
Wer ist eigentlich
Johann Paul Friedrich Richter, der sich Jean Paul nannte, jener
"kauzige Spinner und Biertrinker", der nach Meinung einiger Zeitgenossen nur
unlesbare Bücher schrieb. Heute ist sein Ruhm nahezu verblasst. Google
listet ihn irgendwo zwischen Jean Paul Belmondo, Gaultier und Sartre auf, die
aktuelle Rezeption des großen Romanciers, Essayisten, Satirikers und
Wortschöpfers lässt sich am besten mit den Worten
»vielgelobt und ungelesen« charakterisieren. Dabei
verdanken wir ihm zahlreiche Neologismen wie
Schmutzfink, Gänsefüßchen, Angsthase und Weltschmerz, um nur wenige zu nennen.
Sein Wortschatz nimmt es spielend mit dem Goethes auf. Zweifellos ist er ein
schwieriger Autor,
einfach macht
er es seinen Lesern nicht. Seine Weitschweifigkeit, sein abgründiger Humor, die
komplizierten und mäandrierenden Sätze
in seinen großen Romanen
ebenso
wie in seinen kleinen Erzählungen, darunter solche Meisterstücke wie
»Leben des vergnügten Schulmeisterleins
Maria Wuz in Auenthal« und »Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Fläz«, das
überraschende und unmotivierte Einbringen angelesener Wissensbruchstücke aus
seinen Exzerptheften. Wie aktuell
Jean Paul dennoch ist, zeigt sich vor allem in den essayistischen Schriften wie
der "Kriegserklärung gegen den Krieg" von 1809. Dort tritt er engagiert und
kritische der These von der vermeintlichen Unvermeidbarkeit des Krieges entgegen
und plädiert vehement für eine gewaltfreie Welt.
Zu Lebzeiten des Autors
waren seine Romane »Hesperus«, »Siebenkäs«,
»Titan« und »Flegeljahre« Bestseller und stellten mit ihrer vorwiegend
weiblichen Leserschaft selbst die Weimarer Klassiker in den Schatten.
Aufgewachsen ist er in ärmlichen Verhältnissen, sein Vater war zuerst Lehrer,
dann Geistlicher in kleinen oberfränkischen Pfarren in Wunsiedel - wo Richter am
21. März 1763 geboren wurde -, in Joditz und dann in Schwarzenbach an der
Saale. In seinen späteren Lebensjahren lernte er den Luxus der Königs- und
Fürstenhäuser kennen, auch seinen
Titel Legationsrat verdankte Jean Paul, hierin Goethe nicht unähnlich, seinen
Beziehungen zum Adel, er wurde ihm 1799 durch den Herzog von Hildburghausen
verliehen. Schon in jungen Jahren begann er mit der systematischen
Lektüre, die theologische Abhandlungen, antike Lehrtexte und Schriften der
Weltliteratur umfasste.
Helmut
Pfotenhauer, der Würzburger Literaturwissenschaftler kennt das Werk Jean Pauls
wie kaum ein Zweiter, zeigt in seiner unglaublich profunden und detaillierten
Biographie, wie schriftfixiert Jean Paul schon in frühen Jahren war. Das eigene
Leben als Schreiben zu charakterisieren gipfelt in der Formulierung: »Das Werk
ist alles, das Ich ist nichts.« Was für das Werk zutrifft, gilt auch für die
Briefe Jean Pauls, eine Sammlung davon hat Pfotenhauer in dem Band »Erschriebene
Unendlichkeit« ausgewählt und kommentiert. Sie zählen nach Jean Pauls
Verständnis mit zu seinem Werk, sie sind dünnere Bücher und Bücher dickere
Briefe. Pfotenhauer begründet seine Entscheidung, das Leben aus der
Werkperspektive zu betrachten, aus der frühen Entscheidung Jean Pauls,
Berufschriftsteller zu werden. Diesem Lebensplan, den der 18jährige entwirft,
ordnet er alles unter, ihn wird er verwirklichen wollen. Hungerjahre waren die
Folge, da seine ersten Veröffentlichungen nicht den erhofften Durchbruch
erzielten. Der kam mit seinen Romanen »Unsichtbare Loge« und »Hesperus«. Hatte
Goethe die beiden Briefe Jean Pauls, die dieser zusammen mit den beiden Romanen
zugesendet hatte, noch unbeantwortet gelassen, so ließ sich der inzwischen
erfolgreiche Jungautor nicht länger ignorieren. 1796 kam es zu ersten Besuchen
bei Goethe und Schiller. Die beiden Weimarer Götter verhielten sich im Gegensatz
zu Herder und Wieland zunächst abwartend, dann ablehnend. In den »Xenien«
erschienen Spottverse über Jean Paul, Goethe nannte ihn in einem Gedicht »einen
Chinesen in Rom«, Schiller beschrieb in einem Brief seinen Auftritt als »fremd
wie einer, der aus dem Mond gefallen ist.« Jean Paul sprach später von den
»eingeäscherten Herzen« in Weimar.
Der
Schriftsteller Ulrich Holbein stellt in einem furiosen und virtuosen
Doppelporträt »Ein Chinese in Rom« einen Vergleich zwischen Jean Paul und dem
ungleich berühmteren Goethe vor, eine Gedankenstudie voll grotesker Komik und
unbändigem Sprachwitz. Der Geheime Rath Goethe nannte Jean Paul einen
»Philister«, »das personifizierte Alpdrücken der Zeit«, Jean Paul bezeichnete
Goethe als gefühllos und verkrustet, »ästhetischen Gaukler von Weimar« und
unnahbaren »Eispalast.« Holbeins originelle und bisweilen funkelnde Darstellung
wirft einen zweifellos neuen Blick auf Jean Paul und zeigt uns Goethe in einem
etwas anderen Licht. Holbein schildert Goethes Ärger vor der »Zudringlichkeit
Richters« und zitiert den berühmten Satz, den Goethe äußerte, als er vor den
Sauerkrautdelikatessen der herzoglichen Küche an der Fürstentafel in ein Separee
floh, dort ein herumliegendes Buch aufschlug: die »Mumien« von Jean Paul.
Goethes gepeinigte Reaktion: »Nein, das ist zu arg! Erst Sauerkraut und dann 15
Seiten Jean Paul! Das halte aus, wer will!«
Rückt
Helmut Pfotenhauer das äußere Leben Jean Pauls in den Hintergrund, so lässt
Beatrix Langner in ihrer glänzend geschriebenen Biographie Leben und Werk in
ihrem Zusammenhang Revue passieren, zeigt, wie das gewaltige
Œuvre
erst aus den Auseinandersetzungen des Autors mit seiner Zeit geschaffen werden
konnte. Der Titel »Meister der zweiten Welt« weist nicht auf eine transzendente
Welt hin, sondern vielmehr auf die »Unsterblichkeit der Seele«. Langner
beschreibt die Einflüsse von Aufklärung und Französischer Revolution auf die
Entwicklung und das Selbstverständnis Jean Pauls, die existenziellen Nöte des
jungen Autors, die zahlreichen Liebschaften des »notorisch Verlobten«, die
unermüdliche Arbeit an den großen Romanen sowie das zuweilen spannungsreiche
Familienleben der Richters. Dabei wird die geistige Vita Jean Pauls subtil mit
seinen dichterischen Werken verknüpft. Die neue Biographie von Beatrix Langner
ist wohl das herausragende publizistische Ereignis zum Jean Paul-Jubiläum, ein
sprachgewaltiges Meisterwerk.
Kenntnisreich werden die
einzelnen Lebensstationen aufgezählt, darunter Leipzig, Weimar, Berlin, bis dann
1804 der Umzug nach Bayreuth erfolgte, wo Jean Paul bis zu seinem Tode im Jahre
1825 wohnte. Langners Biographie beschreibt detailliert, wie genau Jean Paul das
geistige, soziale und politische Geschehen der Spätaufklärung und Restauration
wahrnahm, ein literarisches Brennglas seiner Zeit. Im vorletzten Kapitel
»Menuett mit Engeln« beschreibt sie das langsame Verlöschen und Sterben Jean
Pauls. Am 13. November, ein Tag vor seinem Tode, flüsterte Jean Paul auf seinem
Sterbelager Christian Otto, seinem Freund aus Hofer Kindheitstagen, die Worte
ins Ohr: »Du sollst sehen, ich will mit den Engeln ordentlich ein Menuett
tanzen, man soll sehen, daß man in der Welt noch etwas werden kann, wenn es auch
spät ist.« Am 17. November 1825 wurden in Bayreuth am offenen Grab die Worte
Jean Pauls gesprochen: »Der Todtdaliegende bin nicht ich, ihr irret, wenn ihr
diesen für mich haltet.«
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Helmut
Pfotenhauer
Das Leben als
Schreiben.
Biografie.
Hanser Verlag, München 2013
509 Seiten,
27,90 €
Leseprobe
Jean Paul
Erschriebene Unendlichkeit
Briefe
Kommentiert
von Markus Bernauer, Norbert Miller und Helmut Pfotenhauer.
Hanser Verlag, München 2013.
783 Seiten
34,90 EUR
9783446241367
Leseprobe
Beatrix
Langner
Jean Paul – Meister
der zweiten Welt
Biographie
C.H. Beck, München 2013.
608 Seiten,
27,95 EUR.
9783406638176
Leseprobe
Jean Paul
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Mit Illustrationen von Stephan Klenner-Otto.
Insel Verlag, Berlin 2013.
119 Seiten,
14,95 EUR.
9783458193753
Jean
Paul
Leben des
vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal
Eine Art Idylle
C.H. Beck
90 Seiten
Klappenbroschur
12,95
978-3-406-63828-2
Leseprobe
Jean Paul
Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria
Wuz in Auenthal
Bibliothek
der Erstausgaben
Deutscher Taschenbuch Verlag,
München 2013.
144 Seiten,
7,90 EUR.
9783423026871
Leseprobe
Ulrich Holbein
Ein
Chinese
in Rom. Jean Paul und Goethe
Ein
untendenziöses Doppelporträt
Haffmans & Tolkemitt, Berlin
2013
320 Seiten,
19,90 EUR
9783942989275 |