Es gibt nur wenige
Autoren, die Leser und Literaturkritik weltweit so polarisiert haben wie
Charles Bukowski: Für den
Boston Globe waren
seine Texte nichts weiter als »Rüder onanistischer Neon-Schmutz«, für
die
Los Angeles Times
hingegen war er der »Bedeutendste Dichter seiner Generation«.
Das Beste, was es über Hank, wie ihn seine Freunde nannten, zu lesen
gibt, stammt indes von ihm selbst. Es steht in den Briefen, die er von
1958 bis kurz vor seinem Tod (1994) geschrieben hat, die jetzt by Gingko
Presse in einer sehr schönen Ausgabe auf deutsch erschienen sind. In
ihnen dokumentiert er seine gesamte Karriere als Schriftsteller und
erzählt mit der für ihn typischen Offenheit und satirischen Streitlust
vom Auf und Ab seiner letzten fünfunddreißig Lebensjahre; vor allem von
seinen katastrophalen Affären mit angeknacksten Emanzen,
Oben-Ohne-Schlangentänzerinnen, alleinerziehenden Müttern auf Speed,
Stewardessen und Rock’n’Roll-Plattenlabel-Exekutivdamen.
Und für Zeitgenossen, die gern etwas Höherstehendes lesen, zitiert er
Horaz im Original.
Post von Hank
Aus dem Vorwort von Carl Weissner
Wer in den sechziger Jahren Post bekam von Hank (so nannten ihn seine
Freunde), der hatte etwas richtig gemacht. Lieferte man ihm drei Seiten,
die ihn interessierten, bekam man drei bis fünf zurück. Einfacher
Zeilenabstand, kaum Rand; und wenn Rand, dann verziert mit turmhohen,
halb von Smog erstickten Palmen, überflogen von seltsamen
Hängebauch-Vögeln, die aussahen, als würden sie grade von einer
Schrotladung erwischt.
Neben der Unterschrift erschien oft sein rasend schnell gezeichnetes
knollennasiges Männchen mit der qualmenden Zigarette zwischen den
Lippen; und daneben, auf dem unsichtbaren Fußboden, stets eine riesige
halbvolle Flasche.
Flaschen waren für ihn nie halb leer. Als Trinker muß man positiv
denken.
Briefeschreiben war für ihn kein Prosatraining. Das war nicht mehr
nötig: Mit seiner ersten veröffentlichten Story hatte er sich schon
1944, mit dreiundzwanzig, als fertiger Autor vorgestellt.
Nein, Briefe waren Öffentlichkeitsarbeit (jedenfalls bis zum Beginn
seiner wöchentlichen Kolumne, 1967). Eine ganze Reihe von ihnen wurde
gedruckt, andere wurden zitiert, und einprägsame Sprüche wie »Gott ist
eine Erfindung von Luschen« machten von selbst die Runde.
Die meisten seiner Freunde und besseren Bekannten gaben Zeitschriften
des Underground heraus und erkundigten sich ab und zu nach der
Abdruckerlaubnis für einen Brief oder zwei. Die Antwort hieß jedesmal:
»Klar, nur zu.«
Nach 1967 konnte es passieren, daß er selbst zur Veröffentlichung
schritt und ein langer Brief an unseren gemeinsamen Freund Dan Georgakas
(linker Aktivist in Detroit) nicht abgeschickt wurde, sondern in der
Untergrundzeitung Open City landete – weil Mr. B. kurz vor
Redaktionsschluß noch keinen Text für seine Kolumne Notes of a Dirty Old
Man hatte.
Die krassen Sprüche des Kolumnisten (»Zwischen Nixon und Humphrey wählen
zu dürfen ist ungefähr so, als würde man dir beim Mittagessen die Wahl
zwischen kalter und aufgewärmter Scheiße lassen...«) gefährdeten die
innere Sicherheit der amerikanischen Bundespost. Für so etwas ist die
Bundespolizei zuständig.
Im März und April 1968 untersuchten FBI-Agenten in sechs Städten,
darunter Dallas und New Orleans, den Background des Postangestellten
Bukowski. Ermittelt wurde unter anderem, daß er ein Gedicht von
staatsabträglicher Grundhaltung erscheinen ließ in einer
hektographierten Underground-Postille namens COP KILLER. (FBI-Akte
#140-35907)
Natürlich war das eine Lachnummer. Wie so oft, wenn eine
Ermittlungsbehörde zuviel Personal und die falschen Prioritäten hat.
Leseproben
An Douglas Blazek, I966
Neulich Stand nachts um eins plötzlich eine Unbekannte vor meiner Tür. „Yeah?"
sagte ich. Sie wollte wissen, ob ich Charles Bukowski bin. Ich ließ sie
rein. Verheultes Gesicht. Gute Beine. Ich war nüchtern, saß da und sah
die Wände an. Mein Ding blieb schlaff. Ich erklärte ihr, daß ich krank
bin, und sie könne sich ja meine Bilder an den Wänden ansehen. Sie sah
sie an und sagte nichts.
Blaz, ich ficke nicht mehr auf Bestellung oder weil es sich anbietet
oder weil was bewiesen werden muß. Das nenn ich jetzt „Das Alter“. Ich
hab was signiert und sie wieder weggeschickt. Hemingway hätte sie kreuz
und quer über die Matratze geritten und seine Soul-Muskeln spielen
lassen. Ich war erleichtert, als sie ging. Ich machte mir ein Glas Tee
(siehe T. S. Eliot) und schickte ein Stoßgebet zum Himmel: Laß mich
wieder schlafen. Bitte (...) Mittlerweile schreibt Webb, daß ich für den
Pulitzer-Preis nominiert bin. Er sagt, sie brauchen biographische
Angaben und ein Foto. Wobei mir schleierhaft ist, was Bio und Foto mit
dem Werk eines Menschen zu tun haben sollen.
An
William Fackard, I979
Habe
heute eine Dosis Mushrooms 33 eingeworfen, die mich $ 25 gekostet hat,
und gespürt habe ich so gut wie nichts. Thomas Hardy. Thomas Mann. Die
Tommies kannst du dir fast alle schenken, und eine Menge Edgars gleich
dazu. Weißt du, an wen ich ab und zu denke? Knut Hamsun. Der hat es
rausgewuchtet, in dicken und nicht so dicken Romanen, meistens in
dicken; und wenn so ein Wälzer was taugt - das ist es, was zählt. Ich
habe nie etwas von ihm gelesen, das ihm danebengegangen wäre. Es gibt
Männer, die sind einfach gottverdammte Landschaften. SibeIius, zum
Beispiel.
Wenn ich mit meinem neuen BMW zur Rennbahn fahre, schiebe ich manchmal
ein bißchen Sibelius ein und lasse es mir bei offenem Schiebedach aus
zwei Boxen vorn und zweien im Heck in die Ohren rauschen, während ich
mich für die Arbeit am Totalisator wappne. Ich wette auf Pferde, wie die
meisten Schachspielen und meistens gewinne ich. Es nützt dem Schreiben,
es nützt dem Appetit, und es ist nett, ausreichend Taschengeld zu haben,
damit Linda und ich bei Musso essen gehen und uns ein Sortiment guten
deutschen Riesling leisten können.
Morgens liege ich verkatert in einem großen Garten mit Obstbäumen und
Johannisbeersträuchern und lasse mir die Sonne auf den Arsch scheinen,
während die anderen sich sorgen um mein Seelenheil. Das ist ihr Job, und
meiner ist es, mit meinen siebzehn privaten Göttern auszukommen. Bis
jetzt sind wir alle für dasselbe, wenn wir auch keine genaue VorstelIung
haben, was es ist.
An
William Packard, I988
Ich
mache jetzt die HautkrebsTour. Mein Hautarzt, ein lustiger Mensch,
brennt mir die Knoten mit einem glühenden kleinen Lötkolben weg und
sagt: „Ist wie Punktschweißen. Dasselbe Prinzip." Dann fächert er die
Biopsie-Ergebnisse auf und sagt: „Ein Glück, daß wir das Scheißding
erwischt haben." „Zum Deibel", sage ich, ganz der Macho. „Könnte
schlimmer sein, was?" "Eben. Von den vier Sorten Krebs, die es gibt,
haben Sie die erträglichste. Wenn schon, hätte ich am liebsten Ihre."
"Mir wärs auch am liebsten, Sie hätten sie, Doc."
An Garl Weissner,
1991
In
zwei Wochen werde ich 71, falls ich so lange durchhalte. Herrje, nach
allem, was ich mir angetan habe, dürfte ich gar nicht mehr am Leben
sein. Da gibts einen, der macht ein Buch über Grabstein-Inschriften - er
fragt diverse Leute, welchen Spruch sie auf ihrem Stein haben wollen.
Bei 'mir kam nach kurzer Überlegung heraus:
ACH NAJA, MIR HATS EH
NICHT GEFALLEN
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Charles
Bukowski
Schreie vom Balkon
Briefe
Deutsch von Carl Weissner
Gingko Press
572 Seiten, Gebunden, Illustriert, index,
€24.90
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Aufzeichnungen eines Dirty Old Man
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Erzählung/en
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978-3-596-90515-7
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978-3-596-95000-3
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978-3-596-90514-0 |