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Lucas Cranach der Ältere, Das Goldene Zeitalter um
1530

Das Goldene Zeitalter des Westens ist vorbei
Die
Globalisierung wird künftig von anderen Mächten geschrieben, von ihrer Art zu
leben, zu denken und zu handeln, meinen Kishore Mahbubani und Fareed Zakaria.
Von Rudolf Maresch
Hat die
europäisch-westliche Denkweise fertig? Haben die USA und damit jenes kulturelle
Gebilde, das man vereinfacht »den Westen« nennt, ihre politische Strahlkraft auf
die nicht-westliche Welt, auf Asien, den Mittleren Osten und Afrika verloren?
Ist die Demokratie westlichen Typs möglicherweise ein Auslaufmodell, weil das
Modell einer »gelenkten Demokratie«, das in autoritär strukturierten Staaten wie
dem kommunistischen China oder im heutigen Russland anzutreffen ist,
mittlerweile mehr Effizienz, Glaubwürdigkeit und wirtschaftlichen Erfolg
verspricht als das »freiheitliche«? – Die meisten politischen Beobachter werden
diese Frage als Provokation empfinden, sie werden sie noch verneinen und dafür
moralische Werte, universelle Ideen und geschichtliche Erfahrungen oder
Entwicklungen ins Feld führen.
Der Weg nach vorn
In der Tat lässt sich eine Vielzahl von Gründen anführen, die für den
Erhalt, den Ausbau oder die weitere Verbreitung des »freiheitlichen« Modells
sprechen. Die Beobachtung, dass Menschen, die sich einmal ihrer Fesseln
entledigt und sich politisch emanzipiert haben, Bevormundungen durch Obrigkeiten
nicht mehr erdulden, gehört sicher mit dazu. Und die Erkenntnis, dass erst im
Umfeld eines Free Flow of Information jener Wettbewerb um Ideen gedeihen
kann, der die Kreativität von Menschen (Human Power) freisetzt, die für die
wirtschaftliche Dynamik eines Landes unerlässlich ist, möglicherweise auch.
Hinzu kommt, dass der Abgesang auf die freiheitliche Ordnung so alt ist wie ihr
Bestehen. Von Beginn an wird die liberale Demokratie von Stimmen und Stimmungen
begleitet, die ihre Ineffektivität und Trägheit beklagen, die Indifferenz
gegenüber moralischen Werten sowie den Ausverkauf an Wirtschaftseliten, und
daher ihren baldigen Verfall oder Untergang an die Wand malen. Sie reichen von
den Verächtern der parlamentarischen Demokratie, von Carl Schmitt und Walter
Benjamin, bis hin zu ihren sozialrevolutionären Überwindern auf der politisch
Linken wie Rechten.
Wirklich überzeugend
wirken diese Einwände und Argumente jedoch nicht. Zum einen, weil sie den
tatsächlichen Verlauf der Geschichte in den letzten Jahren schlichtweg
ignorieren. Seitdem der Kalte Krieg und der amerikanische Unilateralismus sich
als untauglich erwiesen haben, die Probleme und Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts zu meistern, spüren wir, dass der Weg in die Zukunft nicht mehr
über die Modelle der Vergangenheit führen kann oder wird. Zum anderen, weil sie
häufig mit einer Mischung aus kultureller Selbstgefälligkeit und westlicher
Überheblichkeit vorgetragen werden, dabei das westliche Denken und seine
politischen Konzepte zum allein Seligmachenden in der Welt aufblasen und
obendrein der Blick auf die Ereignisse durch die eurozentrisch-westliche Brille
verzerrt wird. Die beiden Bücher, die von Kishore Mahbubani, Politikprofessor in
Singapur, und Fareed Zakaria, Herausgeber von Newsweek International,
soeben in deutscher Übersetzung erschienen sind, machen darauf nachhaltig
aufmerksam und geben dem Leser aber ein ganz anderes Bild.
Die Entwicklung kehrt
dorthin zurück, wo sie begann
Nimmt man nämlich deren Perspektiven ein, dann erkennt man recht schnell,
dass alle Ausführungen, die den Westen und seine Zivilisation zum historischen
Nabelpunkt oder Letzthorizont erklären, historisch ziemlich kurz springen. Die
zweihundert Jahre währende Dominanz des Westens, schreibt Mahbubani, »war eine
Anomalie der Geschichte«. Bis zur Industriellen Revolution Mitte des 19.
Jahrhunderts war die wirtschaftliche Bedeutung des Westens, global betrachtet,
ziemlich gering. Vom Beginn unserer Zeitrechnung an besaß der asiatische
Kontinent den größten Anteil an der Weltwirtschaft. Trug Asien zum globalen
Bruttosozialprodukt (BSP) bis dahin nahezu 70 Prozent bei, beschränkte sich der
Anteil Westeuropas daran allenfalls auf ein knappes Zehntel.
Dies änderte sich erst mit all den technischen Innovationen und den bedeutenden
Beiträgen, die später die westlichen Ableger, namentlich die Vereinigten
Staaten, Kanada und Australien zum BSP beisteuerten. Gewiss kursierten schon
vorher, seit der europäischen Renaissance, westliche Ideen, Werte und Ideale in
Schriften, Archiven und halböffentlichen Foren, die mental darauf vorbereitet
haben. Die freiheitliche Demokratie reüssierte politisch aber erst, als die
wirtschaftliche Dynamik, angefacht durch Wissenschaft, Technik und »formale
Rationalität“ (Max Weber), an Fahrt gewann und den Bevölkerungen nach und nach
einen gestiegenen Wohlstand bescherte.
Der Westen ist Teil des
Problems, nicht dessen Lösung
Mahbubani
als auch Zakaria weisen auf die BRIC-Studie von Goldman Sachs hin, wonach
spätestens ab Mitte dieses Jahrhunderts (neuere Studien sprechen gar vom Jahre
2030 oder früher) drei der vier größten Volkswirtschaften in Fernost liegen
werden, neben den USA Japan, Indien und vor allem China. Dies hat nicht nur
Wachstums-, sondern auch demografische Gründe. Mittlerweile lebt bereits die
Hälfte der Menschheit in Asien, während der Westen, also Europa, die USA,
Kanada, Australien und Neuseeland, nur noch knapp ein Zehntel der
Weltbevölkerung stellt.
Zu glauben, dass die zehn Prozent, die der Westen stellt, künftig allein über
die klimatischen, politischen oder ökonomischen Belange der Menschheit befinden
könnten, über Energievorräte, Krieg und Frieden, Umweltauflagen oder
Lebensgrundlagen, wie es derzeit in der G 8, dem UN-Sicherheitsrat, der Weltbank
(WB) oder dem Internationalen Währungsfond (IWF) noch passiere, ist nicht nur
für Mahbubani ein aberwitziger Gedanke. Es dürfte folglich nur noch eine Frage
der Zeit sein, bis die neuen aufstrebenden Staaten auch in diese internationalen
Organisationen drängen. Sie werden dort ihre Sicht der Dinge einbringen und sich
am System beteiligen wollen.
Dass der »liberale«
Westen, der seine Macht exklusiv in diesen Clubs gebündelt, gespeichert und
monopolisiert hat, und dies bislang mit fadenscheinigen Gründen zu verhindern
wusste, zeigt laut Mahbubani nur, mit welchen undemokratischen Mitteln der
Westen seine Macht in der Vergangenheit zu verteidigen suchte. Er gefiel sich in
der Rolle des gestrengen Lehrers, der in Krisenzeiten »widerspenstige Schüler
rüffelte«, ergänzt Zakaria. Aber heute, vor allem im Angesicht einer globalen
Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor allem von »freiheitlichen« Systemen und
nicht von »gelenkten« ausgelöst worden ist, »wirken seine Lehren (eher)
unglaubwürdig«. Deutlich wird, dass er einer künftigen Weltordnung, die mit der
alten Nachkriegsordnung aufräumt und den neuen Machtkonstellationen Rechnung
trägt, eher Teil des Problems als dessen Lösung ist.
Mahbubani zitiert Samuel
Huntington, der bereits 1993 in seinem berühmten Aufsatz The Clash of
Civilizations? schrieb: »Praktisch benutzt der Westen internationale
Institutionen, militärische Macht und ökonomische Ressourcen, um die Welt auf
eine Art zu führen, welche die westliche Vorherrschaft aufrechterhält, westliche
Interessen schützt und westliche politische und ökonomische Wert fördert.«
Solange die Machtverhältnisse aber dermaßen ungleichgewichtig verteilt sind,
Amerikaner und Europäer untereinander ausmachen, wer an der Spitze von IWF oder
WB steht oder wie Abstimmungen dort auszufallen haben, würden neue Mächte, wie
China oder die Erdöl produzierenden Staaten des Persischen Golfes mit ihren
hohen Devisenreserven, nicht bereit sein, sich an einer ebenso raschen wie
notwendigen Kapitalerhöhung des IWF zu beteiligen. Stattdessen würden sie
Kredite lieber direkt an Länder verteilen, um sich auf diese Weise politischen
Einfluss zu sichern und das politische Wohlwollen dieser Länder zu gewinnen.
Der Normalzustand kehrt
wieder ein
Mahbubani ist überzeugt, dass die Welt wieder dabei ist, vom kurzzeitigen
westlichen »Ausnahmezustand« in den geschichtlichen »Normalzustand«
zurückzukehren. Seit fast 90 Prozent der Weltbevölkerung aufgehört haben, bloß
zu existieren und bloße Objekte der Weltgeschichte zu sein, schreite die
Delegitimierung der Macht und des Einflusses des Westens munter voran. Das
nahende Ende der europäisch-amerikanischen Dominanz, und mit ihm auch jener
Mythos einer Weltgemeinschaft, die ausschließlich die Ansichten und Wahrnehmung
des Westens teilt, signalisiere, dass die westliche Kultur weder den End- oder
Höhepunkt der menschlichen Entwicklung darstelle, noch der Anbruch einer anderen
Kultur den Rückfall ins Mittelalter bedeuten müsse.
Bemerkenswert an Mahbubanis Studie ist, dass er für diesen Aufstieg des Ostens
weniger die Rückbesinnung asiatischer Gesellschaften auf verborgene oder
verschüttete Stärken verantwortlich macht, als vielmehr deren ungehemmtes
Abkupfern und Imitieren westlicher Ideen und Werte, als da sind: die Einführung
radikal marktwirtschaftlicher Gesetze; die Dominanz technischer und/oder
naturwissenschaftlicher Fächer; die gezielte Ausbeutung und Anwendung
menschlicher Ressourcen und Talente in Politik, Wirtschaft und Technik; die
Abkehr von Ideologie hin zu pragmatischen Handlungen und Lösungen.
Erfolgshungrig,
aufstiegsorientiert, leidensfähig
Das hat zum einen mit der Mentalität der Menschen in Asien zu tun, deren
geistiges Potential so lange brach gelegen ist und das jetzt förmlich vor
Energie und Kreativität zu bersten scheint. Asiaten sind im Allgemeinen viel
ausdauernder, duldsamer und hungriger, was die Aussicht auf Erfolg, Wohlstand
oder Karriere angeht. Hinzu kommt, dass sie einen riesigen Nachholbedarf
hinsichtlich des Konsums von Waren oder die Möglichkeit auf ein gesichertes
Leben haben. Ein Europäer kann sich das vielleicht nicht vorstellen, aber
Wasserklosett und Fernsehgerät, fließendes Wasser und Mobiltelefon sind dort
vielfach noch Wunschträume.
Anders als westliche Jugendliche und Heranwachsende, die vom Konsum übersättigt
sind, zum Wehklagen neigen und sich eher um ihre Zukunft sorgen statt
selbstinitiativ zu werden, herrscht bei den asiatischen Vergleichsgruppen, die
in indischen und chinesischen Slums und Trabantenstädten leben, trotz der dort
herrschenden Armut und Elend weitgehend Zuversicht, Optimismus und Vertrauen in
die Zukunft. Asiaten warten nicht auf Hilfen des Staates, auf Subventionen oder
Ausgleichszahlungen, sondern wollen ihr Leben durch eigene Anstrengung ständig
verbessern und über ihr Schicksal selbst bestimmen.
Vergleichbare
Stimmungslagen findet man auch in weiten Teilen westlicher Eliten. Hat die
größte kommunistische Partei der Welt, die KPCh, den Sozialismus längst auf dem
Müllhaufen der Geschichte entsorgt und dem »freien Unternehmertum« freien Lauf
gegeben, lassen sich westliche Politiker und Intellektuelle erneut von
dümmlicher Globalisierungs- und Kapitalismuskritik leiten. Entweder trauern sie
dem verflossenen Sozialismus nach und verklären ihn oder sie jazzen ihn gar zum
Alternativkonzept des neoliberalen Wirtschaftsmodells hoch.
»Als die jungen Leute die Dörfer verließen, um in Nike-Schuhfabriken zu
arbeiten,« schreibt Kishore Mahbubani westlichen Globalisierungskritikern ins
Stammbuch, »hatten Haushalte, die daran gewöhnt waren, mit einem Jahreseinkommen
von 467 US-Dollar ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, plötzlich 4300 US-Dollar
zur Verfügung. Deshalb gibt es in China keine Antiglobalisierungsbewegung. Für
die jungen Chinesen, die in ihnen arbeiteten, waren die Nike-Fabriken, die die
Globalisierungsgegner der WTO-Tagung in Seattle im Jahr 1999 so vehement
verurteilten, ein Ort der Befreiung. Zum ersten Mal in der chinesischen
Geschichte konnten sich bäuerliche Chinesen vorstellen, aus der endlosen
Plackerei des Landlebens auszubrechen. Für den menschlichen Geist ist nichts
befreiender als die Erkenntnis, dass es eine Hoffnung gibt.«
Der amerikanische Traum
hat eine Adresse
Ihre optimistische Einstellung hat aber auch mit dem unterschiedlichen
Charakter und dem Stellenwert von Bildung in den aufstrebenden Ländern zu tun.
Während westliche Erzieher und Funktionäre ständig den kognitiven Überhang von
Lerninhalten beklagen, auf emotionale Defizite in der Schulbildung hinweisen und
am liebsten die schulischen Anforderungen an Kinder und Jugendliche zurückfahren
möchten, damit sie nicht zu seelischen Krüppeln verkommen, verhält es sich in
asiatischen Ländern genau umgekehrt. Hier dominieren vor allem jene
Arbeitstugenden, die Samuel Huntington vor Jahren in seinem Buch Who we Are
für den nachhaltigen Erfolg der angelsächsischen Nation ausgemacht hat: Ausdauer
und Zähigkeit, Disziplin und Erfolgshunger.
Jobbt ein angehender indischer Informatiker oder Ingenieur acht Stunden in der
Nacht in einem Call-Center, um am Morgen danach gleich wieder in die Universität
oder in die Technikerschule zu hasten, hat der durchschnittliche westliche
Student vor allem eines im Sinn: Partymachen und Jammern, Partnerwechsel und
Ausschlafen. Zwar genießen westliche Kaderschmieden in Großbritannien und den
USA bei asiatischen Jungakademikern immer noch hohes Ansehen. Deren Bedeutung
nimmt aber stetig ab, wie neueste Rankings zeigen. Schon beginnen viele
Emigrantenkinder in ihre Heimatländer zurückzukehren (brain gain), um mit Ideen
und Geld im Gepäck die sich für Unternehmer dort bietenden Chancen zu nutzen,
von denen Europa, das sich selbstredend als »wettbewerbsorientierte
Zukunftsregion“ begreift, bislang nur zu träumen wagt: die unglaubliche Größe
und Unerschlossenheit der Märkte, ihr rasantes Wachstum, die unerhört günstigen
Arbeitskräfte. Auf die jungen und hochmotivierten Rückkehrer wirken diese neuen
Märkte wie Start-up-Unternehmen, während der Westen wie ein schwerfälliges
Großunternehmen oder unbeweglicher Tanker erscheint.
In nicht allzu ferner Zeit werden europäische Bildungsbürger daher beginnen,
ihre Kinder auf Hochschulen in Peking, Singapur oder Mumbai zu schicken, statt
wie gewohnt auf britische Internate oder auf amerikanische Colleges. Nicht nur,
weil sie dort eine bessere Ausbildung für ihre Sprösslinge zu erwarten haben,
sondern auch, weil sie sich auf diese Weise mehr und besser mit russischen,
chinesischen oder indischen Lebensweisen oder Gewohnheiten vertraut machen
können.
Die Finanzkrise
verstärkt die östliche Drift
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise wird diesen Trend weiter befördern
und verstärken. Sie könnte für die USA »das Aus für eine gewisse Art von
weltweiter Dominanz bedeuten«, meint Zakaria. »Wenn der Irakkrieg und die
Außenpolitik von George W. Bush […] der militärisch-politischen Macht Amerikas
die Legitimationsgrundlage entzogen haben, dann hat die Finanzkrise der
wirtschaftlichen Macht Amerikas die Legitimation entzogen.« Der
Wirtschaftseinbruch untergrabe nicht nur »Amerikas Glaubwürdigkeit«, künftig
wird es auch »mühsamer sein, der Welt amerikanische Ideen zu verkaufen.«
Im günstigsten Falle wird die Wirtschaftskrise diese kontinentale Drift in
Richtung Osten kurzfristig verlangsamen. Entscheidend stören oder gar aufhalten
wird sie sie aber nicht. Zwar bleiben auch China und Indien von der Krise auf
den Finanzmärkten nicht ganz unberührt. Doch werden sie diese, anders als der
Westen oder die Erdöl und Rohstoffe exportierenden Länder, relativ unbeschadet
überstehen, weil sie auf diesen Risikomärkten nur eine kleine Rolle eingenommen
und keine großen Mengen toxischer Papiere angehäuft haben, die die restlichen
Länder jetzt in die Knie zwingen. Ohne die massiven Stützungskäufe des
chinesischen Staates oder die finanziellen Zuwendungen chinesischer Investoren,
die Amerikas Schuldenmacherei abgefedert haben und weiterhin abfedern, wäre die
älteste Demokratie längst bankrott.
In nur zehn Jahren, von 1995 bis 2005, ist das amerikanische Handelsdefizit
gegenüber dem »Reich der Mitte« von 34 Milliarden US-Dollar auf über 200
Milliarden US-Dollar angewachsen. Es hat Devisenreserven in Höhe von 2 Billionen
Dollar angehäuft. Und mit knapp zehn Prozent der in Umlauf befindlichen
Schatzbriefe, ist China mittlerweile der größte Gläubiger Amerikas. Niall
Ferguson, britische Historiker an der Harvard University hat dafür ein neues
Schachtelwort geprägt. »Chimerika« nennt er die Beziehung, die beide Staaten
miteinander eingegangen sind. Während die Chinesen das Sparen übernähmen,
übernähmen die Amerikaner das Ausgeben.
Dass die neue amerikanische Außenministerin zunächst nach Asien gereist ist,
nach Tokio und Beijing und nicht nach London, Berlin oder Paris, spricht Bände.
Und dass Frau Clinton dort nicht mehr von Rivalität und Konfrontation sprach
oder auf die Einhaltung von Menschenrechten pochte (Security
and Opportunity for the Twenty-first Century), sondern wie Richard
Nixon vor fünfunddreißig Jahren Gemeinsamkeiten betonte und vom Brückenbauen
sprach, spricht für den neuen Realitätssinn, der in Washington mittlerweile
Einzug gehalten hat.
Gut
aufgestellt
»Der Aufstieg der Anderen«, so der deutsche Titel von Zakarias Buch, muss
aber nicht unbedingt den Abstieg der Supermacht zur Folge haben. Obgleich sie
hoch verschuldet sind, die Sparquote seiner Bürger äußerst gering ist und
Schlüsselindustrien wie die Autoindustrie, das Stromnetz oder die
Mobilkommunikation total veraltet sind, nehmen die USA nach wie vor eine
herausragende Position im weltweiten Ranking der Nationen ein. Sie sind nicht
nur die wettbewerbfähigste Nation der Welt und jederzeit in der Lage, Fehler zu
korrigieren und sich an neue Gegebenheiten (siehe Klimawandel und Solartechnik)
schneller anzupassen als die bürokratielastigen Nationen Europas. Auch auf
militärischem Gebiet könne kein Land der Erde den USA das Wasser reichen. Daran
ändere auch der Irakkrieg oder das Afghanistan-Abenteuer nichts, die trotz der
hohen Kosten das Bruttosozialprodukt der USA kaum tangierten.
Gleiches gelte für den Bereich der Zukunftstechnologien. Sowohl im Nanobereich
als auch auf dem Gebiet der Agrartechnik und Biotechnologie sei das Land
führend. Noch befänden sich acht von zehn Universitäten unter den Top Ten; und
noch stünden die klügsten Köpfe, Begabungen und Talente Schlange, um dorthin
berufen zu werden oder dort unterrichten zu dürfen. Hinzu kommt, dass Amerika
die offenste, dynamischste und flexibelste Gesellschaft der Welt habe. Sie sei
demografisch vital und mobil und habe auch kein Alterungsproblem. Trotz manch
ethnischer Probleme, schafften die USA es immer wieder, die unterschiedlichsten
Kulturen, Rassen und Religionen aufzunehmen und zu integrieren. Allein die
Bewerbung und die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten zeige, dass der
Amerikanische Traum nach wie vor wie funktioniere.
Echte Probleme
Wirtschaftlich, sozial und kulturell hätten die USA allerdings ihre
Strahlkraft und Ausnahmestellung längst eingebüßt. Die mächtigsten Unternehmen,
die reichsten Menschen oder die bekanntesten Persönlichkeiten operierten oder
lebten in Malaysia, Brasilien, Indien oder China. In diesen wirtschaftlich
aufstrebenden Staaten sei weit über eine Milliarde von Menschen in Bewegung und
dabei, ihre vormalige Armut abzustreifen. Wichtige Nachrichten, Informationen
und Daten entnähmen sie nicht mehr CNN, BBC oder der NYT, sondern AL Jazeera,
NDTV oder
Telesur.
Dadurch würden die Menschen mit alternativen Weltsichten, Lebensentwürfen und
Erzählungen konfrontiert, die den westlichen häufig widersprächen oder ihnen
diametral entgegenstünden. Schließlich wanderten auch wichtige Unternehmen ab.
Während sie ihre Stützpunkte in dynamischere Gegenden verlegten, übernähmen
arabische, asiatische oder russische Konzerne Aktienpakete, Anteile oder ganze
Firmensparten von US-Unternehmen.
Noch rangiere das Land politisch zwar weiter unangefochten an der Spitze. Es ist
in allen wichtigen Gremien vertreten und kann durch sein Veto jederzeit Verträge
und Beschlüsse der anderen torpedieren. Das muss aber nicht immer so bleiben.
Entscheidend für die Vorherrschaft Amerikas wird sein, ob es dem Land gelingt,
auf das Emporkommen der restlichen Welt, dem nach der Entdeckung Amerikas um
1500 und die Entwicklung des Landes zur alles beherrschenden Macht im 20.
Jahrhundert dritten einschneidenden Ereignis der Neuzeit, politisch und
wirtschaftlich überzeugende Antworten zu finden.
Politisch engstirnig
Zakaria scheint hinsichtlich dessen wenig optimistisch zu sein. Damit die
USA siegreich aus diesem verschärften globalen Wettbewerb hervorgehen, fehle es
ihnen an politischer Klugheit und Führung im Land. Vor allem bei den politischen
Eliten des Landes vermisse er ein solches Bewusstsein. Sie wollten nicht
wirklich verstehen, was da auf das Land zurollt. Statt sich diesen
Herausforderungen zu stellen, ihnen offensiv zu begegnen und politische
Weitsicht zu zeigen, vergeuden sie ihre Kräfte in ideologischen Kleinkriegen und
parteipolitischem Hickhack; statt Siegermentalität und Leidensfähigkeit der
Bürger zu wecken, auf die das Land einst so stolz gewesen ist, und den
Amerikanern klarzumachen, dass Verzicht auch heißen kann, später dafür belohnt
und entlohnt werden, übe man sich in Washington verstärkt in Rollenprosa und
medialem Theater.
Meinungsumfragen bestätigten das. Vier Fünftel der Amerikaner glauben ihr Land
auf dem falschen Kurs. Noch nie hätten die Amerikaner, seit es Aufzeichnungen
dazu gibt, so düster in die Zukunft geblickt. Und das nicht bloß wegen der
Finanz- und Immobilienkrise, dem Irakkrieg, der Angst vor Terror oder der
Rezession. Die Depression gehe viel tiefer. Ein Viertel aller Amerikaner habe
keine Krankenversicherung, während die soziale Ungleichheit wachse. Gleichzeitig
sinke das Vertrauen, dass die Politik bereit sei, die notwendigen Sozialreformen
einzuleiten. Die brauche das Land aber dringend, will es weiter vorneweg
marschieren.
Als besonders engstirnig
präsentiere sich derzeit die Außenpolitik. Zwar möchte Washington weiter und
überall über die Regeln befinden, nach denen die Welt zu verlaufen habe. An sie
halten will die Weltmacht sich aber nicht. Durchzuhalten sei eine solche Politik
auf Dauer aber nicht. Erst recht nicht in einer Welt, die mehrere Pole und
Machtzentren besitzt. Sie wird nicht nur ständig Widerstände und Widersprüche
hervorrufen und den Antiamerikanismus verstärken, in einer solchen multipolaren
Ordnung nehme der machtpolitische Einfluss einer »einsamen Supermacht«
naturgemäß ab.
»Globalisiert Euch«
Viel wird deshalb darauf ankommen, ob es der Supermacht gelingt, diesen
Trend zu mehr Instabilität, Unordnung und Unsicherheit zu stoppen. Ist sie in
der Lage, die auf- und widerstrebenden Kräfte und Mächte ins globale System zu
integrieren und die strukturellen Verschiebungen von Wohlstand, Reichtum und
Macht in eine Win-Win-Situation für alle zu verwandeln? Die Kapazitäten dazu hat
sie zweifellos, meint Zakaria. Und das nötige Sendungsbewusstsein, um die sich
verändernde globale Landkarte in ihrem Sinne zu gestalten und zu beeinflussen,
auch. Nach wie vor sei sie die »unverzichtbare Nation«.
Die Frage ist nur, ob die politischen Eliten und die neue politische Führung den
Willen und die Bereitschaft dazu zeigen und die nötige Kraft, Geschicklichkeit
und Beharrlichkeit dafür aufbringen und die »postamerikanische Welt als neue
Realität erkennen« werden. Das Fenster dafür stehe zwar offen. Vor allem,
seitdem eine junge Politikergeneration mit Barack Obama an der Spitze das Weiße
Haus erobert hat und ihre eher »kosmopolitische Weltsicht« in die US-Politik
einbringen. Allerdings müsse das Land die Gelegenheit auch beim Schopfe packen
und Obama erst beweisen müssen, dass er mehr kann als eindrucksvolle Reden zu
halten oder die Welt an das Vermächtnis seiner Gründerväter zu erinnern. Damit
das passiere, wäre aber laut Zakaria eine Frischzellenkur dringend nötig. Sie
müsste dafür sorgen, dass Land, Politiker und Bevölkerung Mentalitäten,
Haltungen und Grenzen öffnen und sich endlich selbst, wie sie es von allen
anderen fordern, globalisierten. Mit »Buy American«-Parolen oder einer Politik
nach Gutsherrenart werde man sicherlich keine Blumentöpfe gewinnen.
Neue Inseln der
Modernität
Am relativen Verlust von Macht, Wohlstand und Alleinvertretungsanspruch
hinsichtlich der Behauptung von Lebensformen, Werthaltungen und
Wertüberzeugungen, wird das insgesamt aber wenig ändern. Zur »Ikonisierung“ des
Westens, seiner Art zu denken, zu leben und zu handeln, gibt es wenig Anlass –
auch wenn sie vom Westen weiter betrieben wird, um andere Staaten ideologisch zu
schwächen.
Vielleicht sollte der eine oder andere, der das nicht glaubt, nicht nach New
York, London oder Sydney reisen, sondern mal gezielt asiatische Städte anpeilen.
In wenigen Tagen würde er merken, dass Asiaten sich dem Westen mitnichten
unterlegen fühlen oder gar untertan sind. Selbstbewusst und selbstbestimmt
vertreten sie ihre Denk- und Lebensweisen und sind stolz auf alle ihre
Errungenschaften. Dort, in Hongkong oder Singapur, in Dubai oder in Shanghai, in
Saigon oder Delhi, in Seoul oder Kuala Lumpur ist die neue Welt, das
postamerikanische Zeitalter, bereits zu bewundern. Überall entstehen dort neue
Inseln der Modernität, die den Geist der europäischen Moderne weiterentwickeln
und fortschreiben – allerdings auf ihre Art.
Und die islamische Welt wird, wenn nicht alles trügt und das asiatische Beispiel
Schule macht, diesem Aufbruch bald folgen. Zwischen Mittelmeer und Persischem
Golf schreitet die Entwestlichung gar noch schneller voran als in Asien oder
Süd- und Lateinamerika. Auch sie wird, wie der Iran in der Atomfrage bereits
demonstriert, selbstbewusst und unnachgiebig ihre Werte, Interessen und
politischen Ziele gegenüber dem Westen vertreten. Auch der Iran will und wird
jenen Weg in die Modernität einschlagen, den China und Indien für sich gewählt
haben. Die Atomfrage gehört mit dazu und ist daher für den Iran eine eminent
wichtige Frage nationaler Souveränität. Warum sollte dem Land (oder einem
anderen) verwehrt werden, was die USA und Russland, Israel und Frankreich,
Großbritannien oder China quasi selbstverständlich für sich beanspruchen?
Glaubwürdig wäre das nur dann, wenn diese paar Länder, die über Atomwaffen
verfügen, ihrerseits darauf verzichten würden. Mit bekannter Haudraufpolitik
wird der Anspruch des Irans und anderer Nationen weder zu lösen noch zu
entschärfen sein.
Open End
Die alles entscheidende Frage wird sein, wie der Westen auf den globalen
Prozess der Entwestlichung, den der Aufstieg der Anderen in Gang setzt,
reagieren wird, kooperativ oder konfrontativ?
(The
Rise of China and the Future of the West).
Verfügen der Westen und
seine Politiker über jene Kompetenz und jenes Geschick, aber auch über jenen
Realitätssinn und über jene Klugheit, die etwa China und seine Führer in den
letzten Jahren an den Tag gelegt haben, um diese globalen Herausforderungen und
Konflikte zum Vorteil für alle Beteiligten werden zu lassen? Weisen sie das
nötige geopolitische Fingerspitzengefühl, die entsprechende Weitsicht sowie die
ideologische Flexibilität auf, um daraus eine Win-Win-Situation für alle zu
machen?
Das Schachbrett (Zbigniew Brzeszinski), auf dem die geopolitischen Machtspiele
ausgetragen werden, ist jedenfalls erheblich größer und komplizierter geworden
als es das im letzten oder vorletzten Jahrhundert gewesen ist. Viele neue
nicht-westliche Mitspieler haben ihr Mitwirken angekündigt. Allein ihre
Vielzahl, aber auch ihr wirtschaftlicher Erfolg und ihr politisches
Selbstbewusstsein haben dazu geführt, dass die alten Gefäße, der
UN-Sicherheitsrat und der IWF, die G 8 oder die Nato, dafür längst zu klein
sind. Sie sind vom ideologischen Gepäck des Westens überfrachtet und müssen
davon entrümpelt werden.
Die Welt nach Ebenbilde
des Westens zu formen, das funktioniert nicht mehr. Die Welt lässt sich nicht
mehr verwestlichen, seitdem der Glaube an die Universalität seiner Zivilisation
sich pulverisiert hat. Selbstbewusst demonstriert der »Rest vom Rest« und das
sind ca. fünfeinhalb Milliarden Menschen, ihren eigenen Willen. Zu glauben, dass
Asiaten, Afrikaner und Lateinamerikaner nicht in der Lage wären, eine stabile
Weltordnung zu schaffen, zeugt von einer Arroganz und Geringschätzung, die dem
Westen nach der Finanzkrise und den Ereignissen der letzten Jahre, gar nicht gut
zu Gesicht steht.
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Kishore
Mahbubani
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Der Aufstieg der Anderen
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