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oder ein Gespräch als politische Fälschung Von Peter V. Brinkemper Anselm Kiefer, geboren am 8. März 1945 in der Endphase des Krieges, als Baby mit Wachs in den Ohren, um die Detonationen abzumildern, aber schon offenen Auges für Ruinen- und Kraterlandschaften, ist außerhalb Deutschlands der Inbegriff der Prophetic Art Made in Germany. Ein Erwerbungsobjekt für texanische Multimillionäre und Stiftungen. Wuchtige Kunst zwischen Gemälde, Buch, Plastik, Installation, Objet Trouvé und neohistorisierten Ready-Self-Made. Environment, Filmkulisse, Vernichtung, Signatur, Allegorie und archäologischem Mysterium. Broken Teutonic, tief, düster, ruinös, katastrophal, silber-und-bleihaltig, Relikt aus den letzten Tagen des Untergangs des Dritten Reiches und des sich abzeichnenden totalen militärischen Sieges der Alliierten über ein zwischen letzter letaler Führerhörigkeit und Lethargie mit einem hauchdünnen Hang zum Leben gespaltenes Land. Die distanzierte Vision der Todesfuge und des aschenen Kerkers Sulamiths, oder der erste und letzte Blick in eine infernalische apokalyptische Zukunft. L’art pour l’art der Vernichtung
Auf jeden Fall hat Kiefer
heute noch den Eindruck, Luftkrieg und Feuersturm ständen an der Grenze zum
l’art-pour-l’art (S. 83), irgendwo im richtigen Abstand zwischen Bradbury und
Marinetti. Insofern verkörpert der bildende Künstler dies: einen leibhaftigen
germanischen Kunsttrophäenproduzenten und ein prominentes ökohistorisches
Überbleibsel des internationalen Kunstbooms der 80er Jahre. Und doch ungleich
mehr. Aus diesem wuchtigen Kalten-Kriegs-Gestus schält sich mittlerweile ein
sensibler, zur politisierenden Mystik neigender korrekter Europäer heraus, der
bei aller Ambivalenz nicht in die Stockhausen-Bewunderungs-Falle ging, den 11.
September 2001 als luziferisches Auferstehungs-Kunstwerk zu bestaunen.
Stattdessen kreiert er weiterhin mythische Vor- und Nachszenarien des Untergangs
aus imposanter Fallhöhe. Um so bezeichnender ist der Titel des bei Suhrkamp erschienenen Bandes »Die Kunst geht knapp nicht unter«, mit Gesprächen, die Kiefer mit dem Herausgeber Klaus Dermutz führte. Ein Dialog in vielen Scheiben und Schichten, von 2003-2009, abgehalten zuerst in Wien, dann in der ehemaligen Seidenfabrik von Barjac und schließlich in Paris. Die Odenwalder Zeit ist längst vorbei. Nach wie vor geht es um die Katastrophe der Moderne, um das Navigieren im Ungreifbaren und Verlorengehenden von Geschichte, Gegenwart und Zukunft, auch in der Form der überraschenden Wiederkehr des Vergangenen in deutschen, europäischen und transatlantischen Aktualitäten. Im Vorwort des Buches verweist der österreichische Theaterpublizist Dermutz auf das Ziel, »die philosophischen und theologischen Grundlagen der Kunst Anselm Kiefers« in verschiedenen, auch einzeln lesbaren Kapiteln einzukreisen und damit wichtige Motive ans Licht zu heben. Zwei Partner wollen belauscht werden – Ein Text betrügt die Leser Die Gespräche haben keineswegs den heute üblichen Plauderton, sie sind zum Teil dichte Abfrage-und-Stichwort-Sequenzen für die Selbstauslegung des Meisters und gelehrte Anspielungen, die den Leser überfallen. Eine argumentative Systematik bleibt jedoch aus. Bald stellt sich der Eindruck der Beliebigkeit ein. Hier sind zwei Vertraute am Werk, die sich selbst, verabredungsgemäß, im >öffentlichen Geheim-Gespräch< inszenieren und vom Rezipienten etwas zu andächtig belauscht werden wollen. Etwas stimmt da nicht. Der Tonfall, gleichsam das Relief, schwankt zwischen mündlichem, vorgesagtem, ja vor- und nachgeschriebenem und brav aufgesagtem. Eine Art Wort-Kiefer-Assemblage? Der Vergleich des ersten Buch-Kapitels, Teil 1, mit der ursprünglichen Publikation in Die Zeit (3. 3. 2005 Nr.10) zeigt an, wie willkürlich Fragen von Dermutz je nach Anlass erweitert oder heruntergestrichen werden, um den Bedeutungsspielraum von Kiefers Antworten aufzupolieren oder herunterzuspielen. Wer will, kann das auf eigene Faust im Detail überprüfen. In der Zeit fragt Dermutz zum Beispiel zu den Ausführungen Kiefers, dass Trümmer Baumaterial für die Zukunft seien: »Wie meinen Sie das?« Im Buch lautet die Erkundigung völlig anders, erweitert und hochgeschraubt: »Der polnische Maler und Regisseur Tadeusz Kantor hat von den >Klischees der Zukunft< gesprochen, als er 1947 in Warschau eine zerbombte Brücke sah.« Solche Abweichungen werfen kein gutes Licht auf eine seriöse Buchproduktion im Vorfeld zur großen Kiefer-Ausstellung im Tel Aviv Museum of Art, Oktober 2011.
Und
ab geht es in die Dialektik von Unendlichkeit und Endlichkeit: Wo früher in
Kiefers Geisteswelt durchaus die germanische Provokation stand, gibt es nun
Isaak Luria und die kabbalistische Mystik, die die Selbstbeschränkung Gottes als
die Voraussetzung denken, damit Schöpfung und Welt einen kosmischen Ort
erhalten. Der Rückzug Gottes geht, genau wie zuvor die imperiale
Reichs-Ausdehnung, nicht ohne Katastrophe vor sich. Immer wieder gibt es Risse
in den Weltgefäßen. Den zerbrochenen Krug von Kleist, der noch in der
Zeit zu finden ist, hat man aus dem Buchtext geworfen. Wenn Gott weicht,
nistet sich das Böse ein. Gott an sich ist gut. Der Künstler auch? Zumal, wenn
er nichts mit der Materie der Kunst und der Exaktheit der Worte und Aussagen zu
tun haben will? Wenn er sich seitenweise auch über Bücherverbrennungen
ästhetische Gedanken machen kann? Die Materie sei lediglich ein Kleid des
Ewigen, hier liegt Kiefers eigene Faszination für die kreative Kraft von
Zerstörung und Vernichtung. Kiefer geht nur unter spirituellem Vorbehalt »in«
die Materie wie in einen Wald, er will sich nicht in ihr verstricken, sondern
sie in seinen Werken überwinden. Lars von Trier lässt grüßen, ob Christ oder
Antichrist. »Ödipus ist ein Sadhu, ein indischer Wandermönch, der nur mit Asche bekleidet ist. Die Asche deckt nicht nur zu, sondern leuchtet auch. Ödipus wandelt sich von einem ausgestoßenen Kriminellen in eine Lichtgestalt. Er ist durchs Feuer gegangen. Er ist Asche, Er ist am Ende völlig ausgebrannt, von Demütigungen, Schuldzuweisungen. Ödipus wurde überall ausgestoßen. Er wandelt sich zum Heilsbringer, zur Lichtgestalt. Das Kleid, das ich für Ödipus gemacht habe, ist so starr und fest, dass es ihn gar nicht mehr braucht. Ödipus geht unter, sein Licht bleibt.« (S. 18) Im Fallen wachsen Flügel – Kunst auf Kosten von Politik Die Reichen und Mächtigen schmücken sich mit der Kieferschen Museums- und Ausstellungskunst. In den Vor-Internet-Zeiten der 80er Jahre verfehlte sie ihre allgemeine Wirkung nicht, zwischen Wucht und gleichzeitiger Beliebigkeit. In diesen bleiernen Kulissen sonnen sich die Potentaten und Magnaten im Zeitalter von Wikileaks anscheinend genau so vergeblich wie der antike, zum Untergang verurteilte tragische Held. Kiefer setzt weiterhin auf sein Konstrukt der pyramidalen und sphinxhaften Ewigkeit, um auch noch im elektronischen Wirrwarr der kunstvergessenen Zivilisation zu überwintern. Nach Aussage von Dermutz taucht Laura Bush auf einem Foto der White House Homepage fast unvermittelt vor Kiefers Buch mit Flügeln (1992-94) in der Kapelle des texanischen Modern Art Museum of Fort Worth auf. Schon der Name des Museums wird von Dermutz verballhornt zu Fort Worth Museum. Dabei hat die fünftgrößte texanische Stadt drei große Kunstmuseen und unterschiedlichem Programm. Für ordentliche Recherche scheint kein Platz. Und Laura Bush? Die professionelle Bibliothekarin und engagierte Bekämpferin des US-Analphabetentums? Auch eine Lichtgestalt, die ihrem Mann endlich die Erleuchtung oder wenigstens die Ernüchterung und die Einstimmung in den Endkampf brachte? Nun gut, Ingeborg Bachmann, eine Lieblingsautorin Kiefers, schreibt: »Jeder der fällt, hat Flügel.« (Das Spiel ist aus) Aber Dermutz verfälscht noch viel mehr, wenn er wörtlich schreibt: »Auf der Homepage des Weißen Hauses ist eine Fotografie zu sehen, auf der Laura Bush im Museum Fort Worth vor Ihrem Buch mit Flügeln (1992-1994) abgebildet ist.« Unter »artpointfrance.org« gibt es nämlich ein Bild, auf dem drei Personen zu sehen sind: Laura Bush mit Anselm Kiefer werden in der Bildunterschrift bestätigt. Daneben eine Museumsrepräsentantin oder weitere Begleiterin. Die Begegnung Bush-Kiefer spielt sich, so die BU, im Jahr 2003 vor Kiefers Werk im Museum in Texas ab, also kurz vor oder während der Invasion der USA und ihrer Verbündeten im Irak. Mit der Behauptung, Laura Bush tauche alleine vor Kiefers Werk auf, betreiben Dermutz und Kiefer absichtlich Geschichtsfälschung und Beschwichtigung in eigener Sache. Ohne Internetrecherche wird das Buch zur Desinformation und die erhaben beflügelte Buchkultur mit ihrer Zitatenaura zum banalen apolitischen Bluff. Kiefer fällt neben Standardsätzen der Bushkritik zu dem fraglichen Event nur ein: »Dieses Foto ist ganz einfach die Rekrutierung einer ganz anderen, dünnen Wählerschicht. Das ist nicht so wichtig.« Nur, dass es sich um die Sponsoren und Mäzene seiner Untergangskunst handelt. Auch dies bringt das Buch nicht: Gerade in Fort Worth liegt die Zentrale der American Airlines (AA), die sich (neben der United Airlines, UA, Hauptsitz Chicago), mit zwei der vier Terror-Entführungs-Flüge vom 11. September, und zwar in den später einstürzenden WTC Nordturm und ins Pentagon, konfrontiert sah. Da kommen die metallisch-dahinschmelzenden Buch-Flügel doch wirklich gut. Aber dergleichen kann ein Zufall selbst in der Kieferschen Halbwelt sein. Der Künstler gibt sich politisch progressiv, indem er den Vulgärmanichäismus der Regierung Bush beklagt, und zwar in ihrer Endphase im November 2008, ohne weiteres Risiko für das eigene Kunstgeschäft: Book with Wings wurde 2000 verkauft, als drittes von ingesamt vier großen Werken. Die texanischen Museumserwerbungen mit Werken von Kiefer beginnen 1997 mit Quaternität (1973, auch im Suhrkamp-Band abgebildet) und werden 2002 mit dem Gemälde Aschenblume (1983-97) abgeschlossen.
Moderator und
Textbearbeiter Dermutz geht kaltschnäuzig von dieser heiklen Passage über zur
Parallele zwischen Anselm Kiefer und Anselm von Canterbury, dem Begründer des
ontologischen Gottesbeweises, und zu seiner Konvergenz von »Erkennen, um zu
glauben, glauben, um zu erkennen«, dem Kiefer einen süffisanten
Umkehrungs-Chiasmus entgegenstellt: »Malen, um zu erkennen, und erkennen, um zu
malen.« Kiefer repliziert ganz im Geiste eines Oberkirchenrates (wie der von ihm
zutiefst verehrte Richard Wagner das Widmungsexemplar seines letzten vollendeten
Werkes Parsifal an den abtrünnigen Friedrich Nietzsche halb scherzhaft
unterschrieb). Wieder einmal Kunst und Religion? Kiefer bietet der Religion
Paroli, er schafft sie in eigener Sache ab, mit seiner quasi erhabenen Kunst und
einem beliebig verlängerbaren Mythenpuzzle. Wenn es darauf ankommt, ist Adalbert
Stifter für ihn eine Vorform der Phänomenologie. Aus den Tiefenschichten seines
Werkes grinst ein gegrillter Robbe-Grillet. Darüber hüllt sich Antonioni ins
Halbdunkel von L’eclisse. In Abu Dhabi fühlt Kiefer sich beim Inselbau an
die Landgewinnung in Faust II erinnert. Nur die Golfplätze und der
Tourismus stören das angeblich lupenreine Kunstpathos, das neue
Ausstellungsmöglichkeiten und Megaformate erträumen lässt. Als ob die Türme
der Sieben Himmelspaläste in ihrer Barjacschen Schneeästhetik derzeit nicht
überall auf der Welt im Großformat aus globaler Hand erbaut würden.
Währenddessen kommt, so Kiefer, in der Digitalisierung »das digitale Lager«, die
totale Datenspeicherung und totale Überwachung auf uns alle zu (S. 251).
Vielleicht bilden diese Äußerungen besonders offene Passagen des Buches. Die
Aura des Mythenmalers schrumpft durch die Datenflut. Die Trümmerfrauen wollen
aber doch lieber Mannequins sein und nicht auf den »anthropofugalen«
Kraterhalden der Geschichte Steine putzen und dabei verdorren. Auch der Künstler
wehrt sich ja dagegen, dass die Kunst knapp untergeht. Wie lange noch? Doch vor
allem: Wie opportunistisch und indifferent kann er dabei gegenüber der deutschen
Geschichte und der internationalen Politik bleiben? |
Anselm Kiefer,
Klaus Dermutz
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