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Ein Lebensroman in
Fortsetzungen: der dritte Band der walserschen Tagebuch-Edition.
Wenn
es denn Zufall wäre, so hätte Martin Walser mehr Glück als Verstand gehabt. Denn
der dritte Band seiner unter dem Titel Leben und Schreiben von ihm
publizierten Tagebücher, der die Jahre 1974/78 umfasst, kam justament kurz vor
Marcel Reich-Ranickis 90. Geburtstag heraus. Im März 1976 war jener folgenreiche
Verriss von Walsers Roman Jenseits der Liebe in der FAZ erschienen, mit
dem M.R.-R. den damals politisch mit der DKP flirtenden 49-jährigen
Schriftsteller durch einen maßlosen verbalen Vernichtungsangriff zur »Raison«
bringen wollte. Als Walser ein Jahr später in kurzer Zeit seine Novelle
Ein fliehendes Pferd verfasst hatte, von der
er selbst bemerkte, sie sei »ohne Sprache«, schrieb sich der FAZ-Kritiker deren
Qualität als Erziehungs-Ergebnis seiner politischen Disziplinierung zugute,
druckte sie in der FAZ vorab und lobte das Prosastück derart ungerechtfertigt
über den grünen Klee, wie er den Roman Jenseits der Liebe ebenso
ungerechtfertigt als »unleserlich« abqualifiziert hatte.
Es ist schwer vorstellbar, dass Siegfried Unseld die intimen diaristischen Konfessionen, Sottisen und Ressentiments Martin Walsers in der nun vorgelegten Form publiziert hätte. Denn die erotischen Eskapaden des Verlegers, die Unseld seinem Kumpel (mit dem er ja auch einmal eine Geliebte geteilt hatte) freimütig mitteilte, präsentiert der Überlebende nun seinen Lesern ebenso klatschsüchtig, wie die offenkundig sich ankündigende Trennung des selbstherrlichen Unseld von seiner ersten Frau Hilde, deren Zeuge der Hausfreund Walser wird. Warum hat sich Martin Walser überhaupt dazu entschlossen, aus der Geheimbibliothek seiner jahrzehntelangen Selberlebensbeschreibungen & intimen Selbstgespräche in Zweijahresabständen historisch fortlaufend literarische Konzentrate zu publizieren? Schon während er nach dem Ansehensfiasko von Jenseits der Liebe (das ein finanzielles aber nicht war!) sowohl an seinem neuen Roman Seelenleben als auch an der Novelle Ein fliehendes Pferd arbeitete, notiert er: »Zwei Eisen im Feuer. Ich will jetzt immer zwei Sachen fast gleichzeitig haben. Und erst, wenn sie mir dann auch die zweite wieder aus der Hand geschlagen haben, bin ich völlig am Boden«. Also: Überlebensstrategie eines Autors, der im Aufmerksamkeits- & Rezeptionsroulette auf zwei Plätze setzt, um seine Gewinnchancen zu optimieren.
Hausmarke aus
literarischem Eigenanbau Gewiss hat Martin Walser sich auch an gleichaltrigen Kollegen wie Walter Kempowski & Peter Rühmkorf ein Beispiel genommen, die mit ihren Tagebuch-Editionen dem publizierten Oeuvre einen neuen »Kick« gegeben hatten. Sie haben sich damit gewissermaßen neu »erfunden« - als »Dichter zum Anfassen«, die den Offenbarungseid der Authentizität leisten, und sich und ihre private Existenz in einem großen Kehraus öffentlich exhibieren. Nachdem der scheue Walser jahrzehntelang sein Privatissimum verschlossen gehalten und das Eigenste »bloß« in fiktiven Figuren (von Anselm Kristlein bis z.B. Xaver Zürn) imaginiert & ausagiert (und vor allem: sich als Person geschützt) hatte, tritt deren bislang diskret gebliebener Autor nun narzisstisch als sein eigener Held vor uns auf. Das 20. Jahrhundert sei »das des Kleinbürgers gewesen, der sich verleugnet«, notiert er 1976, »das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des sich bejahenden Kleinbürgers sein«. Pünktlich zu dessen Beginn hat der bekennende Kleinbürger Martin Walser seine Kontobücher geöffnet, in denen er über Leben und Schreiben des Schriftstellers, Lesereisenden, verschuldeten Hausbesitzers und Vaters »dreier Kinder in der Ausbildung«, der nicht wie Böll und Grass über »enorme Geldreserven« verfügt, ausführlich & detailliert seiner Leser-Kundschaft berichtet. Sei´s, dass er – nach den späten »Skandalen« seiner Karriere – »nichts mehr zu verlieren« hatte, sei´s, dass er seinem Lesepublikum sich als »Ecce Homo« sympathieheischend präsentieren wollte (wie Kempowski/Rühmkorf): - jedenfalls ist Walsers Tagebuch-Edition das zugleich wagemutigste wie exhibitionistischste Unternehmen seiner gesamten literarischen Karriere. Denn sie erlaubt dem Leser einen solchen intimen Einblick in die Psyche, Denkweise und Emotionalität des Autors, dass die Lektüre, die Walser ja von sich aus zur Besichtigung freigegeben hat, einer Vivisektion des Autors als menschlichem Subjekt in allen seinen Widersprüchen gleichkommt. Das ist ebenso riskant wie schamlos und verdankt sich wohl Walsers gesprächsweise des öfteren in den späten Neunziger Jahren erwähnten Nietzsche-Lektüre. Mit dem symbolträchtigen Bild des trinkenden Dichters, der den Abend des 7. Januar 1974 allein mit einer Flasche Macon verbringt und dabei das Glas »ca. drei Stunden« in der Hand hielt, »ohne es je abzusetzen oder an die Wand zu werfen«, beginnt das – wie immer von Kugelschreiber-Kritzeleien durchschossene – dritte Diarium.
Der Anpasser und seine
Verwandtschaft von Ja & Nein Mit einer diese verrückte Situation aufgreifenden wie sie neutralisierenden Bemerkung »Über die Verwandtschaft von Ja und Nein« schließt Walser sein drittes Tagebuch am 25. 12. 1978: »Selbst auf die Gefahr hin, geistreich erscheinen zu wollen, gebe ich jetzt zu, dass ich seit langem an nichts so sehr zweifele wie an dem Wesen der Gegensätze«. Was mit der Selbst-Erkenntnis eines bloß störrischen Reflexes der bestimmten Negation beginnt und damit die freie Entscheidung, selbständig zu sein, verfehlt, endet in der Selbstpazifisierung, wonach Gegensätze nicht wesentlich seien – und dem (kurz zuvor geäußerten) Wunsch: »Ich möchte aus Marmor sein, so verschwiegen. Und wenn sie mich schliffen, glänzte ich. Hart, kühl und unbeweglich möchte ich sein«. So oft er im Laufe der vier Jahre auch seinen Wunsch wiederholt, sowohl schweigen oder verschwinden als auch teilnehmen oder zustimmen zu können, so kontinuierlich protokolliert er doch nur sein Versagen: »Aufmotzen notier ich auch. Aufmotzen und Versagen bzw. Versagen und Aufmotzen, das sind meine Lebensinhalte«. In diese geistig wie materiell ungesicherte, von Verlag, Kritik und Veranstaltern vollkommen abhängige Existenz(weise) des Freien Schriftstellers schlägt das mörderische Verdikt Reich-Ranickis mit dem Titel »Jenseits der Literatur« wie eine Bombe ein. Martin Walser hatte sich schon zuvor als Autor begriffen, der »Misserfolg im Geschäft UND in der Kritik« hat. Auch verstand er sich politisch & literarisch mit seinem intimen Verlegerfreund & FDP-Sympathisanten gar nicht mehr; er bemerkt, wie »Siegfried« (Unseld) sich mehr Max Frisch, Uwe Johnson, Peter Handke und Thomas Bernhard zuneigt als ihm, dem alten Freund aus den frühen Zeiten des Verlags. Der empörte & verunsicherte Autor von Jenseits der Liebe mutmaßt sogar, der FAZ-Kritiker handele im Einvernehmen mit Unseld; Günter Grass und die Familie Habermas bestätigen ihn sogar in seinem Verdacht eines Frankfurter Komplotts.
Der Ohnmächtige
alleingelassen mit seinem Niederlagegefühl Das »Niederlagegefühl« des Ohnmächtigen, der sich öffentlich zurückhalten muss mit seiner Wut & Angst, sich aber im Tagebuch austoben kann (»Ich spüre ein Recht darauf, diesen Herrn ein für allemal zu hassen. Ich wäre immer noch fähig und bereit, ihm ins Gesicht zu schlagen«), hält lange an. Es helfen auch briefliche Solidaritätsbekundungen von Lattmann, Zwerenz, Astel und Timm wenig. Es sind politische Weggenossen, die literarischen im eigenen Verlagshaus (z.B. Frisch, Johnson, Enzensberger) schweigen. Lesereisen – auch ins Ausland nach Frankreich, Österreich, Japan und mit der Familie in die USA – und Treffen mit Kollegen in der Berliner Akademie oder auf Suhrkamp-Veranstaltungen (wozu er sich von Siegfried »erpresst« sieht) mildern ein wenig das Gefühl der Existenzbedrohung, das häufiger zu Selbstmordgedanken ausschweift. Aber: »Ohne meine Familie bin ich sofort nichts. Diese Familie, diese Konzentration der Hilfsbedürftigkeit gibt mir jeden Tag die Kraft«. In diese Zeit, die er als »absoluten Tiefpunkt der beruflichen Laufbahn« empfindet, fallen aber auch seine ersten Gedanken über sein »gestörtes Verhältnis zur Realität«. Es habe etwas damit zu tun, dass er Deutscher und Jahrgang 1927 sei. »Unsere nationale Realität ist gestört« und deshalb fehle ihm, im Hinblick auf BRD & DDR »Vertrauen«. Als »Kleinbürger«, der mit seinesgleichen sozialer Klasse nichts zu tun haben will, weil sie seinen (sozialistischen) Hoffnungen, Bedürfnissen & seiner Sehnsucht entgegenstünden, sei er aber sehnsüchtig nach »Verbindlichkeit« und »Vertrauensseligkeit«. Es sind Begriffssehnsüchte, die in Walsers öffentlichen Reden und seinen Essays auftauchen und annoncieren, dass der Gefühls-Sozialist »Deutschland« mit der Seele sucht, wie Hölderlin einst Griechenland. Merkwürdiger aber noch sind rätselhafte Beschwörungen und Ängste wie: »Ich darf nicht so sein, wie ich will. Wenn ich mich nicht beherrsche, brechen aus mir sofort mit lächerlicher Gewalt alle Meinungen heraus, die man mir je verboten hat.« Oder im gleichen Sinne: «Ein Recht beanspruchen, dass das eigene Bewusstsein sein dürfe, wie es jetzt, nach allem, mehr unwillkürlich als willkürlich geworden ist. (...) Also keine Kritik, keine Verdammung der eigenen Neigung mehr. Zustimmung zur bisher ununterbrochen bekämpften Neigung. Ein plötzliches Zulassen jahrelang bekämpfter, immer auf Einlass drängender Gedankengespenster, Meinungsmonstren. Das hieße aber, noch verschwiegener sein. Ich dürfte keinem sagen, was ich wirklich denke.« Warum diese Verschwiegenheit? »Ich wollte ein Posten sein des Fortschritts, der Annäherung an die Humanität. Ich lebte im gespanntesten Zustand. Jetzt, müde, kapitulierend, wäre ich im Handumdrehen besetzt von jeder Barbarei der Vergangenheit«. Das sind Passagen, die er später in seinem Essay »Händedruck mit Gespenstern« als Beleg für seine »linken« Gewissensqualen im Laufe seiner national-deutschen Wendung zitieren wird.
Ein Walser nach
Reich-Ranickis Geschmack Es ist aber eben dieses traditionelle realistische Erzählen, das der Lukacsianer Reich-Ranicki seit 20 Jahren bei dem großen Autor der Anselm-Kristlein-Trilogie vermisste. Fortan wird Walser, von seinem Kritiker-Quälgeist dazu animiert, »alles tun, worüber« er »früher gelacht hatte« – und zu einem Erfolgsautor werden: je oller, desto doller. Martin Walsers dritte Tagebuch ist deshalb so aufregend, aufschlussreich und bewegend, weil es diesen wahrhaft schwachen Menschen und schwankenden Charakter, der sich über sich selbst und sein prekäres Verhältnis zur ihn immer wieder überwältigenden Welt, im gewiss tiefreichendsten & folgenreichsten Moment seiner literarischen Karriere ebenso authentisch abbildet - wie er hier auch seine damit zusammengehende persönliche, politische & literarische Wendung in statu nascendi dokumentiert.
Erwünschtes
Selbstporträt in einer Onkel-Hommage Wenn mich nicht alles täuscht, hat Martin Walser diesen persönlichen Nachruf auf einen Verwandten, dem er sich nahe fühlte, seinen Lesern nur deshalb vor Augen gestellt, damit sie darin die Wunschphysiognomie des Autors erahnen möchten. So wünschte er sich, von uns wahrgenommen zu werden. Wenn man alles in allem nimmt, was man mit Autor & Werk in mehr als einem Halbjahrhundert als Leser erlebt & erlitten hat, ist man durchaus geneigt, diesem Wunschbild nicht ganz & gar zu widersprechen.
P.S.: Am 19.10.75
berichtet Walser von einem Gespräch in der Frankfurter Akademie der
Darstellenden Künste mit einem Peter Eden über Walsers Das Sauspiel.
In den Anmerkungen von Jörg Magenau wird über den im Register erfassten »Eden,
Peter« nichts mitgeteilt, was auch schwerlich vorstellbar wäre, weil der fiktive
Name gleichsam die amerikanische Umschreibung seines deutschen Namensträgers
ist. Peter Iden, damals Kunst- & Theaterkritiker der FR, war Leitendes
Mitglied der Akademie. Wahrscheinlich wäre der peinliche Schreibfehler Martin
Walsers vom Lektorat korrigiert worden, wenn das Buch statt in Reinbek bei
Hamburg in Frankfurt bei Suhrkamp erschienen wäre. |
Martin Walser |
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