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Daheim bei Gustafssons
Er
gehört
unter den Schriftstellern zu jener literarischen Spezies, die durch hell
leuchtende Intelligenz, enzyklopädisches Wissen und spielerischen Witz in ihren
Romanen, Erzählungen, Gedichtbänden und Essays ebenso zu bezaubern wie zu
faszinieren versteht. Gemeinsam mit seiner Frau verfasste er ein Handbuch für
das Leben.
Von Wolfram Schütte
Wer etwa gleichaltrig oder
etwas jünger als der lange Jahre in Austin (Texas) Philosophie lehrende Schwede
ist, der sich oft auch längere Zeit in Berlin aufhielt und wer in der
Bundesrepublik von früh auf literarisch interessiert war, konnte kaum an Lars
Gustafssons von Verena Reichel vollständig und vorzüglich übersetzten, beim
Hanser-Verlag kontinuierlich seit den 1970er Jahren erschienenen großartigen
Œuvre vorübergehen, ohne es in Teilen wahrgenommen zu haben oder seinem
literarischen Charme ein für allemal verfallen zu sein.
Denn der besondere Reiz des Erzählers Gustafssons - ähnlich wie der Italo
Calvinos - besteht in der leichtfüßigen Metaphysik, die seine unangestrengt
tiefsinnigen Bücher auszeichnet. Die zwischen 1972 und 1978 erschienenen fünf
Romane, die er (von Herr Gustafsson persönlich bis zu Tod eines
Bienenzüchters) kürzlich unter dem Titel Risse in der Mauer
zusammenfasste und neu vorlegte, sind - ähnlich wie Milan Kunderas Romane für
die Tschechoslowakei - ein kritisches Zeitpanorama der westeuropäischen
Intelligenz im geistigen Aufbruch und dessen Ernüchterung in den Jahren ab 1968.
Bis zum Rand gefüllte
Wundertüte
Jetzt aber hat Gustafssons deutscher Verlag C. Hanser, wie immer "mit der
Stimme Verena Reichels", das zusammen mit seiner Ehefrau Agneta Blomqvist vor
vier Jahren in Schweden erschienene Herrn Gustafssons Familienbuch
vorgelegt. Auf deutsch heißt dieses Handbuch für das Leben
(Untertitel), das eine Vielzahl von ursprünglich in Zeitungen publizierten
Glossen und Kolumnenbeiträge alphabetisch von Abraxas bis
Zwillingschaft und andere Liebe versammelt: Alles, was man braucht.
Man kann diesen kryptischen deutschen Titel getrost so verstehen, dass das Buch
alles inkorporiert, was man braucht, um als Leser mit den Gustafssons höchst
glücklich zu werden. Denn diese mehr als 300 Seiten gleichen einer bis zum Rand
gefüllten Wundertüte, in der so viele unterschiedliche Sachen durcheinander
purzeln, wie auf den Seiten von Lichtenbergs Sudelbüchern die
kuriosesten Gegenstände einander abwechseln, die im Licht der Gedankenblitze
ihres Autors aphoristisch leuchten. Von beidem hat dieses essayistische
"Sammelsurium" der Gustafssons etwas, was auch einige allzu lokal-schwedische
Bezüge verschmerzen lässt.
Der enzyklopädische Wissensanspruch des klassischen Lexikons wird durch den
subjektiven Eigensinn der Ehepartner sowohl in der Titelei als auch durch seine
kunterbunten Themen und ausgewählten Herzens-Sachen parodiert und ist eben
deshalb auf keinen Begriff zu bringen. Im Vergleich dazu wirkt sogar, was ihm
literarisch am nächsten kommt - nämlich die ebenso wunderliche wie wunderbare
Neue Enzyklopädie des nicht bloß malenden, sondern auch schreibenden de
Chirico-Bruders Alberto Savinio - bei aller seiner poetischen Exzentrik,
Wissensfülle und satirischen Gewitztheit thematisch eindimensional.
Philosophische und
sprachliche Paradoxe
So unvorhersehbar
und überraschend die von Lars Gustafsson und Agneta Blomqvist - der sechs Jahre
jüngeren, ehemaligen Religions- und Literaturlehrerin - verfassten Artikel ihres
persönlichen Hausbuchs sein mögen, so haftet doch den von beiden hier gerittenen
oder ausgeführten Steckenpferden der jeweilige Stallgeruch ihrer Schöpfer an:
einerseits Gustafssons Passionen (Sprachphilosophie, Mathematik, Erkenntnis- und
Ästhetiktheorie, Geistesgeschichte, Angeln und Segeln) und seine wechselnden
Aufenthaltsorte nicht nur innerhalb Schwedens, sondern auch im Ausland (Austin,
Berlin); und andererseits Blomqvists Neigungen zur Natur, Pilzen, Religion und
den Subtilitäten des Alltagslebens. Was - außer durch diese
Orientierungsmarkierungen erahnbar - jedoch von wem stammt (wohl das meiste vom
Autor), ist zweifelsfrei nur an jenen Stellen erkennbar, wo die Autorin sich
plötzlich durch ein kleines Detail zu verraten scheint, bzw. zu erkennen gibt.
Solches detektivische Bedenken und unverhoffte Identitäts-Erkennen mag für Leser
ein zusätzliches Vergnügen an den Texten sein, aus denen man z.B. von Hechten
und Ingwerbirnen, der "Wörterberauschung" des jungen Lars, dem "äußerst
ärgerlichen Ding an sich" des Philosophen und dem "kopfstehenden" Ahornbaum der
in seine Krone blickenden Agneta, aber auch von verschiedenen Graden der
Absurdität oder des Schnees, vom unterschiedlichen Schreiben in jungen und
späten Jahren erfährt oder philosophischen und sprachlichen Paradoxen, der
"Emeritusgemeinheit" und "Gottes Enkel" begegnet. Außerdem kann man auch,
aufgrund der Skizze eines ungeschriebenen historischen Romans, über das
erstaunliche Leben des möglicherweise britischen Doppelspions, Hitler-Gegners
und deshalb diskriminierten schwulen Tennisprofis Gottfried von Cramm
nachdenken.
Vermutlich Blomqvist klärt uns darüber auf, dass die Pilze nicht nur die ersten
individuellen Organismen auf der Erde waren, sondern sie auch "zellbiologisch
den Tieren, also den Menschen näher stehen als den Pflanzen" und der Dichter
höchst selbst erklärt sich das Phänomen der bei uns so überaus beliebten
"Dichterlesung" damit, dass der zuhörende Leser ganz spitz darauf ist, "seine
eigene Stimme mit der des Autors vergleichen" zu können. Das ist zumindest die
originellste Spekulation über den deutschen Zulauf zu einer Dichterlesung,
wenngleich sie ja im Falle Gustafssons nicht seine, sondern die (ihm ja auch
fremde) Übersetzerstimme Verena Reichels hören würden.
Beglückter Leser-Gast
bei "den Gustafssons"
In den zwei Schlussbetrachtungen reflektieren die beiden, die ziemlich
entgegengesetzte politische Ansichten haben, über das "wirkliche Abenteuer, im
fortgeschrittenen Alter und nach dem Abklingen der ersten Verliebtheit noch
zusammenzuleben". Blomqvist, die sich für eine freigeistige bürgerliche Linke
und ihren angeblich anarchistisch-marktliberalen Mann, der an manchen Stellen
des Buchs sich als solcher zu erkennen gibt, für einen "kohlschwarzen
Reaktionär" hält , bemerkt trocken zu ihrem gelegentlich wohl prekären
Zusammenleben: "Leicht ist es nicht. Aber wer hat gesagt, dass es leicht sein
soll?".
Während der ehemalige Professor das gleiche Problem mit Musil, Furberg, Buber
und Harald Bloom existenzial-ontologisch umkreist und "in der wahren Liebe", die
"auf der Ebene der Du-Perspektive stattfindet", am Ende "eines der wenigen
substantiellen Erlebnisse" sieht, die uns "zu Gebote stehen", um zu erkennen,
"dass das Leben sinnvoll ist" - resümiert Agneta Blomqvist ihre abschließende
Betrachtung bündiger, herzlicher, großzügiger: "Zusammenzuleben ist also schwer.
Aber es gibt etwas, das versöhnt, und das im Überfluss. Nämlich die Liebe."
So wird aus dem eigenwilligen Handbuch für das Leben ein Hausbuch
der beiden, das alles an- und ausspricht, was man braucht, um sich als
zufriedener und beglückter Leser-Gast bei "den Gustafssons" wie zuhause zu
fühlen, wobei man gelegentlich im Blick auf sie, wie in einem Spiegel, auch sich
selbst erkennen mag.
Mit freundlicher Erlaubnis von Wolfram Schütte.
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Lars Gustafsson / Agneta Blomqvist
Alles, was man braucht.
Ein Handbuch für das Leben
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel
Hanser-Verlag 2010
319 Seiten
21,50 Euro
Leseprobe
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