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Das Böse - ein wildes Konzert der Gefühle
Von Peter V. Brinkemper In den 1980er Jahren wurde die Frage nach der Ästhetik des Bösen gestellt. Nicht ohne Grund, zunächst relativ ungeschichtlich, fast prinzipiell, auch als Provokation. Mitten in der satten postmodernen Phase der späten Bundesrepublik, der musealisierten und kulturprunkenden, überreifen Ära Kohl, - bevor dann die Schleusen und Dämme brachen und der globale Wind of Change Ost- und Westeuropa erwischte und den ästhetizistischen Vorsprungs-Lack vom Kurfürstendamm abkratzte.
Besonders vehement betrieb Karl Heinz Bohrer
im »Merkur« die ästhetische Rehabilitation des Bösen. Er opponierte gegen die
nach seiner Sicht immer noch dominante Linie eines moralisch-ethisch
domestizierten (West-) Deutschen Idealismus, dem das Gute, Wahre und Schöne als
eine einträchtige Befriedungs-Trias galten, als Urbild der bald von Ulrich
Greiner gescholtenen west- und ostdeutschen »Gesinnungsliteratur« und des
gutmenschlichen sozialliberalen Feuilletons, das endlich abzudanken hätte.
Karl Heinz Bohrer: Schirmherr einer
Ästhetik des Bösen die stärker in den Blick kommende Ontologie des verdorbenen, korrupten und antihuman ausrastenden menschlichen Seins in Ergänzung oder Gegenbewegung zur Moderne und ihrer Vernunft- und Fortschrittsgläubigkeit, die radikale un-/politische Emanzipation der Dichtung als Praxis von bürgerlich akzeptierten gesellschaftlichen Maßstäben der konsensuellen Mäßigkeit, Gerechtigkeit, Mitte und Vermittlung, schließlich die zunehmend extremistische Zerlegung und Transformation von Inhalten, Figuren, Charakteren, Handlungsbögen und Formelementen in Richtung auf eine dunkle, rigide in Wiederholungstaten durchstrukturierte und vom Zufall geschüttelte Literatur, also im bürokratischen Geiste de Sades oder der écriture automatique ab Lautréamont.
Im sozialliberalen Konsens der
Wohlstandsgesellschaft und einer westdeutschen Widerspiegelungs-, Therapie- und
Bestätigungsliteratur wurden Bohrers Thesen als konservativ, mythologisch,
antimodern eingeschätzt und gelegentlich auch reaktionär gescholten.
Dialektische Köpfe, sogar Lebenswelt-System-Vermittler Jürgen Habermas, haben in
Bohrers Thesen eine Fusion zwischen Nietzsche und der pessimistischen »Dialektik
der Aufklärung« Adornos und Horkheimers gewürdigt.
Vorsicht ist auch die Mutter des
Springteufels Peter-André Alt interessiert sich zunächst für den literarischen Fortschritt und bleibt dabei in germanistisch-komparatistischen Bahnen, mit erheblichem Zusatz an philosophischem Reflexions-Instrumentarium. Der Autor skizziert die Entwicklung der Ästhetik des Bösen in sechs Kapiteln sowie einem Resümee. Er liefert eine vielstimmige, philosophie- und kulturhistorische Quellen-Geschichte und Auslegung, eine komplexe und doch verständlich angelegte Mythen- und Inhaltsanalyse, differenzierte Behandlung von Gattungsfragen, auch ausgefeilte Logik zum möglichen Verhältnis von meta-ethischer Argumentation und literarisch-rhetorischer Form. All dies wird im Text nachvollziehbar verhandelt und plastisch dargelegt. Fachkundige und erstmalig interessierte Leser ziehen gleichermaßen Gewinn aus diesem Werk, nicht zuletzt anhand der instruktiv dargelegten Beispiele und dem hohen Niveau ihrer kondensierten Interpretationen.
Das Böse: eine eigene oder sekundäre
Ordnung?
Durch die abendländische Setzung einer aus
dem Göttlichen heraus weiter fortschreitenden irdischen Geschichte, wie in
Hegels Geistbegriff, werde das Böse notwendigerweise allein als Folgewirkung
menschlichen Handelns und zugleich überwindbares Hindernis auf dem Weg zur
objektiven Vervollkommnung gedacht. Insgesamt kreisten die Rivalitäts- und
Defizitmodelle des Bösen und die Vervollkommnungsmuster verschiedener
Jahrhunderte immer wieder in tautologischen Strukturen - so Alts kritisches
Standardargument an verschiedenen Stellen.
Vom Exorzismus zur Introspektion Aufklärung und Klassik in Deutschland exorzierten den Teufel als wissenschaftlich erklärbare Figur des Aberglaubens und schränkten seine überlieferte Darstellung stark ein, wie in Goethes komödiantisch aufgehelltem Faust-Begleiter Mephistopheles. Dagegen dringe in der Gothic Novel der Romantik (Lewis, Walpole und E.T.A. Hoffmann) das Diabolische wieder ein in die Struktur des Erzählens, diesmal als genuine Kraft des rational Unerklärbaren, in Form von eigenwillig-unberechenbaren Doppelgängern und zunehmenden Halluzinationen, als durchbrochene Spur zwischen Normalität und Wahnsinn, Ego und dämonischem Alter-Ego – einer Linie, die sich bis zu William Peter Blattys »The Exorcist«, Polanskis »Rosemary’s Baby« und David Lynchs »Lost Highway« verfolgen ließe. Mit Freuds Psychoanalyse sei ein Wendepunkt markiert: Die »exorzistische« Behandlung der Mensch-Teufels-Relation sei meist von Abwehr und Austreibung bestimmt und werde immer selbst als tabuisierte Ausnahme-Konfrontation behandelt. Nun aber werde sie durch Annäherung, psychologische Introspektion und analytische Vereinnahmung abgelöst. Zentral sei von da an die innerpsychische Figur der Übertragung zwischen Bewusstem und Unbewußtem (Ricœur und Foucault). Das Böse werde zum Material einer noch jungen Wissenschaft, der metapsychologischen Überlegung zu den Äußerungen einer sprachbearbeitenden Seelenmechanik von Verdrängung und Verdichtung der eigenen Triebökonomie. Damit sei der Ausgangspunkt geschaffen für eine »Kultivierung des Bösen«. Die heroische Anstrengung des Pioniers und Analytikers Freud bestehe darin, Licht- und Schatten beim Patienten und in der Kultur aufeinander zu beziehen und widerstreitende Instanzen miteinander affektiv und rational zu versöhnen und gerade nicht Seelenzustände mythologisch (wie bei Jung) zu verbrämen. In der romantischen und spätidealistischen Ästhetik des Erhabenen und im Ausgangspunkt von Burkes Definition des Bösen als »obskur« und »Schrecken erregend« entwickele Friedrich Schlegel die Möglichkeit eines satanischen Entwurfs einer Literatur, in der es um »Vernichten, Verwirren und Verführen« gehen könnte. Das diabolische Konzept der Darstellung menschlichen Verhaltens spekuliere mit der Abkopplung der religiös-metaphysischen Sehnsüchte von der konkreten Alltagsmoral (so Alts interessante Interpretation von Schlegels »132. Ideenfragment«). Die kommende dämonische Literatur widme sich der Beobachtung der daraus folgenden Konfusion (des ursprünglichen Diabellein), im Sinne eines »furchtbaren, grausamen, wütenden und unmenschlichen Prinzips«. Dies impliziere eine Art theologisch-poetologische Ästhetik des Bösen, der die idealistischen Theoretiker widersprächen: Hegel (gegen die gehaltlos-subjektive Schlechtigkeit dieses singularisierten Bösen), Heine (gegen den romantischen Mystizismus des katholischen-rheinischen Romantik), Rosenkranz (schon beachtlich fruchtbar differenzierend zwischen Darstellung von Verbrecherischem, Gespenstischem und Diabolischem) und Vischer (gegen die rein ästhetische Unlogik des Bösen angesichts des widerspruchsfrei gedachten Schönen). Peter-André Alt hält sich glücklicherweise in seiner Untersuchung nicht an veraltete geschichtliche und ideologische Zuordnungen. Dies belegt die Untersuchung zu Schillers Spät-Sturm-und-Drang-Drama »Die Räuber«: Attestiert wird eine massive Verkehrung von Gut und Böse, eine »Oszillation zwischen psychologischem Realismus und exzessivem Phantasma«, nicht nur bei Franz, sondern auch beim brüderlichen Gegenspieler Karl. Alt puzzelt Schillers komplexe Position aus Vorwort, Selbstrezension und Textvarianten zusammen: Er überwinde die Aufklärungspoetik der Züchtigung des Lasters und des Sieges des Guten (Gottsched), aber auch die immer noch allzu didaktische Konzentration auf die Darstellung mittlerer Charaktere zwischen Gut und Böse bei Lessing (gegen eine teuflisch-böse Figur wie »Richard III.«, hier nicht von Shakespeare sondern Christian Felix Weiße). Lessing halte sich noch an die Aristotelische Theorie, wonach Schrecken (Furcht) und Mitleid angesichts der Bühnenfiguren und Handlungskonstellationen immer in mäßigender Kombination auftreten müssten. Eine radikal ins Böse ausscherende Figur, die nur noch Schrecken verbreitete, hielt er für bühnenuntauglich. Schillers radikales idealistisches Spiel in »Die Räuber« steigere die Dramatik gerade durch die wachsende Gleichberechtigung und Eskalation der Anwendung und Verdrehung beider Prinzipien, Gut und Böse, auf allen Seiten, also in den antagonistischen Figuren und Lagern. Er strebe in möglichst genauen Porträts gleichsam dreidimensionale Charaktere an, die Vorder- und Rückseite besäßen. Nur in der dramaturgischen Präzision von dynamischen, immer neue Konfliktketten produzierende Individuen, statt flacher moralischer Typen, liege die Überzeugungskraft auch des Bösen als selbständigem Motivator der Handlung, in der Mensch und Teufel gleichermaßen »umarmt« würden. Vielleicht lässt sich in diesem Drama (wie auch in »Kabale und Liebe«) sogar von einer Gegenordnung des Bösen über das in die Tragik getriebene Gute sprechen. In der von kalter Logik beherrschten Franz-Figur werde noch das Potential der Aufklärung negativ wirksam. Die Vernunft pervertiere zur bloßen Intrige durch das Streben nach einsamer Macht und Herrschaft. Auch Bruder Karl folge in der solidarisch mit der Räuberbande ertragenen familialen Verstoßung einem ähnlichen Diskurs der Gefährdung, nur in emotional und sozial angewärmter Weise. Alt: »Die intellektuelle Kernzone des Bösen bildet in den >Räubern< die vermeintlich teuflische Philosophie des Materialismus (im Sinne La Mettries und Helvétius’) , wie sie nicht nur Franz, sondern am Ende auch Karl vertritt.«
Schillers »Archäologie der bösen Seele« werde
in Jean Pauls »Titan« fortgesetzt, der englische und deutsche Strömungen der
dunklen Charakter-Darstellung, vom Satanismus bis zum Libertinismus bündele.
Kleists Gottes-ferne Theaterstücke reagierten einsichtsvoll auf Kants
moralphilosophische Definition des Bösen als egoistischer Enthaltung des
menschlichen Subjekts vom an sich gebotenen ethischen Handeln. Die
fortschreitende Transformation des Bösen zwischen Romantik und Moderne ins
Psychologische und Ästhetische verfolgt Alt anhand von Kierkegaard (Ästhetik und
innerliche Phantasie der Verführung), Baudelaire (das Böse als sensueller Reiz
der übermüdeten Seele), in dessen Gefolge Stefan George und schließlich Thomas
Mann ständen (das entleerte Ich der radikal verinnerlichten ästhetischen
Subjektivität des Komponisten Adrian Leverkühn). Während die ersten drei Namen
und die Befunde durchaus erwartbar sind, ist die Verteidigung von Thomas Manns
»Doktor Faustus« als einem Werk, das die Rhetorik des Bösen nicht nur zitiert,
sondern reflektiert, neuartig: Die radikale ästhetisch-musikalische Existenz des
Helden, seine lebensferne Kälte, sei nicht nur unerschütterlicher
Beobachtungsposten für das Böse in sich selbst und in der faschistisierten
Gesellschaft. Sie sei mit dem Opfer des eigenen Lebens für ein avanciertes Werk
verbunden, das wiederum selbst durch und durch dämonischen Charakter und
höllischen Klage-Ausdruck annehme. Alt: »In dieser Diagnose formuliert Thomas
Manns Roman als zentrale Konsequenz der Ästhetisierung des Bösen die
wechselseitige Determination von Sünde und Kunst, wie sie seit Kierkegaard und
Baudelaire offensichtlich zu sein scheint.«
Aufschlussreiche Revue bekannter Werke »die Räder seines Storchs würden bei der Berührung des Grases auf eine Mine stoßen, und er werde im roten Blumenstrauß der plötzlichen Explosion verschwinden«. Im Vergleich dieser beiden Autoren stellt sich die Frage nach der impliziten Meta-Moral der Erzählung: Wie verarbeitet die jeweilige konkrete literarische Struktur das bellizistische Paradigma der Moderne? Jünger inszeniert sich selbst als poetische, kugelsichere Aufzeichnungsmaschine, als den ersten nationalen Ur-Flugschreiber, der auch noch »Kniebolo« (Jüngers Tagebücher-Umschreibung für den Führer) überleben wird. Dagegen scheint Malapartes urbanerer Diskurs komplexer angelegt zu sein, auch in Hinsicht auf die kommende Kalte-Kriegs-Literatur. Ich denke hier besonders an Michael Herr Vietnam-Roman »Dispatches« und den neu-journalistischen Zynismus in der Darstellung der bekifften und blutigen Simulation beliebig austauschbarer Kriegsvorstellungen im Südostasien, bei der es auch US-amerikanische Tote geben musste, neben namenlosen Leichenbergen von nordvietnamesischen Feinden. An dieser Stelle wünschte man sich mehr ästhetische Beispiele. Aber die vielen argumentativen Fäden des Autors schüren immer weitere Erwartungen und laufen zumindest im Kopf des Lesers gelegentlich lose nebeneinander.
Wahrhaft moderne Kunst begründe, so Adorno, ein »Pathos der Objektivität« - ohne den Schein der Versöhnung oder die Suggestion dämonischen Schicksals. Moderne Kunst produziere insofern »Hässliches«: »In den Formen wird Grausamkeit zur Imagination: aus einem Lebendigen, dem Leib der Spache, den Tönen, der sichtbaren Erfahrung etwas herausschneiden.« (Adorno, »Ästhetische Theorie«). Seltsamerweise interpretiert Peter-André Alt dies nicht als:
Arbeit am (außer-) ästhetischen Material, Alt behauptet, bei Adorno sei die Kunst auch noch in der Nachkriegszeit »durch die Werte der Moral festgelegt, denen die poetische Rede über die NS-Verbrechen verpflichtet bleiben muss«. Weder der faktisch klingende Ausdruck »Festlegung durch Werte der Moral«, noch der ideologisch getönte Terminus »poetische Rede über NS-Verbrechen« treffen das Anliegen Adornos zur nachästhetischen und nachmoralischen Nüchternheit und Offenheit jenseits der diskreditierten Werte, ästhetischen Formen und Konventionen, die von Propagandisten und Verbrechern missbraucht wurden. Paul Celan wurde bei einem Nachkriegstreffen der Gruppe 47 kritisiert, seine beklemmende »Todesfuge« wie Goebbels zu rezitieren, so erinnerte Walter Jens. Diesen Tonfall kann man in etwa nachempfinden, wenn man den zwischen sachlichem Protokoll und heimtückischem Expressionismus schwankenden deutschen Kommentar, verfasst von Celan, zu Alain Resnais’ Lagerfilm »Nacht und Nebel« anhört. Alt referiert, dass für Adorno die an den Verbrechen des Faschismus geschulte Re-Lektüre eines Baudelaire oder Nietzsche deren Ästhetik durchaus in neues Licht, vielleicht sogar in Frage stelle: Die symbolische Imagination des Bösen als mehr oder weniger verschlüsselte Kritik am 19. Jahrhundert als Epoche der Triebunterdrückung stehe zur Disposition eines epochenübergreifenden Vergleichs mit der offenen Entgleisung der massenhaft durchorganisierten kalten Boshaftigkeit der Weltkriege und Vernichtungslager des 20. Jahrhunderts. Baudelaire und Nietzsche lassen sich doppelt lesen: als teils naive, teils kritische Hellseher, als zwischen Imagination und Experiment agierende Propheten kommender Barbarei, Nietzsche aber auch als von vereinnehmbarer Apologet, wogegen jedoch die Distinktion und artifizielle Distanz seiner Werke spricht. Alt: »Historisch und systematisch scheitert die Ästhetik des Bösen bei Adorno an den Vorgaben einer Theorie, die letzthin die Autonomie der Literatur im Namen einer Eigentlichkeit ihrer moralischen Aufgaben beschränkt.« Damit unterstellt er Adorno die geschichtsblinde metaphysische Ordnungs-Moralität Hegels. Im Gegenzug unterschiebt er der Ästhetik des Bösen einen dunklen und doch allzu greifbar normativen Kern, der aber gerade durch die antikryptische Luzidität von Alts historischer Beispiel-Aufschlüsselung nicht wirklich erhärtet wird. Die Ästhetik und das von ihr inszenierte Böse sind selbst historisch wirksame, aber auch wandelbare Kultur-Phänomene und Paradigmen, wie sie Luhmann auch in den literarisch-sozialen Codes der Liebe festgestellt hat.
Gerade Bertolt Brechts respektlos-epische
Historienfarce »Arturo Ui« zum Aufstieg Hitlers nach dem Modell eines
Gangsterfilms wäre Quentin Tarantinos reißerischen, selbst
faschismusverdächtigen Vergeltungs-Maßstäben von »Inglourious Basterds« zufolge
ein gar nicht so übles Werk. Für Adorno streife Brecht aber damit die
schreckliche, kafkaeske Möglichkeit: Das NS-Regime missbraucht und verbraucht,
ja verdampft die Ästhetik des Bösen ganz nebenbei im scheinbar banalen Programm
der rassischen und politischen Ausgrenzung und Gewalt, bis hin zur alles
vernichtenden und nivellierenden Deckung von Gedanke und Ausführung in den
Lagern und im totalen Krieg. Brecht erfasse das Regime und sein System mit einem
flotten Gangsterstück nur oberflächlich und ahme die Verharmlosung des Bösen im
Rahmen einer funktionslos gewordenen Unterhaltungskunst nach. Alts letzte Zeugen für diese Art eines neuen Jenseits-von-Gut-und-Böse sind endgültig angekommen im Diesseits der medialen Gegenwart: Baudrillards postorgiastische Simulationsästhetik, Brat Easton Ellis »American Psycho« mit dem Konsumterror der Marken und den blutigen Massakern halluzinativer Parallelwelten. Und Jonathan Littel und sein Roman, »Die Wohlgesinnten«, die »unlesbar« titulierte Fiktion der Kriegsautobiographie eines gebildeten SS-Mannes. Der Autor breite ein Panorama des Grauens in den genau recherchierten und minutiös gehaltenen Beschreibungen des Vernichtungskrieges und der Massentötungen an der Ostfront aus. Der Charakter der Hauptfigur sei mit dem Mythos des Orest unterfuttert (des von den Erinnyen verfolgten Mutter- und Stiefvater-Mörders, dem von seiner Schwester Elektra angestifteten Rächer seines Vaters Agamemnon, welcher die Griechen im Feldzug gegen Troja anführte). Littel, so auch die wohlwollende Kritik, habe ein Werk voll von »naiver« »Monotonie« geschaffen, einen ungenießbaren »historischen Realismus«, der auf dem Feld des angeblich bisher Unausgesprochenen, im Geiste de Sades, Célines und Genets, seine rhetorische Orgie feiert. Die Frage ist, ob das funktioniert, oder ob das doku-fiktiv Realistische, die rigide Transposition der Sachliteratur zum Thema Holocaust, hier nicht in der endlosen, anschaulich-beobachtenden Wiederholung eine völlig abgeschliffene Form produziert, die der affektiven Rezeption der Thematik das Profil raubt.
Nach meinem Verständnis geht es um ein
Konzert mit vielen dissonanten Stimmen: Der Grundton der changierenden
Ambivalenz, der scheinbaren Einstimmigkeit und der plötzlich einbrechenden
Abweichung, der anhaltenden Monotonie, ihres sanften Entgleitens und Einbrechens
und einer wie zufällig und doch schlagartig aufbrausenden Polyphonie, der
verengenden Linearität und der gewagten Ausdehnung, des Herankriechens und des
Sprungs, der einlullenden Wiederholung und heimlichen und offenen Verkehrung,
der horizontalen Serialität und der massiven vertikalen Akkumulation: das
Charisma von Faszination und Abschreckung, von Einladung und Zurückweisung, das
Verbot von Menschlichkeit und Liebe, der Einsatz niederer Instinkte, durch
Einflüsterung, Neid, Missgunst, Verlockung und Verführung, den sadistischen oder
masochistischen Ausdruck der Lust im Zeichen von Sehnsucht und Begierde, Potenz
und Mangel, Macht und Ohnmacht, das Hineinfahren in Gewalt und Verbrechen, das
pochende Bewusstsein der vollzogenen und der erlittenen Tat, die Bilanz von
Opfer und Täter, der dramatische Umschlag in körperlichen Ekel, das Erwachen von
existentieller Angst, das Aufkommen sozialer Furcht und humanen Mitleids, das
Sich-Aufraffen zur rationalen Einsicht, die Einübung in zivilisierenden und
zivilen Widerstand, der Übergang zur ethischen Distanznahme, der Ausdruck des
moralischen Abscheus und der berechtigten Entrüstung, die solidarische
Einfühlung, im Mitgefühl und in der Mäßigung, die Idee der Gerechtigkeit und das
legal und wirksam zugesprochene, alle beschützende, aber auch vor sich selbst
und vor anderen schützende Recht. Es bedarf nur kenntnis- und einfallsreicher
Literaten und Regisseure, uns auch in Zukunft aus dem Meer der Einfälle und der
realen Krisen in den wilden Resonanzraum elektrisierender Gefühlsakkorde und
verblüffender Plots zu dirigieren. |
Peter_André Alt |
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