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Ulrich Breth über die
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Zum 5-jährigen Bestehen
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Chinesische Geschichten
und der Unsinn des Reisens
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reicht
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|
Nebenberuf:
Adolph Shicklegroover
Quentin
Tarantinos neues Werk
»Inglourious Basterds«
Von Peter V. Brinkemper
(Köln, 10/08/09) Ist nicht
schon alles gesagt worden: Muss man eigentlich noch irgendetwas wissen, wenn man
in Quentin Tarantinos neues Werk „Inglourious Basterds“ gehen will? Das E im
Titel ist eine der vielen Slangnummern, von denen das Typoskript zum Film nur so
wimmelt. Allen Erwartungen zum Trotz: Der Film ist teils erfrischend, teils
langatmig, ein Stück weit verwirrend und bleibt dabei relativ handlungsarm, er
dreht sich irgendwie um alles und nichts, er folgt der abgefeilten sequentiellen
Dramaturgie von „Kill Bill
1 & 2“ und des „Grindhouse“-Doppelpack-Kinos von Rodriguez und Tarantino
(„Planet Terror“ und „Death Proof“), das letztens als Marketingobjekt die
Zielgruppe nicht so recht erreichte. Eingeteilt in fünf fast unabhängige Kapitel
„Once upon a time... Nazi occupied France 1941“; „Inglourious Basterds“; „German
Night in Paris 1944“; „Operation Kino“; „Revenge of the Giant Face“ spitzen sich
die Dinge im Finale zu, in dem Kino und Politik, Helden und Schurken einander
die Klinke, die Waffen und die Medien in die Hand geben.
Martialischer Devotionalismus
Anders als sein Vorbild, das italienische
Anti-Nazi-Kriegskommando-Exploitation-Machwerk „The Inglourious Bastards“ oder
''Quel Maledetto Treno Blindato'' (1978) vom
Enzo G. Castellari ist Tarantinos
Film bei
weitem ausgefeilter in seiner Bildgestaltung, in seinem gezielt
fragmentarischen Plot und in seinen Charakteren. Er versucht sich in einer Art
Quintessenz auch gediegenerer Propaganda-Kriegs-und-Himmelfahrts-Kommando-Streifen (Robert Aldrichs „Das
Dreckige Dutzend“). Aber welcher? Bereits die zahllosen Anspielungen der
Figurennamen und der cineastischen Filmkultur der 30er, aber auch späterer Jahre
legen eine Art Potpouri nicht nur auf Pulp-Niveau nahe. Dabei ist der Film
gerade deshalb ein Steinbruch mit jeweils langgezogenen Szenen und nicht zu
Ende komponierten Teilen. Die Kamera kreist um die Situationen, Figuren und ihr
Outfit wie um kostbare Devotionalien, der Wachsfigurenkabinett-Effekt liegt
durchaus nahe. Auch die zahlreichen Retro-Fake-Plakate machen die Tendenz
deutlich. Es ist, als ob man sich, wenn auch respektlos, in das götterlose
Zwielicht von Kitsch und Tod und zertrümmerten Aussageinhalten von World-War-II
einfühlen sollte, das bald im Feuersturm sein Ende fand. Der martialische
Auftrag aus dem Underground, hinter den feindlichen Linien zu landen
und apachengleich Nazi-Skalps zu erbeuten, gibt diese Sichtweise geradezu
fetischistisch im Werbe-Trailer vor. Die eigentliche Spannung kommt an den
Rändern und Übergängen der Szenarien auf. In der vagen Logik der Überbrückungen,
oder in den plötzlichen Wendungen, die den Situationen einen anderen Verlauf
geben oder eine andere Implikation für die spätere Handlung mitteilen. Tarantino
zitiert historisch überpräsente Zeichen, allen voran Hitler und Konsorten, die
eigentlichen Bastarde des Films, den Krieg, die NS-Herrschaft, das
SS-Terror-System, er verdichtet dies alles ein Stück weit zur zeichenhaften
Präsenz einer immanenten Beutekultur, dem talmipolitischen Comic, dem gewollten
Schund, dem Billigen und Trivialen als Kehrseite von Glanz und Gloria, weil es
einfach bruchstückhaft und wunderbar oberflächlich sein kann, um es eindringlich
zu beleuchten und zu reflektieren. Und er scheut sich keineswegs vor
Schrecklichen Vereinfachungen, um dem „Abenteuer“ der Nazijagd (Subjekt und
Objekt) und der Wunschvorstellung einer vorzeitigen Rache an der in Europa
herumwütenden Hitler-Herrschaft in einem Kino-Gipfeltreffen in Paris Raum zu
geben. Aber auch Gelegenheit, sich selbst ad adsurdum zu führen.
Ein
fetter Babbelsbörger
Das hervorstechendste
Merkmal des Films ist die Dominanz der Sprache, der oft ausufernde Mono- und
Dialog. Im Gegensatz zu dem action- und gewaltbereiten Trailer, der sich auf die
moralisch verwahrloste jüdische US-Söldnertruppe der „Inglourious Basterds“
bezieht, will das gesamte Werk vor allem ein theatralischer Film, Theaterkino
und Kinotheater sein, so dass in langen Monologen und absurden Gesprächen
Vorstellungen von Krieg, Macht, Größe, Freund und Feind abgegeben werden. Von
den offiziellen Mächtigen, aber auch von den Überläufern, Doppelagenten und
Widerstandskämpfern. Die eigentliche Spannung liegt in der Kunst der Anspielung,
der krassen Angabe oder der Andeutung, sich gezielt in verschiedenen Codes zu
bewegen, der degenerierten Semantik des Brachial-Politischen, der Militärischen
Zackigkeit, der SS-Verwaltungs-und-Vernichtungs-Sprache, dem pseudogalanten
Offizierskasino-Stil, den Flüstersignalen des verdeckten oder offenen
Widerstandes, der verheißenen oder verbotenen Liebe, der Welt der Eroberer und
der Unterdrückten. Wenn man so will ist der Film ein riesiges Casting-Torso. Die
deutschen Passagen hat Tom Tykwer, der nicht im Film steht, übersetzt. Wer
führte eigentlich die Regie bei den deutschen Stellen, der Simultanübersetzer,
oder jeder Schauspieler alleine oder bestimmte Leithammel? Der Film wurde in
Französisch, Deutsch, Italienisch und Englisch bzw. „Saufsteit-Släng“ (Brad
Pitt) gedreht. Das zunächst in Englisch verfasste Drehbuch sieht diese Optionen
bereits konsequent vor. Die Sprache wird zur Rollen- und Bühnenanweisung, einem
linguistischen Babbelsbörger. Die Sprache ist neben den Figuren selbst ein
mediales Rollenwesen, das durch die Figuren hindurchschnurrt wie eine
neunschwänzige Katze. Man würde auch der deutschen Fassung gerade die englische
Untertitelung der deutschen Dialoge wünschen, ihre Markierung als
Fremdsprache und ethnologisches Feindäußerungsmaterial. Die Produktion fand
weitgehend im Babelsberg und Ostdeutschland, für die Sniper-Sequenz in Görlitz,
und in einigen Szenen in Paris statt. Für das Konstrukt einer internationalen
Filmwelt ergibt sich so ein Vorführeffekt der besonderen Art, meist deutsche und
österreichische Schauspieler, geben einmal mehr die Germans, den Feind, und
werden in ihrer (Film-)Theatralik oder bisweilen ausdrucksarmen TV-Minimalistik
vorgeführt als provinzielle Krauts. Von „Heer Adolph“ Hitler (original
Tarantinismus) in die Festung Europa eingesperrt sehnen sie sich nach ein
bisschen mehr Welt, bleiben aber der Provinzialität ihres Gehorsams, ihrer
Kneipenkultur und ihrer Hitlerjungen-BDM-Träume verhaftet. Die Frage ist: War
Winnetou ein Deutscher? King Kong lässt grüßen, wird von Mata Hari reingelegt,
doch Professor Unrat (Emil Jannings, Hollywood-Ufa-Propaganda-Star und
Oscar-Preisträger kommt später) wird nicht genannt, und Edgar Wallace nicht für
voll genommen. G.W. Pabst lässt grüßen, aber der Gruß geht vorbei. Und „R(i)efenstahl“
ist ein Frollein, das halt nur Kunst machen wollte unter dem herrschafts- und
sexsüchtigen Goebbels (Sylvester Groth), der im Film seine Pariser Dolmetscherin
Francesca Mondino (Julie Dreyfus) nebenbei schon in Gedanken vorvögelt. Aber,
was ist schon King Kong gegen Hitler? Bruno Ganz Führer-Ober-Darsteller muss
derzeit auf Youtube für jede angelsächsische Trivialparodie herhalten, mit
seinem berühmten Bunkeranfall aus „Der Untergang“. Und so schreit auch bei
Tarantino Martin Wuttke (Regisseur und Titeldarsteller in Heiner Müllers
Brecht-Inszenierung „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“) als chaplinesker
Adolf Hitler mit Generalfeldmarschall-Umhang und Gefreiten-Uniform sein „Nein,
Nein, Nein...“ gegen die neue Härte des fatalen amerikanischen „Bärenjuden“ aus
dem Leib, während der fast 80jährige Rod Taylor („Die Zeitmaschine“;„Die Vögel“;
„Zabriskie Point“) als Winston Churchill fast keinen Mux von sich gibt, bis auf
ein paar Anfragen zum Weltkinomarkt zwischen Goebbels, Selznick und Mayer, bevor
er sich das Operations-Briefing anhört. Deutsch wird meist nur als Geräusch, als
offenes oder unterdrücktes Geschrei, als Störfaktor, als Artikulation des
Bornierten Guten oder Gerissenen Bösen wahrgenommen. Und das überträgt sich auch
auf das alltägliche Sprachmaterial. Das Goethe-Institut versucht seit langem
dieser Wahrnehmung durch subtile Lerneffekte entgegenzusteuern. Aber das
Interessante wäre also jetzt nicht der neunationale Stolz der Deutschen, ihren
Tarantino endlich in Babelsberg zu haben und ihm auch schon eine Straße zu
widmen, also die simple Eingemeindung eines parodistischen Kollaborateurs einer
in Unterhaltsamkeit erstarkenden Berliner Republik, die in der
preußischen Hauptstadt auch das Mel-Brooks-Film-Musical „Frühling für Hitler“
als österreichischen Import fröhlich auferstehen lässt.
Nazi
im Nebenberuf – und die Chance zum epischen Theater
Christoph Waltz firmiert als SS-Standartenführer Hans
Landa durchaus nur im Nebenberuf als Nazi. In seiner Souveränität öffnet er ein
Stück weiter den Darstellungskorridor, der sich mit „Operation Walküre“
gegenüber dem Protokoll-fixierten „Untergang“ geöffnet hat. Die Satire eines
entspannten Verhältnisses zu seinem schwarzen Job hat also einige
zynisch-politische Sprengkraft. Nur so wird die virtuose, eitel-geschwätzige
Selbstdarstellung verständlich. Auf dem aufgeblähten Kamm seiner selbstverliebt
ausgekosteten Todesmacht gelingt es ihm, seine Gegner so einzuseifen, dass ihnen
das abverlangte Geständnis fast von selbst entfährt. Er ist der Alptraumprinz,
der Cinderella (Diane Kruger als Bridget von Hammersmark eine Sophisticated
Lady) den passenden, verräterischen Schuh überzieht. Im Hauptberuf verfolgt
Landa eine Wernher-von-Braun-Karriere, eine günstige Übernahme durch die
westlichen Alliierten zur rechten Zeit, als der Verkauf eines Verrats noch eine
Option darstellt, bevor die Invasion in der Normandie die erforderliche
Stoßkraft entwickelt. Nazi als Nebenberuf, vielleicht ist diese Angabe der
eigentliche Spoiler, der dem Film eine ganz spezielle langatmige Spannung auf
den Gang und das Wie verleiht, durchaus im Sinne von Bertolt Brecht. Für diese
Nazi-Amateur-Theorie würde auch das Konzept aus „Pulp-Fiction“ sprechen: Killer
in einem Augenblick zu belauschen, in dem sie sich ganz entspannt über
Nebensächlichkeiten wie Big Macs und Fußmassagen unterhalten und, schon
wesentlicher, die Bibel im Gospel-Prediger-Ton zitieren, wenn sie dann endlich
zur völlig unheiligen Sache kommen. Tarantino bewundert Georg Wilhelm Pabst, in
dessen „Dreigroschenoper“-Verfilmung Londons Bettler von der Firma Peachum
erstmal mitleidstechnisch als Straßenschauspieler ausgerüstet und eingekleidet
werden, als Professional Beggars, gegen Umsatzbeteiligung (Peachum).
Tarantino ist in seiner Rollenverteilung und Gesprächstechnik ganz nahe an
solchen Einfällen, mit denen Brecht die durchaus modern-unterhaltsame und
aufklärende Fusion von Drama und Epik, das epische Theater genial konkretisiert
hat, aber Tarantino verweigert sich, seine szenischen Schauwerte in Richtung
aufdringlicher sozialkritischer Botschaft zu drehen. Dabei finden wir in Pabsts
Brecht-Verfilmung, in Pollys Gangsta-Hochzeit (Carola
Neher) und in der Seeräuber Jenny (Lotte
Lenya), tiefe Vorbilder für die "Kill-Bill"-Braut, und zwar solche, die
Tarantinos Streifen von seiner Oberflächlichkeit hätten befreien können. Lenya
ging mit Weill in die USA; die überzeugte Kommunistin Neher tauschte Berlin
gegen Moskau ein und starb in einem Stalinistischen Lager.
Internationales und Neo-Nationales
Am schlimmsten ist derzeit die Berichterstattung über "Die
weiße Hölle vom Piz Palü", deren französische Lettern am Pariser Kino in
Tarantinos Film aufmontiert werden. Die deutsche Presse sieht in dieser
Anspielung weniger den Kulturimperialismus der Besatzer, sondern vor allem einen
zum Remake tauglichen Sport-Action-Film von Arnold Fanck und der
Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl. Soweit ist der kulturelle Revisionismus in
Berlin bereits fortgeschritten. Tarantinos Liebling Georg Wilhelm Pabst, der für
die konsistente Logik des Spielfilms, die Innenregie und die gesamte
Schauspiel-Dramaturgie Pate stand, wird übergangen. Pabst war, neben
Drehbuchautor und Filmbildtheoretiker Béla Balázs, ein Geburtshelfer für
Regisseurin
Riefenstahl („Das blaue Licht“), und zwar als spannender Filmemacher in einer
noch liberalen Epoche zwischen Stumm- und Tonfilm, der nacheinander ein stummes
Bergdrama, einen ersten Ton- und Antikriegsfilm “Westfront 1918“, dem Pendant zu
Lewis Milestones Remarque-Verfilmung „All Quiet on the Western Front“, und
Theateradaptionen von Wedekind („Die Büchse der Pandora“, Stummfilm, mit Louise
Brooks) und Brecht („Dreigroschenoper“, Tonfilm) in anspruchsvollen
Inszenierungen und neusachlichen Bildern umsetzte, wie auch immer der Streit mit
dem Gesellschaftskritiker und Theatermann Brecht ablief. Von Tarantinos für das
französische Publikum eingestreuten Anspielungen: Georges Clouzot („Der Rabe“),
dem Vorläufer und Feindbild der Nouvelle Vague, und
Max Linder,
dem französischen aristokratischen Gegenspieler zu Chaplins Tramp, ganz zu
schweigen. Internationalität und Vielsprachigkeit sind für Waltz und seine Figur
nicht ein notwendiges Übel oder eine Form der später abzuschaffenden Entartung,
sondern der Genuss eines Lebens, das dem Nationalmief ausgerechnet durch die
Endlösung zu entkommen trachtet. Darin hat Tarantino Landa etwas von Himmlers
opportunistischer Charakter-Erscheinung einmontiert: Am Ende seiner Tage, als
Hitler nicht mehr aus Berlin zu retten war, versuchte er die Judenvernichtung
per Befehl zu stoppen, um sich nach Millionen von industriell Ermordeten
plötzlich als verhandlungsfähig in eigener Sache gegenüber den Alliierten
auszugeben. In gewissem Sinne ist Waltz ein Äquivalent zu Leones Lee Van Cleef,
dem Alround-Killer-Profi der Dollar-Trilogie, (Colonel Mortimer in „Für ein paar
Dollar mehr“ und „Sentenza“ in „Zwei Glorreiche Halunken“) der dem Nobody Clint
Eastwood erst einmal Manieren, Technik und Strategie beibringt. Aber Waltz ist
im Vergleich zu Samuel Jackson und Lee Van Cleef der gereifte Wiener Sängerknabe
unter den bösen Buben. Der deutschstämmige Leonardo DiCaprio, ebenfalls Kandidat
für die Rolle, hätte das in anderer Façon durchaus auch hinkriegen können. Das
ergibt eine spezielle Art altjungenhafter-kultivierter Perversion des modernen
Karrierenazis, der sich vom Bier-Blut-Boden-Personal des SA-Anfangs
unterscheidet. Die Anlage seines Charakters gibt dem Film ein Gegengewicht zu
Brad Pitts massiver und doch isoliert-holzschnitthafter Präsenz. Und sie nimmt
zugleich Abschied von der bornierten Vorstellung der Historien- und Kriegsfilme,
nach 1945, in denen bekannte deutsche und internationale Schauspieler immer die
gleichen Mienen aufzusetzen und Sätze aufzusagen haben, wenn es um den Führer
und um Konflikte zwischen sogenannter Treue und Fiesheit geht.
Kriegstreiber und Kriegsstreber
Die stark
durchbrochene Kinomythologie des Films und die ausschnitthafte Konzentration auf
Brad Pitt (Lt. Aldo Raine) und seine Schläger-Kleinkriegs-Truppe ist eine Art
Ablenkungsmanöver. Denn wenn er mit seinem Nazi-Jäger-Team den finstersten
Baseball-Fanatismus des „Bärenjuden“ (Eli Roth) verbreitet, könnte er auch die
Seite wechseln, wie Till Schweiger es andersherum als zu den Ami-Juden bekehrten
Hugo Stiglitz passiert. Der Film könnte in ein Rock-Konzert des platten
Nazi-Bashings im 70er Style ausarten, aber irgendwie tut er das doch nicht. Waltz lässt am Anfang ausgerechnet jene junge Jüdin (Mélanie Laurent als
Shosanna Dreyfus) entkommen, der er später als Kinobetreiberin Emmanuelle
Mimieux in Paris den Ort der entscheidenden Feier und der Verschwörung gegen
Hitler und damit den vermeintlich erfolgreichen Deal der Übersiedelung in die
USA verdankt. Dies zeigt, wie der Film um einer Gegenhistorie willen an der
medialen Mythologie vorbeischrammt. Dass Daniel Brühl (als Frederick Zoller) den
tapferen jungen Soldaten und Scharfschützen selbst in einem albernen
Splatter-Kriegsfilm „Stolz der Nation“ nachspielen kann, ist ein Anachronismus,
von dem man nur hoffen kann, dass er Tarantino bewusst
ist.
Zoller ist u.a. eine Anspielung auf Audie Leon Murphy, einen damals noch
jugendlichen US-Kombattanten, der mit gefälschten Papieren in den Krieg eintrat,
mit 33 Auszeichnungen bedacht und später auch Filmstar und Sänger wurde. Wenn so
will, sind sie die männlichen Jeanne D’Arcs des Zweiten Weltkriegs. Und Melanie
Laurent und Daniel Brühl sind auf dieser Ebene auch als cineastische
Gegenfiguren einander zugeordnet. Eine Fama bezeugt, dass Leni Riefenstahl Drehs
an der Front beabsichtigte, aber dann Hitler und Goebbels absagte, weil ihr
schlichtweg schlecht wurde. Die Zähigkeit der Reichsparteitage und das
Kultgefühl der olympischen Körper waren hier, im Schlachtfeld des Todes und der
verwalteten Ermordung, einfach verschwunden. Die NS-Propaganda unter Goebbels
duldete Kriegsszenen nur stark gekürzt und ideologisch zum Sieg umgebogen in den
Wochenschauen, in einem offiziellen Spielfilm wären sie undenkbar gewesen. Die
zerbombte Zivilität von Romantik und Liebe musste als seichtes Beruhigungsmittel
in den Kriegskinos für letzte, von Sirenen unterbrochene schöne Stunden
herhalten. Aber genau deren abgewetzte Rhetorik setzt Christoph Waltz als
SS-Schnüffler ein, um bei seinen Intrigen und Verhören in dienstlicher und in
eigener Sache weiterzukommen. Dagegen ist Daniel Brühl der medial verdoppelte
Superstreber, der im Krieg und im Film überlebt, aber im Kino seiner ersten
ausländischen Liebe einfach sterben muss, während die todeswütige Jüdin Shosanna
Dreyfus ihre antifaschistische Message an die versammelte deutsche
Top-Nazischaft im Selfmade-Film von der Leinwand verbreitet. Bei Tarantino muss
man einmal wieder mit allem rechnen. Tarantinos Operation Kino, der Kinoshowdown
als videothekarisches Pabst-Pastiche („Der letzte Akt“), ist vielleicht das Ende einer klaren filmischen Vorstellung von dem, wie Nazis und
Alliierte, Deutsche und Juden, Täter und Opfer zu sein haben. Auch das
Hakenkreuzzeichen, eingeritzt auf der Stirn des Feindes, im Stile eines
zukünftigen Charles Manson, hilft da nicht weiter.
Der
Morricone-Effekt
Bleibt noch ein
letztes: Ennio Morricone musste für die Erstellung einer Originalpartitur
absagen. Es wäre die erste in einem Tarantino-Film gewesen, in dem dieser sonst
Musik-Sounds als Supervisor mit Team kompiliert. Diesmal musste Tarantino wieder auf
diese Weise verfahren. Musikalisch ist „Inglourious Basterds“ jedenfalls ein
Konserven-Torso geblieben. Und das offiziell nur, weil Morricone 2008 seinen
80. Geburtstag nach einem arbeitsreichen Leben feiern wollte.
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Das Drehbuch des Films

Quentin Tarantino
Inglourious Basterds
Das
Drehbuch
Aus dem Englischen von Walter Ahlers
Sammlung Luchterhand
Taschenbuch, Klappenbroschur, 256 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-630-62179-1
€ 9,00 [D] CHF 16,90
Leseprobe Drehbuch
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