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|
Der
triumphale Abgrund des Krieges
Peter V. Brinkemper über Caroline Alexanders Studie »Der Krieg des Achill«, die zwischen
zwischen
Altphilologie und US-Traumatologie pendelt
Auch Kriegs-Mythologie ist im
Medienzeitalter keine ins Ohr geraunte Oral-Tradition oder in Verse gegossene
Klassizität. Sondern ein Toben der Varianten und Fragmente in den
digitalisierten Kanälen. Speziell Homers »Ilias« ist uns in zahlreichen
literarischen und filmischen Varianten, Anreicherungen und Kürzungen,
Vermittlungen und Verfälschungen
»vertraut« und zugleich
»fremd«. Sie ist nur
der konzentrierte Teil, ein reliefartiges Vorfinale einer weitergehenden
epischen Tradition, wobei Homers tiefgründige Sprachplastizität alles andere
überstrahlt.
Homer, David Benioff,
Wolfgang Petersen und Christa Wolf
Wolfgang Petersens neuste Filmadaption, das leider Götter-lose Heldenstück
»Troja« (2004), hat die alten verschwitzten Körperduelle des italienischen
Sandalenfilms der 60er Jahre sichtlich verjüngt und nach innen sublimiert. Für
2,5-Millionen-Dollar hat der Drehbuchautor David Benioff das ausufernde
Mythen-Gewebe (über die
»Ilias« hinaus) in freier Adaption auf ein biederes Screenplay weniger Akteure vor digitalem Massenszenen-Hintergrund eingestampft,
insgesamt ein zünftiges Freilufttheater
»Marke Homer« am maltesischen Strand,
das zumindest die
»Einheit« des Ortes wahrt und die
»Kontinuität« der Charaktere
und der Handlung durch Pseudosynthesen suggeriert. Die klassische Aristie, die
rhetorisch vorteilhafte Präsentation der Besten unter den Griechen und
Trojanern, wurde effektvoll aufpoliert. Die Frauenrollen schrumpfen, neben einer
fatalistisch liebenden passiven Mauerschau-Turnier-Damen-Helena, auf eine
athletische Vielkämpferin mit und gegen männliche Begierden: Briseis, die
geschändete Priesterin des Apoll, zugleich königliche Verwandte einer Kassandra
und aktive Sympathisantin der das Iphigenie-Opfer rächenden Frauenbewegung von
Schlage einer Klytämnestra. Und die noch vieles mehr sein könnte. Gleichwohl
kommt in der Extended Version des Director’s Cut manches angemessen herüber: die
ältere, archaische Ordnung im menschenverachtenden Machtpoker zwischen den
brachialen Mykenischen Brüdern Menelaos (über die Heirat mit Helena jetzt
Herrscher von Sparta) und Agamemnon, Oberbefehlshaber der Griechen im Feldzug
gegen Troja, mit dem Ziel, durch den Feldzug seine mykenisch-spartanische
Hegemonialmacht zum Königtum der vereinigten griechischen Inseln und
Stadtstaaten auszubauen; die deutlich modernere Kriegsunlust von Odysseus, dem
Fürsten von Ithaka, der lieber das Familienleben mit dem jungen Sohn Telemach
und der treuen Gattin Penelope auf seiner Insel im ionischen Meer genießen will;
die radikal zeitlos jugendliche, nihilistische Liebes- und Kriegs-Artistik im
Urbild des zornigen jungen Mannes, des Lonely Cowboy-Söldners Achill, dessen
ursprungs- und heimatlose Unberechenbarkeit eine antike Atombombe für das
Menschliche und Göttliche darstellt; der kultivierte, etwas kriegsblinde
Familienfeinsinn des Trojanischen Königs Priamos; die biedere, dabei
tapfer-überlegte Wehrhaftigkeit Hektors, der für seinen missratenen
Playboy-Bruder Paris und den skandalösen weiblichen Gast des öfteren großherzig
in die Bresche springt; die tragische Zuspitzung der erfolglosen Belagerung
durch den rasenden Trauerausbruch des halbgöttlichen, halbunsterblichen Achill
um seinen sinnlos gefallenen, bis zur homoerotischen Hingabe geliebten jungen
Vetter Patroklos; sowie die tödliche List des allmählich heranreifenden
Ur-Individuums Odysseus, den realitätsblinden Trojanern am Ende das hölzerne
Pferd unterzujubeln, um in diesem Rammbock die griechischen Brandschatzer und
Schlächter in die wehrhafte Stadtburg einzuschmuggeln.
Kassandra reicht ihrem Bruder
Hektor eine Erfrischung,
ca. 425–420 BC. From
Gravina
in Puglia,
Botromagno.
Christa
Wolf setzt in ihrer Erzählung
»Kassandra«
(1983) die monologische Sprechrolle
ein für die von Apoll verfluchte trojanische Seherin, auf welche die Männer
nicht hören wollten. Sie wendet den martialisch-heroischen Stoff in die
modellhaft Nein-sagende Frauenperspektive um. Die Figur Helenas wird zum bloßen
Vorwand und zum Phantom einer selbstzweckhaft-destruktiven männlichen
Siegerästhetik und Kriegs-Unkultur erklärt. Der Absturz der einst im Rat von
Troja mitsprechenden Königstochter und wahrsagenden Priesterin, ihre Entwicklung
zur kritischen Intellektuellen ist eingesetzt in ein Panorama von adligen und
volkstümlichen Frauenstimmen, die als Gegengewicht oder als willenlose
Verlängerung der blinden Kriegspolitik zwischen sturer patriotischer
Verteidigung und machtversessenem Beutezug fungieren.
Caroline Alexander
zwischen Altphilologie und US-Traumatologie
Die New Yorkerin Caroline Alexander beschäftigt sich in ihrer Studie
»Der
Krieg des Achill« mit der Logik des Themas
»Krieg um Troja« speziell in den
Aussagen der homerischen
»Ilias«. Dabei setzt sie sich zum Ziel, eine der
meisttradierten mythischen Darstellungen einer militärischen Auseinandersetzung
zu präzisieren, die
»keine Grenzen festlegte, kein Territorium eroberte und
niemandem einen Nutzen brachte« (Alexander, S. 15). Aber in welche Richtung soll
die Präzisierung gehen? Es geht um einen Mythos, der immer wieder als Referenz
für spätere bellizistische Ereignisse zwischen Triumph und Klage herhalten
sollte und der doch in seiner besonderen homerischen Darstellung häufig
unterschätzt wurde.
Caroline Alexander betont
zunächst, dass die
»Ilias«
»etwa zwei Wochen im zehnten und letzten Kriegsjahr«
der Belagerung Trojas zum Gegenstand hat, einer Phase, in der die
Auseinandersetzung längst zu einem auch unter den Griechen umstrittenen
»Stellungskrieg« wurde. Das klingt scheinbar militärhistorisch präzise, ist vor
allem aber zeitdiagnostisch im Sinne der US-Kriegseinsätze und Verluste in
Vietnam, im Irak und in Afghanistan gemeint. Es geht anscheinend um die mythopoetische Erkundung der archaischen und der modernen Soldatenseele. Eine
sonderbare Mischung aus Altphilologie, Nacherzählung, analytischen Einblicken,
etwas Aktualität und intellektuell halbgarem Seminarstil durchzieht das
Manuskript. Einfühlsam wird am homerischen Text durchaus interessantes
episch-poetisches Material präsentiert, aber die Unschärfe der Begriffe und
Hypothesen fällt auf.
Der Zorn des
Achilleus,
Michel Martin Drolling
1810,
zeigt den Moment der von Achilles berufenen Heeresversammlung,
in dem Athene ihn hindert, gegen Agamemnons Beleidigung vorzugehen.
Es
geht Caroline Alexander um die typische Rebellion des Soldaten gegen die ihn
befehligenden Instanzen. Achill stellt, vor allem aufgrund eines Streites um den
rechtmäßigen Besitz der im Kriege erbeuteten Frauen Chryseis und Briseis, das
gesamte Unternehmen in Frage und wirft dem griechischen Befehlshaber Agamemnon
heldenfeindliches Management und rein egomanisches, machtpolitisches Taktieren
vor. Deshalb kündigt er seinen Rückzug mit den thessalisch-myrmidonischen
Truppen an. Bis zum 18. der insgesamt 24 Gesänge bleibt Achill mit seinem
spezialtrainierten Ninja-Mannen den weiteren Kämpfen fern. Erst nach dem
Kampfestod seines Gefährten und Seelendoubles Patroklos füge sich Achill in
fatalistischer Verzweifelung dann doch in die griechische Kriegsmacht wieder
ein, um vor den Toren Trojas den bis dahin siegreichen trojanischen Prinzen
Hektor in einem ausufernden Massaker zu verfolgen und ihn schließlich im Duell
zu töten. Aber ist ein solches wildes, in seiner poetischen Extremität
katastrophal zu deutendes Vernichtungs-Geschehen noch eine kontrollierte
militärische Operation? Kann das mit
»Einfügung« in Zusammenhang gebracht
werden? In den beiden letzten Gesängen werden Patroklos und schließlich Hektor
mit allem Pomp von der jeweiligen Partei beerdigt.
Achilles pflegt eine Pfeilwunde des
Patroklos,
500 BC.
From Vulci.
Achills
Erbitterung über den Tod des Patroklos artikuliert sich in wilden Untaten gegen
Mensch und Natur, sogar nach dem Tode der besiegten Gegner, im Schleifen von
Hektors Leiche um Patroklos’ Grab, wobei der Leichnam durch den Eingriff der
Götter wundersam unentstellt bleibt. Andererseits erlaubt Achill dem alten
Priamos, seinen toten Sohn in die Stadtfeste mitzunehmen. Die furchterregende
Mischung von Krieg, Vernichtung, Sterben, Rage der Überlebenden, Eskalation
durch weitergehende Qualen und Folter an den Körpern und Leichen der Gegner
zeigt an, dass die zivilisatorische Barriere zwischen Krieg und Frieden,
Aggression und Besonnenheit, Gewalt und Trauer nicht hält. Und hierin könnte die
kriegskritische Botschaft des Homerischen Epos bestehen. Zeus und Thetis müssen
einmal mehr einschreiten, um den schmerzwahnsinnigen Achill endlich zum
Loslassen vom Racheobjekt und zur Übergabe von Hektors Leiche an seinen Vater
Priamos zu bewegen. Die Autorin betont, dass die Schilderung der vorherigen
Geschehnisse und des Kriegsfinales, wie sie in anderen antiken Darstellungen und
Kompilationen erfolgen (im Deutschen durch Gustav Schwab), die Vorgeschichte des
Raubes eines einzigen frühantiken Topmodels Helena und der listenreiche und
blutige Ausgang des Krieges im überlieferten homerischen Text kein
ausführlicherer Gegenstand seien. Allerdings gibt es bei Homer interne Verweise,
so Helenas Klage am Ende der
»Ilias« (hier klassischen Übersetzung Johann
Heinrich Voß; mit Alexandros ist der zweite Name des Paris gemeint):
»Also sprach sie weinend, und
weckt' unermeßlichen Jammer.
Endlich erhub vor ihnen auch
Helena klagend die Stimme:
Hektor, o trautester Freund, geliebt vor des Mannes Gebrüdern!
Ach mein Gemahl ist jetzo der göttliche Held Alexandros,
Der mich gen Troja geführt! O wär' ich zuvor doch gestorben!
Denn mir entflohn seitdem schon zwanzig Jahre des Lebens,
Seit von dannen ich ging, das Land der Väter verlassend;
Nimmer indes entfiel dir ein böses Wort, noch ein Vorwurf
Ja wenn ein andrer im Hause mich anfuhr, unter den Brüdern
Oder den Schwestern des Manns, und den stattlichen Frauen der Schwäger
Oder die Schwägerin selbst, denn der Schwäger ist mild wie ein Vater;
immer besänftigtest du, und redetest immer zum Guten,
Durch dein freundliches Herz und deine freundlichen Worte.
Drum bewein' ich mit dir mich Elende, herzlich bekümmert!
Denn kein anderer noch in Trojas weitem Gefilde.«
Troja,
ein frühes My Lai? Achills barbarisches Zorn-Potential
Caroline Alexander
versteift sich auf die aktuell verpackte Hypothese, dass sich Homer auf den
»winzigen Splitter aus dem unbedeutendsten Stadium dieses allumfassenden
Krieges« beziehe:
»einen Streit zwischen einem Krieger und seinen Kommandeur
während der sich hinziehenden Pattsituation der Belagerung.« (S. 27 und ff.). So
winzig ist das Detail, so unbedeutend dieser Streit denn doch nicht, da Achills
Truppe zur kriegsentscheidenden oder auch den Krieg massakerförmig chaotisierenden Streitmacht im zermahlenden Gleichgewicht der Belagerung gehört.
Die Zähigkeit einer herzlos-uninspirierten Operation wird zunächst der kreativen
Strategie und angemessenen Menschenführung nach dem Beispiel der
enthusiastischen freien Jungkriegerschaft entgegengestellt, wie sie später eine
Zeit lang in Alexander dem Großen verwirklicht schien. Aber auch der bis heute
aktuelle (nicht nur faschistische) Umschlag in Barbarei ist schon bei Homer
Thema. Richtig ist also, dass der Zorn des fast gottgleichen Achill das
sprichwörtliche erhabene Motto und motivationale lyrisch-dramatische Thema der
gesamten überlieferten Gesänge über den triumphalen Abgrund des Krieges als
Daseinsform zwischen jugendlicher Kampfeslust und allmählichem erwachendem
Memento Mori darstellt. In diesem Motiv ist zugleich das qualitative Kriterium
für den Längsschnitt durch das Panorama der
Götter-Helden-und-Normalsterblichen-Krieger-Welt enthalten, die Skala zwischen
Mut und Übermut, Klugheit und Leichtsinn, Unbarmherzigkeit und Verletzbarkeit,
Solidarität und Rache, Idealismus und Niedertracht, Patriotismus, Brutalismus
und Nihilismus.
Es ist bezeichnend, dass Caroline Alexander die krisenhafte Zuspitzung der
Textbotschaft Homers zwischen seelenzerrüttendem Kriegsgeschäft, soldatischem
Gehorsam, politischer Berechnung, söldnerischer Rebellion, endloser
Verzweiflung, ausgelebtem Hass und Berserkertum nicht nur altphilologisch
abfedert, sondern aktuell als kriegspolitische und traumatologische Trauerarbeit
der USA von Vietnam bis Afghanistan und Irak begreift. Aber sie differenziert
diese Ebenen nicht analytisch trennscharf, sondern spricht in einer Sprache des
diffus-einfühlsamen Respekts über die gefühlte antike und eingestreute heutige
Lage.
Im Gegensatz dazu behandelt
Christa Wolf in den 1980er Jahren geradezu apotropäisch und starr
anti-bellizistisch
»Achill« als missratenen Pop-Kriegsstar, der von einer
korrupten Subspezies hirnlos-geiler Frauen angebetet wird, und drischt auf
dieses
»Vieh« mit aller ihr zur Gebote stehenden intellektuellen Sprachmacht
eines maßvoll-friedlich gebändigten Denkens und Lebens ein. Wolf blendet aus der
kriegsstaatlich verwirrten und verdunkelten Festung Troja und dem ausschnitthaft
geschilderten, aber deutlich unheroisch-blutigen Kampfgeschehen über in die
Idylle der solidarischen und friedlich-gewaltlosen Gegenwelt der Frauen am Berg
Ida, auch wenn diese nur auf Zeit existiert. Auf diese Weise bildet sich ein
mehrspuriges frühes Bewusstsein der Kassandra, dass gegen den Krieg mit Gründen
rebelliert. Zugleich trennt Wolf die fiktive Rede Kassandras von ihrer eigenen
Beschäftigung als Autorin mit der Suche nach einem weiblichen Schreiben, der
Erforschung der griechischen Kultur auf der Spurensuche nach dem
Rollenverständnis Kassandras und der Gegenwarts-Analyse der atomaren Bedrohung
zwischen West und Ost in den
»Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra«. Diese
verschiedenen Themen werden differenziert abgehandelt, Parallelen ergeben sich
erst in der Zusammenschau.
Dagegen begegnet Caroline Alexander dem Superhelden Achill relativ unmittelbar
mit der Aufmerksamkeit der leidgeprüften US-amerikanischen Patriotin, wie Mama
Thetis, im Bangen um das Seelenheil des zum Killer und Amokläufer mutierenden
kriegstraumatisierten Sohnes und Kameraden, dem auch noch die erforderliche
seelische Nachrüstung für das letzte für ihn selbst tödliche Unheil aus der Hand
der Mutter zuteil wird. Vorzeit und Jetztzeit werden fast mythisch
kurzgeschlossen. Fürsorglich liefert Thetis ihrem Sohn zum Endkampf die von
Hephaistos geschmiedeten Waffen, obwohl Achill sein baldiger eigener Tod
geweissagt wird. Dabei gelingen Caroline Alexander Formulierungen zur Analyse
der Psycho-Urlogik Achills (und der anderen Helden), zwischen ausstaffiertem
Heroismus, zivilem Charakter-Ansätzen und militantem
»Persönlichkeitsverlust«,
besonders im Amok-Lauf des Peliden gegen Hektors Mannen und der Gegenwehr des
mythisch personalisierten Flusses Skamander, gerade auch nah am Text, in der
eigenen, an Vorbilder angelehnten Übersetzung Homers. Insofern erweist sich der
US-amerikanische Originaltitel
»The War that killed Achill« um einiges
plausibler für die intendierte Darstellungslinie der Autorin. Ein Stück weit
also Trauerarbeit und kritische Differenzierung, etwas diffus zwischen Mythos
und Reflexion, wobei sich fragen ließe, ob Kriegs-Helden-und-Toten-Kult nicht
grundsätzlich reales Grauen aufschönen. Im Sinne der nachfolgenden
»Odyssee«
könnte die archaische Poesie des Kampfes besser als Metaphorik für die
evolutionäre Zufälligkeit von Vernichtung und Überleben erster
kriegsüberwindender und in der Folge zivilisationsstiftender Seelen-Zustände
interpretiert werden.
Caroline Alexander schreibt
am Ende der 319seitigen, vom Verlag
mit 480 Seiten angekündigten Studie:
»Homer würdigt zwar den Edelmut, der sich in Opfer und Tapferkeit eines Soldaten
offenbart, beschließt aber sein Epos ausdrücklich mit einer Reihe von
Bestattungen, untröstlichen Klagen und gebrochenen Überlebenden. Der Krieg
offenbart ungeschminkt die Tragik der Sterblichkeit.« (S. 245) Das klingt so
harmlos wie eine Seminar-Arbeit. Was für ein Götterfestspiel der planetaren
Verwüstung wäre das geworden, wenn alle Helden unsterblich und rastlos sich in
Ewigkeit bekämpft hätten? Homer, also doch über Zeit und Raum hinweg, im
Gespräch mit Erich Maria Remarque und Ernst Jünger via Operation Patroklos? Muss
die barbarische und zivilisatorische Un-Kultur der abrupt eskalierenden
Aggression nicht weitergehend analysiert werden? Als chaotisches
Schicksals-Geschehen von durchkalkuliertem Verlust und Todesangst-Dressur,
einstmals im Mythos olympischer Kombattanten und heute im vorprogrammierten
Vorgang der asymmetrischen High-Tech-Waffengänge mit traumatischen
Verlust-Ängsten? Oder hat Agamemnon-Bushs schmutzige Führungs-Taktik und das
propagandistische Hollywood-Kino vor 2001 (Vgl.:
»Angstbekämpfung
im Militainment«)
über den herzensreinen Achill-Kill-Bill gesiegt? Caroline Alexanders Studie regt
wenigstens in vielen Einzelbetrachtungen durchaus an, zum weiteren Denken über
Homer als dem Urvater der poetischen Reflexion über Krieg und Psyche.
|
Caroline
Alexander
Der Krieg des Achill:
Die Ilias und ihre Geschichte.
Originaltitel: The War That Killed Achilles.
Übersetzt von Ulrike Bischoff
Berlin Verlag
Oktober 2009 - gebunden - 319 Seiten
ISBN: 978-3-8270-0750-6
22 Euro
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