt. Nur unwesentlich komfortabler waren die Rahmenbedingungen beim Verfassen der übrigen Werke.

Dabei war Dostojewskij schon frühzeitig ein vielgelesener und auch durchaus ordentlich bezahlter Autor (auch wenn Tolstoi stets mehr bekam, wie er beleidigt anmerkte). Bereits sein Debut „Arme Leute“ sorgte für Furore und katapultierte den 24-Jährigen in die erste Riege der russischen Literaturszene. Nur zerfloss ihm das Geld stets schneller zwischen den Fingern als es hereinkam. Erst sein finales Mammutwerk, die „Brüder Karamasow“, entstand unter halbwegs annehmbaren äußeren Bedingungen. Und man muss Dostojewskij zugutehalten, dass er, zu bescheidenem Wohlstand gekommen, freigiebig mit seinem Vermögen war und, nachdem er sein Leben lang auf gutmütige Geldverleiher angewiesen war, sich selbst als ein solcher erwies – sehr zum Leidwesen seiner zweiten Frau Anna, die für die Organisation des Alltags zuständig war. 

Um, wie Guski schreibt, „intellektuell in Fahrt zu kommen“, musste Dostojewskij sich aber nicht nur an die Grenzen seiner materiellen Existenz bringen. Er benötigte auch starke Feindbilder, an denen er sich abarbeiten konnte. Vor seiner Verbannung nach Sibirien war dies der russische Obrigkeitsstaat gewesen. Später dann beförderte sein aggressiver Nationalismus eine regelrecht paranoide Abgrenzung nach außen. Mehrfach äußert Guski seine Irritation darüber, wie ein Autor, der wie kein zweiter in die Seelen der Menschen vorzudringen vermochte und in seinen Werken etliche der grundlegenden Erkenntnisse der Soziologie und Psychologie des 20. Jahrhundert vorweggenommen hatte, immer wieder in den allerplumpsten Nationalismus und Chauvinismus abgleiten konnte.

Guski zeigt diese vermeintlichen Widersprüche auf. Er versucht sie zu erklären und damit die Bedingungsfaktoren für eines der bemerkenswertesten Werke der literarischen Moderne darzulegen. Das gelingt ihm eindrucksvoll, doch spürt der Leser – und Guski räumt dies auch selbst ein –, dass er dabei immer wieder an Grenzen stößt. Bis ins Letzte lässt sich die Meisterschaft des Schriftstellers Dostojewskij mit den Methoden der Literaturwissenschaft dann offenbar doch nicht ergründen. Andreas Guskis Biographie ist dennoch eine unbedingt lesenswerte Annäherung an den komplexen Menschen und großen Schriftsteller Dostojewskij.

Andreas Guski
Dostojewskij / Eine Biographie
C.H. Beck
2018 · 460 Seiten · 28,00 Euro
ISBN:
978-3-406-71948-6

Fixpoetry 2018
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge