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von Bernd Blaschke
Biographien gehen immer
auf dem Buchmarkt. So dachte man zumindest, wenn man die Auslagen vieler
Buchhandlungen betrachtete. Doch wird auch dieses Vorurteil bei Lektüre des
umfassend informierenden Handbuchs Biographie relativiert. Die interdisziplinäre Biographieforschung befindet sich seit gut zehn Jahren im Aufwind. Seit 1988 erscheint (aus dem Kontext der Oral History Bewegung) die Zeitschrift Bios. 2001 edierte Margaretta Jolly eine zweibändige Encyclopedia of Life Writing – Autobiographical and biographical Forms. Nun hat der im Bereich der geisteswissenschaftlichen Handbücher bewährte Metzler Verlag ein Kompendium zum Genre der Biographie vorgelegt, das an Umfang, Gründlichkeit und Aktualität der Darstellungen kaum Wünsche offen lässt. Herausgeber ist mit Christian Klein ein jüngerer Literaturwissenschaftler, der sich in der Biographiologie (so der von ihm selbst geprägte Begriff für die wissenschaftliche Erforschung der Genres der Lebensbeschreibung) schon mit einer Biographie Ernst Penzoldts und mit zwei Sammelbänden zu Biographien und zum nicht-literarischen Erzählen einen Namen gemacht hat. Für das Handbuch ist es ihm gelungen, eine kompetente Autorenriege zu versammeln, die das weite historische Panorama (von der Antike bis zur Gegenwart) und das breite Spektrum der Biographieforschung (von der Medizin über Geschichts- und Literaturwissenschaften bis zu Gender Studies und Erziehungswissenschaften) gelehrt und doch allgemeinverständlich abhandelt. Das Handbuch arbeitet mit einem weiten Begriff des (tatsächlich kaum überzeugend eng zu definierenden) Biographischen. Es setzt allerdings seinen Schwerpunkt deutlich auf die Lebensbeschreibungen anderer Personen und bezieht nur gelegentlich das autobiographische Genre mit ein. Gleichwohl gibt es in diesem umfangreich und klug disponierten Handbuch natürlich auch einen Beitrag zu ‚Biographie vs. Autobiographie‘, beigesteuert von der Autobiographie-Spezialistin Michaela Holdenried. Dieses Kompendium beginnt, wie es sich für ein historisch und philologisch informiertes Handbuch gehört, gelehrt begriffsgeschichtlich. Es hebt an mit einem Kapitel, das die bisher wenig erforschten Zusammenhänge und Entwicklungen der Begriffsfamilie um ‚Vita‘, ‚Lebensbeschreibung‘, ‚Portrait‘, ‚Charakteristik‘ nachzeichnet. Das eröffnende Hauptkapitel ‚Bestimmungen und Merkmale‘ fährt fort mit elementaren Fragen des Wirklichkeitsbezugs und der Narrations- sowie Darstellungsweisen. Denn die – fürs biographische Genre grundlegende – Referentialität wird in der neueren Literaturtheorie ebenso zum vertrackten Problem, wie die Faktizität von Lebensereignissen oder psychischen Innenwelten. Biographik rückt damit in ein Spannungsfeld von Fiktion und Faktizität. Und reflektierte Autoren reagieren darauf mit metafiktionalen Biographien, die genau diese Problematik der Konstruktion und Perspektivierung eines Lebens durch oft zufällig überlieferte Dokumente und ihre schriftliche Narrativierung zum Gegenstand ihres Erzählens machen. Trotz dieses Verwischens der Grenzen zwischen wirklichkeitsverbürgender Historiographie und imaginativ-fiktionaler Geschichtenerfindung plädiert Ansgar Nünning hier für eine Beibehaltung der Grenze zwischen ‚klassischen‘ und ‚fiktiven‘ Biographien und er nennt vier Unterscheidungskriterien auf der Sach- wie Erzählebene, anhand derer man fiktive von faktischen Biographien unterscheiden könne.
Nach einem Unterkapitel
zum Sach- und Selektionsproblem der Biographiewürdigkeit (Wessen Leben wird
erzählt – und welche Wirkung hat diese Auswahl?) schließt das erste Kapitel mit
den erwähnten Überlegungen zu Zusammenhang und Unterschieden von Biographie vs.
Autobiographie. Das zweite Hauptkapitel zu ‚zentralen Fragen und Funktionen‘ der
Lebensbeschreibungen widmet sich anthropologischen Implikationen der Biographik,
ihrem Zusammenhang mit der Gedächtnis- und Erinnerungskultur sowie ihrer
sozialen Funktion in der Wissensgesellschaft. Doris Kolesch sieht die Biographik
und ihre Identitäts- und Subjektkonstruktionen auf zwei Ebenen herausgefordert
durch das zeitgenössische Paradigma der Performativität: der Biograph müsse den
Aufführungs- und Inszenierungscharakter des beschriebenen Lebens mit in Betracht
ziehen und zudem die Inszenierungsweise seiner eigenen schriftlichen
Präsentation reflektieren. Hier wird mithin auf der Sach- wie der
Darstellungsebene ein verschärftes, nicht-naives Medienbewusstsein eingefordert.
Das dritte von acht
Hauptkapiteln gibt einen Überblick über die Formen und Erzählweisen der
Lebensbeschreibungen. Die ausgewiesenen Untergattungen umfassen literarische,
wissenschaftliche oder populäre Biographien, desweiteren biographische
Kleinformen (wie Lexikoneinträge, Nachrufe oder der Minimalform eines
Registereintrags) und fiktionale Metabiographien, die das heikle Quellensuch-,
Auswahl- und Synthesegeschäft des Biographie-Schreibens selbst zu ihrem Thema
machen. Intermediale Formen biographischer Darstellungsweisen werden in
innovativen Unterkapiteln über bisher kaum systematisch erforschte biographische
Präsentationsweisen auf dem Theater (von Franziska Schössler), auf dem
Musiktheater (von Melanie Unseld), im Film (vom Herausgeber, Diana Weilepp und
Lukas Werner) und schließlich in Hörfunk und Fernsehen (von Knut Hickethier) in
formaler und historischer Hinsicht skizziert und analysiert. Neueste
Entwicklungen und Umformatierungen biographischer Darstellungsweisen finden sich
im Internet und in anderen digitalen Medien. Hypertextstrukturen offerieren
durch geschickte Verlinkung weit verzweigte Kontexte für die Spielart der
paradigmatischen Biographik, die ein Individuum als Produkt vielfältiger
Prägekräfte und Vernetzungen (in Familien, Gruppen, Generationen, Mentalitäten
und Epochen) zeigt.
Es ist eine
nachvollziehbare Entscheidung des Herausgebers, dieses so schon überaus
materialreiche Wissensfüllhorn zur Biographik auf den westlichen,
europäisch-amerikanischen Raum zu fokussieren. Folglich finden sich hier keine
Beobachtungen etwa zu asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Typen
und Entwicklungslinien lebensgeschichtlichen Schreibens – die freilich gerade in
ihrer (vermuteten) Abweichung von westlichen Ausprägungen der
Individualitätsformatierung von einigem Interesse sein könnten; auch weil gerade
sie die Spezifik der westlichen Modelle von Person und Lebenslauf profilieren
und verdeutlichen könnten. Doch findet sich auch in den vorliegenden
historischen und regionalen Überblicksartikeln hinreichend viel Alterität zu
unserer modernen Auffassung vom individuellen Leben, seinen Eckpunkten und
seiner üblichen Darstellung. Besonders das Mittelalter mit seinen Heiligen-Viten
und Mönchsbiographien setzte deutlich andere Akzente der Biographiewürdigkeit
als die Heutigen oder als die Antike, in deren Darstellung hier freilich auch
schon die christlichen Evangelien als ‚gehobene Ideal-Biographien‘ inmitten
weltlicherer Lebensläufe gewürdigt werden.
Das siebte Hauptkapitel
bietet auf knapp 80 Seiten Einblick in die Methoden biographischen Arbeitens in
einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen. Der Bogen spannt sich hier von
der Geschichtswissenschaft, der Literaturwissenschaft sowie der Kunstgeschichte
über die Musikwissenschaft, die Religionswissenschaft und die
Sozialwissenschaften bis hin zur Erziehungswissenschaft. Auch die Rolle von
Fallgeschichten und Lebensgeschichten in der Medizin werden in einem
Unterkapitel bedacht. Am Ende stehen die Jewish Studies und die jungen
Disziplinen Gender Studies und Postcolonial Studies, die trotz ihrer starken
theoretischen Orientierung an den biographie-kritischen Schulen der
Psychoanalyse und der Dekonstruktion ein ausgeprägtes Interesse aufweisen für
die Lebensläufe minoritärer Personen und deren Handlungsspielräume im
Widerstreit mit der Mehrheitsgesellschaft und ihren hegemonialen Diskursen.
Doch fürs erste
systematische und gründliche Reflektieren über mögliche Modi und
Verwendungsweisen der Lebensbeschreibung sind diese 485 zweispaltig gesetzten
Handbuchseiten mehr als hinreichend. Ihre Lektüre ist intellektuell so anregend
und oft auch so spannend, wie das Eintauchen in die Beschreibung eines fremden
Lebens. Die Begeisterung, die dort das Mitfiebern mit den Lebenskurven der
anderen hervorruft, wird im Fall dieses Handbuchs ersetzt durch die Lust am
kühlen, vergleichenden und analytischen Zerlegen der Biographien in ihre
formalen und historischen Bausteine. Das – nicht selten identifikatorische oder
kompensatorische – Verschlingen von Biographien wird mit diesem kaum weniger
verführerischen Handbuch wissenschaftlich gekontert. Die Faszinationskraft der
Biographik befeuert auch noch dieses Handbuch: beide Male geht es um nichts
weniger als ‚das Leben‘. Das fesselt nun einmal; sei es im Modus empathischer
Anteilnahme, sei es im Modus methodischer Reflexion auf seine Formierungs- und
Darstellungsweisen.
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Christian Klein
(Hg.) |
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